Die Welt Kompakt - 13.08.2019

(Barré) #1
Anna Mierzejewska, 27, ist
bekennende Feministin.
Dass sie in ihrem Alter die
Chefredaktion übernom-
men hat, hat viele in der
Branche erstaunt – vor
allem sie selbst.
Zuvor arbeitete sie
unter anderem für
„Cosmopolitan“.
Mierzejewska
ist Absolventin
einer angese-
henen pol-
nischen Jour-
nalistenschule.

8 POLITIK DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT DIENSTAG,13.AUGUST


A


ngesichts eines Macht-
apparats wie des saudi-
arabischen, der gegen
jede auch nur im Ansatz re-
gimekritische Stimme vorgeht,
wird aus manchem Journalis-
ten ein Menschenrechtsakti-
vist. So auch Fadhel al-Mana-
sef,Autor und Fotograf, der
am 2. Oktober 2011 verhaftet
wwwurde. Al-Manasef wollte ei-urde. Al-Manasef wollte ei-


nem Freund namens Hasan al-
Zayd beistehen. Er ging zur Po-
lizeistation, auf der man den
Herzkranken festhielt, und er-
klärte, die Verhaftung sei nicht
rechtmäßig. Al-Zayd wurde ins
Krankenhaus gebracht – al-Ma-
nasef folgte und wurde an ei-
nem Kontrollpunkt der Polizei
plötzlich selbst verhaftet.
In der Anklageschrift hieß
es, al-Manasef habe Material
verbreitet, das „schädlich für
die öffentliche Ordnung und
die Moral“ sei. Er habe Fotos
von Protestaktionen in sozia-
len Medien gepostet, um „Cha-
os zu verbreiten“. Und er habe
„unfaire und beleidigende“ Ar-
tikel über die Regierung ge-
schrieben sowie mit ausländi-
schen Medien kooperiert. Fast
ein Jahr durfte al-Manasef kei-
nen Besuch von seiner Familie
empfangen. Im Prozess klagte
al-Manasef über Folter und
Einzelhaft. Er wurde zu 15 Jah-
ren Haft, einer 15-jährigen
Reisesperre und einer Geld-
strafe von rund 26.000 Dollar
verurteilt. Im Berufungspro-
zess wurde die Strafe auf 14
Jahre reduziert.


#Free


them


all


FFFreeree


them all


Fadhel al-Manasef


Nach dem Angriff auf eine
Moschee bei Oslo kommt der
21 Jahre alte Tatverdächtige in
Untersuchungshaft. Der Nor-
weger, dem die Staatsanwalt-
schaft neben Mordanschuldi-
gungen mittlerweile auch Ter-
rorismus vorwirft, kann bis zu
vier Wochen lang in U-Haft
mit Brief- und Besuchsverbot
gehalten werden, die ersten
beiden Wochen davon in voll-
ständiger Isolation. Mit meh-
reren Waffen war der Mann in
die Al-Noor-Moschee einge-
drungen. Dort gab er zwar
mehrere Schüsse ab, wurde
aber von einem 65-Jährigen
überwältigt.


Angriff in Oslo:


Verdächtiger


in U-Haft


D


ergroße Busbahnhof
in Warschaus Wes-
ten ist schon etwas
in die Jahre gekom-
men. Der Putz bröckelt vom Ein-
gangsgebäude, einige Fenster
sind notdürftig mit Tüchern zu-
gehangen. Der Asphalt ist an etli-
chen Stellen aufgerissen, und oh-
nehin ist die gesamte Nachbar-
schaft alles andere als einladend.
Seit Jahren werden in den Behör-
den Pläne diskutiert, den alten
Bahnhof aufzuhübschen und das
Viertel attraktiver zu machen.
Passiert ist bisher wenig. Gegen-
üüüber jedoch wurde ein modernesber jedoch wurde ein modernes
Bürohaus hochgezogen, das
„„„West Station“. Mit seiner Glas-West Station“. Mit seiner Glas-
fffassade passt es zwar nicht in dieassade passt es zwar nicht in die
Nachbarschaft. Dafür aber spie-
gelt es den Willen zur Verände-
rung – nach außen und innen.

