Frankfurter Allgemeine Zeitung - 13.08.2019

(WallPaper) #1

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Sport DIENSTAG, 13. AUGUST 2019·NR. 186·SEITE 27


AbMittwoch segeln Sie mit Greta Thun-
berg über den Atlantik und bringen die
Aktivistin in zwei Wochen zur Klimakon-
ferenz nach New York. Wollen Sie ein po-
litisches Zeichen setzen?
Greta ruft zu globalem Umdenken in
der Klimapolitik auf und fordert, die wis-
senschaftlichen Erkenntnisse zur drohen-
den Klimakatastrophe endlich ernst zu-
nehmen. Ihre Botschaft zu unterstreichen
und ihr bei ihrem Ziel zu helfen ist für
mich und unser Team eine klare Aussage.

Sie nehmen nächstes Jahr als erster
Deutscher an der Vendée Globe teil –
eine der härtesten Segelregatten über-
haupt, die nonstop und Einhand um die
Welt führt. Ist die Überfahrt für Sie und
Ihr Team „Malizia“ ein Training?
Unsere Aufgabe ist es, Greta die Reise
so angenehm und sicher wie möglich zu
gestalten. Einen Wettkampf können wir
dabei nicht simulieren. Wir haben uns
aber mithilfe der besten Meteorologen
und Mediziner noch akribischer als sonst
auf die Reise vorbereitet und unsere Not-
fallpläne überarbeitet. Die abermalige
Professionalisierung hilft immens bei der
Vorbereitung auf die Vendée Globe und
das Ocean Race, bei dem wir 2021 starten
wollen.

Die Vorbereitung zum Start der Vendée
Globe im November 2020 dauert fast
vier Jahre. Wie halten Sie die Span-
nung?
Bei der Vendée scheiden meist ein Drit-
tel bis die Hälfte der Teilnehmer aus. Un-
ser Ziel ist daher, mit dem sichersten
Boot an den Start zu gehen. Dazu muss
ich die Yacht so viel segeln wie möglich
und sie genau kennen. In den letzten bei-
den Jahren sind wir etwa 25 000 Seemei-
len gesegelt – was der Länge der Regatta
entspricht. Außerdem brauchten wir Zeit,
um unser Team solide und nachhaltig auf-
zubauen und absolute Verlässlichkeit bei
Technik, Logistik und Management zu ga-
rantieren. Trotzdem könnte es meinetwe-
gen gerne schon diesen Herbst losgehen.

Ein Großteil der Regatta entscheidet
sich also während der Vorbereitung?
Das ist natürlich nicht einfach, weil ich
am Start auf deutlich modernere und po-
tentiell schnellere Yachten treffen werde.
Aber selbst mit dem größten Budget und
dem modernsten Schiff ist es keine Regat-
ta, die man einfach so segelt. Um ins Ziel
zu kommen, ist viel Erfahrung und Glück
nötig. Für mich erfüllt sich mit der Teil-
nahme an der Vendée ein Lebenstraum,
den ich träume, seit ich 16 Jahre alt bin.
Die Plazierung ist am Ende erst einmal
zweitrangig – obwohl: die Top Fünf soll-
ten es schon sein.

Für die drei Monate auf See benötigen
Sie Ausdauer, mentale Fitness und einen
flexiblen Biorhythmus. Wie trainieren
Sie das?
Das Schlimmste an Bord ist es, zu we-
nig zu essen oder ein Schlafdefizit anzu-
häufen. Dann kann man keine klaren Ent-
scheidungen mehr treffen. Die Ernäh-
rung war für mich bislang kein Problem,
und für die Erholung habe ich mir bereits
Pläne gemacht: In den Stunden nach dem
Start werde ich mich erst für zwei Minu-
ten und etwas später für fünf Minuten aus-
ruhen können. In der ersten Nacht kom-
me ich zu zehn Minuten Schlaf. Ein Rhyth-
mus wird sich dann einstellen, wenn kei-
ne Kollisionsgefahr mehr zwischen den
Teilnehmern besteht. Dann schlafe ich
tagsüber bis zu zwanzig Minuten und
nachts mehrere Blöcke von einer Dreivier-
telstunde. Trotzdem spürt man irgend-
wann eine tiefe mentale Erschöpfung,
weil auch im Schlaf alle Sinnesorgane per-
manent im Alarmzustand sind. Falls ich
doch einmal zu müde sein sollte, habe ich
einen sehr lauten Wecker, den ich auf ma-
ximal 60 Minuten einstellen kann.

