Berliner Zeitung - 17.08.2019

(Sean Pound) #1

Report


Berliner Zeitung·Nummer 190·17./18. August 2019 (^3) ·························································································································································································································································································
IndieNische,inderUnionessich
gemütlich gemacht hatte,fällt nun
das Licht derFernsehkameras,die
unverbrauchteBilder suchen.Diese
Saison wir ddiesen Klub auf jeden
Fallverändern.Aberwie?
Matti Michalke hat einCafé am
FrankfurterToralsTreffpunktvorg e-
schlagen und eine Theorie mitge-
bracht,wieUnionundseineFanszu
einer Einheit verschmolzen sind.In
gutenwieinschlechtenZeiten.„Wir
habenetwas,dasunsnachhaltigun-
terscheidetvonden anderen“, sagt
Michalke.InK öpenickgäbeeskeine
einhundertjährigeTradition, keine
Trophäensammlung, dasSelbstver-
ständnis des Klubs sei: „Wir haben
1968mitAchundKrachdenFDGB-
Pokal gewonnen. Alle unsereHel-
dentatensindselbstgemacht.“
Michalke,55,gemütlicheErschei-
nung,festerHändedruck,eindringli-
cheStimme,istsoeinSelbstmacher.
ErhatdamalsamStadionmitgebaut,
einen Fanclub mitbegründet,„Mein
erstesUnion-Buch“fürKinderillus-
triert; seit diesemMonat moderiert
er das regelmäßigeFantreffen, bei
dem Spieler,Trainer undVereins-
funktionäreing eschlossenerGesell-
schaft über dies und das plaudern.
Aber angefangen hat alles mit dem
Projekt „EiserneMenschen“, 2003
war das,ine inem Fischladen in
Oberschöneweide.
Gemeinsam mit demFotografen
GeorgKrause hatteMichalke die
Idee,Fußballfanszuporträtieren.Sie
schicktenzehn Briefe undFaxe an
Union, erklärten mal kurz, mal in
Langform, was sie vorhaben; sie
wollten keinGeld, sondernUnter-
stützung–und bekamen trotzdem
keine Antwort. „Aber das macht ei-
nen Unioner aus“, sagtMichalke,
„wir haben es einfach gemacht.“So
wieerfrüheralsKindlosgelaufenist,
wennsein OpaihmzehnMarkindie
Handdrückte,umd reiBierundeine
Limo für die durstigenUnioner im
Stehblockzuholen.
DieBilder entstanden hinten in
der Küche desFischladens,verkauft
wurden sievorneand er Theke; es
sprach sich schnell herum in der
Szene ,immermehrFanskamenvor-
bei,umsichablichtenzulassen;und
bald schon stand auch einFernseh-
teamausÖsterreichvorderLadentür
und wollte wissen, was dasProjekt
mit derWM 2006 inDeutschland zu
tunhabe.Esh attegarnichtsdamitzu
tun. Michalke sagte ins Mikrofon:
„Wir fotografieren hier keineSpieler,
keineTrainer,keinePräsidentenund
keineBonzen –wasmanhaltsosagt.“
DerBeitrag wurde an einem
Sonntagabendauf3Satausgestrahlt,
gleich am Montagmorgen rief
Unions damaliger Pressesprecher
an: „HerrMichalke,wir müssenre-
den.“Alsoredetensie–undplötzlich
hatte Union dochInteresse an dem
Fotoprojekt, stellte andereRäum-
lichkeiten zurVerfügung. DerBild-
band „EiserneMenschen“, 156Sei-
ten,über800Aufnahmen,liegtheute
in den Fanshops aus.Esi st ein
Union-Familienalbum geworden,
dasVorwortstammtvonZingler,der
2004 das Präsidentenamt über-
nahm.
Einerfindetsichimmer
DerVereinhabedarausgelernt,sagt
Michalke,habediekreativeKraftsei-
ner Fans erkannt und diese Ama-
teureeinfachmachenlassen,weiles
kein Geld gab für Profis.Sowie
Wumme zum ehrenamtlichen DJ
aufstieg,gabesvieleandere,dieAuf-
gaben übernahmen. Mitbestim-
mungwarkeineForderung,sondern
eine Notwendigkeit.DieFans woll-
ten ihrem Verein helfen. Union
wurdezumMitmachklub.
