Focus - 16.08.2019

(Sean Pound) #1
KOLUMNE

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schließt, also genau der Mechanismus, den man außer
Kraft setzen möchte.
Ich bin trotzdem dagegen, bei der Täterbeschreibung
wichtige Angaben zu unterschlagen. Dass manche Delikte
in bestimmten Gruppen gehäuft auftreten, halte ich
für einen Umstand, über den sich nachzudenken lohnt.
Man könnte daraus ja auch den Schluss ziehen, dass
man hier mehr tun müsse, zum Beispiel durch gezielte
Förderung oder Sozialprogramme.

W


as die Integration angeht, gibt es
zwischen Ausländern in Deutsch-
land große Unterschiede. Ich
habe gelesen, dass 90 Prozent der
Libanesen, die sich in Deutschland aufhalten,
Hartz IV beziehen, aber nur 18 Prozent der
hier lebenden Nigerianer, obwohl man es als
Nigerianer in Deutschland sicher auch nicht
leicht hat. Was ist da schiefgelaufen? Das
würde mich wirklich interessieren. Sich
blind und taub zu stellen, nur weil
das gerechter wirkt, scheint mir keine
kluge Strategie zu sein.
Auch beim Zuzug ließen sich
Konsequenzen ziehen. Ich weiß,
das ist ein heikles Thema, ich
begebe mich damit in gefährli-
che Nähe zu einem Shitstorm.
Aber ich würde mir überlegen,
ob ich jeden jungen Schweizer ins
Land ließe, wenn sich herausstellen
sollte, dass die Zahl der Schweizer,
die anschließend beim Drogenhandel auf-
fallen, den Rahmen des Üblichen sprengt.
Bevor jetzt alle aufschreien, das sei Rassismus, darf
ich daran erinnern, dass bei der Visavergabe aus gutem
Grund genau hingesehen wird, wer sich um Einreise
bemüht. Wäre die Sozialprognose des Antragstellers uner-
heblich, bräuchte man keine Visa. Prognosen beruhen
immer auf der Hochrechnung kollektiv erhobener Daten.
Das Beruhigende bei Vorurteilen ist, dass die meisten
Menschen nach einer persönlichen Begegnung bereit sind,
sie zu korrigieren. Sie sagen dann: Kolumnisten sind an
sich grausliche Leute, die alles besser zu wissen glauben,
aber es gibt auch Ausnahmen. Womit bewiesen wäre, dass
man das, was man über eine Gruppe von Menschen liest,
nicht überbewerten sollte.n

Man weiß, dass die Delinquenz im Alter zwischen 18
und 30 Jahren ihren Höhepunkt erreicht, um ein anderes
Beispiel zu nennen. Rentner machen in der Kriminali-
tätsstatistik eine Minderheit aus. Weil bei jeder Straftat
das Alter des Täters erhoben wird, sind ältere Menschen
unwillkürlich alarmiert, wenn eine Gruppe lärmender
Jugendlicher die U-Bahn betritt. Der klassische Fall, wo
man aus der Gruppenzugehörigkeit auf den Einzelnen

Sich blind und taub zu stellen
ist keine gute Strategie
Illustration von Marie Wolf

JAN FLEISCHHAUER

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