Berliner Zeitung - 17.08.2019

(Sean Pound) #1
Berliner Zeitung·Nummer 190·17./18. August 2019–Seite 25*
·························································································································································································································································································

Feuilleton

„MansolltenichtüberdasriesigeAngeboterschrecken.“


ArnoWidmannüberLektüreerfahrungenmitderAusgabeSämtlicherSchriftenAlexandervonHumboldtsSeiten 26 und 27


W


ennbeimdiesjährigen
Tanz im August Leute
in Grüppchen zusam-
menstehen und hoch
erregt miteinander diskutieren,
dann sprechen sie nicht unbedingt
über dieAufführung, die sie gerade
gesehen haben.Siereden stattdes-
senüberKulturpolitik.Darüber,wer
schuldist.Werwannwelchestrategi-
schenFehlergemachthat.Kurz:dar-
über,wie es dazu kommen konnte,
dassderSenatdie Tanzförderungin
seinem Haushaltsentwurffür die
Jahre2020und2021umgerademal
700000 Euro für außergewöhnliche
Maßnahmen aufgestockt hat.Denn
eigentlich hatten dieBerliner Tanz-
schaffenden auf einen großenWurf
gehofft–unddaszuRecht!ImKoali-
tionsvertrag haben dieRegierungs-
parteien2016einewesentlicheStär-
kung derTanzszenevereinbart. Sie
sollte nicht soforterfolgen, sondern
nach einer gründlichenBestands-
aufnahmeundderAufstellungeines
Entwicklungsplans.
Genau das ist imverg angenen
Jahr passiert.EinRunder Tisch, zu-
sammengesetzt ausTanzschaffen-
denundTanzexperten,wurdeeinbe-
rufen.Auchdie AutorindieserZeilen
gehörtedazu.EinJahrlangwurdein-
tensiv an all dem gearbeitet, was es
füreinenalleBereicheumfassenden
Entwicklungsplan für den Tanz
braucht.100000EurohattedieKul-
turverwaltung für den Arbeitspro-
zess bereitgestellt. Es gabGruppen,
dieKonzeptefürResidenzen,Stipen-
dienundTanzvermittlungersannen
–undesgabeineGruppe,ind erdie
Ansichtenrecht unversöhnlich auf-
einanderprallten.In dieser Gruppe
wurdedieIdeefüreineigenesHaus
fürden Tanzverhandelt.
Dassam Ende,nachmühsamem
undzähemRingen,imAbschlussbe-
richt die Empfehlung für einTanz-
haustrotzdemanersterStellestand,
ist ein Zeichen für die ungeheure
DisziplinderSzene.Denndie Grün-
dung einer Landesbühne fürTanz


gehtzunächstgegendieunmittelba-
renInteressenalljener,dieunterin-
akzeptabel prekären Bedingungen
arbeiten und voneinem solchen
Haus selbst keine direktenVorteile
hätten. DieZustimmung gegen die
eigenenInteressen erfolgte aus der
politischenEinsicht, dass eine sol-
che Institution für denzeitgenössi-
schenTanzlängstüberfälligist.
Derzeitgenössische Tanz eta-
blierte sich ja erst als eigenständige
Kunstform,alsdiebürgerlichenKul-
tureinrichtungen längst errichtet
waren. In Frankreich hat man auf
denMangelbereitsinden80er-Jah-
renmitder Gründungvon19n atio-
nalenchoreografischenZentren rea-
giert. InDeutschlandhatdasbislang
nur Nordrhein-Westfalen mit dem
Tanzhaus NRWund Pact Zollverein
geschafft.InBerlinverbliebderzeit-
genössischeTanzinderfreienSzene
undprofessionalisiertesichdort–al-
lerdings unter entsprechend prekä-
renBedingungen.Nun,dasglaubten
alle,sollteendlichauchhieretwasan
derdesolatenLagegeändertwerden.
DerimA bschlussberichtvorg e-
legte Entwicklungsplan sieht nicht
nur eineStärkung der bestehenden
Infrastruktur mit ihren vielfältigen
Einrichtungen vor, sondernviele
Bausteine sind ersteStrukturmaß-
nahmen hin zu einem zukünftigen
Tanzhaus.Undauchwenndiegefor-
dertensechsMillionenEurozuhoch
gegriffen sein mögen:Mitden jetzt
vorg esehenen 700000Euro lassen
sich vielleicht ein paar Löcher stop-
fen,aberkeineneueStrukturbilden.
Dieser Haushaltsentwurfmacht vor
allem eines deutlich:DerKulturs e-
natorKlausLederernimmtdieEmp-
fehlungen desRundenTischesTanz
nichternst.Warum,darüberstreiten
sich nun dieBeteiligten. Hätte sich
die Szene vielleicht ausschließlich
fürein Tanzhauseinsetzenmüssen?
„Nein“, sagt die für denTanz enga-
gierte Grünen-Politikerin undKul-
turausschuss-Vorsitzende Sabine
Bangert, „das kann manvonder

