Der Spiegel - 17.08.2019

(singke) #1

innerhalb der Polizei vertreten Beamte
verschiedene Theorien.
Nach der Tat sind sich die Fahnder
schnell sicher: Dort, wo er gefunden
wurde, könne Gross nicht tödlich verletzt
worden sein. An den Schuhen des Opfers
klebte keinerlei Schmutz, der Fußweg von
der Autowerkstatt zum Fundort ist jedoch
nass und dreckig. Auch einen Raubmord
schlossen die Ermittler aus. Der Manager
hatte noch seine Geldbörse mit mehr als
9000 DM in bar, die teure Armbanduhr
und sein Handy dabei. Mit dem Bargeld
habe er die Reparatur des Kleinlasters
bezahlen wollen, sagt sein Bruder.
War es vielleicht gar kein Kapitalverbre-
chen, sondern ein Unfall? Ein Neurochirurg
und ein Radiologe, die den Schwerverletz-
ten behandelten, legen sich übereinstim-
mend auf eine Gewalteinwirkung gegen
den Oberkörper und den Kopf fest, und
zwar von hinten rechts. Das sind Befunde,
die sich laut Kriminalrat Ellrich »zwanglos
in ein Unfallgeschehen einordnen« lassen.
Demnach könnte der Manager von einem
Lastwagen angefahren worden sein.
Professor Dieter Krause, damals Chef
der Rechtsmedizin an der Universität
Magde burg, kommt zu einem anderen Er-
gebnis. Er geht in seinem Gutachten zwar
auch von »starker, quetschender Gewalt«
auf den Oberkörper aus. Die Kopfverlet-
zungen führt er jedoch nicht auf einen Ver-
kehrsunfall, sondern auf Hiebe »mit einem
stumpfen, harten Gegenstand« zurück.
Was zu der Vermutung führte, Gross sei
zwar möglicherweise von einem Lkw über-
rollt oder eingeklemmt worden. Davor
oder danach sei ihm jedoch wahrscheinlich
der Schädel eingeschlagen worden.


Aber warum?Zur Trauerfeier von Gross
kamen mehr als 2000 Menschen. »Er war
unser achter Spatz«, sagt Norbert Rier, der
Sänger der Gruppe. Zurück blieben die
Ehefrau und vier schulpflichtige Kinder.
»Ich habe lange gebraucht, um das zu
verarbeiten«, sagt Stefan Gross, der zweit-
jüngste Sohn, damals neun Jahre alt. Seine
Kindheit sei mit einem Schlag vorbei ge-
wesen. Mit 19 besuchte er zusammen mit
seinen Geschwistern jenen Ort in Magde-
burg, an dem sein Vater tödlich verletzt
entdeckt worden war. Jetzt, mit 30, glaubt
er fest, »dass früher oder später raus-
kommt, wer das war«. So lange, versichert
er, »wird die Familie keine Ruhe geben«.
Zunächst geraten die sieben Kastel -
ruther Musiker selbst ins Visier der Ermitt-
ler. »Die haben anfangs nur die Band ver-
dächtigt«, sagt Albin Gross. Die Volksmu-
sikanten seien stundenlang vernommen
worden. Ob es Streit um Frauen gegeben
habe oder um Geld? »Dabei wurde viel zu
viel Zeit vergeudet«, sagt Albin Gross.
Die Kripo ist anfangs noch zuversicht-
lich, den Tod des Managers ruck, zuck


aufzuklären. Albin Gross erinnert sich an
die Aussage eines Kripobeamten: »Fah-
ren Sie nach Hause, begraben Sie Ihren
Bruder, und lassen Sie uns unsere Arbeit
machen. Wir haben das in ein paar Tagen
geklärt.«
Schon früh kursieren Gerüchte. Da ist
von Erpressungsversuchen durch die rus-
sische Mafia die Rede. Von Rachefantasien
eines Ex-Managers, der gefeuert wurde.
Von Drohungen eines Ehemanns, der sei-
ner Frau ein Verhältnis mit dem smarten
Sänger der Gruppe unterstellt und Gross
mit dem Musiker verwechselt habe.
Auf Fahndungsaufrufe, in denen die
hohe Belohnung erwähnt wird, melden
sich Wahrsager, Esoteriker, Kartenleger.
Die Polizei geht allen Hinweisen nach, ob-
gleich dies, wie ein Beamter notiert, »kri-
minalistisch irrsinnig erscheint«.
Bruder Albin Gross trifft sich mit einem
ehemaligen Gefängnisinsassen aus Leipzig,
der gegen ein Honorar die Lösung ver-
spricht. Der Mann denunziert drei ehema-
lige Mithäftlinge. Die waren aber, stellt die
Kripo fest, beim Tod von Karlheinz Gross
zu jung, um als Täter infrage zu kommen.
Am Ende ermitteln die Beamten vor al-
lem in drei Richtungen: gegen den Fanklub,
die Werkstatt und den Lkw-Fahrer, der den
Verletzten fand, und seinen Chef.
Einer der Ersten, die unter Verdacht
geraten, ist ein begeisterter Anhänger der
Kastelruther Spatzen, der zusammen mit
seiner Ehefrau den Magdeburger Fanklub
der Gruppe leitet. Das Paar hat in seiner
Wohnung ein Zimmer mit Souvenirs voll -
gestopft, Pappherzen, Plakate, Stapel
von Zeitungsausschnitten. Bei Konzerten
stürmt die Ehefrau immer wieder zur Büh-
ne, bringt den Bandmitgliedern selbst ge-
bastelte Geschenke, lässt sich auch von
Bodyguards kaum aufhalten.
Das Paar fährt die 800 Kilometer lange
Strecke zur Beerdigung des Managers nach
Südtirol, legt am Grab einen Kranz mit
90 dunkelroten Rosen nieder. Unter Ver-
dacht gerät der Fan trotzdem, er war mit
dem Manager im Clinch. Klubmitglieder
hatten sich über zu hohe Beiträge, wüste
Beschimpfungen und die Diskriminierung
eines behinderten Fans beklagt. Karlheinz
Gross hatte den Fanklubchef daraufhin
abgesetzt. Er und seine Frau reagierten be-
leidigt. Vor Zeugen soll er heftige Drohun-
gen gegen den Manager ausgestoßen haben,
Albin Gross erinnert sich an lautstarke
Wortwechsel zwischen seinem Bruder und
dem Fan.

