Die Welt Kompakt - 13.08.2019

(Barré) #1

14 WIRTSCHAFT DIE WELIE WELIE WELT KOMPAKTT KOMPAKT DIENSTAG, 13. AUGUST 2019


A


MS-Chef Alexander
Everke ist überzeugt:
„Gemeinsam können
wir Lösungen und
Produkte anbieten, die andere
nicht können.“ Der Chef des
Sensor- und Chipherstellers
versuchte, in einer Telefonkon-
ferenz zu erklären, warum sein
Unternehmen jetzt doch in ei-
nem zweiten Anlauf ein konkre-
tes Milliarden-Übernahmean-
gebot für das deutsche Traditi-
onsunternehmen Osram in
Aussicht stellt. Der österrei-
chische Konzern will damit
nicht nur ein Angebot von zwei
US-Finanzinvestoren über-
trumpfen, sondern auch selbst
sprunghaft in eine neue Dimen-
sion wachsen.

VON GERHARD HEGMANN

Es geht um nichts weniger
als die Zukunft des wirtschaft-
lich angeschlagenen Osram-
Konzerns und wie er sich künf-
tig aufstellt. Schon vor Jahren
hat Osram sein Konsumen-
tengeschäft, in dem früher
Glühlampen produziert wur-
den, an Chinesen verkauft.
Inzwischen versucht sich
Osram als Hightech-Lich-
tanbieterneu zu positio-
nieren. Nun steht der Kon-
zern vor der Weichenstel-
lung, ob Osram die Markt-
umbrüche allein meistern
kann oder doch unter das
Dach eines Branchenunter-
nehmens schlüpft.
Osram-Chef Olaf Berlien
war eigentlich sicher, dass er
die Unternehmensretter ge-
funden hatte, als er Anfang Juli
ein verbindliches Angebot von
zwei US-Finanzinvestoren prä-
sentierte. Bain Capital und Car-
lyle Group boten 35 Euro je Ak-
tie. Mit einem Kaufpreis von 3,
Milliarden Euro sei das für die
113 Jahre alte Traditionsfirma
mit Blick auf die Umwälzungen
im Lichtmarkt ein tolles Ange-
bot, lautete die Botschaft von
Berlien. „Bain und Carlyle sind
für Osram die richtigen Partner
zur richtigen Zeit“, sagte er.
Das Unternehmen bekom-
me damit auch selbst „neue
Firepower“, um eigene Über-
nahmen zu schultern. Damit
die Übernahme klappt, sollten
bis Anfang September mindes-
tens 70 Prozent des Kapitals
in den Händen der US-Finanz-
investoren liegen. Doch dieses
Szenario gilt als praktisch
gescheitert.
Der größte Einzelaktionär,
Allianz Global Investors (AGI),
mit fast zehn Prozent Anteil,
lehnt nämlich diese Offerte als
zu niedrig ab und kritisiert zu-
dem das Management. Nach-
dem sich AGI im vergangenen
Jahr „um einen konstruktiven
Dialog mit dem Vorstand und
dem Aufsichtsrat von Osram
bemüht hat, ist es umso bedau-
erlicher, dass die beiden Gre-
mien kein ausreichendes Ver-
trauen in das von ihnen geführ-
te Unternehmen zu haben
scheinen, sondern stattdessen
vorziehen, es zu einem Preis zu


verkaufen, der nach einem Ab-
schlag aussieht“. Dieses Alli-
anz-Statement ist ein Tief-
schlag für Osram-Chef Berlien
und Aufsichtsratschef Peter
Bauer.
Nun zeichnet sich aber ein
Alternativangebot ab – mit hö-
herem Preis und anderem stra-
tegischen Ansatz. Der österrei-
chische AMS-Konzern bietet
zehn Prozent mehr je Aktie, al-
so 38,50 Euro, und sieht in der
Kombination aus dem Know-
how der beiden Konzerne den
entscheidenden Vorteil.
„Wir schaffen einen weltweit
führenden Anbieter von Sen-
sorlösungen und Photonik“,
sagt Konzernchef Everke. Mög-
lich seien dann „kleine Micro-
LED-Displays mit kompletter
Sensor-Display-Integration“,
die beispielsweise in Smart
Watches zur Anwendung kom-
men könnten, oder miniaturi-
sierte Lichtprojektoren oder

der Einbau von Laser-Sensoren
(LIDAR) in Front- und Rück-
lichtsystemen, für autonome
Autos. Zudem seien neuartige
Biosensoren möglich, um etwa
über die Haut oder im Ohr Blut-
zuckerwerte zu messen.
Zu den Besonderheiten der
Offerte gehört, dass AMS mit
1,42 Milliarden Euro Umsatz
(2018) deutlich kleiner als Os-
ram mit 4,1 Milliarden Euro
Umsatz ist. Doch der Vorstand
ist überzeugt, dass die David-
übernimmt-Goliath-Strategie
klappen könnte, denn die Fi-
nanzierung sei gesichert. Die
Banken HSBC und UBS sollen
den Kaufpreis von bis zu 4,
Milliarden Euro finanzieren, ei-
nen Teil davon will AMS später
durch eine 1,5 Milliarden Euro
schwere Kapitalerhöhung ablö-
sen.
Schon mehrfach ist AMS, zu
dessen Kunden auch der US-
Technologiekonzern Apple ge-