WobekommenwireinenSonder-
zug her?Wiemacht man einPro-
grammheft?Undeinmalfragtensich
dieFans:WarumgibteskeineSpiel-
ankündigungsplakate?Also:Wervon
uns kann das übernehmen?Einer
fand sich, wie immer.Und als dann
tausend fertigePlakate in dieGe-
schäftsstelle geliefertwurden, ka-
menFansfreiwilligvorbei,umsieir-
gendwoaufzuhängen.
Michalkesagt:„Frühergabesein
Unvermögen zu kommunizieren,
wasüber,WirhabeneinTorgeschos-
sen‘ oder ,Wir haben einen neuen
Verteidiger verpflichtet‘ hinaus-
ging.“ Heute läuft das so ab:Einer
hat vorWeihnachten dasBedürfnis,
derverstorbenenFans,Freunde,Fa-
milienangehörigenoderehemaligen
KlubfunktionäreimS tadion zu ge-
denken, also wirddie Idee bespro-
chen, konzipiertund landet irgend-
wann aufZinglers Schreibtisch.Der
Präsident findet es gut, senkt aber
den Verkaufspreisvonzwanzig auf
dreizehnEuro,weildie Gedenkban-
nerseinerMeinungnichtteurersein
sollen als eineStehplatzkarte.Ver-
luste? DieDruckerei bietetFreund-
schaftspreise,den Rest übernimmt
der Verein. Auch an diesemProjekt
warMichalkebeteiligt.
Esgabüber500Bestellungen.Ein
Mehraugenprinzip sollMissbrauch
verhindern, oder wie Michalke es
sagt:„WirwollenunskeinenMartin
Bormannunterjubelnlassen.“
Wumme wirdamS onntag das
erste musikalischeBundesligasignal
aussenden, dieUltras werden ihre
erste stummeBundesligabotschaft
platzieren, doch dazwischen,wenn
die Klubhymne läuft,werden Hun-
derte MenschenihreGedenkbanner
indie Lufthalten,siebzigmalsiebzig
Zentimeter.
Selten ist einBundesligaklub mit
soviel SymbolikinseineersteSaison
gestartet.UndseltenistderHypeso
groß gewesen. Es wirdZeit, dass
UnionwiederzueinemFußballklub
schrumpft, der sportlich erst noch
beweisen muss,dass er wirklich ein
„erstklassigerStoff“ ist, wie es die
Werbung für die neueTrikotkollek-
tionverspricht.
WerinK öpenick sagt, dass er in
dieStadtfährt,meinteigentlichnur
die Bahnhofsstraße,das Einkaufs-
zentrum ForumKöpenick; dortim
Keller befand sich mal einUnion-
Fanshop.Vordem Eingangstehtwie-
der der Leierkastenspieler,rotes T-
Shirt, weißerBart,einUnioner.
VorzweiJahren ist derFanshop,
den sie Zeughaus nennen, umgezo-
gen:rausausdemForumkeller,über
die Bahnhofsstraße,zwischenDro-
geriemarkt undHandyladen. „Das
hatunsereSichtbarkeiterhöht“,sagt
„Wir haben keine
einhundertjährige
Tradition, keine
Trophäensamm-
lung. Unser Selbst-
verständ nis ist: Wir
haben1968mitAch
und Krach den
FDGB-Pokal ge-
wonnen. Alle
unsere
Heldentaten sind
selbst gemacht.“
Matti Michalkeist Werber,Illustrator
und Union-Fan. Erweiß, was
Selbermachen bedeutet.
Paul Linke
hat leiderkeinen Platz für
einen Gartenzwerg.
Katja Baumgart.Nicht nur an den
SpieltagenseiderLadenvoll.Inden
TagennachdemAufstieghättendie
FansdieLagerkomplettleergekauft.
