Handelsblatt - 16.08.2019

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im höheren einstelligen Bereich lau-
fen den Einheimischen die Immobi-
lienpreise davon. Die Lücke vergrö-
ßert sich zusehends. „Für den tsche-
chischen Durchschnittsverdiener
wird es immer schwieriger, in Prag
noch eine Wohnung kaufen zu kön-
nen“, bringt es Immobilienmanage-
rin Schuh auf den Punkt.
An einen fundamentalen Preis-
rückgang glauben derzeit aber weder
Projektentwickler, Makler noch Ana-
lysten. „Die Nachfrage nach Wohn-
raum übersteigt das Angebot“, sagt
Christian Miller, österreichischer
Handelsdelegierter in Prag. „Eine
Entspannung auf dem Immobilien-
markt zeichnet sich noch nicht ab.“
Marktteilnehmer erwarten, dass in
der 1,3 Millionen Einwohner großen
Hauptstadt in diesem Jahr nur 5300
neue Wohnungen gebaut werden.
Das wäre ein Viertel weniger als noch



  1. Die negative Entwicklung liegt
    keineswegs an fehlenden Investoren
    oder zu wenigen Kaufinteressenten.
    Verantwortlich für die zu schwache
    Bautätigkeit im Wohnungssektor ist
    die Bürokratie in Prag.
    Im Markt lässt niemand an den
    komplexen Verwaltungsstrukturen
    der tschechischen Hauptstadt ein gu-
    tes Haar. „Für die Wohnungsnot in
    Prag und Tschechien ist primär die
    Bürokratie verantwortlich. Die Ge-
    nehmigungen dauern zu lange. Wer
    es schafft, in fünf Jahren sein Baupro-
    jekt durchzukriegen, hat großes
    Glück“, sagt Immobilienmanagerin
    Schuh. Ein Wettbewerber habe für
    die Baugenehmigung eines Büroge-
    bäudes zehn Jahre warten müssen,
    berichtet die Ökonomin. Sie hatte bei
    ihrem Bauvorhaben Glück, weil das
    Grundstück außerhalb der Stadtgren-
    zen lag. „Auf dem Land geht es halt
    schneller“, sagt Schuh.


Unklare Aussichten


Trigema, ein wichtiger Akteur auf
dem privaten Prager Wohnungs-
markt, kennt die Hürden. „Für ein
neues Bauprojekt in Prag brauchen
wir 80 Stempel von Behörden“, er-
zählt Ingenieur Polák. „Unsere Pro-
jekte brauchen daher fünf bis neun
Jahre zur Realisierung. Bisweilen er-
innern die bürokratischen Hürden an
die Romane von Franz Kafka.“ Der
berühmte Prager Schriftsteller ist für
seine rätselhaften, teils absurden Er-
zählungen bekannt.
Zudem können immer neue Ein-
wände von Bürgerinitiativen die Um-
setzung eines Projekts in die Länge
ziehen. Eine Reform des administra-
tiven Geduldsspiels ist nicht in Sicht.
Auch ein Masterplan für die Weiter-
entwicklung der tschechischen
Hauptstadt lässt schon seit Jahren auf
sich warten.
Den Widerstand gegen Neubaupro-
jekte gibt es aber nicht nur in der
Hauptstadt, sondern auch in ländli-
chen Regionen. Ausländische Fir-
men, die beispielsweise Logistikzen-
tren mit großen Flächen errichten
wollen, stoßen auf unüberwindbare
Widerstände vor Ort. „Es gibt in eini-
gen Teilen der Gesellschaft eine un-
glaubliche Antihaltung gegen indus-
trielle Bauprojekte. Selbst die Indus-
trieansiedlung entlang der Autobahn
wird von Bürgerinitiativen massiv be-
kämpft. Damit haben auch deutsche
Investoren in Tschechien hart zu
kämpfen“, sagte Bernhard Bauer, ge-
schäftsführender Vorstand der
Deutsch-Tschechischen Industrie-
und Handelskammer. Der Tsche-
chien-Experte kennt das Leid deut-
scher Firmen, die einen neuen
Standort suchen. „Nicht nur in Prag,
sondern in ganz Tschechien sind
Bauflächen rar gesät.“


