Der Spiegel - 17.08.2019

(singke) #1

gen, dann sind es zwei jeweils 1230 Kilo-
meter lange Stahlröhren. Sie sollen sich
am Boden der Ostsee vom russischen Wy-
borg nach Lubmin in Mecklenburg-Vor-
pommern ziehen. Schon im kommenden
Jahr könnte durch die Nord-Stream-2-
Pipeline Gas aus dem Norden Russlands
strömen und Millionen deutsche Haushal-
te heizen.
Doch Trump will das Projekt um jeden
Preis verhindern. Vor allem auf die däni-
sche Regierung übt Washington Druck aus,
weil sie mit der nötigen Genehmigung für
den Bau eines Abschnitts der Pipeline den
Schlüssel für das gesamte Projekt in der
Hand hält.
Im September reist Trump nach Kopen-
hagen. Selbst wenn Dänemark dem ame-
rikanischen Druck standhält, werden die
Amerikaner weiter gegen das
Projekt kämpfen. Sie drohen
mit Sanktionen gegen die
Mitglieder des Konsortiums.
»Die Sanktionen können je-
derzeit scharf gestellt wer-
den«, sagt der Wirtschafts -
experte der Union, Joachim
Pfeiffer, »sie hängen wie
ein Damoklesschwert über
den Beziehungen zwischen
Deutschland und den USA.«
Öffentlich behauptet der
Präsident, die Deutschen soll-
ten Nord Stream nicht bauen,
weil sonst die Abhängigkeit
von Russland wachse. »Wir
schützen Deutschland vor
Russland, und Russland be-
kommt Milliarden und Aber-
milliarden Dollar von Deutsch-
land«, sagt er. Doch in ihren
Gesprächen mit der Bundesregierung geben
Mitglieder der US-Regierung unverblümt
zu, dass es auch um eigene Wirtschaftsinte-
ressen geht: Die Deutschen sollen Flüssiggas
aus Texas kaufen, nicht Erdgas aus Sibirien.
Auf seiner letzten USA-Reise im Juli
versuchte Wirtschaftsminister Peter Alt-
maier (CDU), seine Gesprächspartner zu
besänftigen. Man werde einen Hafen für
Flüssiggas-Tanker in Brunsbüttel bauen.
Für amerikanisches Gas gebe es einen ex-
zellenten Markt, selbst wenn Nord Stream
ans deutsche Gasnetz angeschlossen wer-
de. Der amerikanische Handelsbeauftrag-
te Robert Lighthizer hörte sich geduldig
an, was Altmaier sagte. Mehr nicht. Der
Minister flog ratlos nach Hause. »Trump
sieht die Europäische Union fast aus-
schließlich als ökonomische Konkurrenz«,
sagt Biden-Berater Burns. »Das ist ein
schwerer Fehler. Jeder Präsident seit Tru-
man hat das europäische Projekt gefördert,
weil ein Erfolg Europas im amerikanischen
Interesse liegt.«
Nicht besser als den Investoren von
Nord Stream ergeht es den Managern der


deutschen Autoindustrie. Seit mehr als ei-
nem Jahr versetzt Trump die Bosse von
Daimler, BMW und Volkswagen in Angst
und Schrecken. Trump brachte sie sogar
dazu, kollektiv im Weißen Haus anzutre-
ten – in der Hoffnung, Strafzölle auf deut-
sche Autos zu verhindern.
Der scheidende EU-Kommissionspräsi-
dent Jean-Claude Juncker hatte im Som-
mer vergangenen Jahres mit Trump ver-
einbart, dass man ein Industriezollabkom-
men aushandeln werde, das auch die Frage
von Autozöllen klären soll. Bis dahin, so
sicherte ihm Trump zu, werde er keine Ein-
fuhrsteuer erheben. Im November läuft
diese Zusage aus. Noch immer verhandelt
die EU-Kommission mit der US-Adminis-
tration über die Modalitäten der Zollge-
spräche, bislang mit wenig Erfolg. In der

