Handelsblatt - 16.08.2019

(nextflipdebug2) #1
„Sollte sich die Situation in
Hongkong verschlechtern,
wird die Zentralregierung
nicht dasitzen und
zuschauen.“
Liu Xiaoming, chinesischer Botschafter in
London, zu den eskalierten Protesten in der
Sonderverwaltungszone

„Ich schätze Franziska
Giffey sehr. Ihre
Geradlinigkeit zeigt sich
auch in diesem Schritt.“
Malu Dreyer, kommissarische SPD-Chefin, zum
Verzicht Giffeys auf die Kandidatur für die
Parteispitze aufgrund eines anhängigen
Verfahrens zur Überprüfung ihrer Doktorarbeit.

Stimmen weltweit


Die italienische Tageszeitung „La Repubblica“
spricht von einer Doppelkrise der globalen
Volkswirtschaften und einem Triumph für die
Politik Donald Trumps:

D


ie Lokomotiven des globalen Merkantilis-
mus, China und Deutschland, erleiden
zwei Zwillingskrisen. Das Wachstum ers-
terer bremst ab, und letztere steht schon am
Rande einer Rezession. Die Angst geht um in der
Welt und hat der Wall Street auch schon einen
kräftigen Kursverlust verpasst (...) In gewisser
Hinsicht sind die chinesischen und deutschen
Miseren ein Sieg von Donald Trump. Ein Pyr-
rhussieg? Der amerikanische Präsident hat seit
seinem Einzug ins Weiße Haus die übermäßigen
Handelsbilanzüberschüsse Berlins und Pekings
ins Visier genommen. Seine Zölle haben die Auf-
sässigen getroffen: in stärkerem Maße „made in
China“ als „made in Germany“, aber auch Letzte-
rem drohen neue Zölle. Der amerikanische Pro-
tektionismus ist eine der Ursachen der deutsch-
chinesischen Zwillingskrisen. Zwei wirtschaftli-
che Supermächte, gewohnt an einen unbe-
schränkten Zugang zum amerikanischen Markt,
sehen sich verarmen, weil sich dieser Ausgang
mehr und mehr schließt.

Die britische Tageszeitung „The Independent“
sieht die Brexit-Politik Boris Johnsons weder
vom Parlament noch vom Volkswillen gedeckt
und plädiert für ein zweites Referendum:

E


s könnte für ihn sinnvoll sein – zumindest
angesichts der nur symbolischen Mehrheit
seiner Regierung von einem Abgeordne-
ten –, sich durch Neuwahlen sein direktes Man-
dat zu sichern. Aber das hat jetzt gerade keine
Priorität. Wenn Boris Johnson sich wirklich auf
das britische Volk einlassen will, hätten wir einen
bescheidenen Vorschlag zu machen. Er möchte,
dass Großbritannien ohne ein Abkommen aus
der EU austritt.
Dafür gibt es im Parlament keine Mehrheit. Und
Umfragen zufolge gibt es dafür auch beim Volk
keine Mehrheit. Der beste Weg, so einem zerstö-
rerischen Ausgang – der nicht das ist, wofür die
Menschen 2016 gestimmt haben – Legitimität zu
verschaffen, wäre also ein Referendum, bei dem
dpa (2), REUTERSdas Volk das letzte Wort hat.

Die Schweizer „Neue Zürcher Zeitung“ sieht den
Konflikt zwischen China und den USA auf die
deutsche Konjunktur durchschlagen:

D


ie Folgen des Handelskonflikts zwischen
den USA und China zeigen sich immer
mehr in den Wirtschaftsdaten. Das gilt
ganz besonders für eine Exportnation wie
Deutschland. (...) Deutschland hat mit seiner of-
fenen Volkswirtschaft in den letzten Jahren be-
sonders stark vom globalen Handels- und Wirt-
schaftswachstum profitiert.
Nun gehört die Bundesrepublik zu jenen Län-
dern, welche die größten Rückgänge zu ver-
zeichnen haben. Der Handelsstreit zwischen
den Vereinigten Staaten und dem Reich der Mit-
te, der mit hohen gegenseitigen Zöllen ausgetra-
gen wird, schlägt sich vor allem bei der sehr ex-
portorientierten deutschen Industrie nieder.
Dagegen ist das Land nicht gefeit.

