Handelsblatt - 16.08.2019

(nextflipdebug2) #1
K. Schneider, E. Atzler Frankfurt

I


n knapp einem Monat, am 14.
September, droht im europäi-
schen Zahlungsverkehr das
große Chaos: Kunden von On-
linehändlern könnten massen-
weise ihre Käufe abbrechen. Verhin-
dern kann das jetzt nur noch die Fi-
nanzaufsicht. In mehreren europäi-
schen Ländern haben sich die Aufse-
her schon geäußert. Die deutsche Ba-
fin gab sich bisher bedeckt, doch
Marktteilnehmer rechnen fest damit,
dass die Behörde das Chaos mithilfe
von Übergangsregeln verhindern wird.
„Bei Computop rechnen wir fest
mit einer Fristverlängerung“, sagte
Ralf Gladis, Chef des Zahlungsdienst-
leisters dem Handelsblatt. Die Ban-
ken würden es nicht schaffen, die so-
genannte starke Kundenauthentifizie-
rung mit allen Ausnahmeregeln
einzuführen, zudem hätten die
Händler in ihren Onlineshops „nicht
genug Zeit für die Umsetzung“ be-
kommen. „Es wäre verantwortungs-
los, den Termin nicht zu verschie-
ben, wie es Italien und England ja
schon vorgemacht haben“, findet
Gladis, dessen Firma als IT-Dienstleis-
ter für Händler verschiedene Bezahl -
arten in deren Onlineshops einbaut.
Grund für die Aufregung ist die
zweite EU-Zahlungsdiensterichtlinie,
kurz PSD2. Sie soll den Zahlungsver-
kehr in der Europäischen Union (EU)
für Verbraucher bequemer und si-
cherer machen und zugleich den
Wettbewerb fördern. Schon am 13. Ja-
nuar 2018 wurde die Richtlinie in na-
tionales Recht umgesetzt. Eine der
zentralen Vorgaben entfalten aber
erst Mitte September ihre Wirkung.
Bei Onlinezahlungen und beim Zu-
griff auf das Onlinebanking ist die
„starke Kundenauthentifizierung“
(SCA), auch Zwei-Faktor-Authentifizie-

rung genannt, vorgeschrieben. Das
heißt, zusätzlich zum Benutzernamen
und zum Passwort müssen Kunden
dann in vielen Fällen eine Tan-Num-
mer eingeben – so wie heute schon bei
Onlineüberweisungen – oder eine Zah-
lung per Fingerabdruck bestätigen.
Viele Händler – vor allem kleine – sind
darauf aber noch nicht vorbereitet.
Vor allem bei Onlinezahlungen per
Kreditkarte könnte es daher zu Proble-
men kommen.
Vor diesem Hintergrund haben ins-
besondere Vertreter des Handels in
den vergangenen Monaten viel Lobby-
arbeit betrieben. In einigen EU-Län-
dern mit Erfolg. So hat die britische
Finanzaufsicht FCA zur starken Kun-
denauthentifizierung (SCA) im Online-
handel gerade eine 18-monatige Über-
gangsfrist beschlossen. In dieser Zeit
sollen Unternehmen, die die SCA
noch nicht umgesetzt haben, nicht
bestraft werden, solange die Unter-
nehmen darlegen können, dass sie
weiter an der Umsetzung arbeiten.
Auch bei den Kontoschnittstellen ge-
währen die Briten eine sechsmonatige
Übergangsfrist, in der Banken ihre
Schnittstellen bereitstellen und Dritt-
anbieter diese in ihre Systeme inte-
grieren sollen.
Die irische Zentralbank erlaubt für
den SCA-Start eine Übergangsfrist.
Auch die italienische Zentralbank und
die niederländische Aufsicht gestehen
Marktteilnehmern, die es nicht schaf-
fen, die SCA für Kreditkartentransak-
tionen zeitig umzusetzen, eine Über-
gangsfrist zu, wie sie vergangene Wo-
che mitteilten. Bis wann die neue
Frist läuft, haben sie noch nicht fest-
gelegt. Gemeinsam mit der Europäi-
schen Bankenaufsicht Eba zielen sie
auf eine einheitliche europäische Lö-
sung. Die Eba hatte bereits im Juni

grundsätzlich grünes Licht dafür ge-
geben, dass nationale Behörden
Übergangsfristen zulassen können.
An einer einheitlichen Lösung sind
auch die Marktteilnehmer interes-
siert. Aus Sicht von Computop-Chef
Gladis machen Ausnahmen in nur ei-
nem Teil der EU die Lage noch
schwieriger. „Wenn die SCA in eini-
gen EU-Ländern gilt und in anderen
nicht, wird die ohnehin komplizierte
Lage vollends unübersichtlich für
Händler und Konsumenten.“
Die Bafin hat offiziell noch nichts
zu möglichen Übergangsfristen ver-
lauten lassen. Man werde sich „in
Kürze zu der Thematik äußern“, sag-
te eine Sprecherin dem Handelsblatt.

