Focus - 16.08.2019

POLITIK ORTSTERMIN

Foto: AFP

48 FOCUS 34/2019

nimmt sich „il capitano“, wie
ihn seine Anhänger nennen,
Zeit für die Molisani.
„Salvini kümmert sich wirk-
lich um uns“, schwärmt die
24-jährige Giulia Minnillo,
Koordinatorin der Jungen
Lega in der Region. Die Frau
mit rotem Lippenstift, lan-
gen schwarzen Haaren und
schwarzem Spitzenkleid trägt
ein Plastikarmband mit Sal-
vinis Wahlspruch „Prima gli
italiani“ – „Italiener zuerst“ –
am Handgelenk. Seit drei
Jahren ist sie in der Politik
aktiv. Dazu gebracht habe sie
Salvini, weil er so anders sei
als andere Politiker: „Immer
zur Stelle, immer verfügbar und gleich-
zeitig stets bescheiden.“

Zielorientierter Machtmensch

Der 46-Jährige, geboren in Mailand,
geschieden, zweifacher Vater, ist Profi-
Politiker und Machtmensch. Unter sei-
ner Führung ist die nationalistische Lega
2018 als Juniorpartner in die Regierungs-
koalition eingezogen. Salvini wurde Vize-
ministerpräsident und Innenminister und
hat diese Ausgangsposition genutzt, um
zum wichtigsten Mann Italiens aufzu-
steigen. Sein Talent, den Nerv der Zeit
zu treffen, hat ihm dabei den Weg ge -
ebnet: Salvini spürt, welche Themen die
Menschen bewegen, und richtet seine
Rhetorik danach aus.
Er war erst 17, als er 1990 der Lega
Nord beitrat. Schnell machte er sich die
Mission der Partei zu eigen: den reichen
Norden vom armen Süden ab zuspalten.
Seine Zukunft sah Salvini in der Poli-
tik, brach daher sein Geschichtsstudium
ab und arbeitete zunächst als
Journalist für den Partei-
Radio sender Radio Padania.
Stundenlang diskutierte er
live mit Anrufern und hörte
genau zu, was sie bewegte.
Für die Lega zog Salvini
erst in den Mailänder Stadt-
rat, dann ins Europaparla-
ment ein. Als Parteigründer
Umberto Bossi 2012 wegen
eines Finanzskandals abtrat,
wurde er 2013 zum neuen
Vorsitzenden gewählt – und
erfand die Partei neu: „Salvini
hat es geschafft, die DNA der
Lega komplett zu verändern

Trio infernale

Italiens Premierminister

Giuseppe Conte, 55 (l.), mit seinen

Stellvertretern Luigi Di Maio, 33 (M.),

von den 5 Sternen und Matteo Salvini

von der Lega

und aus ihr eine gesamtitalienische Partei

zu formen“, sagt Giovanni Diamanti, der

kürzlich das Buch „Phänomen Salvini“

veröffentlicht hat. Die separatistische

Kernidee der Lega Nord ließ er fallen und

tauschte sie gegen ein neues Feindbild

aus: An die Stelle des faulen Süditalie-

ners setzte er den illegalen Einwanderer.

Im Süden Italiens trat er zunächst mit

der Bewegung „Noi con Salvini“ („Wir

mit Salvini“) an. Bei den Parlamentswah-

len 2018 vereinte er sie dann mit seiner

Lega, strich den Zusatz „Nord“ und holte

auf Anhieb 17 Prozent der Stimmen. Dia-

manti meint, dass dieser Erfolg penibel

geplant gewesen sei: Salvini habe sei-

nen Aufstieg lange vorbereitet, eine neue

Strategie für die Lega entwickelt, sich

rhetorisch schulen lassen und

dafür gesorgt, in den Medien

omnipräsent zu sein.

Wichtig sind bei Salvinis

Strategie auch die sozialen

Netzwerke: Auf Facebook ist

er mit 3,8 Millionen Fans der

beliebteste Politiker Europas,

bei Instagram hat er 1,7 Mil-

lionen Anhänger, bei Twitter

1,1 Millionen. Dort fügt er

bei seiner fremdenfeindli-

chen Populismus-Show zwi-

schen politischen Botschaf-

ten Fotos von vollgeladenen

Pastatellern und angebisse-

nen Nutellabroten ein, um im

Anschluss das Fußballspiel

seines Sohnes zu filmen und

ein Bild zu teilen, auf dem

er seiner Tochter die Finger-

nägel rosafarben lackiert. In

das Potpourri italienischer

Befindlichkeiten mischt er

Videos vermeintlich krimi-

neller Ausländer und Bei-

träge, in denen er Gegende-

monstranten verhöhnt. Seine

Live-Videos enden stets mit

Kusshänden, die er seinen

Anhängern zuwirft: „Bacioni,

amici, bacioni.“

Ideologisch flexibel

Salvinis stärkste Waffe ist sei-

ne aalglatte Scheinheiligkeit.

Er flirtet mit verschiedensten Ideologien,

ohne sich festzulegen: Im selben Monat

küsst er vor laufenden Kameras den

Rosenkranz, dankt Gott für sein Wahler-

gebnis und spricht vom Balkon eines Rat-

hauses, von dem sich einst der faschisti-

sche Diktator Benito Mussolini an seine

Anhänger gewandt hatte. Darauf ange-

sprochen, gibt sich Salvini naiv: Er wisse

nicht, wo Mussolini einst auftrat. Er habe

nur seine Anhänger begrüßen wollen.

Salvinis ideologische Flexibilität und

seine demonstrative Mittelmäßigkeit be-

geistern auch Giulia Minnillo am Strand

von Molise: Mit ihm sei es möglich, wie

mit einer normalen Person zu sprechen.

„Er ist einer von uns!“, sagt sie. Sie freue

sich schon auf die Neuwahlen, die Salvini

gewinnen werde. Doch ganz so geradli-

nig ist der Weg nicht, das weiß auch der

Rechtsaußen-Politiker. Auf die Frage, ob

es sein Ziel sei, künftig allein zu regieren,

sagt er: „Erst müssen wir schauen, wann

sie uns Neuwahlen ansetzen lassen.“

Tatsächlich geschieht kurz darauf, was

vor einer Woche noch undenkbar gewe-

sen wäre: Eine alternative Mehrheit aus

Partito Democratio und 5-Sterne-Partei

beschließt zusammenzuarbeiten, um die

Neuwahlen abzuwenden. Sie bringt es

auf mehr Stimmen als Salvinis Mitte-

rechts-Bündnis und votiert im Senat da-

für, das Parlament erst ab dem 20. August

über die Regierungskrise debattieren zu

lassen. So bleibt den beiden Parteien eine

Woche Zeit, um darüber zu diskutieren,

ob sie in neuer Zusammensetzung regie-

ren wollen. Dann wird sich zeigen, ob

Salvinis Machtplan aufgeht. n

VIRGINIA KIRST

Auf

Facebook ist

Matteo

Salvini mit

3,8 Millionen

Fans der

beliebteste

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