Setzen Sie sich zu Beginn der Regatta so
unter Druck, um keine Zeit für Senti-
mentalitäten zu haben?
Die Vendée ist für jeden Teilnehmer
ein riesiges Abenteuer, und der Start ist

besonders emotional. Selbst Profi-Skip-
per brechen da manchmal in Tränen aus.
Auch ich spüre oft eine Beklemmung, die
nicht leicht zu lösen ist. Erfahrungsge-
mäß dauern die emotionalen Schwankun-
gen bei mir maximal zehn Tage an. Da-
nach gucke ich nicht mehr groß auf die
Uhr, sondern lebe nach dem Rhythmus
von Wind und Wellen und dem Stand der
Sonne.

Lässt sich ein erfahrener Segler wie Sie
auch im Wettkampf noch vom Meer und
seiner Weite beeindrucken?
Auf jeden Fall. Wenn ich den ersten
Sturm überstanden habe, habe ich den
Blick frei und genieße es, Albatrosse und
Wale zu sehen, die Kraft der Passat-Win-
de zu beobachten oder bei Vollmondnäch-
ten über das Wasser zu gleiten. Es gibt auf
dem Ozean nicht diese Reizüberflutung
wie an Land, die uns oft nur vom Wesent-
lichen ablenkt. Ich versuche diese Ruhe

des Meeres häufiger an Land zu finden,
verbringe möglichst viel Zeit mit Freun-
din und Hund und fahre gerne campen.
Wandern habe ich auch probiert – aber da
hat mir tatsächlich das Meer gefehlt.

Das hört sich romantisch an – aber es ist
auch sehr gefährlich. Beim letzten
Ocean Race gab es einen Todesfall. Ein
Segler ging über Bord und wurde nicht
mehr gefunden.
Ehrfurcht und Respekt vor der See
sind die Grundvoraussetzungen jedes
Seglers. Am Punkt Nemo zwischen Aus-
tralien und Südamerika sind wir mehr als
4000 Kilometer vom Festland entfernt.
Das ist die pure Wildnis. Solange es sich
um technische Defekte handelt und der
Segler an Bord bleibt, halte ich unsere
Boote für sehr sicher, weil sie fast unsink-
bar sind. Außerdem sind wir auf unseren
Imoca-Yachten meist unter Deck und ver-
bringen viel Zeit mit dem Auswählen der

Route. Trotzdem: Über Bord zu gehen
und das Boot segelt weiter, das ist die
größte Katastrophe und darf niemals pas-
sieren.

An Bord geht es oft ruppig zu, mit klaren
Ansagen und ohne „Bitte“ und „Dan-
ke“. Wie ist das, wenn Sie mit sich allein
sind?
Als ich während einer Regatta ein Pro-
blem hatte, habe ich tatsächlich eine Stim-
me in mir gehört, die sagte: „Rechte Hand
macht das, linke Hand tut dies. Danach
kommt das an die Reihe.“ Ansonsten bin
ich aber noch kein alter Segel-Kauz, der
anfängt Stimmen zu hören. Wenn ich das
Bedürfnis nach Unterhaltung verspüre,
rufe ich meine Freundin an oder gucke ei-
nen Film.

Worin liegt neben der Einsamkeit die
größte Herausforderung?
Die Vendée Globe wird im Südpolar-
meer gewonnen. Bei einer Everest-Bestei-
gung wäre das der Punkt nach dem letz-
ten Basecamp. Glücklicherweise gibt es
eine Satellitenüberwachung, die uns vor
Eisbergen warnt und eine virtuelle Gren-
ze zieht, wie weit im Süden wir segeln dür-
fen. Ansonsten gibt es keine Hilfe von au-
ßen – außer, es gibt große medizinische
oder technische Probleme.

