Focus - 16.08.2019

(Sean Pound) #1
Fotos: PR

50 FOCUS 34/2019

J


eden Tag sterben in
Deutschland drei
Menschen, weil sie
nicht rechtzeitig ein
Spenderorgan erhalten.
Viele rutschen zudem von der
Warteliste, weil ihr Körper
bereits zu sehr geschwächt
ist für eine Transplantation.
Wir brauchen also ent-
schiedene Anstrengungen,
um die Transplantationszah-
len in Deutschland zu erhö-
hen. Gleichwohl ist es wich-
tig, sehr genau zu schauen,
was die richtigen Schritte
sind, um die Situation zu ver-
bessern.
Wir sind der Überzeugung,
dass die sogenannte doppelte
Widerspruchslösung dabei
nicht der richtige Weg ist.
Demnach sollen grundsätz-
lich alle Bürgerinnen und
Bürger als Organspender
gelten – es sei denn, es wird
widersprochen. Dieser Vor-
schlag setzt jedoch nicht bei
den vorhandenen Problemen
an. Zudem befindet er sich
im Widerspruch zu grundle-
genden Prinzipien der Medi-
zinethik und der Patienten-
rechte.
Das Selbstbestimmungs-
recht hat eine zentrale Rolle
in unserer Rechtsordnung.
Es ist in Artikel 2 unseres
Grundgesetzes verankert
und steht jedem Menschen
zu. Wir müssen es uns nicht
erst verdienen. Das Selbst-
bestimmungsrecht ist der
Ausgangspunkt aller Überle-
gungen in der Medizinethik
und dem Patientenrecht. Die
doppelte Widerspruchslö-
sung stellt dies grundsätzlich

infrage. Wir dagegen sagen
deutlich: Auch wer sich der
schwierigen Entscheidung
zur eigenen Organspende-
bereitschaft verweigert, ver-
liert nicht sein Selbstbestim-
mungsrecht!
Es wird viel da-
rüber diskutiert,
wie die Spenden-
bereitschaft gestei-
gert werden kann.
Die grundsätzliche
Bereitschaft zur
Organspende liegt
bei uns aber bereits
heute beachtlich
hoch – 2018 bei 84
Prozent. Auch die
Zahl der Inhaber
von Organspende-
ausweisen hat sich
in den letzten Jah-
ren von 22 auf 36
Prozent deutlich
gesteigert. Beide
Zahlen sind sehr wichtig,
denn schon heute erfolgt eine
große Zahl von Organentnah-
men aufgrund der Auskunft
der Angehörigen im Hinblick
auf den vermuteten Willen
der betroffenen Personen.
Insofern: Wiewohl der Aus-
weis das Ganze erleichtert,
ist diese positive Einstellung
von großer Bedeutung.
Der Knackpunkt bei der
Organspende ist also nicht
die Spendenbereitschaft in
der Bevölkerung. Es geht
vielmehr darum, die vorhan-
dene Zustimmung in tatsäch-
liche Organspenden umzu-
setzen. Wir müssen daher in
den Krankenhäusern anset-
zen, wie auch die Erfahrun-
gen anderer Länder zeigen.

Wir müssen bei der Feststel-
lung möglicher Organspen-
der besser werden.
Die Organspende ist in
Deutschland aus guten Grün-
den nur im Fall des Hirn-
tods eines Patienten erlaubt.
Die Mehrheit der
Organspender sind
Unfallopfer, die auf
der Intensivsta-
tion sterben. 2018
haben laut der offi-
ziellen Zahlen der
Deutschen Stiftung
Organtransplan-
tation 955 Men-
schen 3113 Organe
gespendet. Der Zahl
von 955 Organspen-
dern steht die Zahl
von 1416 Menschen
entgegen, die für
eine Organspende
infrage kamen. Die
Quote der Spen-
der lag somit bei 67 Prozent.
Abzüglich von 9 Prozent der
Fälle, in denen eine Spen-
de aus unterschiedlichen
Gründen nicht infrage kam,
blieben somit 24 Prozent der
Fälle (340 Fälle), in denen
durch die Angehörigen kei-
ne Zustimmung zur Organ-
spende erteilt wurde. Aber
auch hier gibt es eine erfreu-
liche Entwicklung: 2013 lag
die Zahl dieser abgelehnten
Organspenden noch bei
30 Prozent.
Als Mitglieder der Fraktio-
nen der Regierungskoalition
und ehemalige Bundesge-
sundheitsminister freuen wir
uns darüber, dass bereits in
den Koalitionsvereinbarun-
gen 2018 wichtige Schritte

zur Verbesserung im Bereich
der Organspende verein-
bart und vom Bundesge-
sundheitsministerium zügig
umgesetzt wurden. Bereits
zum 1. April dieses Jahres
trat das „Gesetz zur Verbes-
serung der Zusammenarbeit
und der Strukturen bei der
Organspende“ in Kraft. Es
stärkt die Rolle der Trans-
plantationsbeauftragten in
den Krankenhäusern. Sie
sind nicht in die Behandlung
der Patienten eingebunden
und kümmern sich um die
organisatorischen Aufgaben
rund um die Organspen-
de. Dazu gehört auch, in
der belastenden Phase des
Abschiednehmens das ein-
fühlsame Gespräch mit den
Angehörigen über eine mög-
liche Organspende ihres ster-
benden Familienangehörigen
zu führen.
Diesen Weg gilt es ent-
schlossen fortzusetzen. Der
von uns unterstützte Gesetz-
entwurf zur „Stärkung der
Entscheidungsbereitschaft
bei der Organspende“ macht
hier viele richtige Vorschläge.
Die Organspende ist ein
Geschenk aus Liebe zum
Leben. Das setzt Freiwillig-
keit und Zustimmung voraus.
Dabei sollte es bleiben. n

Von Ulla Schmidt und Hermann Gröhe

MEINUNG

Ulla Schmidt (SPD) und
Hermann Gröhe (CDU) waren beide
Bundesgesundheitsminister

Gegen die von Jens Spahn vorgeschlagene doppelte Widerspruchslösung gibt es


gewichtige Bedenken. Zwei Amtsvorgänger haben sie für FOCUS formuliert


Organspende muss freiwillig bleiben!


Bundesgesundheitsministerin a. D. (2001–2009) und Bundesgesundheitsminister a. D. (2013–2018)

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Organ-
spende
ist ein

Geschenk
aus Liebe
zum

Leben


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