Runner's World

(Jacob Rumans) #1

Mein längster Lauf(2)


Laufen ist das eine, aber es gibt wichtigere Dinge im Leben – das musste unser Kolumnist in den letzten Wochen
erfahren, als seine Frau ins Koma fiel. Er möchte diesen Lauf ausdrücklich mit den Lesern teilen

KRÄMER

E


in bisschen Kopfweh ...“ Das
waren die Worte meiner Frau,
als sie sich um 21:40 Uhr von
einem heftigen Schluckauf und
kurzzeitiger Atemnot wieder erholt hatte.
Sie wollte ein Aspirin, und ich gab es ihr.
Versuchte den Großbrand, der in ihrem
Kopf tobte, mit fünf Litern Superbenzin
zu löschen. Hinterher ist man immer
schlauer ... Danach gingen wir zu Bett. Sie
schlief ruhig und unauffällig, während
das Blut aus einem geplatzten Aneurysma
langsam ihr Gehirn flutete. Am Morgen
war sie dann nicht mehr ansprechbar.
★ ★ ★
Panik! 112! Martinshorn! Flackernde Blau-
lichter vor unserem Haus! Trampelnde
Schritte im Treppenhaus! Vier Mann mit
roten Jacken schleppen ihr Equipment in
unser Schlafzimmer. Verschlüsse schnap-
pen, Klettbänder ratschen, sterile Ver-
packungen rascheln, ich stehe benommen
am Rand. Meine Frau, umringt von Ret-
tungsassistenten und dem Notarzt, sitzt
mit abwesendem Blick auf der Bettkante.
Wie klein sie ist, denke ich. Wie schmal
und zerbrechlich wirkt sie in diesem
Drama aus halblauten Anweisungen und
der ruhigen, aber dennoch drängenden
Stimme des Notarzts: „Hallo? Frau
Krämer? Frau Krämer, hören Sie mich?
Reden Sie mit mir! Frau Krämer?“ Doch
meine Moni spricht nicht mehr.
Es ist Donnerstag, der 30. Januar


  1. Morgen habe ich Geburtstag...
    Im Krankenhaus wurde ein CT ge-
    macht, das die professionelle Routine,
    mit der meine Frau bisher betreut wurde,
    fortwehte wie Blätter im Wind.
    „Wir haben eine massive Blutung im
    Gehirn“, berichtete die Aufnahmeärztin
    atemlos. „Folgen Sie mir, wir dürfen keine
    Zeit verlieren!“ Das Bett mit meiner Frau
    wurde im Eiltempo in die Stroke Unit
    (Schlaganfall-Station)geschoben. Die
    schwere Rolltür schloss sich mit einem
    endgültig wirkenden, dumpfen Laut hin-
    ter wehenden Kitteln. Ich erhaschte noch


Besuchen Sie den Autor auch auf seiner
Homepagekraemer-krimi.de

einen schnellen Blick auf eine blonde
Strähne. Mehr war nicht zu sehen unter
der Maske und den grünen Tüchern.
Ich sackte auf einem der gepolsterten
Stühle zusammen. Fünf Minuten später
öffnete sich das Höllentor einen Spalt,
und ein junger Assistenzarzt reichte mir
ihre Uhr, ihren Ehering und ihr Arm-
band. Er sah mich ernst an und sagte:
„Wir reanimieren. Es sieht nicht gut aus,
Herr Krämer. Tut mir leid. Wenn sie es
schafft, wird sie nach Heidelberg in die
Uni-Klinik verlegt.“ Ich nicke, ohne seine
Worte zu begreifen, starre auf die kleinen
Metallteile in meiner Hand. Wie winzig ...
wie für ein kleines Kind ... In Filmen
kommt spätestens jetzt die barmherzige
Schwarzblende, und in der nächsten Szene
sieht man beide Protagonisten lachend
einen tropischen Strand entlanglaufen.
Untertitel: „Drei Monate später ...“ Doch
dies ist nicht RTL oder Pro7. Dies ist das
richtige Leben. Die schwere Stahltür rollt
auf, das Transportteam rollt eine mit
Apparaten vollgehängte Bahre heraus. Ich
haste neben ihnen her, dicht hinter mir
trabt einer mit einem Rucksack, von dem
aus Schläuche zu meiner Frau führen.
Das Lebenserhaltungssystem. Draußen
muss ich zurückbleiben. Routiniert schie-
ben die Männer die Bahre in den Ret-
tungswagen. Ich schaue ein letztes Mal in
das blasse Gesicht meiner Frau. Ein letz-
tes Mal? Türen klappen, der Motor startet.
★ ★ ★
Mein Handy klingelt! Sascha. Ach ja, heute
wollten wir einen kleinen Lauf machen ...
Ich gehe ran. Da setzt das ohrenbetäu-
bende Pressluftsignal des Rettungswagens
ein. Ich stecke das Handy wieder ein. Ein
kleiner Lauf? Tut mir leid, Sascha, aber
ich bin schon allein unterwegs. Auf dem
längsten Lauf meines Lebens. Ich muss
sie einholen, meine Frau. Einholen oder
MANFRED KRÄMER(58), wenigstens mit ihr gehen ...
Lkw-Fahrer und Krimiautor aus der Pfalz,
wurde RUNNER’S-WORLD-Lesern vor allem
durch seine einzigartige Kolumnenserie
„Die Marathonne“ bekannt

Danach gingen
wirzuBett.
Sie schlief ruhig
und unauffällig,
während das
Blut aus einem
geplatzten
Aneurysma lang-
sam ihr Gehirn
flutete.Am
Morgen war sie
dann nicht mehr
ansprechbar

32 RUNNERSWORLD.DE • 7 / 2014 圀漀爀氀搀䴀愀最猀⸀渀攀琀圀漀爀氀搀䴀愀最猀⸀渀攀琀 ILLUSTRATION:SEAN MCCABE


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