„Malizia“, bedeutet übersetzt so viel wie
„die Schlitzohrige“ Was steckt dahinter?
Der Name stammt von meinem Freund
und Kollegen Pierre Casiraghi. Uns ist es
wichtig, uns trotz aller Wettkämpfe nicht
zu ernst nehmen und uns auch etwas zu
gönnen. Ich nehme zu jeder Regatta et-
was Whisky mit an Bord. Wenn ich eine
besondere Etappe geschafft oder Kap
Hoorn im Süden Südamerikas umsegelt
habe, genehmige ich mir einen Schluck.
Das gehört für mich zur Segeltradition,
die es zu bewahren gilt. Wir sind unglaub-
lich privilegiert, diese Abenteuer erleben
zu dürfen – da ist es unsere Pflicht, das
auch zu genießen.
Das Gespräch führteSebastian Reuter.

„Selbst Profi-Skippern kommen da manchmal die Tränen“


Boris Herrmann über die Überfahrt nach New York mit Greta Thunberg und die psychischen Herausforderungen der Vendée Globe


F.A.Z.FRANKFURT. Max Verstap-
pen bekommt zum Großen Preis von
Belgien Ende des Monats einen neuen
Teamkollegen. Statt des Franzosen
Pierre Gasly wird der Thailänder Alex-
ander Albon für Red Bull Racing star-
ten. Das teilte der Rennstall aus dem
englischen Ort Milton Keynes am Mon-
tag mit. Gasly wird ins Toro-Rosso-
Team zurückversetzt, aus dem er zu Sai-
sonbeginn befördert worden war. Al-
bon, Sohn eines englischen Rennfah-
rers und einer thailändischen Mutter,
steigt in umgekehrter Richtung auf.
Red Bulls Motorsportdirektor Helmut
Marko hatte sich unzufrieden über Gas-
lys Leistungen geäußert. Der Franzose
hat in den bisherigen zwölf Rennen 63
Punkte eingefahren und liegt auf Platz
sechs der Fahrerwertung – Verstap-
pen, der in Spielberg und Hockenheim
und damit zwei der zurückliegenden
vier Rennen gewonnen hatte, kommt
bislang auf 181 Punkte und ist Dritter.
Aufgrund der Diskrepanz zwischen
Verstappen und Gasly liegt Red Bull in
der Konstrukteurswertung derzeit 44
Punkte hinter Ferrari auf Platz drei, ob-
wohl die Scuderia-Piloten Sebastian
Vettel und Charles Leclerc noch ohne
Sieg sind.

FRANKFURT. Fast von jedem Loch
des Liberty National Golf Club in Jer-
sey City sieht man die Freiheitsstatue
im Hafen von New York – die passende
Inspiration für einen Golfprofi, dem
die Fans nach seinen Erfolgen im Ry-
der Cup und im Presidents Cup den Eh-
rentitel „Captain America“ verliehen.
Am Sonntag skandierten die patrio-
tisch gestimmten Zuschauer immer
lauthals diesen Spitznamen – mit Er-
folg. Patrick Reed gewann am Sonntag
die Northern Trust Open, das erste
Play-off-Turnier im FedExCup. Der 29
Jahre alte Texaner kassierte nicht nur
1,665 Millionen Dollar für seinen sieb-
ten Sieg auf der PGA Tour. Er verbesser-
te sich in der Weltrangliste um neun
Plätze auf Rang 15 und rückte in der
Jahreswertung FedExCup hinter dem
amerikanischen Weltranglistenersten
Brooks Koepka vom fünfzigsten auf
den zweiten Platz vor. Reed qualifizier-
te sich damit vorzeitig für die Tour
Championship, das dritte und letzte
Play-off-Turnier im East Lake Golf
Club in Atlanta in der nächsten Woche.
An der Tour Championship dürfen nur
die 30 Punktbesten dieser Wertung teil-
nehmen. Die letzten Plätze für das Sai-
son-Finale werden von Donnerstag bis
Sonntag in Medinah, einem Vorort von
Chicago, bei der BMW Championship
vergeben, wenn die siebzig Besten des
FedExCups beim zweiten Play-off-Tur-
nier antreten. Die Chancen, am 25. Au-
gust das Siegespreisgeld von 15 Millio-
nen zu kassieren, stehen für Reed nicht
schlecht. Koepka kam in Jersey City
nicht richtig in Schwung und musste
sich mit dem geteilten 30. Platz begnü-
gen.
Dafür meldete sich Reed überra-
schend in der Weltspitze zurück. Vor 16
Monaten, Anfang April 2018, hatte
Reed in Augusta beim Masters trium-
phiert. Den ersten Major-Sieg sah der
ehrgeizige Profi als Sprungbrett, sich in
der absoluten Weltklasse zu etablieren.
„Ich habe mich danach richtig unter
Druck gesetzt, noch härter gearbeitet,
noch mehr gespielt“, erzählte Reed.
Die Erfolge blieben aus. „Ich war frus-
triert. Die Bälle gingen in alle Richtun-
gen. So eine lange Dürre ist kein Spaß.
Und je länger sie andauert, desto
schlimmer fühlt es sich an.“
Nachdem er im Mai bei der PGA
Championship den Cut verpasst hatte,
griff das „Team Reed“ ein. Seine Ehe-