Bundesregierung macht man sich wenig
Hoffnung, dass Trump im anstehenden
Kampf um das Weiße Haus auf den Kam-
pagnenschlager Autozölle verzichten wird.
»Um den Launen Trumps nicht ausgelie-
fert zu sein, muss Deutschland im Kampf
um den Freihandel eine Führungsrolle in
Europa übernehmen, damit Brüssel eine
Koalition der Multilateralisten schmieden
kann«, sagt auch CDU-Wirtschaftsmann
Pfeiffer.
In Berlin hegen immer noch viele die
Hoffnung, dass nach dem Ende der Ära
Trump die guten alten Zeiten der transat-
lantischen Zusammenarbeit zurückkehren
werden. Doch das könnte sich als Illusion
erweisen. »Die USA werden nicht so blei-
ben wie unter Trump, aber sie werden nie
wieder so sein, wie sie vor ihm waren«,
sagt Gabriel.
Tatsächlich teilen die Demokraten viele
Kritikpunkte Trumps. Washington würde
also selbst dann ein unbequemer Partner
bleiben, wenn im kommenden Jahr ein
Demokrat ins Weiße Haus gewählt wer-
den sollte. Trump hat in seiner ganzen

brutalen Offenheit klargemacht, dass die
USA nicht mehr bereit sind, für Europa
zu zahlen. Auch die Demokraten werfen
die Frage der Militärausgaben auf. Und
selbst Biden-Berater Burns findet, die
Deutschen hätten sich an einer Militär -
aktion in der Straße von Hormus beteili-
gen sollen.
Für die Deutschen ist Trump auch zu
einer bequemen Ausrede geworden. Was
er sagt, wird reflexartig abgelehnt. Das gilt
sowohl für die Militärmission in der Straße
von Hormus als auch für das Zwei-Pro-
zent-Ziel der Nato. »Die Deutschen müs-
sen sich endlich von der Idee verabschie-
den, dass sie auf ewig eine Art riesige
Schweiz in der Mitte Europas bleiben kön-
nen«, sagt Peter Rough vom konservativen
Hudson Institute.
Robert Kagan, der schon
zwei republikanische Präsi-
dentschaftskandidaten bera-
ten hat und nun bei der
Washingtoner Brookings
Insti tution arbeitet, hat im
Mai einen aufsehenerregen-
den Aufsatz veröffentlicht.
Er schrieb, dass die deutsche
Frage, die zu zwei Weltkrie-
gen geführt hat und zu Mil-
lionen Toten, wieder auf die
Tagesordnung rücken könn-
te. Amerikas Engagement in
Europa sei ein Garant gegen
deutsches Hegemoniestre-
ben gewesen.
Amerika, so argumentiert
Kagan, habe nach 1945 ein
stabiles Europa garantiert, in-
dem es für ökonomische und
militärische Sicherheit sorgte,
für Demokratie warb und nationalistische
Tendenzen unterdrückte. »Trump aber be-
feuert den Nationalismus und unterstützt
rechte Parteien in ganz Europa«, sagt
Kagan. »Außerdem zerstört er den freien
Welthandel, von dem der wirtschaftliche
Erfolg Deutschlands wesentlich abhängig
ist.«
Was also tun? »Ich wünschte, ich hätte
darauf eine Antwort«, sagt Kagan. Der Er-
folg Europas nach dem Zweiten Weltkrieg
hänge eng zusammen mit der Unterstüt-
zung der USA. »Ich weiß nicht, wie dieser
Erfolg fortgesetzt werden kann, wenn die
USA nicht mehr gewillt sind, diese Unter-
stützung zu gewähren.«
Matthias Gebauer, Christiane Hoffmann,
René Pfister, Gerald Traufetter
Twitter: @HoffmannSpiegel, @rene_pfister

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