Die Welt Kompakt - 13.08.2019

(Barré) #1

18 REPORT DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT DIENSTAG,13.AUGUST


S


o etwas ist in Parteien
normal: Ein mittlerer
Funktionär macht sich
im Hinterzimmer wich-
tig und erzählt, was er für die
beste Strategie bei der anstehen-
den Vorstandswahl hält. Das hat
auch der AfD-Bundestagsabge-
ordnete Dirk Spaniel, Co-Lande-
schef in Baden-Württemberg,
Mitte Mai gemacht. Überhaupt
nicht normal aber war, dass Spa-
niels Ausführungen heimlich
mitgeschnitten, in der vergange-
nen Woche als Audio-Datei ano-
nym an Medien verschickt und
alsbald auf einer Internet-Seite
mit aufpoppender Porno-Rekla-
me veröffentlicht wurden.


VON MATTHIAS KAMANN

Inhaltlich zeigt der Vorgang,
wie schwer sich der rechte Par-
tei-„Flügel“, dem Spaniel zuzu-
rechnen ist, bei der Vorbereitung
auf die Neuwahl des Bundesvor-
stands Ende November tut. Dann
wird voraussichtlich ein Platz an
der AfD-Doppelspitze frei. Wäh-
rend der weniger radikale Partei-
chef und Europaabgeordnete
Jörg Meuthen wieder antreten
wird, möchte der andere, Alexan-
der Gauland, das Amt aus Alters-
gründen abgeben und sich auf
den Fraktionsvorsitz beschrän-
ken. Den Platz des 78-Jährigen


könnten die Völkischen bean-
spruchen.
Aber: Der „Flügel“ hat bisher
keinen Kandidaten. Der infor-
melle Anführer, Thüringens Lan-
deschef Björn Höcke, scheint
nicht zu wollen. Und schon abge-
winkt hat der zweite Mann dieser
Strömung, der Brandenburger
Partei- und Fraktionschef Andre-
as Kalbitz, der nur sein bisheri-
ges Amt als Vorstandsmitglied
verteidigen möchte.
Höcke und Kalbitz wurden von
Spaniel in jener Hinterzimmer-
runde Mitte Mai denn auch
gleich aussortiert. Statt aber
nach einem anderen „Flügel“-
Vertreter zu suchen, widmete
sich Spaniel der Frage, mit wel-
chem „gemäßigten“ Bundeschef
die radikalen Rechten denn leben
könnten. Er wolle Meuthen
„nicht gern sehen“, sagte Spaniel.

Meuthen, mit dem er sich im
Dauerkrieg des baden-württem-
bergischen Landesverbandes völ-
lig verkracht hat, würde als wie-
dergewählter Bundeschef „mit
100-prozentiger Sicherheit in der
nächsten Bundestagsfraktion
den Anspruch auf den Fraktions-
vorsitz erheben“ – und dann, so
Spaniel, werde es „sehr heftig
werden müssen, um ihn davon
abzubringen“.
Viel besser wäre es, den Berli-
ner Landesvorsitzenden Georg
Pazderski, derzeit Bundesvize, als
Parteichef „zu installieren“. Paz-
derski, der eigentlich als gemä-
ßigt gilt, sei „von seinen Zielen
her ein beinharter ‚Flügler‘“ und
„könnte uns auf dem Weg zur
Macht nützlich sein“, sagte Spa-
niel. Er habe mit Pazderski „ein
persönliches Gespräch geführt“
und sei „sehr dicke mit ihm“.

Dass Spaniels Plan realistisch
ist, lässt sich bezweifeln – Paz-
derski jedenfalls sagte am Mon-
tag, er sei mit Spaniel „überhaupt
nicht dicke“ und habe mit ihm
„über diese Dinge nicht gespro-
chen“. Sehr heftig fiel bereits am
Freitag Meuthens Reaktion aus:
Die Aufnahme zeige, „wie hoch-
gradig toxisch dieser Mann Dirk
Spaniel agiert“, sagte Meuthen
der „FAZ“. Spaniel hinterlasse
„verbrannte Erde“ und ordne
„seinen Machtfantasien restlos
alles unter“.
Bei alldem aber fragt sich: Wer
könnte in der Partei ein Interesse
daran haben, die vertraulich ge-
äußerten Fantasien des Dirk Spa-
niel nach außen zu tragen? Er
selbst meint, dass „die Art der
Veröffentlichung auf eine krimi-
nelle Absicht schließen“ lasse,
wie Spaniels Büro am Montag auf
WELT-Anfrage mitteilte. Spaniel
habe jenes Gespräch mit „drei
anderen Personen“ geführt, über
deren Identität er keine Angaben
machen wolle, solange das Leak
„von der Staatsanwaltschaft be-
arbeitet“ werde. Der „Täterkreis“
lasse sich aber „auf eine Person
eingrenzen, sofern die Aufnahme
nicht von außerhalb erfolgte“.
Weiterhin teilte das Büro mit, bei
Spaniel hätten sich „im Laufe des
Wochenendes Personen gemel-
det, welche berichten, dass die

Aufnahme bereits seit Ende Mai,
also kurz nach Aufzeichnung,
einzelnen Mitgliedern des Lan-
desverbandes Berlin vorlag“.
Noch dubioser wird es, wenn
man sich mit der Veröffentli-
chung des Mitschnitts im Inter-
net befasst. Verantwortlich zeich-
net dort eine Gruppe, die sich
„Bewahrer des Flügels“ nennt
und empört zeigt, dass Spaniel
durch seine Pazderski-Gedanken-
spiele angeblich die Kandidatur
Höckes als Bundesparteichef in-
frage gestellt habe. Aber: Eine
Gruppe namens „Bewahrer des
Flügels“ ist in der AfD unbe-
kannt. Spaniels Büro mutmaßt,
da agiere jemand unter falscher
Flagge: „Die Art der Aufmachung
des Schreibens, welches darauf
abzielt, Mitglieder des ,Flügels‘
gegen Herrn Spaniel aufzuhet-
zen, sowie die explizite Forde-
rung, dass Herr Höcke für den
Bundesvorstand kandidieren sol-
le, erweckt den Eindruck, dass es
sich hierbei um eine ‚False Flag‘-
Aktion parteiinterner Konkurren-
ten handelt.“ Der echte „Flügel“
jedenfalls habe mit der Veröffent-
lichung „absolut nichts zu tun“.
So bleibt vorerst dieses Resü-
mee: Spaniel hat sich als Gegner
Meuthens geoutet – und Meuthen
als Spaniels Gegner. Und es wird
deutlich, wie rabiat es in der Par-
tei zur Sache geht. Dies aber hat

Abstimmungen wie hier beim Europawahlparteitag Ende 2018 werden in der AfD schnell zu Machtkämpfen

DPA

/ SEBASTIAN WILLNOW

Kompromisslos rechts im


Hinterzimmer der AfD


Eine Affäre um geleakte


Gesprächsaufzeichnungen


des Südwest-Landeschefs sorgt in


der Partei für Unruhe. Der Vorgang


macht die Härte der innerparteilichen


Kämpfe deutlich – und die Uneinigkeit


des völkischen „Flügels“

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