frau Janine, sein Schwager und Caddie
Kessler Karain sowie sein Trainer Ke-
vin Kirk rieten ihm zu einer Pause. Für
drei Wochen verabschiedete sich Reed
von der PGA Tour, gönnte sich mit sei-
ner Ehefrau und den beiden kleinen
Kindern Ferien in den Hamptons auf
Long Island. Zehn Tage lang fasste er
keinen Schläger an, etwas, was der fana-
tische Golfer seit er mit dem Spiel als
Knirps begonnen hatte, noch nie getan
hatte. „Es war genau das Richtige. Ich
fühlte mich ausgelaugt, körperlich und
mental“, erinnerte sich Reed.
Da traf es sich gut, dass auf Long Is-
land etliche weltberühmte Plätze zu fin-
den sind. Nach der Pause spielte er mit
einem Freund die Plätze von Shinne-
cock, die National Golf Links of Ameri-
ca und Friar's Head. „Es war wie ein
Stromstoß. Auf einmal habe ich den
Ball weiter geschlagen, und er ging ge-
nau in die vorgesehene Richtung“, sag-
te Reed. Sein Formanstieg hatte sich
zwar angedeutet, doch erst im Liberty
National Golf Club fand er zu alter
Form zurück. Denn dieser Platz weckt
bei ihm nur gute Erinnerungen. Vor
zwei Jahren hatte er großen Anteil,
dass das „Team USA“ im Presidents
Cup auf diesem exklusiven Privatklub
die Auswahl des Rests der Welt (ohne
Europa) deutlich besiegte.
Reeds Sieg fiel diesmal knapper aus.
Am Ende siegte er nach einer Schluss-
runde von 69 Schlägen mit einem
Schlag Vorsprung vor dem Mexikaner
Abraham Ancer. Für Ancer, der in
McAllen in Texas zur Welt kam und
deshalb einen amerikanischen Pass be-
sitzt, war das Turnier dennoch ein Er-
folg. Er qualifizierte sich für die Tour
Championship und erhält damit eine
Einladung für das Masters. Außerdem
dürfte er als erster Mexikaner im
Team des Presidents Cup stehen – und
vielleicht trifft er dort wieder auf
Reed. „Captain America“ verfehlte
zwar die direkte Qualifikation für die-
sen Wettstreit im Dezember in Mel-
bourne, doch seit Sonntag ist Reed ei-
ner der Anwärter auf die vier Freiplät-
ze, die Team-Kapitän Tiger Woods ver-
gibt. WOLFGANG SCHEFFLER


FRANKFURT. Es ist eine Weltmeister-
schaft, natürlich, es geht um Medaillen,
aber für Urs Stöcker, den Bundestrainer
der deutschen Sportkletterer, ist das eher
zweitrangig. Denn bei den Titelkämpfen
der Kletterer in Hachioji (Japan), die am
Sonntag begonnen haben, geht es auch
um die ersten Startplätze für jenen Tag,
der Denken, Planen und Handeln in der
Szene seit langer Zeit bestimmt: den ers-
ten olympischen Wettkampf der Sportklet-
terer bei den Sommerspielen 2020 in To-
kio. Je sieben Athleten bei Männern und
Frauen qualifizieren sich bei der WM für
diese olympische Premiere, maximal zwei
pro Land und Geschlecht. „Und das hat
für uns Priorität“, sagt Stöcker. Die Einla-
dung zu Olympia vor drei Jahren hatte in
der Kletterszene stürmische Reaktionen
hervorgerufen. Allerdings nicht vor Be-
geisterung – sondern aus Entrüstung.
Schuld an der Aufregung war das neu
ausgetüftelte Wettkampfformat namens
„Olympic Combined“: Statt Medaillen in
den drei traditionellen Kletterdisziplinen
zu vergeben, dem Lead (Vorstiegsklettern