S


pät kommt er, aber er kommt. Bundeswirtschafts-
minister Peter Altmaier (CDU) will den Soli in drei
Stufen bis 2026 komplett abschaffen. Sein Kon-
zept hat Hand und Fuß. Statt der derzeitigen Fallbeilre-
gelung mit einer Freigrenze und einer komplizierten
Gleitzone setzt er auf Freibeträge und damit auf Trans-
parenz und Einfachheit. Nebenbei würden seine Vor-
schläge auch das Problem der Verfassungswidrigkeit
des Konzepts von Bundesfinanzminister Olaf Scholz
(SPD) überwinden. Es widerspricht dem Gleichheits-
grundsatz, dass ein Alleinstehender mit 109 000 Euro
Bruttoeinkommen mehr zahlen muss als einer mit
110 000 Euro. Altmaiers Freibetragsansatz beseitigt die-
sen Fehler. Das gilt auch in ähnlicher Art und Weise für
Handwerksbetriebe und jeden Mittelständler.
Politisch war es wichtig, für die CDU in die Offensive
zu kommen. Altmaier tut damit seiner Partei einen gro-
ßen Gefallen. Endlich kann die Union eine Antwort da-
rauf geben, wie man das Versprechen der kompletten
Abschaffung des Solis einlösen will. Er nimmt dabei ei-
ne Position der Vernunft ein. Die Haushaltspolitiker der


CDU haben ebenfalls ein Enddatum von 2026 genannt,
das sie finanziell für vertretbar halten. Spannend wird
sein, von welchen Beteiligungen sich Altmaier trennen
möchte. Während sich die Commerzbank-Aktie immer
tiefer ins Rot bewegt, könnte man mit dem Verlauf der
Airbus-Aktie richtig Kasse machen. Ob das der Indus-
triepolitiker Altmaier tatsächlich ins Auge fasst, muss
man abwarten. Aber der Ansatz, über die Beteiligungen
zu gehen, ist richtig, weil man nur zeitweise die Steuer-
ausfälle überbrücken muss, bis die Selbstfinanzierungs-
kräfte der Soli-Abschaffung wirken.
Nächste Woche stellt sich die Gretchenfrage. Finanz-
minister Olaf Scholz will da seinen Kabinettsentwurf
schon beschließen lassen. Das Verfassungsressort von
Horst Seehofer, das Bundesinnenministerium, will aber
noch intensiver prüfen. Das müsste jetzt der Bundes-
wirtschaftsminister auch wollen. Mindestens perspekti-
visch müssen in den Gesetzentwurf von Scholz die Ent-
lastungsschritte von Altmaier aufgenommen werden.
Wahrscheinlich ist ein anderes Szenario: Der Soli-Ab-
bau und die Grundrente werden in einem unklaren
Kuhhandel miteinander verquickt und dann beschlos-
sen. Dann stehen Seehofer und Altmaier in kurzen Ho-
sen da. Aber vielleicht hilft ihnen der neue starke Mann
der CSU, Markus Söder. Der bayerische Ministerpräsi-
dent wollte schon als Landesfinanzminister den Soli
komplett abschaffen. Jetzt muss er Farbe bekennen.
Sollte der Abschwung sich fortsetzen, könnten Alt-
maiers Pläne schneller Realität werden als gedacht. Die
Wirtschaft braucht einen starken Impuls. Das wäre die
komplette Abschaffung des Solis.

Soli-Abbau


Spät kommt er, aber er kommt


Peter Altmaiers Konzept zur
kompletten Soli-Abschaffung hat
Hand und Fuß und ist nicht
verfassungswidrig, meint Thomas
Sigmund.

Der Autor ist Ressortchef Politik.
Sie erreichen ihn unter:
[email protected]

Wirtschaft & Politik


WOCHENENDE 16./17./18. AUGUST 2019, NR. 157
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