VON PHILIPP FRITZ
AUS WARSCHAU

Ausgerechnet in einer Redak-
tion in diesem Gebäude in die-
sem abgeschiedenen Stadtteil
Warschaus nämlich wird gerade
eine Weltmarke neu erfunden:
der „Playboy“. Vor einigen Wo-
chen erst bekam die polnische
Ausgabe des Männermagazins –
bekannt für barbusige Frauen
auf seinem Cover – eine neue
Chefredakteurin. Anna Mierze-
jewska ist 27 Jahre alt und eine
bekennende Feministin. Sie will
das Heft für hetero- und homo-
sexuelle Frauen öffnen und das
Verhältnis zwischen den Ge-
schlechtern neu verhandeln.
Nackte Brüste hat sie sofort
vom Cover verbannt.
1953 gründete der Amerikaner
Hugh Hefner den „Playboy“.
Das dazugehörige Unterneh-
men Playboy Enterprises ließ in
seiner Hochphase in etlichen
Ländern Lizenzausgaben mit
dem berühmten Hasen-Logo in
verschiedenen Sprachen raus-
geben. Das ist lange her, Hefner
ist tot, und die Zeiten sind an-
dere. Der Hase wurde zumin-
dest in Polen verworfen. Wer
sich heute nackte Frauenkörper
ansehen möchte, braucht ledig-
lich einen Internetzugang. Viel
Geld für ein Hochglanzmagazin
muss niemand mehr ausgeben.
Weltweit ging auch die Auflage
des „Playboy“ zurück. In Polen
liegt sie monatlich derzeit bei
24.000 Exemplaren.
Mierzejewska soll nun eine
Neuausrichtung wagen – in ei-
nem Land, in dem viele Männer
VVVaterschaftsurlaub als Einge-aterschaftsurlaub als Einge-
ständnis von Schwäche empfin-
den und sich für ihren Sportwa-
gen nicht gerade schämen. Die
Rollenbilder sind klassisch und
Männer gern männlich. Ent-
sprechend verständnislos fallen
viele Reaktionen auf die ersten
beiden Ausgaben aus, die Mier-
zejewska verantwortet. So
schrieb ihr ein langjähriger Le-
ser etwa, dass das Magazin in
seiner jetzigen Form an „politi-
sche Agitation neomarxistischer
Strömung“ erinnere und dann
auch noch in Verbindung mit ei-
ner „Vermarktung widerwärti-
ger sexueller Abweichungen“.

schen Männermarke Akzeptanz
verleihe. „Ich kriege schließlich
auch lobende Zuschriften“, sagt
sie, nach eigener Aussage selbst
langjährige „Playboy“-Leserin,
trotzig. Sie schiebt ihren XXL-
Kaffeebecher von einer Hand in
die andere. Sie hat nur wenig
Zeit, schließlich stecke sie au-
genblicklich in der Produktion
ihrer dritten Ausgabe.
Die Chefredakteurin sitzt in
einem Konferenzraum in der
polnischen Zentrale der Mar-
quard Media Gruppe im Glas-
haus gegenüber vom Busbahn-
hof. Das Schweizer Medienunter-
nehmen gibt hier gleich mehrere
Lifestyle-Magazine raus, unter

