Focus - 16.08.2019

(Sean Pound) #1
TITEL

FOCUS 34/2019 75


für jüngere Patienten, die sich nicht an
eine Brille oder herkömmliche Kontakt-
linsen gewöhnen können. Eitelkeit ist
dabei selten das einzige Motiv. Ohne Bril-
le leben zu wollen sei mehr als Lifestyle,
sagt Will: „Mit einer Fehlsichtigkeit von
ein, zwei Dioptrien können Sie auch mit
Brille gut leben, die optische Abbildung
ist damit absolut in Ordnung. Sie ist aber
eine Katastrophe bei zehn oder 15 Diop-
trien. Dann verkleinern die Brillengläser
das Bild dramatisch, zudem sind sie ex-
trem dick und schwer. Darunter können
Menschen sehr leiden.“
Anja Blaszczyk gefiel sich mit Brille
nie. Bei einer Kurzsichtigkeit von fast
acht Dioptrien auf beiden Augen und
starker Hornhautverkrümmung musste
die Ingolstädterin mehr als 20 Jahre lang
eine Brille tragen, die ihre Augen optisch
verkleinerte. „Außerdem war sie immer
lästig beim Schwimmen oder in der Sau-
na. Und ich konnte nie auf der Couch
einschlafen aus Angst, die Brille könnte
sich verbiegen.“ Schließlich hätten Gläser
und Gestell mehr als 600 Euro gekos-
tet. Doch auch mit Kontaktlinsen sei sie


nie zurechtgekommen,
berichtet Blaszczyk. „Das
Gefriemel im Auge“ habe
sie immer als höchst unange-
nehm empfunden.
Zunächst beschloss die heu-
te 36-Jährige, sich die Augen
lasern zu lassen. Beim Vorge-
spräch mit dem Arzt kam die
Enttäuschung. „Dafür waren
meine Werte zu hoch und
meine Hornhaut zu dünn.“
So blieb nur die Möglichkeit,
Kontaktlinsen zu implan-
tieren, auch wenn das mit
Gesamtkosten von gut 6000 Euro fast
dreimal teurer war als eine Laserbehand-
lung. „Aber wenn ich ausrechne, was
Brillen und Sonnenbrillen mich in den
nächsten Jahrzehnten gekostet hätten,
war es eine vernünftige Investition.“
Von dem Implantat im Auge spürte
Anja Blaszczyk in den eineinhalb Jah-
ren seit dem Eingriff nie etwas. Ganz
ohne Brille geht es allerdings noch immer
nicht. Weil ihre Hornhautverkrümmung
nicht vollständig ausgeglichen werden

konnte, trägt sie beim Arbeiten eine
leichte Lesebrille. „Die stört mich aber
nicht. Wenn es für mich wichtig ist, bin
ich ja brillenfrei.“
Bei den phaken Linsen gebe es einen
großen Vorteil, sagt Augenarzt Will: „Die
natürliche Augenlinse bleibt erhalten.
Und nur die ist von Natur aus flexibel, um
sich beim Nahsehen scharf zu stellen.“
Kunstlinsen bringen sowohl bei Alters-
weitsichtigkeit als auch bei grauem Star
jedoch immer bessere Ergebnisse. Bei den
herkömmlichen Katarakt-Operationen
setzen die Ärzte am häufigsten Mono-
fokallinsen ein. Diese zahlt die Kran-
kenkasse. Monofokallinsen erzeugen
einen Brennpunkt auf der Netzhaut und
ermöglichen dadurch scharfes Sehen nur
in einer bestimmten Entfernung, je nach
Bedarf in der Ferne oder in der Nähe.
Mittlerweile erhalten viele Patienten
deren Weiterentwicklung, Trifokallinsen,
die über drei Brennpunkte verfügen und
so eine optimale Sicht im Nah-,
Zwischen- und Fernbereich
bringen sollen.
In dieser Vielseitigkeit
liegt freilich auch der
Nachteil der Trifokal-
linsen. Weil sie meh-
rere unterschiedli-
che Brechstärken ha-
ben, bekommt das
Gehirn gleichzeitig
mehrere Bilder und
muss sich das richti-
ge für die unterschied-
lichen Sehbereiche aus-
suchen. Das kann automa-
tisch funktionieren, klappt
aber nicht bei allen Patienten.
Meist erzielen Trifokallinsen
einen schlechteren Kontrast
und eine etwas geringere
Sehschärfe als Monofokallin-
sen. Zudem sehen ihre Träger
häufig schlechter in der Däm-
merung und in der Dunkel-
heit. Manche Patienten neh-
men dann Ringe, sogenannte
Halos, um Lichtquellen wahr.
Gute Ärzte legen daher Wert darauf, die
Sehfähigkeiten der Patienten sorgfältig
zu messen und sie ausführlich zu beraten.
Zu den Voraussetzungen, die für eine Tri-
fokallinse sprechen, zählt, dass die Pupil-
le bei starkem Licht nicht zu eng wird, die
Hornhaut nicht zu unregelmäßige Struk-
turen aufweist und keine Altersdegene-
ration auf der Netzhaut vorliegt. Eduard
Haefliger, Klinikgründer der Vista Grup-
pe in der Schweiz: „Der Arzt muss genau
herausfinden, was dem Patienten

»Wir befinden
uns auf dem
Weg zu einer
personalisier-
ten Augen-
chirurgie«

Burkhard Dick,
Ruhr-Universität Bochum
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