Einer, der sein Glück im boomenden
Immobilienmarkt in Prag kaum fassen
kann, ist Jan Hrubý. Der CEO des Im-
mobilienmaklers RE/MAX, der gern
ein geschätztes Bierlokal in der maleri-
schen Altstadt für Geschäftstermine
nutzt, lächelt über das ganze Gesicht.
Er spricht von „goldenen Zeiten“ in der
Goldenen Stadt. „In Prag werden pro
Jahr nur 5 000 Wohnungen gebaut,
aber 15 000 Einwohner kommen jähr-
lich in die Stadt“, sagt er. „Es wird ein-
fach zu wenig gebaut. Das ist grausam
für den Markt der Wohnungssuchen-
den“, sagt Hrubý. Für sein Geschäft
aber ist es gut. Ein Angebot, als Mana-
ger nach Wien zu wechseln, hat er ab-
gelehnt. Das lohnt sich für den vor Zu-
versicht strotzenden Manager nicht.
Den Boom in Prag spürt der Immo-
bilienmanager auch privat. Vor fünf
Jahren hat der zweifache Familienva-

ter mit seiner Frau eine 105 Quadrat-
meter große Wohnung in Prag noch
für fünf Millionen Kronen (193 000
Euro) gekauft. Heute sei sein Zuhause
10,5 Millionen Kronen (407 000
Euro) wert.
Wie lange das Glück der Immobi-
lienbranche anhält, ist nicht ausge-
macht. In Deutschland droht schon
eine Rezession. „Sollte es zu einer Re-
zession in Deutschland kommen und
sich die konjunkturelle Lage in
Europa eintrüben, kann es auch zu
einer rückläufigen Preisentwicklung
kommen. Es gibt derzeit viele Risiken,
die kaum zu kalkulieren sind“, warnt
Analyst Michal Skořepa von der Česká
spořitelna, der tschechischen Tochter
der österreichischen Erste Group.
„Die nachlassende Konjunktur in
Deutschland wird sich in Tschechien
noch in diesem Jahr bemerkbar ma-
chen. Das wird auch Einfluss auf den
Immobilienmarkt haben, egal, ob pri-
vat oder gewerblich“, ist sich auch
Handelskammer-Chef Bauer sicher.
Das tschechische Bruttoinlandspro-
dukt (BIP) wächst 2019 im sechsten
Jahr in Folge, das Wachstum hat je-
doch an Tempo verloren. Die EU-
Kommission erwartet nur noch ein
BIP-Wachstum von 2,6 Prozent. 2015
waren es noch 5,3 Prozent.

Finanzierung schwieriger
Marktteilnehmer halten daher die wei-
tere Entwicklung genau im Auge. „Die
Gefahr einer Blase auf dem Immobi-
lienmarkt wird diskutiert“, sagt Ana-
lyst Skořepa. Die tschechische Natio-
nalbank CNB hat bereits reagiert. Mit
verschärften Kreditvergabemaßnah-
men versuchen die Notenbanker das
Entstehen einer Immobilienblase im
eigenen Land zu verhindern. Die stei-
genden Wohnpreise zählen zu den
Hauptgründen für die steigende Infla-
tion in Tschechien, die zuletzt bei 2,9
Prozent lag. Eigentlich ist Tschechien
ein Land der Eigentümer – vier von
fünf Tschechen besitzen ihre Immobi-
lie. Doch kaufen wird schwieriger. Um
eine Wohnung in Tschechien über ein
Darlehen zu finanzieren, muss der
Käufer in der Regel mindestens ein
Fünftel des Kaufpreises an Eigenkapi-
tal mitbringen. Nach Meinung von
Marktteilnehmern ist das für immer
mehr Tschechen angesichts der stark
gestiegenen Preise eine zunehmend
hohe Hürde. Sie sind daher auf den
Mietmarkt angewiesen. Einen sozialen
Wohnungsbau gibt es aber in Tsche-
chien so nicht mehr. Gemeinnützige
Wohnungen wurden nach der Samte-
nen Revolution vor dreißig Jahren pri-
vatisiert. Nach Angaben der Tsche-
chischen Nationalbank sind die Mieten
im Juli im Vergleich zum Vorjahresmo-
nat um vier Prozent gestiegen.
Bislang jedoch hält sich der Immo-
bilienmarkt auf hohem Niveau stabil,
auch jenseits der Wohnungsmärkte:
Im vergangenen Jahr wurden Gewer-
beimmobilien in Tschechien für 2,6

