Handelsblatt - 16.08.2019

(nextflipdebug2) #1
„Ich finde, das ist jetzt nicht
das relevante Problem
der Deutschen Bahn.“
Stephan Weil, Ministerpräsident
Niedersachsen, zur Forderung der Linken,
die erste Klasse bei der Bahn im Regionalverkehr
abzuschaffen

D


er Nörgler am Arbeitsplatz ist der Alb-
traum jeder Führungskraft. Da hat man
Ideen, die die Welt oder zumindest die
Abteilung zu einem besseren Ort machen
könnten, hat den Schlüssel zu wichtigen Neuerun-
gen in der Hand – und dann sind da diese Typen, die
jeden Vorschlag mit Zynismus und schlechter Stim-
mung quittieren. Die immer schon wissen, dass dies
ein weiterer Fehlschlag sein würde, dass alles, was
dabei herauskommen könnte, nur weitere Verwir-
rung stiftet. Und dass nichts von dem, was gerade
vorgeschlagen wurde, überhaupt neu sei. Im Gegen-
teil – alles schon mal da gewesen, alles schlecht.
Ich habe selbst viel Erfahrung mit solcher Nörgelei
gemacht, vor allem, weil ich selbst sehr gern nörge-
le. Besonders wenn sogenannte Innovationen oder
„spannende Ideen“ vorgestellt werden. Denn in mei-
ner Erwartung bedeuten Neuerungen unter Umstän-
den mehr Arbeit. Im Zweifelsfall für mich.
Ich habe jedenfalls wenige spannende Ideen mit
Begeisterung vorgetragen bekommen, die weniger
Arbeit bedeutet hätten. Vorschläge, die vor allem
weniger Arbeit für alle bedeuten, wurden nur selten
zum Vortrag gebracht. Aber man hat ja auch eine
Waffe dagegen: die des passiven Protests. Des un-
merklichen Grummelns und Schnaufens. Des Arme-
verschränkens und Augenverdrehens.
In der „Wirtschaftswoche“ habe ich eine Einlas-
sung des Kommunikationstrainers Marcus Werner
gelesen. Er meint, dass Leute, die „klammheimliches
Gemaule“ veranstalten, Opponenten sind, die „sich
nicht trauen, klar eine Gegenmeinung zu vertreten“.
Ich gehörte demnach erst einmal zur allerschwächs-
ten Gruppe von Gegnern. Nämlich jenen, die man
einfach überhören kann. Weil sie nämlich nicht ein-

mal den Mumm haben, ihren Widerstand zu formu-
lieren.
Der Kommunikationstrainer riet, sich stets schnell
zu entscheiden, die gemurmelte Gegenmeinung auf-
zugreifen oder zu ignorieren. Es sei besser, einfach
ein Statement vorzutragen und das nicht von ande-
ren Meinungen verwässern zu lassen. Man könne
aber auch „mit Neugier das Gesicht in den Gegen-
wind halten“ und die leisen Nörgler und Grummler
zur Gegenrede auffordern. Die müssten dann Farbe
bekennen. Das ist unangenehm für Nörgler wie
mich, schließlich ist man als Innovationskritiker
meist schlecht vorbereitet. Man steht nicht nur als
Verhinderer da, man stottert und stolpert auch noch.
In jedem Fall gelte es, meint Werner, die Wortfüh-
rerschaft zu behalten. Man könne etwa fragen: „Wer
in der Runde ist noch der Meinung, die hier geäu-
ßert wurde?“ Wenn sich niemand melde, sei klar:
Der Grummler steht allein da. Wenn man aber den
Nörgler nicht ignorieren könne, aber auch nicht zu
Wort kommen lassen wolle, könne man sagen: „War-
ten Sie noch kurz ab, ich werde gleich Ihre Beden-
ken zerstreuen können.“ Das tut der Vortragende
dann natürlich nie.
Denn der Nörgler nörgelt nicht, weil er inhaltliche
Kritik an Details hat. Er nörgelt, weil nicht er es ist,
der die tollen Ideen präsentiert, sondern weil er die
Ideen der anderen aushalten muss. Die spielen sich
auf, machen mit neuen Ideen Karriere, und er muss
zusehen. Das ist die narzisstische Kränkung, die ihn
nörgeln lässt.

