Berliner Zeitung - 17.08.2019

(Sean Pound) #1

Report


2 Berliner Zeitung·Nummer 190·17./18. August 2019 ·························································································································································································································································································


W


umme hat manchmal
diese Träume.Dann
steht ervordem Sta-
dion, kramt in derTa-
scheherum,merktplötzlich,dasser
seineArbeitskarteverg essenhat–er
kommtnichtrein.Selbstin Träumen
machen Ordner keineAusnahmen,
nichtmalfüreinenwieWumme,den
imStadionfastjederkennt.
OdererhatseineMusiknichtda-
bei, die Playlist, die er stundenlang
fürdiesesHeimspielvorbereitethat;
zuHauseam Computer,MP3,legaler
Download, hochcodiert,Bands wie
Kasabian, Deichkind, Motörhead,
aberbloßkeinenMainstream–und
amEndewieimmerdieKlubhymne
vonNina Hagen:„DenSieg vorAu-
gen,denBlickweitnach vorn,ziehen
wirgemeinsamdurchdieNation.“
OderirgendwasmitderMusikan-
lage geht schief, und dann gucken
alleFansnachoben,untersStadion-
dach, zu seinem Arbeitsplatz, wo
Wumme,der Stadion-DJ des 1. FC
UnionBerlin,nureinpaarKlicksund
Knöpfebraucht,umeinunverwech-
selbares VorspielimdeutschenProfi-
fußball zu starten.Gitarrenriffs und
griffige Melodien stattModeration
undmaueGewinnspiele.
UndhiernocheinHinweisfüralle
Unioner,dieesnochnichtwussten:
Wumme erfüllt auchSongwünsche,
dieihnüberMail,Facebook,Twitter
erreichen–aber nicht alle: „Wenn
sich einerHelene Fischer wünscht,
diekommtbeimirnicht.“


WennsichdieStadiontoreöffnen

Wumme trägtJutebeutel,Kapuzen-
pulli,Ohrring,dieHaarezurSeitege-
legt und ein grünesFestivalbänd-
chenamArm.ErwarAnfangAugust
beim„RockenamBrocken“,ersagt,
daholeersichInspiration.Undjetzt
holtsichWummeerstmaleinMalz-
bier im „BesserSpäti als nie“ am
SchlesischenTorinK reuzberg.
An diesemSonntag wirderw ie-
der nach Köpenickrausfahren.Um
sechs Uhrabends spieltUnion da-
heim gegen RB Leipzig, es ist das
erste Bundesligaspiel der Klubge-
schichteundfürdenerstenBundes-


„Ich habe nicht


an den Aufstieg


geglaubt,


aus einer


Schutzhaltung


heraus.


Ichwollte nicht zu


enttäuscht sein,


wenn es nicht


klappt.“


Wummealias Sven König
arbeitet bei einer Baufirma und
beschallt seit zwölf Jahren
die Zuschauer in der Alten Försterei.

ligasong, den akustischenSaison-
start, istWumme zuständig.Wenn
die Stadiontore120 Minuten vor
dem Anpfiff öffnen, die Ordner ihre
Stellung beziehen und die Schieds-
richterdieNetzeaufBalldurchlässig-
keitprüfen,drückteraufPlay.
Einmal,erinnertsichWummeam
Späti,istihmeineWasserflascheaufs
Mischpult gekippt.DieLautstärke
ging immer wiedervonselbst rauf,
vonselbstrunter,daswarbeieinem
Testspiel in der Alten Försterei; je-
mand brachte irgendwann doch
noch einErsatzgerät in seinen DJ-
ContaineraufderGegengeraden.
Unddann,aberdasistnunschon
wirklich lange her,graue Oberliga-
zeiten, da hatWumme einigeSongs
doppeltgespieltundesnichteinmal
gemerkt, zu betrunken. Er sagt:
„Fußball ohneBier zu gucken, das
warfrüherundenkbar.“
Früherwarnichtallesschlechter.
Aber heute ist vieles besser.Köpe-
nick hat endlich einenErstligisten.
Undfür vieleUnioner ist es,als
würdeeineReisezu Endegehen.Da-
beigehtesjetzterstrichtiglos ,neue
Reisestrapazen sind wohl zu erwar-
ten. UndimB undesligareisegepäck
schleppen sie dieFrage mit sich:Ist
dieser Klub nur besonders,oder
musserunbedingtanderssein?
Wumme heißt eigentlich Sven
König, ist 29, arbeitet alsFahrer für
eineBaufirma. Seitzwölf Jahrenbe-
schallt er dasStadionvolk in Köpe-
nick;eristdasoreingerutscht,istmit
der Aufgabe gewachsen wie der ge-
samte Verein größer und professio-
neller geworden ist mit derZeit.
OhneMenschenwieWummewürde
erseine Besonderheitverlieren.
Union hat ein neuesStadion ge-
baut vorzehn Jahren, beschäftigt
Stadiontechniker,nichtnurdieMu-
sikanlage wurde erneuert.Wumme
kann sich noch erinnern, wie sie in
der Pause herumtelefonieren muss-
ten, um dieHalbzeitstände aus den
anderenStadiendurchsagenzukön-
nen; wie einer aus demContainer
runtergehen musste,umd ie Aus-
wechselpläne desTrainers zu erfah-
ren.DieWeltfunktionierteanalog.

