Die Welt Kompakt - 13.08.2019

(Barré) #1

12 WIRTSCHAFT DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT DIENSTAG,13.AUGUST


Z


um Hier-Essen oder
zum Mitnehmen?“
Diese Frage zählt
deutschlandweit in
Imbissstuben, Bäckereien und
Cafés zu den meistgestellten.
Häufig werden Snacks oder
Heißgetränke mitgenommen,
und oft landet die Verpackung
Minuten später irgendwo im
Park oder auf dem Bürgersteig.
Mobiler Verzehr gilt als eine
der Hauptursachen für das
Vermüllungsproblem in den
Städten.

VON MICHAEL GASSMANN

Die Mainzer Stadtentsorger
haben genau nachgerechnet:
2018 mussten die Stadtreini-
gung die Straßenpapierkörbe
80.000 mal öfter leeren als
noch fünf Jahre zuvor. Deren
Inhalt und der im öffentlichen
Raum zusammengefegte Keh-
richtberg wuchsen um 120 Ton-
nen – und zwar nur in dieser
Stadt. Der Mainzer Oberbür-
germeister Michael Ebling saß
am Montag neben Bundesum-
weltministerin Svenja Schulze
(SPD), als beide gemeinsam ei-
nen Plan gegen die Vermüllung
ankündigten. Ebling ist zu-
gleich Präsident des Verbandes
kommunaler Unternehmen
(VKU) und spricht in dieser Ei-
genschaft für Städte, Kreise
und Gemeinden. „Die Kosten
der Stadtreinigung werden bis-
her über Straßenreinigungsge-
bühren und die kommunalen
Haushalte finanziert“, sagte er
und forderte „mehr Verursa-
chungsgerechtigkeit“.

In manchen Städten habe der
Trend zu Wegwerfartikeln eine
regelrechte Müllflut ausgelöst,
konstatierte Schulze. Für die
Kommunen werde es immer
schwieriger, Straßen, Plätze
und Parks sauber zu halten.
„Die Kosten dafür trägt bisher
die Allgemeinheit“, beklagte die
Ministerin. Doch das soll sich
jetzt ändern. Die Hersteller von
Fast-Food-Verpackungen, Ge-
tränkebechern, leichten Kunst-
stofftragetaschen und Zigaret-
tenfiltern sollendemnächst ei-
nen Teil der Beseitigungskosten
aufgebürdet bekommen.
Bereits kurz zuvor hatte
Schulze einen zweiten Vorstoß
in Sachen Abfallreduzierung
angekündigt. Plastiktüten sol-
len danach gänzlich verboten
werden. Zwar gestand die Poli-
tikerin zu, dass eine freiwillige
Vereinbarung mit dem Einzel-
handel dazu geführt habe, dass
die Zahl der Plastiktüten seit
2016 um zwei Drittel gesunken
sei. Das genüge aber nicht. Die
Händler reagierten irritiert.

„Die Ankündigung eines Ver-
bots hat uns überrascht“, sagte
Kai Falk, Geschäftsführer beim
Handelsverband Deutschland
(HDE). Der Handel habe mit
der freiwilligen Vereinbarung
Wort gehalten. HDE-Chef Ste-
fan Genth sprach von einer
„reinen Symbolpolitik“. Unter-
stützung erhielt der Verband
von der CDU-Chefin. Annegret
Kramp-Karrenbauer forderte
ebenfalls, zunächst weiter auf
Freiwilligkeit zu setzen.
Auch die Entsorgungswirt-
schaft sprach sich gegen ein ge-
nerelles Verbot aus. Das Pro-
blem sei nicht Plastik an sich,
sondern die nicht sachgerechte
Entsorgung der Kunststoffe,
sagte Peter Kurth, Präsident
des Branchenverbandes BDE,
gegenüber WELT. In der ge-
planten Kostenumlage sieht er
vor allem einen Versuch des
Wählerfangs: „In Deutschland
ist es immer populär, vermeint-
lich anonymen Industrieunter-
nehmen Kosten aufzubürden“,
so Kurth. Für die Bürger, das ist

