Handelsblatt - 16.08.2019

(nextflipdebug2) #1
Thomas
Staubhaar:
Die Stunde der
Optimisten.
So funktioniert
die Wirtschaft
der Zukunft
Edition Körber,
Hamburg 2019,
368 Seiten,
22 Euro

Deutscher Wirtschaftsbuchpreis

Meistens geht’s gut


Ein Schweizer Ökonom argumentiert gegen den
deutschen Hang zur Schwarzseherei.

D


arum geht es: In „Die Stun-
de der Optimisten“ wendet
sich Thomas Straubhaar ge-
gen die gerade in Deutschland gerne
gepflegte Untergangsstimmung. An-
gesichts von Jobverlusten durch die
digitale Revolution, von Klimawandel
und Handelskriegen argumentiert
der frühere Leiter des Hamburger
Weltwirtschaftsinstituts: Die histori-
sche Erfahrung spreche dafür, dass
die menschliche Kreativität lernen
werde, mit den derzeitigen Proble-
men umzugehen. Das habe sie bisher
schließlich noch jedes Mal geschafft.
„Anfang des 20. Jahrhunderts gab
es in New York 200 000 Pferde – bei
einer Bevölkerung von dreieinhalb
Millionen Menschen“, schreibt
Straubhaar. „Der Pferdemist führte
im Sommer zu fürchterlichem Ge-
stank und brachte Milliarden von
krankheitsübertragenden Insekten
und Millionen von Ratten mit sich.“
Der Siegeszug des Autos habe dann
überraschend dieses bis dato als un-
lösbar geltende Umweltproblem be-
seitigt. Inzwischen ist freilich das Au-
to selbst zum Problem geworden.
Aber auch diese Herausforderung
wird sich, so Straubhaars Botschaft,
wahrscheinlich bewältigen lassen –
auch wenn wir die Lösung derzeit
womöglich noch gar nicht kennen.
Um solchen Unwägbarkeiten bes-
ser begegnen zu können, plädiert
Straubhaar für einen Umbau des
Wirtschafts- und Gesellschaftssys-
tems: Weg vom Streben nach Stabili-
tät, hin zur Resilienz. Dieser politöko-
nomische Modebegriff besagt, dass
sich Systeme möglichst flexibel an
unerwartete Veränderungen anpas-
sen sollen. Abgelaufen ist für Straub-
haar hingegen die „Zeit der Master-
pläne, großen Würfe aus einem Guss
und perfekten To-do-Listen“.
Das ist der Autor: Thomas Straub-
haar gehört zu den erfrischendsten
Köpfen in der deutschsprachigen
Ökonomenszene. Der 62-jährige
Schweizer, der an der Universität
Hamburg Volkswirtschaft lehrt, ist
von marktwirtschaftlichen Grund-
überzeugungen geprägt. Doch diese
Ansichten führen ihn oft zu unkon-
ventionellen Schlüssen. So gehörte er
früh zu den Verfechtern eines bedin-
gungslosen Grundeinkommens. Mit
diesem Mix aus Positionen lässt er

sich kaum in das gängige Links-
rechts-Schema der deutschen Ökono-
menzunft einordnen.
Das überrascht: Viele der Gedan-
ken, die Straubhaar darlegt, sind
nicht neu. Dass Digitalisierung, Da-
ten und Demografie „die fundamen-
talen Herausforderungen kommen-
der Dekaden darstellen“ und diese
drei Faktoren „Bisheriges und Altbe-
kanntes ganz grundsätzlich in Frage
stellen“: Wer wollte da wiederspre-
chen? In der Zusammenschau indes
ergeben Straubhaars Ideen den Ent-
wurf für eine freiheitliche und zu-
gleich faire Gesellschaft, die Lust da-
rauf macht, in ihr zu leben. „Die
Stunde der Optimisten“ stimmt tat-
sächlich optimistisch.
Und seinem unorthodoxen Ruf
bleibt der Autor auch diesmal treu.
So plädiert er zum Beispiel für staat-
lich finanzierte Ausbildungszeiten,
die Menschen Weiterbildung bis ins
hohe Alter ermöglichen. Dieses in
Deutschland eher bei der SPD veror-
tete Projekt soll den Bürgern helfen,
sich an die rasch und unvorherseh-
bar wechselnden Anforderungen des
Arbeitsmarkts anzupassen.
Gleichzeitig will der Wissenschaft-
ler in geradezu libertärer Manier alle
Unternehmensteuern abschaffen,
weil sich in der Digitalwirtschaft die
Wertschöpfung kaum noch einem
geografischen Ort zuordnen lasse.
Stattdessen möchte Straubhaar nur
noch an Aktionäre oder Gesellschaf-
ter ausgeschüttete Gewinne besteuert
sehen – und zwar mit dem gleichen
Steuersatz wie Arbeitseinkommen.
Allerdings lässt Straubhaar offen, wie
er verhindern will, dass die Empfän-
ger solcher hohen Kapitaleinkünfte
ihren Erstwohnsitz gezielt in Staaten
mit besonders niedrigen Einkommen-
steuersätzen verlegen.
So viel versteht man: Auch als öko-
nomischer Laie lässt sich Straubhaars
Buch gut lesen und verstehen. Die
größere Herausforderung besteht da-
rin, sich überhaupt erst einmal auf
die ungewohnt positive Weltsicht des
Schweizers einzulassen.
Christian Rickens

Visual China Group/Getty Images [M]

Carl Benedikt
Frey und Michael
Osborn:
Technology Trap
Princeton
University Press,
465 Seiten,
ca. 20 Euro

