Berliner Zeitung - 17.08.2019

(Sean Pound) #1

Feuilleton


Berliner Zeitung·Nummer 190·17./18. August 2019 27 *·························································································································································································································································································

trachte: die innereVerkettung des
AllgemeinenmitdemBesonderen.“
Beim Lesen in diesenzehn Bän-
den wir deinem –dafür sorgen die
auf fast jederSeite zu lesendenJah-
reszahlen–baldklar ,dassAlexander
vonHumboldt ein großer Antipode
war.WessenAntipode?Derderwelt-
umstürzenden Philosophie des
Deutschen Idealismus.Dessen
Gründungsurkunde,das soge-
nannte „älteste Systemprogramm
desdeutschenIdealismus“entstand
wohl1797.DieAutorenwarenGeorg
Wilhelm Friedrich Hegel
(1770–1831),JohannChristianFried-
rich Hölderlin (1770–1843) und
Friedrich Wilhelm Joseph Schelling
(1775–1854). 1801 veröffentlichte
Schelling „Über den wahrenBegriff
der Naturphilosophie und dierich-
tige Art, ihreProbleme aufzulösen“.
DasWerkmachte Epoche und be-
gründetedieim19.Jahrhundertaka-
demisch höchst erfolgreicheDiszi-
plinder Naturphilosophie.
1795 hatte der 1769 geborene
AlexandervonHumboldt bereits –
wie erwähnt–eine Grubenlampe
undein Atemgerätentwickelt.Nicht
zuverg essen:Erhatteauchdieerste
deutsche Arbeiter-Berufs-Schule
gegründet.Einfachso.OhneVorge-


Arno Widmann
lässt sich nur zugern von
Humboldt inspirieren.

setztezufragenundauseigenerTa-
sche bezahlt. Männer–soweit ich
weißnurMänner–durftensiebesu-
chen. Unterrichtet wurden von
Schichtende bis 23Uhr„unter an-
derem Mineralienkunde,bergmän-
nisches Rechnen und Berg recht,
Maschinen- und Kompasskunde.
DieLehrbücherdafürschriebHum-
boldtselbst.“(Wikipedia)
1806erschienHegels„Phänome-
nologie desGeistes“. Seine ersten
Lateinamerikareisen hatte Hum-
boldt damals schon hinter sich. Als
dienapoleonischenTruppenBerlin
besetzten, lebte Alexander von
Humboldt in der Friedrichstraße
189 in Berlin. Im November 1807
begleitete er eineDelegation des
Prinzen Wilhelm vonPreußen für
FriedensverhandlungennachParis.
Dienächsten zwanzigJahrelebte
Humboldtdort.
Mehrer eExpeditionsversuche
scheiterten. Während derNapoleo-
nischen Kriege war dieWelt mit an-
derem beschäftigt.Vielleicht wuchs
ja darum Humboldts amerikani-
sches Reisewer ksog igantisch an,
dassesbisheuteFragmentblieb.
Derdeutsche Idealismus be-
durfte keiner naturwissenschaftli-
chen Forschung.Sein universalisti-

scher Anspruch war nicht aufsRei-
senangewiesen.ÜberBernwarHe-
gelniehinausgekommen.
Alexan dervon Humboldt
schrieb im„Kosmos“:„DieKosmo-
goniedarfnichtmitdemNichtsan-
heben. Siesetzt dieExistenz aller,
jetztindemWeltallzerstreutenMa-
terie voraus,und beschäftigt sich
nurmitdenmannigfaltigenZustän-
den, welche dieseMaterie durch-
laufen ist, bis sie ihredermalige
Form und Mischung erhalten hat.
Wasaußerhalb dieses Kreises liegt,
gehörtzud en Anmaßungen der
philosophierendenVernunft.“ Das
waren sehr deutlicheWortegegen
die,die entschlossen waren, die
WeltaufdenKopfzustellen.
In seinen„Kosmos“-Vorlesungen
erklärte er:„Einzelheiten derWirk-
lichkeit:seiesinderGestaltungoder
Aneinanderreihung der Naturge-
bilde,seiesind emKampfedesMen-
schen gegen dieNaturmächt eoder
der Völker gegen die Völker;alles,
was demFelde der Veränderlichkeit
und realer Zufälligkeit angehört:
können nicht ausBegriffen abgelei-
tet(construiert)werden.“
Dasist die Botschaf tAlexander
vonHumboldts:Welt- und Natur-
geschichte sind eins.Esw aren

