Focus - 16.08.2019

(Sean Pound) #1

WISSEN


Fotos: Sebastian Wolf für FOCUS-Magazin, DOC/Dr. Scharrer (1)

74 FOCUS 34/2019


besser sehen, aber keine Brille tragen
will, hat mehr Möglichkeiten als je zuvor.
Unser Sinnesorgan für die Wahrneh-
mung von Lichtreizen, die vielleicht wich-
tigste Verbindung zur Welt, kann sich
im Lauf eines Menschenlebens in sehr
unterschiedlicher Weise verändern. Bei
nahezu zwei von drei Bundesbürgern ab
16 Jahren ist eine Fehlsichtigkeit bekannt
und wird behandelt, so eine Statistik des
Bundesverbands der Augenärzte. Wei-
chen die Größenverhältnisse im Augapfel
nur wenige Zehntel Millimeter von der
Norm ab, bildet sich Kurz- oder, selte-
ner, Weitsichtigkeit aus (s. Grafik S. 78).
Im fünften Lebensjahrzehnt dann wird
fast jeder langsam altersweitsichtig, die
bis dahin Normalsichtigen meist früher
als die Kurzsichtigen. Und trübt sich im
noch höheren Alter schließlich die Linse
ein, sprechen Mediziner von Katarakt
und Laien von grauem Star. Der in die-
sen Fällen vorgesehene Austausch der
Linse ist Routine, zählt mit jährlich etwa
800 000 zu den häufigsten Eingriffen in
Deutschland überhaupt.
Die Katarakt-Operation erstatten die
gesetzlichen Krankenkassen, wer hin-
gegen nur die Brille ersetzen will, muss
selbst bezahlen. Kristine Weitzels nennt
die rund 4000 Euro, die sie ihr über die
normale Kassenleistung hinausgehender
Linsentausch gekostet hat, „eine der bes-
ten Investitionen meines Lebens“.


Sehkraft wie vor Jahrzehnten


Im vergangenen Jahr erhielten der Fran-
zose Gérard Mourou und die Kanadie-
rin Donna Strickland den Nobelpreis für
Physik für ihre Arbeiten an Laserpulsen,
die feinste Gewebe präzise verändern
können. Das schuf die Grundlage für die
refraktive Chirurgie, die seit nunmehr
gut zwei Jahrzehnten mit gebündeltem
Licht Schnitte in die Hornhaut setzt oder
winzige Teile wegfräst und so Kurz- und
Weitsichtigkeit behebt. Aber die Metho-
de – am häufigsten kommt die unter der
Bezeichnung Lasik bekannte Form zum
Einsatz – hat Grenzen, wird bei starker
Fehlsichtigkeit zusehends schwierig.
Minimalinvasive augenchirurgische
Eingriffe überwinden einen Teil dieser
Limits und führen in einigen Fällen direkt
vom Maulwurfsdasein zum Adlerblick.
Laut Urs Voßmerbäumer, dem Leiter der
refraktiven Chirurgie an der Universi-
täts-Augenklinik in Mainz, machen es
neueste Operationsmethoden und Mate-
rialien möglich, „dass wir Patienten visu-
elle Fähigkeiten geben, die sie entweder
nie oder schon jahrzehntelang nicht mehr
hatten“. Ein Patient mit einer künstlichen


Hüfte könne nicht schneller laufen als
zuvor, sagt Voßmerbäumer. „Aber wenn
wir jemanden, der sein Leben lang kurz-
sichtig war, eine Multifokallinse einset-
zen, kann der unter Umständen besser
sehen denn je.“
Augenärzte empfehlen das Lasern
ohne allzu große Gefahren bisher nur
bei eher moderater Sehschwäche. Lasik
und ähnliche Methoden eigneten sich bei
Kurzsichtigkeit bis maximal minus acht
Dioptrien, erklärt Thomas Will, Ärztlicher
Leiter im Medizinischen Versorgungs-
zentrum Augenheilkunde in Fürth. „Bei
höheren Werten ist das zu riskant, weil zu
viel Gewebe abgetragen wird.“ Ab einer
Kurzsichtigkeit von minus drei Dioptrien
verweist Will im Patientengespräch auch
auf die Möglichkeit, Kontaktlinsen zu
implantieren.
Im Auge bewirken diese sogenannten
phaken Intraokularlinsen eine Korrektur
des Sehens. Sie werden, anders als bei der
Grauer-Star-Operation, zusätzlich einge-
setzt, die natürliche Linse bleibt erhalten.
Phake Intraokularlinsen (oft auch mit ICL
abgekürzt) gelten als besonders geeignet

Implantierbare Brille
Diese hauchzarte Speziallinse
ist nur sechs mal elf Millimeter
groß und einen Millimeter dünn.
Sie wirkt wie eine implantierte
Gleitsichtbrille. Ist nach dem Ein-
setzen noch eine geringe Fehl-
sichtigkeit vorhanden, kann sie
durch gezielte UV-Bestrahlung
ausgeglichen werden

Möglichst individuell
Der Bochumer Chirurg
Burkhard Dick bestrahlt
eine implantierte Kunst-
linse mit UV-Licht, um
sie besser anzupassen
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