anderem auch das bekannte „Es-
quire“. Mierzejewska war bereits
im Verlag beschäftigt, bevor sie
ihre aktuelle Stelle antrat. „Ich
hatte großen Respekt vor der Po-
sition. Ich dachte, ich sei zu jung
dafür“, erzählt sie. Das Angebot
habe sie dann aber zu sehr ge-
reizt, als dass sie es hätte ableh-
nen können. Immerhin habe sie
jetzt die Chance, Frauen abzubil-
den, wie sie wirklich sind. In ih-
rer ersten Ausgabe etwa zeigte
sie die schwangere Schauspiele-
rin Michalina Olszanska-Rozbi-
cka, in der zweiten geben Frauen
Interviews zu Themen wie weib-
liche Sexualität oder berichten
von ihrer Karriere als Boxerin.
Ebenfalls neu: Die Schrift
oberhalb des „Playboy“-Logos
steht sowohl für einen polni-
schen Kinoklassiker als auch für
den Anspruch des Magazins:
„Seks. Misja“ („Sexmission“).
Sexualität ist eben auch weib-
lich, das sollen polnische Män-
ner und die Regierungspartei
verstehen. Deshalb werden die
„Playboy“-typischen Männer-
themen ab jetzt aus einer weibli-
chen Perspektive erzählt. Ganz
hat Mierzejewska aber doch
nicht mit der alten Männermar-
ke gebrochen. Beiträge über Au-
tos sind weiterhin drin, beim
Durchblättern findet sich Wer-
bung für Grillzubehör und Droh-
nen, und es gibt pro Ausgabe
mindestens zwei Fotostrecken
mit Models, wie aktuell mit der
in Berlin lebenden Polin Nicole
Gregorczuk. Und es gibt auch
nackte Haut, ein Model zeigt gar
Brust. Aber das steht nicht mehr
im Vordergrund. Auch hält Mier-
zejewska nicht an jeder Idee fest.
Die Witze zum Beispiel hat sie
nach Beschwerden von Lesern
wieder ins Heft genommen.
Dieser Spagat verärgert so-
wohl unflexible Männer als auch
Feministinnen, denen die Abbil-
dung weiblicher Körper grund-
sätzlich missfällt. Prallen hier
ein alter und ein neuer Feminis-
mus aufeinander? Mierzejewska
verweigert sich diesen Begriffen.
„Alle Feministinnen haben ge-
meinsame Ziele“, sagt sie. „Das
sind Gleichberechtigung und
Gleichstellung.“ Ob es genug Le-
ser gibt, die davon angesprochen
werden und die sich zwischen je-
nen Empörungsenden befinden,
lässt sich nach zwei Ausgaben
nicht sagen. Tatsächlich aber
setzt Mierzejewska einen Kurs
fffort, den der „Playboy“ bereitsort, den der „Playboy“ bereits
genommen hatte: Das Magazin
gilt seit jeher als ästhetisch an-
spruchsvoll, in Polen wurden vor
der Ägide der neuen Chefin be-
reits lange Auslandsreportagen
oder Interviews publiziert.
Es ist indes Mierzejewska, die
dem „Playboy“ endgültig die Au-
ra des Anrüchigen nimmt. Nie-
mand soll sich mehr schämen
müssen, das Magazin in einem
Café oder der Straßenbahn zu le-
sen – egal ob Mann oder Frau.
Noch sieht man in Warschau kei-
ne Menschen mit dem „Playboy“
unter den Arm geklemmt durch
die Straßen oder über die Plätze
spazieren. Verstecken muss sich
nun aber gewiss niemand mehr.

Polens „Playboy“


wird jetzt seriös


In dem konservativen und religiösen


Land führt nun eine junge Feministin


das Männermagazin. Und öffnet es


auch für Frauen und Schwule


Notwendige Recherche: Unser Autor Philipp Fritz liest im Café
die neueste Ausgabe des „Playboy“

PHILLIP FRITZ (2)

Zur Person

Zeilen wie diese erinnern an
die Rhetorik der nationalkon-
servativen Regierungspartei
Recht und Gerechtigkeit (PiS).
Immer wieder fallen ihre Mit-
glieder mit schrillen homopho-
ben Aussagen auf, sprechen von
einer „LGBT-Ideologie“, die
polnische Kinder bedrohe; ein
regierungsnahes Magazin legte
kürzlich einer seiner Ausgaben
Aufkleber mit der Aufschrift
„LGBT-freie Zone“ bei. In die-
ser politisch aufgeheizten Stim-
mung kam es im Juli dieses Jah-
res zu mehreren gewalttätigen
Übergriffen auf Teilnehmer ei-
nes Pride-Marsches für sexuelle
Vielfalt in der ostpolnischen
Stadt Bialystok. Der Vorfall
machte auch international
Schlagzeilen. Die PiS propagiert
zudem ein traditionelles Famili-
enbild und möchte Abtreibun-
gen nur in extremen Ausnah-
men zulassen. Polen verfügt be-
reits über eines der strengsten
Abtreibungsgesetze in Europa.
Mierzejewska hat all das im
Hinterkopf und empfindet es
deswegen als umso wichtiger,
dass sie mit dem neuen „Play-
boy“ für Selbstbestimmung
und sexuelle Freiheit steht.
Dabei lässt sie sich nicht beir-
ren. Kritik nimmt sie sport-
lich, nicht nur die von An-
hängern der PiS, sondern
auch solche von Frauen, die
ihr vorwerfen, Verrat am Fe-
minismus zu üben, weil sie
angeblich einer chauvinisti-
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