Handelsblatt - 16.08.2019

(nextflipdebug2) #1

fangs Entwürfe für die Körperextensio-
nen oder die von Motoren bewegten
Skulpturen. Mit dem Jahrtausendwechsel
wurden die bis 2 Meter 50 hohen Bunt-
stiftzeichnungen zum eigenen Medium.
2004/05 waren diese in der Kunstsamm-
lung NRW zu Gast. Rein formell lassen
sich Parallelen zu den Zeichnungen von
Antonin Artaud (1896–1948) konstatieren.
Der Regisseur, Dichter und Zeichner
zählt zu Horns Leitfiguren.
Eine andere Wahlverwandtschaft ver-
bindet die Künstlerin mit dem surrealisti-
schen Schriftsteller Raymond Roussel
(1877–1933). Die Metzer Kuratorinnen
stellen deshalb Horns Arbeiten surrealis-
tischen Werken von Mereth Oppenheim,
Claude Cahun, Max Ernst, André Breton,
Man Ray oder Constantin Brancusi ge-
genüber. „Ikonografisch gesehen, gibt es
viele gemeinsame Themen wie die Schu-
he, die Schlange, die sich häutet, um Re-
becca mit ihren surrealen Vorreitern zu
zeigen“, erklärt Kuratorin Alexandra
Müller. Vor allen Dingen zeigt die Künst-
lerin im Atelier ihre eigenen Werke zu-
sammen mit Surrealisten. „Das fanden
wir sehr inspirierend, um es im Dialog zu
präsentieren“, so Müller.


Leitgedanke Verwandlung


Auf das Thema der Verwandlung weisen
die ins Werk eingearbeiteten Schmetter-
linge oder Schlangen hin. In Horns Kos-
mos kreisen Adler- oder Eulenfedern in
Wandskulpturen. Straußenfedern dienen
als dekorativer Körperschutz. Pfauenfe-
dern schlagen in der „Pfauenmaschine“
ein Rad.
Horn schafft ihre „individuelle Mytho-
logie“. Das benannte Starkurator Harald
Szeemann schon 1972 so, als er Horn für
die Documenta 5 auswählte. Stahlspitzen
werden aktiv, Schuhe tanzen, Pendel,
Schreibmaschinen, Regenschirme und
Bücher bewegen sich. Ein Klavier
schwebt über den Köpfen der Besucher,
kracht aber regelmäßig herunter im
„Concert for Anarchy“.
Mit Jean Tinguely hat Rebecca Horn
die Malmaschinen gemeinsam, die der
Schweizer ab 1955 baute. In Horns Instal-
lation „Die Liebenden“ von 1991 bespritzt
die Maschine die Wände mit einem Cock-
tail aus Tusche und Champagner. „Die
Liebenden bereiten sich vor, sie baden in
Champagner und Tusche, vereinigen
sich im Inneren der Malmaschine, um
die Malerei im Fluge einer verrückten
Verliebtheit, eines Tanzes, auszuführen“,
sagt die Künstlerin. Kuratorin Reimann
bemerkt, dass es sich nicht wirklich um
Champagner handelt, wie sie beim Auf-
bau bemerkte.
In Metz ist die raumgreifende Installati-
on „Bee’s Planetary Map“ aufgebaut. Da
sie für eine Ausstellung in Weimar konzi-
piert war, enthält sie einen Hinweis auf
das in Nachbarschaft zur Dichterstadt ge-
legene Konzentrationslager Buchenwald.
In den letzten zwanzig Jahren, besonders
vor ihrem Schlaganfall im Jahr 2015, gab
Rebecca Horn ihren Arbeiten oft eine po-
litische Note.
Derzeit lebt die Künstlerin in der süd-
hessischen Kurstadt Bad König im Oden-
wald. Dort hat sie den „Rebecca Horn
Workshop“ gegründet, eine Art Privat-
museum mit Atelier für ihre Sammlung.


Basel, Museum Tinguely:
„Rebecca Horn. Körperphantasien“.
Bis 22. September 2019.
Metz, Centre Pompidou Metz:
Rebecca Horn. Théâtre des
métamorphoses. Bis 13.1.2020.
Kataloge: 42 Franken und 36 Euro.


Zeitgenössische Kunst

Kritik am Pflichtapplaus


Eigen + Art zeigt in Berlin die erste deutsche Galerie-Schau mit Künstlern aus dem Westen Chinas.