Heute mussWumme nicht mehr
eineCDmitzwanzigSongsbrennen;
erbringteinfachseinenLaptopmit,
stöpseltallesein,lädtdiePlaylistins
Programm,rauchtnochschnelleine
ZigarettegegendieNervosität.Esist
dieRuhevordemAnsturm.
Undweißerschon,waserspielen
wirdamS onntag?„Ichhabemirdie
erstenGedankenundIdeenzusam-
mengesammelt.Aber ich bin gar
nichtsoderFreundvonIdeengestal-
tung oderEventthemen.Ichwerde,
ehrlich gesagt, nichts besonderes
draus machen, ichwerdeeinfach
meinDingdurchziehenwiebisher.“

DerSchweige-Plan
Vorknapp dreiMonaten istUnion
aufgestiegen–undnichtswarmehr
wie bisher.Nach demAbpfiff des
zweiten Relegationsspielsgegenden
VfBStuttgarterobertendieFansden
Platz. Sieschrien, sangen, tanzten,
sieweinten,herztensichundrissen
Rasenstücke aus demBoden; zwei
TagespätergabeseinenEmpfangim
RotenRathaus,fanddiegroßeJubel-
regattaaufderSpreestatt.
Berlins Regierender Bürgermeis-
terMichaelMüllersprachvonWirt-
schaftsunternehmen, dieauchFuß-
ball spielen: „Und beiIhnen ist es
umgekehrt.“Daswar eine sehr ge-
wagte These für die Andersartigkeit
des Vereins und zugleich die erste
Lobeshymne aus der Bundesliga-
playlist, die fortan außerhalbvon
Köpenickgespieltwerdensollte.
DannkamderSommer.DasWar-
ten.DieVorfreudederFans.DieBe-
kanntgabe einer umstrittenenIm-
mobilienfirmaalsneuerHauptspon-
sor.Alldie Transfergerüchte.ElfSpie-
lerverpflichtungen. Undmit dem
Erscheinen desSpielkalenders die
nächsteDebatte.
Union wollte so gernmit einem
Heimspiel die Saison beginnen,
doch was derVerein auf keinenFall
wollte: Fußballgäste aus Leipzig
empfangen,alsoeinenKlub,densie
nichtnurinKöpenickalskünstliches
Konstruktbetrachten.RBgiltalsein
Synonym für Kommerzialisierung,
die absurden Millionenspielchen

