SEITE 6·DIENSTAG, 13. AUGUST 2019·NR. 186 Politische Bücher FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG
Benedikt Wintgens:
Treibhaus Bonn. Die
politische Kulturgeschichte
eines Romans.
Droste Verlag, Düsseldorf
- 620 S., 68,– €.
Patrice C. McMahon:
Das NGO-Spiel. Zur
ambivalenten Rolle von
Hilfsorganisationen in
Postkonfliktländern.
Verlag Hamburger Edition,
Hamburg 2019.
312 S., 35,– €.
Am Anfang steht ein Roman: Wolfgang
Koeppens„Das Treibhaus“ von 1953, der
heute zu den bedeutendsten Werken der
deutschen Nachkriegsliteratur zählt. Ein
Roman als Referenzpunkt und Quelle ist
an sich nichts Ungewöhnliches, wohl
aber für eine geschichtswissenschaftli-
che Studie, wie sie uns Benedikt Wint-
gens präsentiert. Ein solcher Zugang
wäre höchst fragwürdig, wenn belletristi-
sche Phantasiewelten für bare Münze ge-
nommen würden. Das hieße, weder der
zeithistorischen Wirklichkeit noch ei-
nem Autor wie Koeppen gerecht zu wer-
den. Ihm missfiel im Übrigen die Ten-
denz, sein Werk auf einen Gegenwartsre-
flex zu reduzieren, und er reklamierte
hartnäckig eine „eigene poetische Wahr-
heit“ für sein „Treibhaus“.
Der 1996 verstorbene Autor wäre da-
her vermutlich nicht besonders glücklich
über eine Analyse gewesen, die seine Li-
teratur zur Grundlage für ein zeithistori-
sches Panorama der politischen Szenerie
und Kultur der jungen Bundesrepublik
macht. Wintgens zweifelt zwar nicht an
Koeppens großer literarischer Leistung,
lässt sie aber hinter die politische Bedeu-
tung und Interpretation zurücktreten. Da-
mit knüpft „Treibhaus Bonn“ an jene Ar-
beiten an, die in jüngerer Zeit die bedeu-
tendste Schriftstellergruppierung der
Bundesrepublik, die Gruppe 47, vorran-
gig als politisch-intellektuelle Kraft inter-
pretieren. Auch diese Verbindung hätte
Koeppen vermutlich geärgert, weil er
selbst möglichst auf Distanz zu solchen
kollektiven Zusammenschlüssen ging.
Hans Werner Richter, der große Regis-
seur der Gruppe 47, nannte Koeppen
„verhemmt und verklemmt“, von „Zu-
rückhaltung und Bescheidenheit“ ge-
prägt. Er sei „ein stiller Bürger, eine
schon überholte Spezies“, behauptete
Koeppen einmal von sich selbst.
Das traf sicher bis zu einem gewissen
Grad zu und war doch auch eine Stilisie-
rung, die aber Wirkung zeigte. Als Wal-
ter Jens 1962 anlässlich der Verleihung
des Georg-Büchner-Preises die Laudatio
auf Wolfgang Koeppen hielt, ließ er den
introvertierten, melancholisch und resig-
nativ gestimmten Autor hochleben. Wint-
gens sieht gegenüber diesem Charakter-
bild die „politische Lesart“ vernachläs-
sigt. Die achtzig Besprechungen der Jah-
re 1953/54 würdigten den Roman über-
wiegend anhand politischer, weniger an-
hand literarischer Kriterien. Der Rezepti-
onsgeschichte ist der größte, allein 220
Seiten umfassende Teil von Wintgens Stu-
die gewidmet. Darin richtet er den Blick
auf die Rezensionen, ihre Autoren und
deren Biographien, auf die Publikations-
organe, in denen sie veröffentlicht wur-
den, und die Gesprächskreise, die Koep-
pens Opus zum Streitobjekt kürten. Auf
diese Weise gelingt es dem Autor, auf Mi-
kroebene die Intellektuellen- und Me-
diengeschichte der Nachkriegsjahre auf-
blühen zu lassen.
Zuvor charakterisiert Wintgens Koep-
pens Roman, entschlüsselt dessen Entste-
hungsgeschichte, Figuren, Episoden und
Schauplätze. Er erinnert nochmals an
den traurigen Protagonisten Felix Keeten-
heuve, jenen pazifistisch eingestellten,
gesinnungsethisch gestimmten, sich hei-
matlos fühlenden und mit seinem Man-
dat hadernden sozialdemokratischen Ab-
geordneten, der sich – politisch und per-
sönlich verzweifelt – am Ende durch ei-
nen Sprung von einer Rheinbrücke das
Leben nimmt. Wintgens entwirrt so gut
wie möglich die kunstvolle Verknotung
aus „Fakten und Fiktion“ und hält dem
Koeppenschen Werk ohne jede Besser-
wisserei den zeithistorischen Spiegel vor.