D


ie chinesische Gegenwarts-
kunst hat viele Facetten.
Nachdem der Hype mit sei-
nem Höhepunkt von 2012 abgeklun-
gen ist, lässt sich die Kunst dieses auf
Wachstum programmierten Landes
gelassener betrachten. Nicht nur die
mit Millionenpreisen bedachten
Künstler der Marktzentren Hong-
kong, Schanghai und Peking präsen-
tieren sich auf internationaler Büh-
ne. Es sind auch die Kunstzentren
der anderen chinesischen Provinzen,
die eine von Mainstream und Markt-
gelüsten freie Kunst hervorbringen.
Die Galerie Eigen + Art präsentiert
in ihrem Berliner Stützpunkt fünf
chinesische Künstlerinnen und
Künstler. Sie alle lehren an der China
Academy of Art in Hangzhou und
sind eine Bereicherung der Szene.
Die alte Stadt der Seidenweber,
knapp 220 Kilometer von Peking ent-
fernt, besitzt ein Kunstmuseum, das
mit seinen 9 000 Quadratmetern Aus-
stellungs- und Repräsentationsfläche
ein Mittelpunkt der Neun-Millionen-
Stadt ist. Die in Berlin vorgestellten
Künstler im Alter von Mitte dreißig bis
Mitte fünfzig pflegen seit Jahren engen
Kontakt mit der „Leipziger Schule“.
Alle fünf sind der Malerei verpflichtet
und lassen sich bei aller Individualität
auf westliche Stilprägungen ein.
Besonders deutlich wird das bei
den Interieurs von Jianlian Guo, de-
ren asymmetrische, fließende Form
das Vorbild Pierre Bonnard herauf-
beschwört. Das legen auch die fran-
zösischen Bildtitel nahe („Fenêtre de
nuit, La Reflexion“). Das Licht ist in
den dunkeltonigen Bildern gebro-
chen, ein Rest von Geheimnis bleibt.

Eine zusammengehörige Gruppe
dreier zunehmend abstrahierter Bil-
der von Xuhong Yu lässt auf Anhieb
an Monet denken. Da setzt er pasto-
se Farbe teils punktweise auf oder
drückt sie mit dem Pinselstab ein,
um atmosphärische Wirkungen zu
erzielen. Von Bild zu Bild lösen sich
die Konturen immer mehr auf und
werden zu nahezu abstrakter Licht-
malerei (32 000 Euro). In starkem
Kontrast zu diesen Werken stehen
die vier Stoffbilder von Yanping Jin,
die auf blauem Grund Arme in Ap-
plausbewegung zeigt. Die Pflichtges-
te im Nationalen Volkskongress Chi-
nas hat schon durch den Bildaus-
schnitt und die Signalfarben einen
systemkritischen Effekt (12 000
Euro).
Am stärksten der traditionellen
chinesischen Malerei verbunden ist
der 1960 geborene Shijan Jing. In sei-
nen erdfarbigen Bildern konterkarie-
ren geheimnisvoll narrative Figuren
Reminiszenzen an die Landschafts-
malerei früherer Epochen. In dem
Großformat „Yandang on Tao“ sitzen
zwei Figuren auf Gipfeln des ostchi-

nesischen Gebirges Yandang. Auf die
eine schwebt ein Schwert zu. Das
wirft die Frage auf, ob die Figur auf
dem von Laotse geprägten rechten
Weg ist. Oder ist es der Hinweis,
trotz Bedrohung standhaft zu blei-
ben? Das Bild lässt Raum offen für
Spekulationen politischer oder rein
menschlicher Art (32 500 Euro).
Von formaler Mehrdeutigkeit le-
ben die Gemälde von Quing Li. Im
ersten Stock der Galerie hängen zwei
zusammengehörige Suchbilder. Hier
zaubern geheimnisvolle Fensterbli-
cke Bildwirkungen, kraft derer der
Raum sich in Lichtsegmente auflöst,
ohne den Zusammenhalt zu verlie-
ren. „Six Differences“ zieht den Be-
trachter magisch in die Komposition
hineinzieht (52 000 Euro). In diese
Bilderschau der Chinesen sind Arbei-
ten der Maler Tim Eitel und David
Schnell sowie als konstruktivistischer
Gegenpart des Westberliners Kai
Schiemenz eingemischt. Die Melange
ist überflüssig, sie lässt sich nur als
obligaten Nebenblick auf Hauskünst-
ler der Galerie deuten (bis 31. Au-
gust). Christian Herchenröder

Jin Yangping
„Applaus“:
Die vier Bilder
auf Stoff
werden von
einem Video
ergänzt.

courtesy Galerie EIGEN + ART Leipzig/Berlin

Kunstmarkt
WOCHENENDE 16./17./18. AUGUST 2019, NR. 157
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