hört, durch Übernahmen ge-
wachsen. Nunmehr könnte ein
neuer Konzern mit dann über
fünf Milliarden Euro Umsatz
entstehen, dessen Umsatz-
schwerpunkte zu 35 Prozent im
Konsumentengeschäft und zu
45 Prozent in der Automobil-
branche liegen.
Zu den Besonderheiten des
Übernahmepokers gehört auch,
dass Mitte Juli Osram zunächst
publizierte, dass AMS für 38,
Euro einsteigen wolle. Dieses
Ansinnen wurde von den Öster-
reichern dann über Nacht aber
wieder zurückgezogen. Der Os-
ram-Vorstand äußerte Zweifel,
dass AMS die große Übernahme
stemmen könne. Doch AMS
ließ nicht locker und beschloss
am 23. Juli, weiter an dem Coup
zu arbeiten.
Der Knackpunkt ist nun ein
sogenanntes Stillhalteabkom-
men, das zwischen AMS und
Osram vereinbart wurde. Die

Österreicher wurden in Bran-
chenkreisen schon länger als
Osram-Kaufinteressent gehan-
delt. Tatsächlich hatte AMS
dem Osram-Vorstand bereits
am 29. Mai einen unverbindli-
chen Vorschlag unterbreitet,
wurde jetzt bekannt. Aller-
dings wollte AMS vor dem end-
gültigen Angebot erst alle Os-
ram-Zahlen im Detail prüfen.
Am 4. Juni sei dann eine übli-
che Geheimhaltungsvereinba-
rung geschlossen worden,
heißt es bei AMS – „die ein
zwölfmonatiges Stillhalteab-
kommen beinhaltet“.
Dieses Abkommen verhin-
dert derzeit, dass AMS ein for-
melles, offizielles Übernahme-
angebot abgeben kann – bis die
Vereinbarung von Osram-Vor-
stand und -Aufsichtsrat aufge-
hoben wird. Zum Milliardenpo-
ker gehört nun, dass AMS be-
reit ist, den Vorschlag über
38,50 Euro je Aktiebis zum 15.
August zu unterbreiten – aber
Osram müsse dazu das Still-
halteabkommen aufheben.
Die Angebotsfrist des alter-
nativen Vorschlags soll
dann vor dem 5. Septem-
ber beginnen und setzt
wie beim Vorschlag der
US-Finanzinvestoren ei-
ne Mindestannahme von
70 Prozent der Aktionäre
voraus.
Der AMS-Vorstands-
chef und Ex-Siemens-Ma-
nager Alexander Everke
äußerte sich in einer Tele-
fonkonferenz jedenfalls
zuversichtlich, dass die Me-
ga-Übernahme klappt. „Wir
haben alle Bedenken bei un-
serem neuen Vorschlag be-
rücksichtigt“, sagte er, auch im
Blick auf die Arbeitnehmerseite
und IG Metall. Die hatten die
erste AMS-Offerte eher als
feindlichen Übernahmeversuch
eingestuft und Bedenken über
die Zukunft der deutschen
Standorte mit ihren 6000 Ar-
beitsplätzen, davon fast 4000
in Regensburg und München,
angemeldet.
Nunmehr will der österrei-
chische Konzern sogar bisher in
Asien angesiedelte Produktion
nach Regensburg holen. Von
Osram mit Millionenaufwand
aufgebaute neue Fertigungska-
pazitäten in Fernost könnten
durch AMS zudem besser aus-
gelastet werden. Ähnlich wie
die US-Finanzinvestoren Bain
und Carlyle sei auch AMS zu
Standort- und Beschäftigungs-
garantien bereit, hieß es in der
Mitteilung. Am Osram-Sitz in
München sollten „wichtige
Funktionen“ erhalten bleiben.
Wie Osram-Vorstand und
-Aufsichtsrat konkret auf die
AMS-Offerte reagieren, ist
noch offen. Das Angebot werde
nun geprüft, heißt es. Praktisch
eine Selbstverständlichkeit,
denn sonst könnten aus dem
Kreis der Osram-Aktionäre Kla-
gen drohen, warum eine Offer-
te, die zehn Prozent mehr Geld
bringt als das Angebot der US-
Investoren, nicht zum Zug
kommt.

BLOOMBERG/DOMINIK OSSWALD

Bieterpoker um


Apple-Zulieferer AMS will den Hightech-Lichtanbieter


schlucken. Damit positioniert er sich


gegen zwei US-Investoren

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