Der Spiegel - 17.08.2019

(singke) #1
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Aus dem Herbst 89 gibt es allerdings auch verdrängte
Bilder, die wenig zur demokratischen Erbauung taugen:
Bereits kurz nach dem Mauerfall versuchten Rechts -
radikale, die friedliche Revolution zu kapern. Einzelne
Trupps westdeutscher Neonazis reisten über die geöffnete
Grenze. Die Republikaner, die damals in der Bundes -
republik bedeutends te Partei am rechten Rand, verteilten
bei Montagsdemonstrationen Flugblätter, in denen
die »Altparteien Westdeutschlands« als Versager und
Kollaborateure mit den »kommunistischen Diktaturen«
beschimpft wurden. Jetzt spreche »in der DDR das Volk
und gibt den Republikanern recht«.
Bei Teilen der DDR-Demonstranten traf die rechte Pro-
paganda auf einigen Widerhall. In der Münchner Partei-
zentrale gingen im Winter 1989/90 Mitgliedsanträge aus
dem Osten ein, bis Februar 1990 konnten die Republika-
ner mehrere Ortsvereine in der noch existierenden DDR
gründen. Dann verbot die Volkskammer den Reps jegli-
che politische Tätigkeit auf dem Gebiet der DDR.
Manche, die während der friedlichen Revolution noch
auf Abstand zu den Rechtsextremen blieben und Helmut
Kohl zujubelten, fingen 25 Jahre später wieder an, als
»Volk« zu demonstrieren, montags in der schmucken
Kulisse der alten Fürstenstadt Dresden. Diesmal ging es
gegen Kohls Erbin Angela Merkel und darum, ihr eigenes


trübes Deutschlandbild zu retten. Schon die Initiatoren
der fremdenfeindlichen Pegida-Märsche beriefen sich auf
die friedliche Revolution.

D


aran knüpft die AfD nahtlos an und trifft offen-
kundig im gesamten Osten einen Nerv. Jede
Opposition lebt von Kritik, hier wird sie zur
Systemkritik. Die Berliner Republik wird mit den
diktatorischen Zuständen in der DDR gleichgesetzt. Der
emeritierte Politikprofessor Eckhard Jesse nannte das
jetzt in der »Bild«-Zeitung »unhistorisch«. Jesse meinte,
diese Art der Kampagne müsste eigentlich »der AfD sehr
schaden«, weil sie »die friedliche Revolution verhöhnt«.
Diese Empörung ist nachvollziehbar, greift aber
wohl zu kurz. Drei Jahrzehnte nach der welthistorischen
Wende wäre es vielleicht zielführender, sich mit dem
Gedanken anzufreunden, dass eine der Wurzeln des AfD-
Erfolgs im Osten zurück bis 1989 reicht. Die DDR wurde
auch von Menschen zu Fall gebracht, die heute Politiker
wählen, deren Demokratieverständnis dem von Auto -
kraten ähnelt. Von Menschen, die ohne Scham gemein-
sam mit Neonazis demonstrieren und in gepflegten Lese-
stuben Neurechte hofieren, die man früher einfach
Faschisten genannt hat. 

Deutschland

ELLERBROCK & SCHAFFT
Montagsdemonstranten im Januar 1990 in Leipzig
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