P.M. History - 09.2019

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Falsch Meldung


Wie "Fake News" Geschichte schreiben. Diesmal: Kadaververwertung


SEIT MONATEN bemüht sich Lon­
don, China auf die Seite der Entente
zu ziehen. Noch Anfang 1917 hält
sich Peking aus dem Krieg in Europa
heraus. Da berichtet die englischspra­
chige "North China Daily News", dass
im Deutschen Reich "Glyzerin aus toten
Soldaten" gewonnen wird. Die Nach­
richt der einflussreichen Zeitung in
Shanghai spricht sich rasch herum.
Britische Blätter, darunter die
"Times", drehen die Horrorgeschichte
weiter. Bald ist die Rede von einer deut­
schen "Kadaververwertungsanstalt".
Dort würden aus dem Fett der Solda­
tenleichen etwa Seife und Tierfutter
hergestellt. Die Arbeiter in diesen
"Fabriken" seien quasi Gefangene und
von ihrer Tätigkeit traumatisiert.
Vergeblich protestiert die deutsche
Regierung gegen die "widerlichen und
lächerlichen" Berichte. Die Artikellie­
fern einen-vermeintlichen-Beleg für
die Ruchlosigkeit der Deutschen und
ihre barbarischen Sitten. Tatsächlich
erklärt China am 14. August 1917 dem


WAS SAGT DIE LEGENDE?
wEtwas ist faul im Staate Dänemark":
Prinz Harnlet will seinen Vater rächen,
der von dessen Bruder Claudius er­
mordet wurde. Dieser übernimmt nun
die Macht und heiratet auch noch die
Witwe des getöteten Königs. Leider
stellt sich Hamlet, angestiftet vom
Geist seines Vaters, bei der Ausfüh­
rung seiner Rachepläne nicht sehr
geschickt an. Dadurch stürzt er die
gesamte Verwandtschaft ins Verder­
ben, sich selbst natürlich auch. Am
Ende fällt das Dänenreich tränenreich
an den Prinzen von Norwegen.


PROPAGANDA Wilhelm II. zeigt
einem Rekruten eine Fabrik, in der
gefallene Soldaten verarbeitet
werden (britische Zeichnung, 1917)

Deutschen Reich den Krieg-vor allem,
weil es sich den Beistand der Entente
gegen Japan erhofft.
Erst sieben Jahre nach dem Ersten
Weltkrieg spricht der britische Au­
ßenminister Austen Chamberlain von

Harnlet


WIE WURDE SIE ÜBERLIEFERT?
Shakespeares Drama wird seit 1602
gespielt. Seine Wurzeln hat es, mit
etwas anderen Konstellationen, in der
.Amlethus"-Erzählung des dänischen
Geschichtsschreibers Saxo Grammati­
cus um 1200. Der Dichter Fran�ois de
Belleforest veröffentlichte 1570 eine
französische Fassung. Außerdem wird
seinem Zeitgenossen, dem Dramatiker
Thomas Kyd, ein .Ur-Hamlet" zuge­
schrieben, der allerdings nicht erhal­
ten ist. Noch heute erscheinen immer
neue Bühnen-und Filmvarianten wie
Heiner Müllers .Hamletmaschine".

Vorwürfen, für die es "nie eine Grund­
lage" gab. Wahrscheinlich wurden die
Falschinformationen von John Char­
teris lanciert, dem damaligen Chef der
militärischen Aufklärung.
Auf einer Vortragsreise in den USA
brüstet sich der Brite 1925laut "New
York Times" mit seiner Rolle: Er habe
zwei von deutschen Soldaten erbeutete
Fotos zusammenmontiert und an die
Zeitung in China geschickt. Das eine
Foto habe einen Zug mit toten Pferden
und der Aufschrift "Kadaver" gezeigt,
das andere einen Zug mit toten deut­
schen Soldaten. Charteris bestreitet die
Darstellung, aber Jahrzehnte später
tauchen die Originalfotos im britischen
Nationalarchiv auf, samt Vermerk auf
den Offizier. In den 1930er-Jahren
rächt sich die Geschichte. Britische
Berichte über Gräuel im Dritten Reich
werden von den Nationalsozialisten
als Lügen zurückgewiesen. Man müsse
sich doch nur an die Storys über die
angeblichen "Kadaververwertungs-
anstalten" erinnern. Dirk Liesemer

WAS IST WIRKLICH DRAN?
"Sein oder Nichtsein": Historiker ge­
hen davon aus, dass es Harnlet nicht
gab. Auch wenn sich Saxo Grammati­
cus in seiner .Gesta Danorum" dem
Aufstieg und Fall dänischer Herrscher
widmet, griff er dabei doch auf Erzäh­
lungen und Sagen zurück, für die es
keine Belege gibt. Lange nach Saxo,
nämlich 1380, erbte der norwegische
König tatsächlich den dänischen
Thron. Dänemark-Norwegen bestand
bis 1814, Dänemark war aber der po­
litisch dominierende ReichsteiL .. Der
Rest ist Schweigen." Thomas Röbke
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