Handelsblatt - 16.08.2019

(nextflipdebug2) #1
Martin Greive, Jan Hildebrand,
Thomas Sigmund Berlin

E


in Friedensgipfel auf Fachebene sollte
am Donnerstag Klarheit schaffen. Die
Beamten des Bundeswirtschaftsminis-
teriums wollten von ihren Kollegen des
Finanzressorts wissen, wann denn der
Solidaritätszuschlag ganz auslaufen solle. Diese
nicht ganz unwesentliche Frage sei in dem von Fi-
nanzminister Olaf Scholz (SPD) in der vergangenen
Woche vorgelegten Soli-Abbau-Gesetz ja gar nicht
angesprochen worden. Die Antwort fiel knapp aus.
Ein Enddatum gebe es bislang nicht. Und das Wirt-
schaftsministerium möge nicht glauben, dass vor
dem Kabinettsbeschluss in der kommenden Woche
Änderungen am Gesetz möglich seien.
Die Beamten im Wirtschaftsministerium waren
wenig amüsiert. Ihr Chef Peter Altmaier (CDU) hat
ein Gegenkonzept zu Scholz‘ Soli-Vorschlag vorge-
legt. Der Vorschlag sieht anders als der von Scholz
eine Entlastung aller Steuerzahler sowie einen
Komplettabbau des Solis bis 2026 vor. „Alle Steuer-
zahler, auch erfolgreiche Unternehmer und Freibe-
rufler werden vollständig entlastet. 90 Prozent im
Jahr 2021, 97 Prozent im Jahr 2024 und 100 Prozent
im Jahr 2026“, heißt es in dem Papier, das dem

Handelsblatt vorliegt. Darin wird Altmaiers „Ab-
schmelzmodell“ konkret beschrieben.
Dass der Wirtschaftsminister gerade jetzt den So-
li-Aufstand probt, ist bemerkenswert. In zwei Wo-
chen stehen die Wahlen in Ostdeutschland an. Für
die SPD könnte Altmaiers Vorschlag eine Steilvorla-
ge sein, die CDU im Wahlkampf als die Partei hin-
zustellen, die Steuersenkungen für Reiche will.
Dass Altmaier nun vor dem heißen Herbst aus der
Reihe tanzt, ist dem Koalitionsfrieden sicher nicht
zuträglich. Zugleich legt sich Altmaier vor dem Ko-
alitionssausschuss am Sonntag mit seiner Kanzlerin
an. Denn die hatte wie die gesamte Unions-Spitze
auf dem vergangenen Koalitionsgipfel den Scholz-
Plan abgenickt.
Bei vielen Unternehmern dürfte Altmaier mit sei-
nem Gegenentwurf hingegen punkten. In Deutsch-
land zahlen auch Personengesellschaften Einkom-
mensteuer – und damit den Soli. Vor allem sie dürf-
ten zu den zehn Prozent gehören, die nach Scholz‘
Gesetz den Soli vorerst weiterzahlen müssten. Die
Forderung nach einem vollständigen Soli-Aus für
alle wurde deshalb vor allem von Wirtschaftsver-
bänden erhoben. Auch Altmaier und Teile der Uni-
on hatten die Komplettabschaffung immer wieder
versprochen – dann aber des Koalitionsfriedens
willen doch Scholz‘ Plan zugestimmt. Zumindest

der Wirtschaftsminister will nun mit seinem Kon-
zept gegenhalten.
Dabei hat er durchaus gute Argumente auf seiner
Seite. Viele Verfassungsrichter und Juristen hegen
Zweifel, ob das Gesetz des Bundesfinanzministeri-
ums verfassungskonform ist. Den Soli trotz Auslau-
fen des Solidarpakts II für den Aufbau Ost einfach
über 2020 hinaus weiterzuführen könnte von
Karlsruhe einkassiert werden, warnt etwa der frü-
here Verfassungsrichter Hans-Jürgen Papier. Ent-
sprechende Klagen gegen die Soli-Fortführung sind
längst in Vorbereitung. Verfassungsexperten for-
dern, den Soli schon im laufenden Gesetzgebungs-
verfahren mit einem konkreten Auslaufdatum zu
versehen.
So sieht es auch Altmaier. Auch er hat verfas-
sungsrechtliche Bedenken. „Eine Abschaffung des
Solidaritätszuschlags allein für 90 Prozent der Steu-
erzahlerinnen und Steuerzahler ist dauerhaft ver-
fassungsrechtlich problematisch und auch nicht ge-
rechtfertigt“, heißt es in seinem Konzept.
Auch Ökonomen hat Altmaier auf seiner Seite.
Sie haben flächendeckend kein gutes Haar an
Scholz‘ Konzept gelassen. Demnach soll für 90 Pro-
zent der Steuerzahler der Soli ab 2021 wegfallen,
Topverdiener werden jedoch weiter zur Kasse ge-
beten. 6,5 Prozent müssen ihn teilweise, 3,5 Pro-

Entlastung für alle

Der Wirtschaftsminister legt ein Gegenkonzept zum Soli-Gesetz von Olaf Scholz vor.


Der CDU-Politiker will alle Steuerzahler entlasten und den Zuschlag bis 2026 ganz


abbauen. Damit wendet sich Altmaier überraschend auch gegen die Kanzlerin.


Straße in Magdeburg:
Der Solidaritätszuschlag
soll stufenweise
abgeschafft werden.

dpa

Peter Altmaier:
Soli-Vorschlag als
Steilvorlage im
Landtagswahlkampf.

dpa

Schwerpunkt


Debatte um Soli


WOCHENENDE 16./17./18. AUGUST 2019, NR. 157
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