Focus - 16.08.2019

(Sean Pound) #1

WISSEN


76 FOCUS 34/2019


D


er Kopf des Sehnervs wird zusehends
ausgehöhlt (Foto unten), das Ge-
sichtsfeld verkleinert sich eher von den
Rändern her (oben). Etwa eine Million
Menschen in Deutschland sind von dieser
Augenerkrankung betroffen. Auch sie
profitieren von den neuen, präzisen
Methoden. Helfen Medikamente nicht, den
oftmals zu hohen Augendruck zu senken,
wendet etwa Nils Loewen an der Univer-
sitäts-Augenklinik in Würzburg häufig die
Trabektomchirurgie an. Dabei öffnet er
minimalinvasiv einen Kanal im Auge, durch
den Kammerwasser abfließen kann. Loe-
wen: „Das ist, als wenn Sie einen Sieb-
träger im Abfluss entfernen. Danach läuft
alles wieder gut ab.“ Der verhängnisvolle
Druck im Auge sinkt. Seine Patientin
Susanne Rehm hat schon eine herkömm-
liche Operation gegen ihr Glaukom hinter
sich. Sie ist ihr in schlechter Erinnerung.
„Das war eine große OP mit Vollnarkose.
Ich konnte danach mehrere Wochen nicht
Auto fahren und bekam über einen länge-
ren Zeitraum immer wieder Spritzen ins
Auge, die extrem unangenehm waren.“
Weil der Augendruck danach stieg, ließ sie
im April ein Auge von Loewen behandeln,
das zweite soll folgen. „Der Eingriff hat
keine fünf Minuten gedauert, und ich war
sofort wieder fit.“ Den Augeninnendruck
kann man vorsorglich messen lassen. n

wichtig ist. Handelt es sich um einen
Akademiker, der gern liest und deshalb
auf den Nahbereich besonders angewie-
sen ist, oder um einen Naturfreund, dem
das Sehen in die Ferne viel bedeutet? Es
gibt keine Linse, die allen passt.“
Armin Scharrer, Vorsitzender des Bun-
desverbands Deutscher Ophthalmochi-
rurgen, hat in seinem Leben mehr als
45 000 Augenoperationen durchgeführt
und sich selbst schon die Linsen ausge-
sucht, die er einsetzen lassen will, sobald
der graue Star kommt. Er ist begeistert
von den sogenannten EDoF-Linsen. Die
Abkürzung steht für Enhanced Depth of
Focus, also verbesserte Tiefenschärfe.
EDoF-Linsen wirkten wie eine implan-
tierte Gleitsichtbrille, schwärmt Scharrer.
Mit ihnen könnten Patienten „perfekt“ in
der Ferne und „sehr gut“ in einer mittle-
ren Entfernung zwischen 50 und 100 Zen-
timeter sehen. „In diesem Bereich lassen
sich auf dem Smartphone Nachrichten
lesen und E-Mails schreiben, und man hat
Tablet, Laptop oder den PC-Monitor glas-
klar vor Augen.“ Die Gleitsicht-Kunst-
linsen seien „die ideale Lösung für das
Leben im digitalen Zeitalter“. Allenfalls
für das Lesen sehr kleiner Schriften sei
dann manchmal noch eine leichte Lese-
brille nötig.


Eine neue Chance bei Linsentrübung


Viele Patienten sind bereit, die Neben-
effekte von Multifokallinsen in Kauf
zu nehmen. Ein 50-Jähriger aus
Dresden, der bisher eine
dicke Brille tragen musste
und seit dem Frühjahr
eine zweite Linse im
Auge hat, räumt ein:
„Ich fahre nachts
eben nicht mehr
Auto, weil mich ent-
gegenkommende
Lichter blenden.“
Aber diesen Preis
zahle er gern.
Multifokallinsen wie-
sen in seinem Segment
die höchsten Zuwachsraten
auf, sagt Ralf-Christian Lerche,
Präsident des Verbands der
Spezialkliniken Deutschlands
für Augenlaser und Refraktive
Chirurgie. Auch Patienten, bei
denen der Arzt einen grauen
Star diagnostiziert, erkennen
die Chance, selbst wenn sie
dafür mehrere Tausend Euro
bezahlen müssen, weil die
Krankenkassen nur für mono-
fokale Linsen aufkommen.


Angesichts einer älter werdenden Be-
völkerung rechnet Augenchirurg Lerche
mit einem steigenden Interesse an der
Implantation der neuen Linsen. Im
asiatischen Raum seien bereits fast
80 Prozent der Menschen kurzsichtig,
für Deutschland schätzen Experten, dass
schon die Hälfte der Jugendlichen in der
Ferne schlecht sieht. „Weil wir immer
mehr Zeit mit der Nahsicht auf Tablets
oder Handys verbringen und wir unsere
Augen immer seltener im Tageslicht ent-
spannen, nehmen die Fehlsichtigkeiten
perspektivisch zu – und damit die Nach-
frage nach Alternativen zur Brille.“
Auch der Berliner Augenarzt Carl Erb
nutzt minimalinvasive Methoden. Er sagt,
insgesamt sei das Arbeiten in der Augen-
chirurgie in den vergangenen Jahren
„deutlich präziser geworden“ – moder-
ne Laser erlaubten eine weitaus klei-
nere Schnittführung als früher, und die
weiterentwickelten Linsen vergrößerten
das Angebot für Patienten. „Dabei erset-
zen die neuen Methoden nicht die alten,
sondern bieten zusätzliche Möglichkeiten
zu den bekannten, die ihre Berechtigung
behalten.“
Er sieht die neue Vielfalt aber auch
skeptisch. „Es ist eine Herausforderung,
aus der Menge an Optionen die richtige
herauszusuchen – für den Arzt wie für
den Patienten.“ Man könne eine einmal
eingesetzte Linse zwar wieder entfernen,
wenn der Patient damit nicht zurecht-
komme, „aber schön ist das nicht
und beileibe keine einfache
Operation“.
Nach Linsen, die in
ihrer Funktion der
natürlichen so nahe
wie möglich kom-
men, wird weiter
geforscht. In der
Universitäts-Augen-
klinik Bochum etwa
erprobt Klinikdirektor
Burkhard Dick licht-
adjustierbare Linsen.
Sie bestehen aus einem
Material, das auf UV-Licht
reagiert. Noch einige Wochen
nach der Implantation lässt
sich durch gezielte Bestrah-
lung diese Kunstlinse um bis
zu drei Dioptrien plus oder
minus verändern. So wird der
Traum vom Leben ohne Brille
doch noch wahr. „Phänome-
nal“ sei das, sagt Dick. „Damit
sind wir auf dem Weg zu
einer personalisierten Augen-
chirurgie.“ n

Glaukom


Schädigung des Sehnervs
Hoher Augendruck steigert das
Risiko, an grünem Star zu erkranken

»Nach der
neuen
Glaukom-
Operation
sinkt der
Druck im
Auge«

Nils Loewen, Universitäts-
klinik Würzburg
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