absehbar, würde sich so oder so
ein Nullsummenspiel ergeben.
Sie zahlen die Kosten entweder
über die Verbraucherpreise, in
die die Hersteller mögliche Zu-
satzabgaben einkalkulieren
würden, oder über die Müllge-
bühren, die an die Kommunalen
Entsorgungsbetriebe gehen.
Kurth plädierte für eine „in-
telligente Weiterentwicklung
der Herstellerverantwortung“
statt für eine Zwangsumlage.
Regelwidriges Verhalten der
Verbraucher wiederum solle
man nicht bestrafen, sondern
durch kluge Öffentlichkeitsar-
beit zu verhindern trachten.
Psychologen sprechen von
„Nudging“, also dem Versuch,
das gewünschte Verhalten mit
sanften Anstupsern statt mit
der Knöllchen-Keule zu erzeu-
gen. Die Kommunen versuchen
das bereits. In einigen Stadttei-
len von Köln beispielsweise
führen auffällige neongrüne
Fußspuren zu Abfalleimern an
Straßen und Plätzen. Hamburg
versucht mit einer Art Abfall-
Polizei („Waste Watcher“), der
Vermüllung des öffentlichen
Raums Herr zu werden. Berlin
setzt unter anderem auf Wort-
spiele: „Tempelhöflich“ oder
„Friedrichsrein“ klebt auf man-
chen Müllbehältern.
Viel genutzt hat das aber
nicht. Das Problem des Litte-
ring, also das Wegwerfen oder
Liegenlassen von Abfall, habe in
den letzten Jahren „deutlich
zugenommen, sei es aus Sys-
temgastronomie, Supermärk-
ten oder Einzelhandel“. Zu die-
sem Ergebnis kam schon im
vergangenen Jahr eine Studie
der Berliner Humboldt-Univer-
sität im Auftrag des VKU. Allein
an Pappbechern gehen Studien
zufolge in Deutschland 320.
Stück pro Stunde über diverse
Theken, jährlich ergibt das eine
Menge von 2,8 Milliarden
Stück.
Sozialforscher und Psycho-
logen hatten im Rahmen der
Studie unter anderem Müllsün-
der angesprochen und sich
nach den Gründen für ihr Ver-
halten erkundigt. Sich selbst
entschuldigten viele mit dem
Argument, es sei kein Müllei-
mer in der Nähe zu finden ge-
wesen. Bei anderen vermuteten
sie eher Bequemlichkeit und
mangelnden Respekt vor öf-
fentlichen Einrichtungen.
„Hauptverursacher von Litte-
ring sind junge Erwachsene
zwischen 21 und 30 Jahren“,
stellte Rebecca Gerlach vom In-
stitut für Psychologie der Hum-
boldt-Uni damals fest.
Abgesehen vom Alter zieht
sich der Hang zur Vermüllung
quer durch die gesellschaftli-
chen Gruppen. Signifikante Un-
terschiede nach Geschlecht,
Bildung, Wohnort oder Wohn-
dauer habe man nicht feststel-
len können, hieß es. Räumlich
seien öffentliche Plätze, Geh-
wege, Grillplätze und vor allem
bereits verschmutzte Orte vom
Littering betroffen. Getreu
dem Motto: Wo schon Müll
liegt, kommt noch mehr dazu.

GETTY IMAGES

/ THOMAS LOTTERMOSER

Wer zahlt für die


Vermüllung der Städte?


Umweltministerin Schulze will Hersteller von Pappbechern und


Fast-Food-Schachteln stärker an Entsorgungskosten beteiligen


Plastikmüll to go

Quelle: Umweltbundesamt, StatistaQuelle: Umweltbundesamt, Statista

Verbrauch von Einwegbechern in Deutschland, Mai ���Verbrauch von Einwegbechern in Deutschland, Mai ���
�,� Mrd.
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deckel werden pro Jahr
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pro Jahr verbraucht

... das sind
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pro Kopf

Allein die
kunststoff-
beschichteten beschichteten
Papierbecher Papierbecher
füllen rund...

... � Mio.
Stadtmülleimer
pro Jahr

ARGENTINIEN


Börsenkurse brechen


um 30 Prozent ein


Nach der Schlappe von Argen-
tiniens Staatschef Mauricio
Macri bei der Präsidentschafts-
vorwahl sind die Börsenkurse
des Landes dramatisch einge-
brochen. Der Merval-Index in
Buenos Aires stürzte am Mon-
tag um 30 Prozent ab. Bei der
Vorwahl vom Sonntag war der
wirtschaftsliberale Macri deut-
lich dem Bewerber Alberto
Fernández aus dem peronisti-
schen Mitte-links-Lager unter-
legen. Die Präsidentschafts-
wahl soll am 27. Oktober statt-
finden. Infolge der Vorwahl
brauch auch der Kurs der Lan-
deswährung gegenüber dem
US-Dollar ein: Der Peso verlor
um 14 Prozent an Wert.


MOBILFUNK


Unternehmen starten


Login-Dienst


Die führenden deutschen Mo-
bilfunk-Unternehmen steigen
in den Wettstreit der Login-
Plattformen ein. Die Deutsche
Telekom, Vodafone und
Telefónica starteten am Mon-
tag den Dienst Mobile Con-
nect, der eine Anmeldung im
Netz per Mobilfunknummer
ohne E-Mail oder Passwort
ermöglicht. Das Login-Ver-
fahren nutzt die persönliche
Handynummer, um die An-
wender bei Internet-Einkäufen
oder Anmeldungen in Online-
Portalen eindeutig zu identifi-
zieren. Mobile Connect könne
künftig auch digitale Behör-
dengänge ermöglichen. Der
Dienst startet mit einer Koope-
ration mit der 2017 gegründe-
ten Identitätsplattform Verimi.


SÜDKOREA/JAPAN


Nächste Stufe


im Handelsstreit


Südkorea schlägt im Handels-
streit mit Japan zurück und
wird den Nachbarn von seiner
sogenannten weißen Liste
bevorzugter Handelspartner
streichen. Die Maßnahme trete
Anfang September in Kraft,
teilte das südkoreanische Han-
delsministerium mit. Künftig
werden südkoreanische Expor-
te nach Japan damit strengeren
Regularien und möglicherweise
längeren Genehmigungspro-
zeduren unterliegen. Am 2.
August hatte Japan seinerseits
entschieden, Südkorea von
seiner „weißen Liste“ bevor-
zugter Handelspartner zu neh-
men. Japan hatte den Be-
schluss damit begründet, dass
das gegenseitige Vertrauen
untergraben sei. Hintergrund
ist ein Disput über die Ent-
schädigung koreanischer
Zwangsarbeiter während Ja-
pans Kolonialherrschaft.


KOMPAKT

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