Berliner Zeitung - 17.08.2019

(Sean Pound) #1

8 17./18. AUGUST 2019


Gutsch


Leo


Irgendwo


in Iowa


L


iebe Frau Lewerenz, lieberHerr Haak,
meine letzteKolumne zumThema„Kli-
mawandel“ hatIhnen nicht gefallen.In Le-
serbriefen brachten sieIhrenUnmut zum
Ausdruck. Sie, liebe Frau Lewerenz, schrie-
ben mir:„Siekönnen meinetwegen ir-
gendwo inIowaihreKolumnenverfassen,
dortpassenSiemitIhrerignorantenWeltan-
sichtweitausbesserhin.“
Dasfand ich interessant.Iowa! Ichwar
nochnieinIowa,dachteabersofortand en
schönenFilm„GilbertGrape –Irgendwo in
Iowa“, HauptrolleJohnny Depp.Mit Iowa,
liebe Frau Lewerenz,verbindenSieoffen-
sichtlich nichtsGutes.Sondernnur:Igno-
ranz–undvermutlicheinenHaufenengstir-
niger,gestriger ,ungebildeter,erzkonservati-
verAmi-Landeier,habeich recht?
Deshalb möchte ich einwenig Werbung
für Iowamachen. AufWikipedia erfuhr ich:
In Iowawurde bereits 1839 dieSklaverei für
ungesetzlich erklärt–lange bevor dies in
ganzAmerikaderFallwar .Iowawarauchder


ersteBundesstaat,derFrauendieAusübung
juristischerBerufe erlaubte,imJ ahre1869.
Iowagehörte zu den erstenBundesstaaten,
in denen gleichgeschlechtlichePaareheira-
tendurften.Hier,ims uper-fortschrittlichen
Deutschland,wardiesersteinigeJahrespä-
ter möglich.Undder DesMoines Register,
die großeTageszeitungIowas,empfahl sei-
nenLesern2008die WahlvonBarackObama
zumPräsidenten.Siesehen,liebeFrauLewe-
renz,Iowaistgarnichtsoignorant.DieDinge
aufunsererrundenWeltsindoftvielkompli-
zierterundambivalenter,alsmansodenkt.
DasgiltleiderauchfürdenKlimaschutz.
IndieserWochelasich,dassSvenjaSchulze,
die Umweltministerin,Plastiktütenverbie-
tenwill. MeinersterGedankewar:Findeich
gut! Plastik-Tüten belasten dieUmwelt, Pa-
piertüten sind viel besser.Dann begann ich
zu lesen.Undsofortwurde dieWelt wieder
kompliziertundambivalent.
In der Frankfurter Allgemeinen las ich,
dass eineEinweg-Papiertüte in ihrer Öko-

BilanznichtbesseristalseineEinweg-Plas-
tiktüte.Für die Herstellung derPapiertüte
benötigt man so vielWasser undEnergie,
dass man die Tüte mehrmals benutzen
muss,bisdieÖkobilanzwiederstimmt.Das
dänische Umweltministerium hat ausge-
rechnet:ungefähr43-mal.
Deshalbdachteichnun:Baumwollbeutel
sind die Lösung!Sind sie aber auch nicht.
Rund100-malmüsstemaneinenBaumwoll-
beutel tragen, bevor die Öko-Bilanz besser
ist,alsbeieinerPlastiktüte.SagendieExper-
tenvomNaturschutzbundNabu.AndereEx-
perten gehenvonrund 150-mal aus.Und,
um alles noch einwenig komplizierter zu
machen:Plastiktüten machen ungefähr ein
Proz entdesgesamtenPlastikmüllsaus.
Gewissdar fmanauchdieseseineProz ent
nicht kleinreden, nur beschleicht mich bei
derTüten-Fragedas Gefühl,dassessinnvol-
lereDingegibt,diemanfürdieUmwelttun
könnte.Momenta nscheint aber zu gelten:
HauptsacheIRGENDWAStun.