mit Seil), dem Bouldern (Klettern in Ab-
sprunghöhe) und dem Speed (Klettern auf
Zeit), wird in Tokio 2020 nur jeweils ein
Olympiasieger in einer Kombinationswer-
tung der drei Disziplinen gekürt. Viele
Kletterer fühlten sich vor den Kopf gesto-
ßen, auch weil das Speedklettern, das auf
einer fixen Standardroute ausgetragen
wird, eine rein athletische Übung sei und
mit dem individuellen, kreativen Geist des
Kletterns herzlich wenig zu tun habe. Boy-
kottdrohungen machten die Runde, selbst
der beste Kletterer der Welt, der Tscheche
Adam Ondra, stellte seinen Verzicht in
Aussicht. Spätestens da herrschte Auf-
ruhr, und für kurze Zeit sah es aus, als fah-
re die Olympia-Premiere der Kletterer
prompt gegen die Wand.
„Die Kritik hat sich gelegt“, sagt Stö-
cker heute. Die schärfsten Gegner des
Wettkampfformats wandten sich ab, alle
anderen stecken längst mitten in der
Olympia-Vorbereitung. Auch Adam On-
dra. Die einmalige Chance, bei der Olym-
pia-Premiere zu starten, überdeckt viele
Vorbehalte. Auch Alex Megos hat seine
Kompromisse gemacht für den Tag X in
Tokio. Der 26 Jahre alte Erlanger ist ein
Star der Kletterszene, für Stöcker ist er „ei-
ner der drei besten Felskletterer der
Welt“, neben Ondra und dem Österrei-
cher Jakob Schubert. Als Neunzehnjähri-
ger hatte Megos 2013 im spanischen Klet-
tergebiet Siurana die Route „Estado Criti-
co“ mit dem Schwierigkeitsgrad 9a „on-
sight“ durchstiegen – also im ersten Ver-
such, ohne je zuvor in die Route eingestie-
gen zu sein. Niemand hatte so ein Kunst-
stück in diesem Schwierigkeitsgrad je ge-

schafft. Es war ungefähr so, als wäre einer
bei seiner ersten Ski-Abfahrt überhaupt
auf der Streif in Kitzbühel gleich um den
Sieg gefahren.
Es folgten Interviews, Sponsoren,
Scheinwerferlicht. Und der Einstieg ins
Profileben. Megos kletterte weiter
schwerste Felsrouten, bewegte sich an der
Grenze des Möglichen. Bis er nun seine
Prioritäten vorübergehend verschob, vom
Fels zurück in die Halle zog, wo er einst Ju-
gend-Europameister geworden war – we-
gen Olympia. „Er hat sich anfangs schon
schwergetan“, sagt Stöcker. Das Klettern
an künstlichen Wänden hält spezielle Grif-
fe und Bewegungsformen bereit, die am
Fels nicht vorkommen. Bouldern und
Speedklettern stellen zudem ganz andere
Anforderungen, konfrontieren mit viel
abstrakteren Problemen als eine Felsrou-
te. Aber Megos ist ein Mensch, „der Her-
ausforderungen liebt“, wie Stöcker sagt.
Er sammelte schnell Erfolge im Leadklet-
tern, wurde 2018 WM-Dritter und in die-
ser Saison schon Zweiter und Dritter im
Lead-Weltcup. Zur WM fährt er als Welt-
cup-Führender im Lead. Auch im Boul-
dern kommt er gut voran, aber unglückse-
ligerweise ist da eben noch diese dritte,
die Problemdisziplin: Speed.
Geschwindigkeitsklettern war bisher
vor allem eine Domäne osteuropäischer
und asiatischer Athleten, und so holten
sich die Deutschen, um ihre Defizite wett-
zumachen, prominente Verstärkung. Der
ehemalige Speed-Weltmeister und Weltre-
kordhalter Danyil Boldyrev aus der Ukrai-
ne wurde als Betreuer auf Honorarbasis ge-
wonnen. „Das gab noch mal einen Schub