Brief von der Bafin
Bezüglich eines weiteren Problems
hat sich der für Bankenaufsicht zu-
ständige Bafin-Exekutivdirektor Rai-
mund Röseler am Donnerstagnach-
mittag persönlich an die Marktteil-
nehmer gewandt. In einem Brief, der
dem Handelsblatt vorliegt, äußert er
sich zu den neuen Datenschnittstel-
len, sogenannten API. Diese müssen
Banken Drittanbietern zur Verfügung
stellen, damit sie – nach einer Geneh-
migung durch die Kunden – Zugriff
auf deren Zahlungskonten bekom-
men, um eine Finanzübersicht oder
eine schnelle Bonitätsprüfung vor-
nehmen zu können. Solche Anbieter
hatten in den vergangenen Wochen
auf Schwierigkeiten mit den neuen
API hingewiesen. Röseler stellt nun in
seinem Brief klar, welche Anforderun-
gen die Schnittstellen erfüllen müssen
und welche Konstellationen er als
Hindernisse für Drittanbieter wertet.
Stünden die neuen Schnittstellen
nicht bereit, müssten Banken andere
Zugriffswege zum Konto bereitstellen.

Neue Zahlungsrichtlinie


Aufschub möglich


Einige EU-Länder räumen Finanzfirmen Übergangsfristen bei


der Kundenauthentifizierung ein. Die Bafin könnte nachziehen.


Gewinnausschüttung


Eigner der


NordLB


einigen sich


Frank M. Drost Berlin


D


ie Anteilseigner der NordLB
haben ihren bizarren Streit
um die künftige Gewinnaus-
schüttung der Bank beigelegt. Nie-
dersachsens Finanzminister Rein-
hold Hilbers (CDU) und der Präsident
des Deutschen Sparkassen- und Giro-
verbands, Helmut Schleweis, verstän-
digten sich bei einem Spitzentreffen
mit Bundesfinanzstaatssekretär Jörg
Kukies auf einen Kompromiss. Das
bestätigte das Landesfinanzministeri-
um in Hannover am Donnerstag.
Wie in der Grundlagenvereinba-
rung über das 3,6 Milliarden Euro
schwere Rettungspaket für die
NordLB bereits fixiert, wird die Lan-
desbank vor Abschluss des Geschäfts-
jahres 2021 keine Gewinne ausschüt-
ten. Neu ist folgende Präzisierung: Ab
2022 kann die Hälfte der Gewinne
ausgeschüttet werden. Die andere
Hälfte soll bei der Bank verbleiben,
bis auf diese Weise Gewinne in Höhe
von 550 Millionen thesauriert wur-
den, erfuhr das Handelsblatt aus Fi-
nanzkreisen. Nach wie vor gilt, dass
die Bank dabei eine Kernkapitalquote
von 14 Prozent einhalten muss.
Im ersten Quartal des laufenden
Geschäftsjahres machte die NordLB
einen Gewinn von 54 Millionen Euro
nach Steuern. Trotzdem hatte der
Streit um die Gewinnausschüttungen
in der Branche für Kopfschütteln ge-
sorgt. Schließlich war vor wenigen
Monaten noch unklar, ob genügend
Kapital für die Rettung der NordLB
zusammenkommt. Die Bank war in
Schieflage geraten, nachdem 2018
wegen maroder Schiffskredite ein
Verlust von mehr als zwei Milliarden
Euro ausgewiesen wurde.
Nach langem Feilschen einigten
sich die Anteilseigner im Frühjahr
2019 auf milliardenschwere Hilfen.
Niedersachsen wird der Bank 1,5 Mil-
liarden Euro an Eigenkapital zur Ver-
fügung stellen und eine Garantie
über 800 Millionen Euro überneh-
men. Vom Land Sachsen-Anhalt
kommen 200 Millionen Euro, von
der Sparkassen-Finanzgruppe 1,1 Mil-
liarden Euro. Die Eigner haben sich
auch darauf verständigt, die Bilanz-
summe von 154 Milliarden Euro auf
95 Milliarden Euro abzuschmelzen
und die aktuell 5 250 Vollzeitstellen
auf 2 800 bis 3 000 zu reduzieren.


Brüssel hat das letzte Wort


Ob diese angedachte Struktur Be-
stand hat und das Geschäftsmodell
überzeugt, hängt vom Votum der EU-
Kommission ab. Noch ist unklar, ob
und wenn ja, mit welchen Auflagen
Brüssel die Finanzhilfen genehmigt.
Vor diesem Hintergrund werteten Fi-
nanzkreise es als verfrüht, über die
Verwendung möglicher künftiger Bi-
lanzgewinne zu debattieren.
In der Vergangenheit hat die EU-
Kommission gezeigt, zu welchen
Konsequenzen sie fähig ist. Im Fall
der WestLB ordnete sie die Abwick-
lung an. Hilfen für die HSH Nordbank
wurden an eine Privatisierungsaufla-
ge gekoppelt. Sollte Brüssel die Ret-
tungshilfen genehmigen, steht das
nächste Projekt bei der NordLB an.
Beobachter rechnen dann mit einer
Herauslösung der Braunschweigi-
schen Landessparkasse aus dem
NordLB-Verbund.


Einkaufen per
Handy: Ab Sep-
tember gelten
neue Regeln für
das Bezahlen
beim Onlinekauf. Getty Images

14.


SEPTEMBER
An diesem Tag sollen
neue Regeln zum
Zahlungsverkehr in
Kraft treten.

Quelle:
EU-Richtlinie PSD2

Finanzen & Börsen


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WOCHENENDE 16./17./18. AUGUST 2019, NR. 157
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