SzenemitihrenzumTeilganzanders
gelagertenInteressen nichtverlan-
gen.“
Dass die geschlosseneFront für
einTanzhaus fehlte,ist nur eine der
Mutmaßungen.Dass Klaus Lederer
die Empfehlungen nicht ernst
nimmt,weilsie vonderSzeneselber
kommen, ist eine weitere. Aber
warum hat er dann nicht externe
Profis berufen?Siewären amEnde
wohl zu den gleichenErgebnissen
gekommen.Etwa: In Berlin gibt es
aufgrund der bestehenden Infra-
strukturzuweniggroßeBühnenpro-
duktionenimTanz.Dierarengroßen
Gastsp iele,etwaimHausder Berli-
ner Festsp iele,werdenr egelrecht
überrannt. Und: International er-
folgreicheKünstlerproduzierenihre
Stücke hier oftunterhalb der Ar-
mutsgrenze.Dasallesisthinlänglich
bekannt.Warumpassiertnichts?
„Kulturförderung ist Spitzenför-
derung“, sagt Sabine Bangert. Es
gehtnichtdarum,diefreienProduk-
tionen in derBreite auch nur annä-
hernd mitBeding ungen auszustat-
ten,wiesieinLandesbühnendieRe-
gel sind. Es geht darum,Struktur-
maßnahmen auf den Wegzu
bringen, die imTanz auch jenseits
des Staatsballetts eine solcheSpit-
zenförderung ermöglichen. Wobei
derTanz in Berlin inklusiveStaats-
ballett insgesamt eine Förderung
vonjährlichnur15,3MillionenEuro
erhält. DasentsprichtdemEtateiner
der kleineren Landesbühnen. Die
Förderung und dieBedeutun gder
KunstformTanz befinden sich ein-
deutiginSchieflage.
Waruminteressiertsich der Kul-
tursenator nicht dafür?Warumer-
scheint er nicht einmal zurEröff-
nung vonTanz im August, sondern
schickt seinenKulturstaatssekretär
Torsten Wöhlert, der sich dann mit
den wütendenProtesti erenden aus-
einandersetzen darf?Hier sei eine
These gewagt. DieBerliner Tanz-
szene hat sich in denvergangenen
Jahrzehntennotgedrungen so eng

vernetzt, dass sie,vor allem was die
ästhetischenAusrichtungen angeht,
undurchlässig geworden ist.Wenn
die Entwicklung eines zukünftigen
Tanzhauses zu sehr in den Händen
derSzeneläge,bestündewiederdie-
selbeGefahr.Umd aszu verhindern,
müsste der Linke Klaus Lederer ei-
nenrigorosen Cutmachen.Erwürde
damits owohldas Grosder Tanz-
szeneg egensichaufbringenalsauch
seine Koalitionspartner,vor allem
SabineBangert,dieganzaufdieKo-
operation mit der Szene setzt.Aber
bevor er diesen unbequemenWeg
geht, so derEindruck, den man ge-
winnen muss,drückt er sich lieber
ganzumdasProblemherum.
Sicher wird es beiden 700000
EurofürdieUmsetzungderEmpfeh-
lungen desRunden Tische snicht
bleiben. DaskämeeinemBruchdes
Koalitionsvertrages gleich. Aber
auch eineErhöhung der Summe
wirdnochlangekein Engagement
für ein Tanzhaus bedeuten.Darum
aber müsste esvorallem gehen.
Denn auch wenn sich ein Tanzhaus
nichtohnedieTanzschaffendender
Stadt betreiben lässt–damit etwas
Neuesentstehen kann, sollte der
AuftraganE xternegegebenwerden.
Dieentsp rechendenEntschei-
dungen sollten derKultur verwal-
tung vorbehalt en bleiben.Dass
derWegRichtungTanzhausSchritt
für Schritt undHand in Hand mit
der Szene gegangen wird, hatte
diese geschickt geplant. Es ist
nicht derrichtige Weg. Derjetzige
Hausha ltsentwurfmachtdeutlich:
Wird er weiter forciert, geht der
Tanzwi ederleeraus.VonKl ausLe-
dererallerdings müssten endlich
klareWorteko mmen,wieerd ieof-
fensichtlichenProbleme zu lösen
gedenkt.

Erst wird die BerlinerTanzszene an den RundenTisch geladen, dann interessieren ihre Empfehlungen aber nichtweiter–gerade noch gut gelaunter Protest gegen denFinanzplan 2020/21 bei der Eröffnung vonTanz im August vor dem Hebbel-Theater. ZTB/RICARDO SANZ


Michaela Schlagenwerth
war 2018 Mitglied des
RundenTischesTanz.

In


schiefer


Lage


EinewesentlicheStärkungder


TanzszeneistimKoalitionsvertrag


vereinbart.DerKultursenatorsendet


dazujetztaberdoppelteBotschaftenaus.


EinDeutungsversuch


VonMichaela Schlagenwerth


Dass der WegRichtung


Tanzhaus Schritt für Schritt und


Hand in Hand mit derBerliner


Tanzszene gegangen wird,hatte


diese geschickt geplant.


Es ist nicht derrichtigeWeg.


Das fliegendeAuge:
ClausLöser
über die
Ufa-Filmnächte
Seite 28
Free download pdf