diese Vorlesungen, mit denen er
1827 Berlin begeisterte.ImPubli-
kumsaßjedermannvomKönigbis
zum Handwerker.Und jedeFrau.
Humboldt war jetzt einStar.Aber
er machte keine Schule.Dazu war
erzueinzigartig.
„Die NaturistdasReichder Frei-
heit“ erklärte er einemverblüfften
Publikum, das in derNatur nichts
sahalsdenOrtdereiser nwaltenden
Naturgesetze. Fern die zu leugnen,
erinnerte AlexandervonHumboldt
daran,dasswirimDeutschen,wenn
wirdas Hausverlassen,erklären,wir
gingen insFreie.„DieEinsicht in
den notwendigenZusammenhang
aller Veränderungen im Weltall“
macht dieMenschheit frei.Sieerst
ermöglicht ihr,Techn ologien zu
entwickeln, die sievonder Abhän-
gigkeitvonihrernatürlichenUmge-
bungbefreien.
„WissenundErkennen“ ,schreibt
Humboldt„sinddie Freudeunddie
Berechtigung der Menschheit; sie
sind Teile des National-Rei chtums,
oft ein Ersatz für die Güter,welche
dieNatur in allzu kärglichemMaße
ausgeteilthat.“
Als Alexander vonHumboldt
starb,war er fast neunzigJahrealt.
DerÜberlebendeeinerkosmopoliti-
schen in einer immer nationalisti-
scherwerdende nWelt.EinMann,für
denErfahrungennichtswaren,wor-
auf man sich berufen konnte,die
sich aber–richtig formuliert–her-
vorragendeigneten,geprüftzuwer-
den. Um ihn herum aber begann
schon dasJahrhundertder Ideolo-
gien,späteKindereinersichverleug-
nendenAufklärung.
Wirblickenjetzt–nachNationa-
lismus undIdeologie –zurück auf
AlexandervonHumboldt als eine
ungenutzt gebliebene Möglichkeit.
Brauchten wir die einhundertJahre
zwischenseinemTodunddem Ende
des Zweiten Weltkrieges ,umuns
jetzt für ihn begeisternzuk önnen?
Mussteerstalleszugrundegerichtet
werden, damit wir sehen, dass der
MenscheinStück Natur ist? Dass er
nur zusammen mit ihr begriffen
werdenkann,dassernuralseinTeil
vonihrüberlebenkann?

SÄMTLICHE SCHRIFTEN

Alexander von Humboldt:
Sämtliche Schriften
hrsg.von Oliver Lubrich und Thomas
Nehrlich, dtv,zehn Bände. Die hand-
nummerierte und limitierteVorzugs-
ausgabe ingeprägtem Feinleinen mit
individuellen Schutzumschlägen und
im leinenbezogenen Schmuckschuber
kostet 390 Euro; die Studienausgabe
in Hardcovermit Lesebändchen
250 Euro.

Ebenfallsbei dtv,hrsg. vonOliver
Lubrich und Thomas Nehrlich, ist
die Einstiegsdrogezuden „Sämtlichen
Schriften“ erschienen: „Der andere
Kosmos. 70Texte, 70 Orte, 70 Jahre“,
448 Seiten, 30 Euro. Es ist eine
appetitanregendeAuswahl aus
dem Gesamtwerk.