der Fußballmoderne,als willkom-
menes Feindbild für vieleTraditio-
nalistenundStadionromantiker.
Aufdem Kleintransporter,den
UnionsFanbetreuerfürihreFahrten
nutzen, prangt ein Schriftzug: „Wir
verkaufen unsereSeele.Aber nicht
anjeden!“Danebeneineplattgetre-
teneRed-Bull-Dose.RBp asstzurKö-
penickerFußballkultur wieHelene
Fischerin WummesPlattenregal.
Vorvier Jahren, damals noch in
der Zweiten Liga, als beide Klubs
letztmalsinderAltenFörstereiaufei-
nandertrafen, hatten Union-Ultras
ein paar selbst gebastelteBotschaf-
ten auf derWaldseite ausgebreitet.
„Das höchsteGutder Fans ist die
Selbstbestimmung!“standdainfet-
tenLettern.Etwaskleiner:„Kommu-
nikation auf Augenhöhe“. Oder:
„KreativenSpielraumlassen“.
Eswarklar,dasssieauchdiesmal,
voreiner viel größeren Öffentlich-
keit, einProtestzeichen setzenwer-
dengegeneinenKlub,derseine Ba-
sis als passiveKonsumentenver-
steht,diesichnichteinmischensol-
lenindieEntscheidungsfindungder
Spitzenfunktionäre.
VoreinerWoche,nachvielenDis-
kussionen und mit derUnterstüt-
zung der meisten Fanclubs,gab
danndas„Wuhlesyndikat“bekannt,
die ersten fünfzehnBundesligami-
nutenimkollektivenSchweigenver-
bringen zu wollen.In einer Mittei-
lungdernichtnurimBlocktonange-
bendenUltra-G ruppierungheißtes:
„Es gilt, denProtest weiter konse-
quent insStadion zu tragen und zu
zeigen, dass wir mit derIdee vom
Fußball in Leipzig nicht einverstan-
densind.“NebendemstillenWider-
standwirdese ine„optischeAktion“
als„ZeichendesUnmutsgeben“.
TorwartRafal Gikiewicz meldete
sichzu Wort,gabsichalsGegnerdes
Stimmungsboykotts zu erkennen,
auf Instagram schrieb er:„WirSpie-
ler,zusammen miteuchFans,müs-
senunseremGegnerzeigen,dassdas
unser Platz ist, unserHaus.“ Trainer
UrsFischersagte:„Dasisteinkomi-
schesGefühl.Normalerweiseistdas
StadioneinTollhaus.“

ÖffentlicheFankritik ist selten in
Köpenick,einmöglichstbreiterKon-
senserwünscht.Dochbevoreingrö-
ßererRisszwischenMannschaftund
Fanszene entstehen konnte,ver-
sprachKlubpräsidentDirk Zinglerin
einerSondersendungaufRadioeins:
„Die FanshabendenVereinaufihrer
Seite.“ Als Bauunternehmer weiß
Zinglerbestens,wiemanRissekittet.
Zuvo rhatte er schon gewarnt: „Ich
habeeinbisschenAngstdavor,dass
umunszuvieleThemengesponnen
werden,die wenigermitSportzut un
haben.WirtununsselbstkeinenGe-
fallen und sollten darauf achten,
dass unsvonaußen keinHeiligen-
scheinaufgesetztwird.Also,wirsind
nicht wirklich so viel anders als an-
dereProfivereine.“Einrhetorischer
Bremsvorgangwardas,einStoppzei-
chen für die beschleunigende Le-
gendenbildung, so musste man das
verstehen.
Neulinge stehen unter besonde-
rerBeobachtung,dasistinderBun-
desliga nicht anders.Zuletzt muss-
ten das der SCPaderborn,Greuther
Fürth oder derDarmstadt 98 erfah-
ren. Siewaren dieZwerge ,die sich
mit ihren bescheidenen Mitteln,
baufälligenStadien undKabinen-
trakten dem Fußballgigantismus
entgegenstellten.In den Vorberich-
tenhießes,dieseKlubsseiennochso
authentisch,dortwürdeesnachBier
undBratwurstriechen–alswär edas
nichtüberallderFall.

Vermarktenundverkaufen
AbersogingnunmaldieErzählung,
weil sich Größenunterschiede und
Gegensätzeamb esten vermarkten
undverkaufenlassen.Dabeiwarnie
sorichtigklar,wasechtwarandieser
Erzählung,wasnurgewolltundvon
außenkonstruiert.
JetztistdaplötzlichUnioninder
Bundesliga, und dieGeschichtener-
zähler sind begeistert. Ziehen
Schubladen auf, nehmenStempel
heraus: Kult-Klub,andersalsdiean-
deren, ein bisschen der FCSt.Pauli
des Ostens –und dann auch noch
dieses größtmöglicheGegensatzdu-
ellmitLeipzigzumLigastart.

Einmalzum

Mitmachen,bitte!

KöpenickhatendlicheinenFußball-Erstligisten.UndfürvieleUnioneristes,alswürde


eineReisezuEndegehen.DabeigehtesamSonntagerstrichtiglos.ImBundesliga-


ReisegepäckbefindensicheinpaarFragen.Etwadiese:IstdieserKlubnurbesonders?


Odermusserunbedingtanderssein?UndwievieleLegendenverträgteinVerein?


Gewissist:DurchdieKreativität,dieHilfsbereitschaftunddenElanderFansistUnion


besondersundandersgeworden.BeobachtungenimMitmachklub


Text: Paul Linke; Illustration: Matti Michalke

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