Die Welt Kompakt - 13.08.2019

(Barré) #1

DIE WELIE WELIE WELT KOMPAKTT KOMPAKT DIENSTAG, 13. AUGUST 2019 THEMA DES TAGES 3


auf dem Land aufgewachsen.
Diese Freiheit und Naturnähe
wollen wir auch unseren Kindern
bieten. Es ist eine Lebensent-
scheidung.“
Von der gut 200-köpfigen
Dorfgemeinschaft würden die
künftigen Hofbewohner unter-
stützt und wohlwollend beglei-
tet, sagt Hentschel. Schließlich
wollen die neu Zugezogenen dem
Ort auch etwas zurückgeben. Es
soll einen Dorfladen und eine
-kneipe geben, Schreibtische für
die Digitalarbeiter der Region
und einen Saal für Feste. „Als
Einzelkämpfer kann man an ei-

nem solchen Ort nicht viel errei-
chen. Aber als größere Gruppe
sind wir eine kritische Masse“,
sagt Hentschel. „Bei unserem
ersten Hoffest hat der alte
Brennmeister die Menschen über
den Hof geführt und am Schluss
gesagt: ‚Dieser Hof war mein Le-
ben. Jetzt übergebe ich ihn an
euch und ich will, dass er auch
euer Leben wird.‘ Das war ein
Gänsehautmoment.“
Als reinen Landmensch sieht
sich Hentschel dennoch nicht.
„Ich lebe durchaus gerne in der
Stadt. Aber auf dem Land gibt es
inzwischen Gestaltungsräume,
die in der Stadt fehlen. Uns geht
es um ein Zusammendenken von
Stadt und Land.“ Die wichtigste
Lebensader dabei ist allerdings
das Vorhandensein von leistungs-
fähigem Internet. Der Anschluss
an die digitale Autobahn sollte
heute so selbstverständlich sein
wie der Anschluss an das Wasser-
oder Stromnetz, heißt es dazu in
der Studie. Einen klaren Vorteil
hätten zudem die Gemeinden mit
einem Bahnanschluss in Richtung
Hauptstadt.
Auch Raddusch, wo Daniel Wa-
laschek, Ina Fettig und Dagmar
Schmidt ihre „Kaiserliche Post-
agentur“ aufgezogen haben, hat-
te zum Zeitpunkt des Kaufs noch
einen Regionalbahnanschluss
nach Berlin. Dass der Haltepunkt
ein halbes Jahr später geschlos-
sen wurde, war ein schwerer
Schlag. Gleichzeitig aber hatten
sie durch die prompt gegründete
Bürgerinitiative gleich Anschluss
im Dorf. Bürgerschaftlich organi-
sieren die Dorfbewohner auch
das Thema Netzanschluss. Bis zu
diesem Jahr gab es noch keinen
flächendeckenden Glasfaserka-
belanschluss. Um dennoch
schnelles Internet nutzen zu
können, gründeten die Raddu-
scher das „Bürgernetzwerk Digi-
talisierung“ und nutzen den An-
schluss eines großen Hotels über
ein Funknetzwerk. Die Sanie-
rungsarbeiten am Haupthaus ha-
ben die drei Ex-Berliner inzwi-
schen zusammen mit einem Ar-
chitekten aus Lübben abge-
schlossen. Die Wände wurden
energetisch gedämmt und Solar-
panels angebracht, alte Stilele-
mente sorgsam restauriert und
mit modernen Materialien kom-
biniert. Auch die 220 Quadratme-
ter große Wohnung im Oberge-
schoss, die sich die Freunde zu
dritt teilen, ist fertig.
Als nächsten Sanierungs-
schritt wollen sich die Eigentü-
mer den alten Tanzsaal vorneh-
men. Daniel Walaschek überlegt:
„Man muss lernen, damit umzu-
gehen, dass man überall Arbeit
sieht.“ Und dass er jetzt auch mal
wieder ein bisschen Stadtluft
brauche. Im Gegenteil zu den
beiden Frauen, die noch regelmä-
ßig in Berlin zu tun haben, ver-
bringt er seine Arbeitstage aus-
schließlich auf dem Dorf. Den-
noch bereut er nichts. Am Storch
im Garten freue er sich jeden
Tag, sagt Walaschek. Und an dem
neuen Kajak, mit dem er gleich
hinten auf dem Fließ hinter dem
Garten seine Touren starten
kann. Ganz analoge Freuden.

ren der Studie. „Die Chance,
Projekte in Metropolregionen
umzusetzen, ist immer kleiner
geworden. Teilweise treibt die
Not die Gruppen aufs Land, weil
vieles in der Stadt nicht mehr be-
zahlbar ist und die Räume nicht
mehr in der gesuchten Größe
verfügbar sind.“
So unterstützt die Stiftung
Trias jetzt auch viele ambitio-
nierte neue Landprojekte, wie
zum Beispiel den Hof Prädikow
bei Strausberg. Auf einem der
größten noch einigermaßen er-
haltenen Vierseithöfe Branden-
burgs mit einer stillgelegten


Brennerei werden ab 2020 rund
40 Menschen einziehen, die sich
in den vergangenen Jahren in der
Berliner Wohngenossenschaft
Selbstbau eG zusammengefun-
den haben. Darunter auch Phi-
lipp Hentschel, der als Projekt-
manager für Digitalprojekte ein
typischer Vertreter der neuen di-
gitalen Avantgarde ist.
Der 36-Jährige hat bereits das
weithin bekannte Projekt „Coco-
nat“ in Bad Belzig mit initiiert.
Das „Workation Retreat“ mit an-
geschlossenem Gästehaus hat
sich zum Treffpunkt für Wis-
sensarbeiter und Digitalnoma-

den aus der Region entwickelt.
Zudem betreibt Hentschel die
Website „Kreativorte Branden-
burg“, auf der moderne ländliche
Projekte präsentiert werden, und
das Netzwerk „Zukunftsorte“,
das Wissen weitergeben und an-
dere Gründer unterstützen will.
Sein eigentliches Herzensan-
liegen aber ist der Hof Prädikow.
Hier will der gebürtige Branden-
burger, der derzeit noch mit sei-
ner Freundin und den zwei ge-
meinsamen Kindern im Berliner
Szenekiez Friedrichshain lebt, ei-
nen Traum verwirklichen. „Mei-
ne Freundin und ich sind beide

MARLENE GAWRISCH/ WELT (6)

„Wie eine Art kleines Co-Dorf im Dorf“, sagt
Dagmar Schmidt (o.) über ihr Haus in Rad-
dusch in der Lausitz. Gemeinsam mit Daniel
WWWalaschek (u.) und dessen Frau bauen sie diealaschek (u.) und dessen Frau bauen sie die
„Kaiserliche Postagentur“ in einen Projektraum
fffür Freelancer, Firmen und Initiativen um ür Freelancer, Firmen und Initiativen um
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