Handelsblatt - 16.08.2019

(nextflipdebug2) #1

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ur Vorbereitung auf das Gespräch hat
Frithjof Bergmann noch mal sein Buch
„Neue Arbeit, neue Kultur“ gelesen. Der
Philosoph war selbst überrascht, wie ak-
tuell seine Thesen noch sind, die er 1984 verbreitete.
Damals drohten bei General Motors im Zuge der Au-
tomatisierung Massenentlassungen. Bergmann
schlug ein Alternativmodell zum Kapitalismus vor:
Die durch Maschinen ersetzten Arbeiter sollten
sechs Monate im Jahr in der Fabrik arbeiten, die üb-
rige Zeit aber herausfinden, was sie „wirklich, wirk-
lich wollen“ – um selbstbestimmter zu arbeiten. Da-
mit wurde Bergmann zum Begründer der Neuen Ar-
beit. Der Anruf des Handelsblatts erreicht ihn in sei-
nem Arbeitszimmer in Ann Arbor, US-Bundesstaat
Michigan. Die Telefonverbindung ist schlecht, doch
die Aussagen des 88-Jährigen sind klar. Bergmann
spricht fließend Deutsch. Was auffällt: Arbeitneh-
mer bezeichnet er konsequent als Arbeiter.

Herr Bergmann, in der neuen Arbeitswelt gehen
die Mitarbeiter locker miteinander um. Wollen wir
uns duzen?
Ja, natürlich. Ich bin der Frithjof.

In Zeiten von Digitalisierung und Künstlicher Intel-
ligenz sind deine Überlegungen wieder aktuell
geworden. Überrascht dich das?
Das hat mich sehr überrascht. Ich habe damals da-
mit gerechnet, dass unsere Idee in einer kleinen
Ecke verschwinden würde. Dass sie sich nun durch-
setzt, wird mir immer klarer. Die Problematik der
Lohnarbeit zeigt sich immer deutlicher. Viele Unter-
nehmen sind der Meinung, dass sie mit der alten Art
von Arbeit nicht mehr für die Zukunft aufgestellt
sind. Ein weiterer Grund: Die Technologie entwi-
ckelt sich so schnell, dass wir eine neue Art der Ar-
beit nun überhaupt erst gestalten können.

Heute ist New Work ein Sammelbegriff für alles,
was Unternehmen hip und modern finden. Ent-
spricht das noch dem, was du dir damals überlegt
hast?
Eher nicht. Unser Ansatz war von Anfang an, die
Lohnarbeit abzuschaffen und die Neue Arbeit einzu-
führen. Dieser radikale, einschneidende Wechsel
wird heute von Firmen viel weniger betont. Heute
macht man vielerorts nur die Lohnarbeit attraktiver,
sympathischer und netter. Man kann auch sagen: Es
ist Lohnarbeit im Minirock. Firmen beschreiben
das, was wir Neue Arbeit nennen, nur in ganz ober-
flächlicher Art und Weise. Auch wenn es angeblich
super läuft, ist es mehr Schein als Wirklichkeit.

So aus der Ferne betrachtet: Welches deutsche
Unternehmen macht New Work denn am besten?
Soweit ich weiß, wird in keinem deutschen Betrieb
das, was ich die Neue Arbeit nenne, wirklich durch-
geführt. Oftmals ist es nur Stückwerk und nicht voll-
kommen durchdacht. Was mich an Deutschland är-
gert: Neue Arbeit wird von allen Dächern gepfiffen,
aber es ist nicht die Neue Arbeit, sondern nur eine
etwas sympathischer angehauchte Form der Lohn-
arbeit. Man versucht nicht wirklich, die Neue Arbeit
einzuführen. Deutschland braucht die Neue Arbeit
aber unbedingt. Nur dann kann es seinen Status als
führende Wirtschaftsnation behalten.

Manche Firmen sagen aber: Wir sind mit der bishe-
rigen Arbeitsstruktur zufrieden, die Neue Arbeit
passt nicht zu uns. Was sagst du denen?
Ich würde es eine Spaltung nennen. Es gibt in
Deutschland auch viele Betriebe, denen es zu gut
geht und die die Neue Arbeit nicht brauchen. Aber
es gibt auch welche, die die Neue Arbeit akzeptieren
und versuchen, sie einzuführen – aber meist zu
schnell und meist auch zu oberflächlich.

Woran liegt das?
Weil sie sich nicht richtig auf die Neue Arbeit vorbe-
reiten. Unsere Idee ist radikal neu, ein anderer Be-
griff vom Menschsein: dass er kein Raubtier ist, das
gezähmt werden muss. Dass kein Egoismus in ihm
herrscht, den man bändigen muss. Sondern dass
wir jetzt den Punkt erreicht haben, wo wir die Men-
schen entwickeln und stärken können. Es braucht
einen neuen Durchbruch, eine neue Radikalität.