Literatur


1


WOCHENENDE 16./17./18. AUGUST 2019, NR. 157
55


Anders Indset:
Quantenwirt-
schaft –
Was kommt
nach der Digi-
talisierung?
Econ,
336 Seiten,
22 Euro

Die Macht der


Roboter


Rund jeder zweite Job in den USA könn-
te durch Automatisierung ersetzt wer-
den. Mit dieser Aussage aus einem For-
schungspapier wurde der schwedisch-
deutsche Ökonom und Historiker Carl
Benedikt Frey zusammen mit seinem Co-
Autor Michael Osborne berühmt. Doch
Frey waren die dramatischen Aussagen
seiner Hypothese aus dem Jahr 2013
nicht geheuer. In seinem Buch „The Tech-
nology Trap“ hat er nachgelegt, um seine
zentralen Aussagen nachzuschärfen.
Ja, viele Jobs könnten durch die Robo-
ter ersetzt werden. Aber nein, das be-
deutet nicht, dass die Hälfte aller Be-
schäftigen arbeitslos wird. Schließlich
könnten auch wieder neue Aufgaben
und Tätigkeiten entstehen, die nicht
von Maschinen übernommen werden
können. Um seine Ideen zu unterstrei-
chen, analysiert Frey die industrielle
Revolution. Er führt aus, dass der tech-
nologische Fortschritt zwar langfristig
die Welt vorangebracht hat, doch kurz-
fristig die Ungleichheit etwa in England
verstärkte, weil Arbeiter ihre Jobs verlo-
ren, aber gleichzeitig Fabrikbesitzer ih-
re Profite steigern konnten.
Frey ist sehr gut darin, diese histori-
schen Entwicklungen detailliert aufzu-
führen. Dabei gelingt es ihm, Parallelen
zu den Chancen durch Künstliche Intelli-
genz und maschinelles Lernen zu zie-
hen. Frey warnt, dass die Angst vor ei-
nem massiven Stellenabbau dazu führen
könnte, dass technologische Entwick-
lungen blockiert würden. Im schlimms-
ten Fall könnte das zu einer globalen
Stagnation führen – einem „Technology
Trap“, wie der Buchtitel impliziert.
Um dies zu verhindern, schlägt Frey
eine Reihe von Maßnahmen vor. Dazu
zählt er viele Ideen auf, die seit Jahren
von Arbeitsmarktexperten diskutiert
werden: Unterstützung für Umschulun-
gen oder Gutscheine für Arbeiter, die
für neue Jobs umziehen müssen. Er
führt aber auch Reformen des Bildungs-
systems auf, die Menschen stärker auf
eine sich verändernde Arbeitswelt vor-
bereiten sollen.
Je konkreter Freys Vorschläge wer-
den, desto schwächer wird seine Argu-
mentation. Frey ist stark darin, die Risi-
ken durch die Automatisierung aufzu-
greifen. Bei seinen Ideen wiederholt er
jedoch nur Ansätze, die seit vielen Jah-
ren diskutiert werden. Das ist nicht
schlecht. Doch es fehlt ein in sich kon-
sistenter Ansatz. Frey ist ein hervorra-
gender Analytiker der Probleme der an-
stehenden Veränderungen. Aber es
scheint ihm schwerzufallen, seine Er-
kenntnisse auch in realistische Gegen-
maßnahmen für die Politik und Wirt-
schaft zu übersetzen. Stephan Scheuer

Betriebssystem


der Wirtschaft


In seinem Buch „Quantenwirtschaft“
warnt der norwegische Wirtschaftsphi-
losoph Anders Indset davor, dass die
Welt auf einen Klimakollaps zusteuert
und die Menschheit Gefahr laufe, zum
Büttel Künstlicher Intelligenz zu mutie-
ren. Um gegenzusteuern, empfiehlt der
41-Jährige, der wegen Bart und langer
Haare auch den Spitznamen Digital-Je-
sus trägt, ein „neues Betriebssystem für
die Wirtschaft“, stark beeinflusst von
der Quantenphysik.
Im Zentrum dieser Kreislaufwirt-
schaft mit neuen Formen des Grundein-
kommens haben Werte wie Freude,
Selbstverwirklichung und Empathie
Konsumsucht und übermäßiges Sicher-
heitsstreben abgelöst. Die Menschen
wissen, dass das Universum, wie die
Quantenphysik zeigt, nicht linear ist.
Vielmehr ist alles und jeder miteinander
verbunden, sei es durch ein kosmisches
Energiefeld oder ein kollektives Be-
wusstsein. So benennt Indset Kernfra-
gen für die Zukunft: Wie kann man
Glückseligkeit in die Wirtschaft integrie-
ren? Wie lassen sich immaterielle Güter
wie Glück, Liebe und Empathie kapitali-
sieren? Bemerkenswert ist, wie gelun-
gen Indset Philosophie, Religion, Spiri-
tualität, Managementlehre und Quan-
tenphysik miteinander in Einklang
bringt, ohne dass die Lektüre oberfläch-
lich oder beliebig gerät.
Auch wenn manches bisweilen arg


überspitzt und vereinfacht daher-
kommt: Am Ende ist die Quantenwirt-
schaft eine Utopie – was nicht bedeutet,
dass sie nicht Realität werden könnte.
Ganz im Sinne der Quantenphysik: Alles
ist möglich, und was sich manifestieren
soll, muss zunächst einmal gedacht wer-
den. Anna Gauto
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