Shoppingprinzip: „Hauptsache,ich
habeetwasinderHand,kannetwas
tragen,woUniondraufsteht.“
Baumgart, 47, Brille,Kurzhaar-
schnitt,gewinnendesLächeln,leitet
die dreiZeughäuser inBerlin, ihr
Bürobefindet sich im erstenStock,
imFahrstuhlsteht:„Duschaffstdas!“
Es ist eineBitte an die Angestellten,
während der Arbeitszeit auf das
Handyzu verzichten.In ihremBüro
fragt Baumgart:„Willst du hier auf
derErsatzbanksitzen?“Manseihier
schnell perDu,alle.Das habe ihr
schonimmergefallen.
Wennmansowill,dannistUnion
ein echterTransfercoup gelungen,
denn Katja Baumgart arbeitetevor-
her für den FCBayern,imF anshop
in der Mall of Berlin. Richtiger aber
ist: Sieist zurückgekommen nach
Köpenick, wo derStürme rSteffen
Baumgart,ihr Mann, Anfang der
Nullerjahreein Publikumsliebling
war.SiewardieSpielerfrau,einFan,
dannAushilfeim Fanshop,jetzteine
Festan gestellte.Und die Menschen,
die sie damals kennengelernt habe,
seien immer noch da. „Ich bin in
diese Aufgabe reingewachsen“, sagt
Baumgart,„wieder Vereinauch.“
ImZeughaus
Wenn es einen Ortgibt, an dem
Uniongarnichtsovielandersistals
dieanderenBundesligisten,dannim
Zeughaus,wom an nicht nur neue
Trikots kaufen, sondernauchgleich
Mitgliedwerdenkann.Mandarfsich
nur nichtvonden in Rostfarbe ge-
strichenenRegalenoderdenZiegel-
steintapetenandenWändenablen-
ken lassen.Corporate Design,sagt
man, die Schlosserjungs aus Ober-
schöneweidelassengrüßen.
MansolltesichliebernurdieFan-
artikelanschauen:Stockf ahne ,Hiss-
fahne,Zimmerfahne,dasSpiel„Mo-
nopolyEisenland“, dannKinderwa-
genketten,Gurtpolster,Numme rn-
schildhalter,einHundefutternapfin
Vereinsfarben,der„GartenzwergPo-
kal“für29,95Euro,„optischesHigh-
light für jedenGarten oder jedes
Fenstersims,super Geschenkidee
für jedenUnion-Fan“. Könnte auch
„Hertha-Fanheißen“,derStadtrivale
hat den „GartenzwergCurrywurst“
imSortiment,für34,95Euro.
BaumgartsagtalsozuRecht: „Wir
haben unserSortiment angepasst,
unsereProduktpalette in dieBreite
erweitert, wir müssen unsvorden
anderennichtverstecken.“
DieErzählung vondem anderen
oder nur besonderenMitmachklub
wirddieBundesligaindieserSaison
noch eineWeile beschäftigen.Die
Unioner selbst auch.Siewerden ja
immer mehr,die Mitgliederzahlen
explodieren, bald könnten es mehr
sein als beiHertha.Gleich zeitig ha-
ben viele noch nicht begriffen, was
derAufstiegbedeutet.
Katja Baumgart sagt in ihrem
Büro:„Wirhattennochgarnichtdie
Zeit zum Durchatm en, um zu be-
haupten,dasswirjetztrichti gange-
kommensindinderBundesliga.“
MattiMichal kesagtimCafé:„Ich
bin ein chronischerPessimist. Ich
habe immer gedacht:Dasschaf fen
wirnicht,dasschaffenwirnicht–ich
wollte es aber.Man kann sich nicht
vonderKommerzialisierungabwen-
den,aberichglaube,demVereinge-
lingtschonderSpagat.“
UndWummesagtvordemSpäti:
„Ich habenicht an denAufstieg ge-
glaubt,auseinerSchutzhaltungher-
aus.Ich wo llte nicht zu enttäuscht
sein,wennesnichtklappt.“
Es ha tgeklappt, und dasSaison-
motto,das man in Köpenick überall
hörtund auf den Ankündigungspla-
katen für die anstehendenZugson-
derfahrten lesen kann, heißt: „Ge-
kommen, um zu bleiben“.So heißt
einSongvonWirsind Helden.Undso
gehtder Textweiter:„Gekommen,um
zubleiben–wieeinperfekterFleck.“
UnionisteinhartnäckigbunterFleck.

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