P.M. History - 09.2019

(nextflipdebug2) #1

Korea


(nach jenem Fluss, der durch Seoul
fließt). Es liegt nahe, darin eine Paral­
lele zum Wirtschaftswunder der jungen
Bundesrepublik zu erkennen - dieser
Vergleich hinkt jedoch. Die Industriali­
sierung Südkoreas erscheint vielleicht
wie ein Märchen, aber es war keines.
Es war das Werk eines Diktators.

U

ns, die mit den Bildern aus dem
tristen Nordkorea aufgewach­
sen sind, mag es überraschen,
dass der Süden nach dem Zweiten Welt­
krieg die schlechteren Startbedingun­
gen hatte. Die Bodenschätze lagen im
Norden, und auch die Fabriken konzen­
trierten sich dort. Die Kolonialherren
hatten sie logischerweise in der Nähe
der Rohstoffquellen errichtet. Nur ei­
nes gab es im Süden genug: Menschen.
Schon vor dem Koreakrieg flohen Hun­
derttausende aus dem Reich der Kims.
Der Bruderkampf hinterließ ein ver­
heertes Land. Das Bruttoinlandsprodukt
pro Kopf betrug Ende der 1950er-Jahre
kaum 100 Dollar - weniger als in afri­
kanischen Staaten wie dem Tschad. Re­
giert wurde Südkorea vom korrupten
Präsidenten Rhee Syng-man, der sich
nur dank US-amerikanischer Protektion
halten konnte. Doch im Frühling 1960
regte sich Widerstand. Als der Protest
eskalierte, ließ Rhee auf die Menge
schießen. Das war zu viel - selbst für
die Kalten Krieger in Washington.

BOSS Mit umgerechnet rund 20 Euro
Startkapital gründet Lee Byung-chull
im Jahr 1938 die Firma Samsung -als
Lebensmittelhandelsgeschäft (unten)

ihn mit großer Sorge erfüllen. Denn auf
Befehl der Putschisten wurden Unter­
nehmer, die unter Präsident Rhee gute
Geschäfte gemacht hatten, öffentlich
als "korrupte Schweine" gedemütigt.
Was hatte dann erst Lee zu befürchten,
der schon damals erfolgreichste Indus-

Die Putschisten stellen den


Samsung-Chef vor die Wahl:


Kooperation oder Gefängnis


Das demokratische Experiment, das
auf Rhees Sturz folgte, war nur von kur­
zer Dauer. Schon ein gutes Jahr später­
am 16. Mai 1961 -putschte die Armee.
Der neue starke Mann im Land hieß
General Park Chung-hee. Ausgerechnet
dieser Absolvent einer japanischen Mi­
litärakademie sollte zum Vater des mo­
dernen Südkoreas werden.
Lee Byung-chull hielt sich zum Zeit­
punkt des Staatsstreichs in Japan auf.
Was er aus der Ferne mit ansah, musste

trieile von allen? Mit einer Zuckerraf­
finerie und Textilfabriken hatte der
Samsung-Gründer nach dem Krieg ein
Vermögen verdient. Das neue Regime
warf ihm Steuerhinterziehung vor,
trotzdem kehrte Lee in seine Heimat
zurück und wurde prompt verhaftet.
Die Zeit für den klügsten Deal seiner
Karriere war gekommen.
Lee erklärte sich bereit, den Groß­
teil seines Besitzes dem Staat zu "spen­
den". Zudem willigte er ein, sich für den

Wirtschaftsplan des neuen Diktators
starkzumachen. Als Belohnung kam er
frei und wurde zum Vorsitzenden des
Industriellenbundes ernannt. Die an­
deren Bosse stellte Park vor die gleiche
Wahl: Kooperation oder Gefängnis. Die
Entscheidung fiel ihnen nicht schwer.
Nun konnte der General mit sei­
nem Modernisierungsprojekt beginnen.
1962 startete der erste Fünfjahresplan.
Das Rezept für den rasanten Auf­
schwung, der Südkorea bald zweistel­
lige Wachstumsraten bescheren sollte,
war im Prinzip simpel: Loyale Firmen­
chefs, wie Lee Byung-chull, bekamen
billige Kredite. Geld hatte Parks Regime
genug, unter anderem füllten die USA
seine Kassen. Geschickt achtete er da­
rauf, diesen Verbündeten nicht zu ver­
prellen. Um seiner Herrschaft einen zi­
vilen Anstrich zu geben, trat er aus der
Armee aus und ließ sich zum Präsiden­
ten wählen. Dank seines Geheimdiens­
tes und der strengen Zensur glaubte er,
alles in der Hand zu haben.

A

ls Gegenleistung für die Kredite
mussten die Bosse auch für den
Weltmarkt produzieren und ent­
sprechend konkurrenzfähig werden. Die
heimischen Absatzmärkte dagegen blie­
ben durch Zölle vor Rivalen geschützt.
Zusammen mit niedrigen Löhnen und
einer gut ausgebildeten Arbeiterschaft
waren dies die Bedingungen, in denen
Familienunternehmen wie Samsung zu
Giganten heranwuchsen. Es entstan­
den mehrere große Mischkonzerne:
die Jaebeols ("reiche Sippen"). Neben
Samsung zählten auch noch Daewoo,
Hyundai und Lucky-Goldstar (LG) zu
diesem elitären Club.
Lee Byung-chull verstand es, die
Situation für sich zu nutzen. In den fol­
genden Jahren setzte er auf Expansion:
1969 gründete er Samsung Electronics.
Im folgenden Jahr begann seine Firma,
Fernseher zu produzieren. Bald kamen
Kühlschränke und Kassettenrekorder
hinzu. 1974 stieg Lee in den Schiffbau
ein, eine Branche, die Diktator Park
besonders am Herzen lag. Zwei Jahre
später lief das millionste TV-Gerät vom
Band. Mit den Exporten wuchs auch das
Vermögen der Bosse. Sie hatten keinen
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