nach vorne“, sagt Stöcker. Von der Experti-
se Boldyrevs, der selbst auch bei der WM
antritt, profitierte nicht nur Megos, son-
dern auch der zweite deutsche Spitzenklet-
terer Jan Hojer. Er war schon 2018 WM-
Dritter im Olympic Combined und gilt
nun auch in Japan als Medaillenanwärter
und Olympia-Kandidat.
Investiert haben aber nicht nur die Deut-
schen. In allen Ländern habe die Olym-
pia-Aufnahme zu professionelleren Struk-
turen geführt, sagt der Schweizer Stöcker,
selbst seit fast 15 Jahren im Geschäft. Es
gibt eine bessere Infrastruktur für Spitzen-
kletterer, mehr Trainer und Betreuer und
mehr Zeit und Möglichkeiten, direkt und
intensiv mit den Athleten zu arbeiten.
„Früher fehlten dafür oft die Ressourcen“,
sagt der Bundestrainer. Auch die Kletterer
selbst fokussierten sich nun oft zu hundert
Prozent auf den Wettkampfsport. Wie
Alex Megos. Mit dem Resultat, dass es
„insgesamt einen erheblichen Leistungs-
schub gegeben hat“, sagt Stöcker.
Bis zum olympischen Finale in Tokio
2020 wird sich der Wettlauf weiter ver-
schärfen. Nur je 20 Frauen und Männer
dürfen bei Olympia starten. Wer die Quali-
fikation bei der WM verpasst, hat bei ei-
nem Wettkampf Ende November in Tou-
louse (Frankreich) eine weitere Chance.
Und das letzte Türchen zu Olympia steht
dem Europameister 2020 offen. In Hachio-
ji geht es erst um die WM-Medaillen im
Bouldern, Lead und Speed, kommende
Woche fällt dann die Entscheidung im
Olympic Combined. Ein bis zwei Tickets
für Tokio erhofft sich Stöcker. Und Kletter-
star Megos sagt, bei Olympia zu starten
„wäre für mich eine große Ehre“.

fan. FRANKFURT. In Russland wird
Schach Pflichtfach. Von der ersten bis
zur vierten Klasse lernen vom neuen
Schuljahr im September an alle Kinder
mindestens eine Stunde pro Woche
Schach. Eine von drei Sportstunden wö-
chentlich wird dafür gekürzt. Viele Päd-
agogen und Eltern hätten so viel Schul-
sport als übertrieben angesehen, meinte
die Ministerin für Bildung und Wissen-
schaft, Olga Wassiljewa, und erklärte,
dass Schach der Persönlichkeitsentwick-
lung diene und zu besseren Schulleistun-
gen führe. In Schulversuchen hätten Kin-
der, die Schach lernen, um 35 Prozent
bessere Schulleistungen gezeigt. Voraus-
gegangen war eine zweijährige Pilotpha-
se an Grundschulen in Moskau und der
Region Chanti-Mansijsk. Im April sind
18 000 Schulen in ganz Russland dazuge-
kommen. Finanziert wurde die Erpro-
bung im Pflichtunterricht von der
Kreml-nahen, in Genf sitzenden Timt-
schenko-Stiftung, für die auch der frühe-
re Weltmeister Wladimir Kramnik aktiv
ist, der vor einem halben Jahr seine akti-
ve Karriere beendet hat. Damit folgt
Russland Armenien, wo seit 2011 von
der zweiten bis zur vierten Schulstufe
alle Kinder zwei Wochenstunden
Schach lernen. Am größten deutschen
Schulversuch mit Schach im Pflichtun-
terricht beteiligen sich in Bremen 70
Grundschulklassen.
Im Kreml hat Schach mächtige Für-
sprecher. Der frühere Stellvertretende
Ministerpräsident Arkadi Dworko-
witsch steht seit Oktober 2019 an der
Spitze des Weltschachbundes.

Alex Albon


ersetzt Gasly


Fahrertausch bei Red Bull


Captain


Americas


Rückkehr


Patrick Reed gewinnt


nach 16 Monaten wieder


15 Millionen im Blick:Reed Foto AFP


Aufstieg Richtung Tokio


Russland: Schach


statt Schulsport


Die Weltmeisterschaft


der Kletterer steht im


Zeichen Olympias –


auch für den deutschen


Star Alex Megos.


Von Bernd Steinle


Umstellung:Alex Megos ist einer der besten Felskletterer der Welt – im nächsten Jahr will er bei den Olympischen Spielen antreten. Foto DAV/Marco Kost


„Eine klare Aussage“:Boris Herrmann (rechts) mit Greta und Svante Thunberg Foto dpa

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