Wie genau sollen sich die Unternehmen denn vor-
bereiten?
Wenn in Betrieben übersprungen wird, dass Men-
schen entwickelt werden müssen, dann geht das
sehr oft schief. Dann scheitert New Work zu Recht.

Du meinst: Man kann die Neue Arbeit nicht von
oben herab verordnen?
Das ist ganz und gar meine Meinung. Man kann es
nicht diktieren, es muss sich von unten entwickeln


  • auch wenn es langsam und oft von Widerständen
    begleitet ist.


Ist New Work denn überhaupt das, was sich Arbeit-
nehmer heute wünschen?
Im Großen und Ganzen würde ich sagen: ja. Viele
Arbeiter sehnen sich nach Arbeit, die sie wirklich,
wirklich wollen. Das ist ja der Hauptsatz von New
Work. Die Unzufriedenheit mit der jetzigen Arbeit
hat stark zugenommen. Deswegen entwickelt sich
sehr viel intensiver als früher die Überzeugung, dass
wir eine neue Form der Arbeit brauchen.

Dein Konzept war damals auch als Kritik am Kapi-
talismus gemeint. Heute bewirkt New Work aber
mitunter genau das Gegenteil, weil Mitarbeiter zur
Selbstausbeutung animiert werden.
Das stimmt, so ist das zum Teil. Die Entwicklung
entspricht nicht dem, was die Arbeiter wirklich wol-
len. Sehr viele werden ausgenutzt. Aber das ist nicht
das letzte Wort. Für mich ist das ein Übergang in ei-
ne Zukunft, die sympathischer und arbeiterfreundli-
cher ist als die Vergangenheit. Man bereitet sich der-
zeit immer mehr auf eine andere Kultur der Arbeit
vor.

Gibt es die im Silicon Valley nicht schon längst?
Bei Google habe ich das Gefühl gehabt, dass Frithjof
Bergmann der Zukunft mehr entspricht als andere
Leute. Google hat einzelne Dinge aus der Neuen Ar-
beit erfolgreich imitiert.

Ist Google ein Vorbild für deutsche Unternehmen?
Nein. Deutsche Unternehmen sind aus meiner Sicht
viel vorsichtiger als Google. Google ist radikaler, im-
mer zu Versuchen ausgelegt. Google hat schon in
sehr früher Zeit den Freitag als den Tag eingeführt,
an dem Mitarbeiter machen dürfen, was sie selber
entwickelt haben. Es gab eine Menge Google-Leute,
die mir zugehört haben, als ich Vorträge in Stanford
gehalten habe. Aber das bedeutet nicht, dass man in
Deutschland nun Betriebe aufbauen sollte, die ge-
nau Google entsprechen. Das würde nicht gut lau-
fen.

Warum nicht?
Ich habe zum Beispiel bei Daimler mitgearbeitet und
kenne die Kultur dort. Das Management betont im-
mer, dass die Mitarbeiter Vorschläge machen kön-
nen. Aber die Vorschläge entsprechen immer genau
dem, was das Management bei Mercedes hören will.
Was der wirklichen Freiheit der Arbeiter entspricht,
kommt bei Daimler nicht zum Zug.

New Work wird oft als Allheilmittel postuliert.
Funktioniert es überall – im Mittelstand, beim Kon-
zern?
Nein, absolut nicht. Die Neue Arbeit greift zwar um
sich. Aber wir sind weit entfernt davon, dass die
Neue Arbeit sich in allen Betrieben durchsetzt.

Berätst du aktuell noch Unternehmen?
Ja, ich berate GM, Chrysler und Ford. Nicht alle klat-
schen mit großer Begeisterung. Aber ich werde ge-
fragt. Sie wollen meine Meinung hören und nehmen
mich ernst. Das freut mich.

Lieber Frithjof, vielen Dank für das Interview.

Die Fragen stellten Julian Olk, Michael Scheppe
und Christian Wermke.

Frithjof Bergmann


„Lohnarbeit


im Minirock“


Der Begründer von New Work über die Aktualität


seiner Thesen – und warum Firmen hierzulande die


neue Arbeitswelt oftmals nicht zu Ende denken.


Frithjof Bergmann:
„Die Entwicklung
entspricht nicht dem,
was die Arbeiter
wirklich wollen.“

Cooppa

Person: Der 88-Jäh-
rige gilt als Erfinder
der Neuen Arbeit. Er
stammt aus Sachsen,
wuchs in Österreich
auf und wanderte
mit 19 Jahren nach
Amerika aus. Er ist
emeritierter Professor
für Philosophie und
Anthropologe.
Bergmann lehrte
an den Universitäten
Stanford, Berkeley,
Michigan und Chi-
cago.

Kult: Der Mann mit
den verstrubbelten
grauen Haaren ist
häufig Gast auf New-
Work-Konferenzen.
Dabei jubeln ihm
junge Menschen aus
der Start-up-Szene
zu, für die Bergmann
Guru-Status hat.

Frithjof
Bergmann

Neue Arbeitswelt
WOCHENENDE 16./17./18. AUGUST 2019, NR. 157
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