Milliarden Euro gehandelt. Allein auf
die tschechische Hauptstadt entfällt
nach Angaben von Trigema mehr als
die Hälfte davon. Tomáš Jandík, Chief
Investment Officer der Reico České
spořitelny, Tochter der Erste Group,
glaubt an anhaltend gute Geschäfte:
„Wir erwarten, dass sie sich auch in
diesem Jahr etwa auf dem gleichen
Niveau bewegen.“
Der Preis für gute Büros im Zen-
trum von Prag liege derzeit bei 22,50
Euro pro Quadratmeter. Die Miet-
preise für Büroimmobilien wer-
den weiter steigen, ist sich Jandík si-
cher. Insbesondere IT, Dienstleis-
ter und Finanzunternehmen würden
die Nachfrage treiben.

Osteuropäische Investoren
Die Preisentwicklung in Prag werde
vielleicht nicht mehr so stürmisch
wie in den vergangenen Jahren sein,
aber immer noch hoch, lautet die
gängige Markteinschätzung. Immobi-
lienentwickler sind ohnehin nicht
ausschließlich auf ihre tschechische
Klientel angewiesen. Während deut-
sche Investoren wie offene Immobi-
lienfonds nur vereinzelt in Tsche-
chien zukaufen, übt der Markt auf
Käufer aus Osteuropa eine geradezu
magnetische Anziehungskraft aus.
Besonders bei russischen Investoren
sei die Nachfrage groß, sagt Analyst
Skořepa. „Es gibt osteuropäische In-
vestoren, die in Prag eine Wohnung
erwerben und sie jahrelang leer ste-
hen lassen. Auf diese Weise verengt
sich der Immobilienmarkt. Die Folge
sind stark steigende Preise.“
Auch dem Immobilienentwickler
Trigema ist für die Zukunft nicht ban-
ge. „Ausländische Investoren investie-
ren gerne in Prag. Sie kommen vor al-
lem aus Russland, der Slowakei und
weiteren osteuropäischen Staaten.
Wir haben auch Kunden, die mehrere
Wohnungen in Cash bezahlen“, sagt
Unternehmenssprecher Polák.
Und auch wenn sich mancher
Tscheche den eigenen Wohnraum
nicht mehr leisten kann, Mieterpro-
teste wie in Deutschland gibt es
nicht. Die Goldene Stadt kann also
weiter glänzen.

1,50

1,14 1, 09 1,19

2,17
2,11

2013 2014 2015 2016 2017 2018

Der Immobilienmarkt in Prag boomt
Preisindex für Wohnungen, 2010 = 100

147,9

14,9

HANDELSBLATT

2010 1. Q. 2019

Quellen: Thomson Reuters, BNP Paribas

150

140

130

120

110

100

0

Bestand Neubau

Volumen auf dem gewerblichen Investmentmarkt
in Mrd. Euro

Gefragte Anlage:
Gewerbeimmo-
bilien wie das
International
Business Center
(links) oder
das Olympik
Hotel stehen
bei Investoren
hoch im Kurs.

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WOCHENENDE 16./17./18. AUGUST 2019, NR. 157
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