Der Mann und sein Arbeitszimmer:Alexander von Humboldt in der Oranienburger Straße. IMAGO

Humboldt auf Reisen: ein Gemälde vonFriedrich GeorgWeitsch aus dem Jahr 1806 SPSG

Argument


fürden


Museumsbau


DieNationalgalerieplant
mitGerhardRichter

VonIngeborg Ruthe

W


assollteBerlinversagtbleiben,
wasDresden,dieGeburtsstadt
vonDeutschlandsberühmtestenle-
bendenMaler,längsthat:einKonvo-
lut vonMeisterwerk en Gerh ard
Richters,das auch im gebührenden
musealen Raum präsentiertwird
und als Besuchermagnetwirkt. Im
FallederElbestadtistesdasAlberti-
numanderBrühlschenTerrasse.
Undinder Hauptstadtsollen
künftigeRichter-Säledervorerstals
Modellexistierenden,vonHerzog&
deMeuronentworfenenGalerieder
Moderne am Kulturforum zum
WallfahrtsortderKunstwerden.Der
87-jährige,inKöln lebendeund als
stilistischwandelbarsterMaler der
WeltgefeierteRichter,dessenBilder
heute zu den teuerstenüberhaupt
zählen, hat am DonnerstagKultur-
staatsministerin Monika Grütters
eine Zusage gegeben.Er wirdder
Nationalgalerie und damit den
Staatlichen Museen zu Berlin,
Werkeüberlassen.Einzelheitender
Vereinbarung, die Grütters mit ei-
ner –wie es heißt –Charmeoffen-
sivebeim EhepaarRichter erzielt
hat,sindnichtbekannt.
Dasist umso erstaunlicher,als
GerhardRichter2015empörtaufdas
Grütters’sche Kulturgutschutzgesetz
reagierthatte.Niemandhabe das
Recht,ihmvorzuschreiben,wohiner
seine Bilder verkaufe oder gebe,
grantelte er damals.Und: Ohnehin
gäbeesvielzuvielKunstinMuseen
und ständig müsstenneue Räume
gefüllt werden. Einehrenvolles An-
gebot der Stadt Köln, dem zufolge
am Rhein ein Gerhard-Richter-Mu-

seum hätte entstehen können,
lehnte derMaler dankend ab und
düpierte damit seine Rheinischen
Fans.Undschonglaubteman,ersei
ein echterGegner desKultes um
seinePerson.
AberBerlinundinsbesonderedie
Nationalgalerie scheinen für ihn
eine ganz andereMuseums liga dar-
zustellen.DieStaatlichenMuseen –
Nationalgalerie undKupferstichka-
binett –bieten bereits elfMeister-
werk eRichters aus allen Schaffens-
phasenauf,einedauerhafteErweite-
rung des attraktivenBestan des in
der zukünftigen Galerie der Mo-
derne ist somit logisch.Nationalga-
lerie-Direktor UdoKittelmann
konnte bereitsvoreinem Jahr mit
derZusageRichtersfüreingewisses
Konvolut rechnen, in Zukunft wer-
densieinprominentenRäumendes
neuen Ausste llungshauses präsen-
tiert. Beiden Bau- un dRaumpla-
nungen derArchitekten und der
Staatlichen Museen spielt dieser
FaktdaherlängsteinewichtigeRolle.
DieVorsitzendedesStiftungsrates
der Preußen-Stiftung,Monika Grüt-
ters,näht an die subtilenVerhand-
lungen nun den Knopf an.Gerh ard
RichtersZusage istnicht zuletzt ein
unschlagbares Argument,Aufwand,
Nutzen undKosten des Museums-
bausimBundestagzurechtf ertigen.
200MillionenEurohatderHaushalt-
sauschuss 2014 bewilligt. Inzwi-
schen aber ist längstvonsehr viel
mehrdieRede.

Der in Köln lebende Maler Gerhard Rich-
ter vor einer seiner Abstraktionen. DPA
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