VonJochen-Martin Gutsch

LieberHerrHaak,womöglichsorgtdiese
Aussage beiIhnen wieder fürUnmut. Sie
schrieben inIhremLeserbrief: „Sie haben
mit HerrnGutsch da einenMitarbeiter,der
IhnenundunsalleninzunehmendemMaße
keinen Gefallen mehr tut.Seine süffisante
Art, die Probleme der Klimakrise lächerlich
zumachen,stößtbeiunsaufgroßesUnver-
ständnis.“
LieberHerrHaak,ichglaube,Siedenken
dasRichtige.NiemandsollteeineZeitungle-
sen müssen, in der LeuteDinge schreiben,
die der eigenenWeltsicht widersprechen.
Wassolldasbringen?Ansonstenkönnteich
Ihnen noch das neueProjekt derBerliner
Zeitung„Deutschland spricht“ ansHerz le-
gen. Dortkann manMenschen treffen, die
politisch anders denken, als man selbst.Ja,
wirklich!DassfürsolcheBegegnungenheute
eine Ar tBetreuung notwendig zu sein
scheint,stimmtmichtraurig.
Es grüßt Sieherzlich, Jochen -Martin
Gutsch,Iowa.

IMAGO/LEEMAGE, DPA (3)

WiegefälltDir


meinZeichnen?


ZudeninIsraelvorgestellten


DokumentenausFranzKafkas


Nachlassgehörenauchbislang


unbekannteSkizzen.Erselbst


nahmsienichtganzernst.


FürdieKafka-Forschung


sindsieeinSchatz


VonPetraAhne


D


assdieWeltimJahr 2019 an-
dächtigaufseinefrischeinem
Schweizer Banksafe entnom-
menenNotizenundZeichnun-
gen blicken würde,hätte Franz Kafka viel-
leicht ebenso erschreckt wie amüsiert.Er
hatte Humor und konnte lustig sein, das
wirdnur oft verg essen, weil sich seinBild
reduzierthat auf den grüblerischen, unsi-
cheren,tuberkulosekranken–ers tarb1924
anderKrankheit–Schriftsteller,derseinen
bestenFreundbat,alles,waserjegeschrie-
benhatte,nachseinemTodzuv erbrennen.
DerbesteFreund,MaxBrodhießer ,hat
diesenletztenWillenbekanntlichnichter-
fülltundderWeltliteraturmitKafkasErzäh-
lungenundRomanfragmenteneinigeihrer
erstaunlichstenWerkegeschenkt.Dienun
der israelischenNationalbibliothek über-
gebenen Schriftstücke undZeichnungen
faszinieren auch deswegen so,weil sie die
verrückte Rettungsgeschichte hineinragen
lasseninsHeute:WasbisMitteJuliineiner
SchweizerBank lagerte,befand sich zuvor
50JahrelangineinerWohnunginTelAviv,
ausPragmitgebrachtvonMaxBrod,dann
gehütet vonseiner Lebensgefährtin, die
nun auch schon eineWeile tot ist.Mitder
Übergabe an dieNationalbibliothek endet
ein langerRechtsstreit–und beginnt eine
neue,spannendePhase für dieKafka-For-
schung.EineEntdeckungistetwaeinSkiz-
zenbuch, das den bislang bekannten
ZeichnungenKafkasjedeMengehinzufügt.
„Wie gefälltDirmein Zeichnen?“, schrieb
er1913seinerFreundinFeliceBauer.„Aber
warte ,ich werdeDir nächstens paar alte
Zeichnungen schicken, damitDu etwas
zum Lachen hast.“Nunsollen, so der Ar-
chivarderNationalbibliothek,diemeistre-
duzierten,mitfestemStrichgesetztenSkiz-
zen, die er selbst mit ironischemAbstand
sah, neue Erkenntnisse über denMen-
schen Kafka liefern.Darüber hätte der
wahrscheinlichherzlichgelacht.

Seltene Leichtigkeit scheint aus dieser Zeichnung zu sprechen:
LangeFrauenbeine, wie imTanz erhoben, glaubt
man zu erkennen. Daneben einen
erdenschweren Mann.

Ein Haus im Grünen.Wo stand es?
Wann hat Kafka esgesehen, undwarumhat er esgemalt?
Mit solchen Fragen werden sich die Mitarbeiter der
Nationalbibliothek nun beschäftigen.

„...miteinemBlickangesehen,derauffallendmit
gleicherStärkeausbeidenAugenkam...“:
Satzfetzenaus den Notizheftenlassen
sichaufdenerstenBlickentziffern.
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