Prüfers Kolumne


Der ewige Nörgler


Die Grummler im
Büro haben nichts
gegen neue Ideen,
aber sind dagegen,
weil nicht sie selbst
darauf gekommen
sind, beobachtet
Tillmann Prüfer.

Der Autor ist Mitglied der Chefredaktion
des „Zeit-Magazins“. Sie erreichen ihn unter:
[email protected]

evonic, dpa (2)

Illustration: Max Fiedler


Thyssen-Krupp


Absturz mit


Ansage


A


ls der US-Investmentfonds
Harris vor knapp einem Jahr
mit einem dreistelligen Mil-
lionenbetrag bei Thyssen-Krupp
einstieg, war das, wie immer an der
Börse, eine Wette auf die Zukunft
des Konzerns. Die sah zwar nicht
rosig, aber immerhin vielverspre-
chend aus. Per Aufspaltung wollte
Vorstandschef Guido Kerkhoff da-
mals die verborgenen Werte des
weitverzweigten Industriekonglo-
merats heben.
Doch es kam anders: Der Kurs
sackte dramatisch ab – und zwar so
stark, bis sich das ganze Vorhaben
am Ende nicht mehr rechnete. Nun
steht Thyssen-Krupp wieder vor ei-
ner Neuausrichtung. Und wieder
sind Investoren skeptisch, ob sich
das Vorhaben rechnen wird – und
schickten die Aktie auf weitere Tal-
fahrt. Nach der Vorlage der Quar-
talszahlen in der vergangenen Wo-
che war das Papier so günstig zu ha-
ben wie seit 16 Jahren nicht mehr.
Angesichts der derzeit schwieri-
gen wirtschaftlichen Rahmenbedin-
gungen für die Industrie wirkt die
Vorsicht der Anleger verständlich.
Nicht nur musste Kerkhoff vor we-
nigen Tagen die Jahresprognose
kassieren. Auch die Ratingagentur
Moody’s hat ihren Ausblick für das
Unternehmen am Donnerstag auf
Ba3 gesenkt. Damit ist Thyssen-
Krupp bloß eine Stufe vom Status
einer Ramschanleihe entfernt, was
den Abstieg nur beschleunigt.
Dass sich die Aktienperformance
der Essener in naher Zukunft ver-
bessert, ist unwahrscheinlich. Spä-
testens bei der nächsten Überprü-
fung der Dax-Zusammensetzung im
Dezember dürfte der Ruhrkonzern
aller Wahrscheinlichkeit nach aus
dem wichtigsten deutschen Börsen-
index fliegen – was automatisch
weitere Verkäufe und damit Kurs-
verluste nach sich ziehen wird.
Mit einer Marktkapitalisierung
von knapp sechs Milliarden Euro
wäre Thyssen-Krupp derzeit nicht
einmal im MDax unter den zehn
wertvollsten Unternehmen. Hoff-
nung macht da allein das Gesetz
von Angebot und Nachfrage: Je wei-
ter der Preis sinkt, desto interessan-
ter wird das Investment – auch für
potenzielle Übernahmekandidaten.

So billig wie jetzt war die Aktie des
Ruhrkonzerns noch nie zu haben.
Das dürfte auch vorerst so bleiben,
vermutet Kevin Knitterscheidt.

Der Autor ist Redakteur im
Ressort Unternehmen & Märkte.
Sie erreichen ihn unter:
[email protected]

„Ausländerfeindlichkeit und
Nationalismus passen nicht zu
einer international erfolgreichen
deutschen Wirtschaft.“
Dieter Kempf, Präsident Bundesverband
der Deutschen Industrie

Unternehmen & Märkte


WOCHENENDE 16./17./18. AUGUST 2019, NR. 157
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