Der Kripo fällt zudem auf: Der Mann
taucht am Morgen nach dem Drama als
einer der Ersten am Fundort auf. Er kennt
sich als Lkw-Fahrer auf der abgelegenen
Steinkopfinsel aus. Er macht sich mit im-
mer neuen Theorien über den Tatverlauf
wichtig. Ermittler durchsuchen sein Auto,
fotografieren ihn, nehmen ihm Finger -
abdrücke ab. Um die Zeit, als der Manager
schwer verletzt wurde, habe er zu Hause
Bier und »Braunen« getrunken, »bis ich
total besoffen war«. Frau und Sohn be -
stätigen dieses Alibi.

Ebenfalls verdächtig:Mitarbeiter der
Werkstatt, in der der Kleinlaster repariert
werden sollte. In der großen Werk halle,
ausgelegt für Trucks, wird der Manager
zum letzten Mal unversehrt gesehen. Dort
hat er, bis auf einen kurzen Ausflug zu
McDonald’s, praktisch den ganzen Tag ver-
bracht. Und zwar zunehmend genervt.
Die Mechaniker haben zunächst ein
neues Getriebe eingebaut, doch das Ge-
räusch ist nicht weg. Gross, früher Busfah-
rer, tippt auf ein defektes Radlager rechts.
Stattdessen wird in stundenlanger Arbeit
die Kardanwelle ausgetauscht. Vergebens,
wie sich bei einer Probefahrt herausstellt.
Die Frühschicht macht Feierabend.
Als neue Monteure sich endlich am
Radlager zu schaffen machen, lässt der
Ma nager sie nicht mehr aus den Augen.
Er klettert selbst in die Fahrzeuggrube,
ignoriert Warnhinweise. »Er war höchs-
tens ein, zwei Meter hinter uns«, sagt ein
Mechaniker bei der Polizei, »er sah uns
ständig auf die Finger.« Zeugen schildern
ihn als unruhig und zornig.
Auch den anderen Gesellen, die am
Freitagnachmittag noch arbeiten, ist der
Kunde lästig, der an ihrem Arbeitsplatz
umherläuft: Sie wollen noch in der Arbeits-
zeit in Ruhe das Dosenbier trinken, das
einer ihrer Kollegen spendiert hat. Zwar
ist das streng verboten, einige machen es
dennoch, versteckt in den Gruben, zwi-
schen ihren Handgriffen am Lkw.
Währenddessen läuft der Betrieb weiter.
Lastwagen und Gabelstapler rangieren auf
engstem Raum, zwei polnische Fahrer war-
ten auf die Reparatur ihrer Fahrzeuge.
Weil klar ist, dass der Transporter nicht
fertig wird, ordert Manager Gross zu-
nächst einen Mietwagen, lässt sich dann
jedoch eine Zugverbindung nach Nürn-
berg heraussuchen. Die Demontage des
Radlagers wartet er noch in der Werkstatt
ab. »Eben haben sie es geschafft«, meldet
er um 16.40 Uhr einem Mitarbeiter sei-
nes Teams per Telefon. Dann verliert sich
seine Spur.
»Ich wollte ihm noch das defekte Rad -
lager zeigen«, erinnert sich ein Monteur
bei der Polizei, »aber plötzlich war er
weg.« Auch keiner seiner Kollegen will
den bis dato so umtriebigen Kunden mehr

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Deutschland

»Wir konnten nichts
nachweisen – wir sind
aber auch nicht von der
Unschuld überzeugt.«
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