Das zweite Kapitel greift die Treib-
haus-Metaphorik auf und bringt uns so
die Formensprache und politisch-kultu-
relle Atmosphäre der jungen Bonner Re-
publik näher. Besseres und Genaueres
über Hans Schwipperts Glas-und-Stahl-
Architektur des neuen „Bundeshauses“
und vor allem über die breite zeitgenössi-
sche Deutungsgeschichte der damit ver-
bundenen neuen Symbolik hat man sel-
ten gelesen. Lobeshymnen und Abge-
sang wechselten einander ab, insgesamt
blieb das Urteil zwiespältig. Noch als Prä-
sident des Parlamentarischen Rates klag-
te Konrad Adenauer, wie ungemütlich
und unerträglich er sich den „Aufenthalt
in einem solchen Glaskasten“ vorstelle.
Immer wieder gelingt es Wintgens, Po-
litik- mit Kulturgeschichte zu verquicken
und so das Bild der fünfziger Jahre in all
ihrer Ambivalenz zu zeichnen. Dies wird
nochmals im dritten Kapitel, dem Herz-
stück dieser Dissertation, deutlich. Stark
ist dieser Abschnitt, weil darin nicht brav
die Rezensionstexte zusammengefasst
werden, sondern von ihnen ausgehend in
origineller Weise verschiedenste biogra-
phische, generationelle und diskursive
Kontexte ausleuchtet werden.
An den Beispielen Curt Bleys, der
Koeppens Werk für die „Welt am Sonn-
tag“ rezensierte, und Ernst von Salo-
mons, der es für „Die Welt“ las, verdeut-
licht Wintgens den Spannungsreichtum
zwischen der Biographie eines kämpfe-
rischen Sozialdemokraten und Wider-
standskämpfers und derjenigen eines
ehemaligen Freikorpskämpfers, der
einst an der Ermordung Rathenaus be-
teiligt war und nach dem Krieg den na-
tionalistisch-antiamerikanisch gefärb-
ten Bestseller „Der Fragebogen“ veröf-
fentlichte. Koeppens Buch diente als
Areal für eine Art Stellvertreterkrieg
zwischen zwei Autoren, die sich spinne-
feind waren, aber auch zwischen zwei
Schwesterzeitungen, die mit Bernhard
Menne und Hans Zehrer an der Spitze
einen ganz unterschiedlichen Kurs steu-
erten.
Der Schweizer Journalist Fritz René
Allemann kritisierte Koeppens Buch
scharf, weil es ihm zu pazifistisch und
neutralistisch daherkam und seines Er-
achtens nicht der wichtigsten Erforder-
nis der Bonner Republik entsprach: der
Westbindung. Blätter wie „Die Andere
Zeitung“, die parteiungebundenen Links-
abweichlern so lange ein Forum bot, bis
sie unter den Einfluss Ost-Berlins geriet,
begrüßten hingegen eine entsprechende
Adenauer-Kritik. Alfred Andersch nahm
Koeppen in den Club der Nonkonformis-
ten auf und reihte ihn in jene Phalanx
Linksintellektueller ein, die gegen eine
„restaurative“ Bundesrepublik kämpf-
ten. Der „Spiegel“ las aus Koeppens Ro-
man die „Verzweiflung an der Restaurati-
on schlechthin“ heraus. Karl Korn
schließlich, dem für das Feuilleton ver-
antwortlichen Herausgeber der F.A.Z.,
gefiel das Mehrdeutige: eine mit kultur-
pessimistischer Melancholie und Elegie
gepaarte linke Zeitkritik und Satire.
Damit deutete sich bereits eine Plurali-
tät der Deutungen an, wie sie Wintgens
lebendig sprießen lässt. Gut, dass es der
freie Blick von außen zulässt: So dürfen
wir wie durch ein Kaleidoskop hinein-
schauen und die fünfziger Jahre in ihrer
Vielschichtigkeit zwischen Modernität
und Provinzialität, moralischer Bigotte-
rie und neuem demokratischen Geist wie-
derentdecken. ALEXANDER GALLUS
In der Stadt Srebrenica ermordeten serbi-
sche Soldaten während des Bosnien-Krie-
ges Tausende muslimische Jungen und
Männer innerhalb weniger Tage. Nach
Kriegsende konnten die Mütter und Wit-
wen von Srebrenica mit Unterstützung in-
ternationaler Geldgeber eine eigene Or-
ganisation gründen, ihren Forderungen
Gehör verschaffen und beginnen, ein
dunkles Kapitel des Konfliktes aufzuar-
beiten. Ihre bewegende Geschichte sym-
bolisiert das „Versprechen der NGOs“ als
effiziente, progressive und authentische
Vertreter der lokalen Zivilgesellschaft,
an dem sich Patrice C. McMahon in „Das
NGO-Spiel“ abarbeitet.
Die Politikwissenschaftlerin argumen-
tiert, dass die Realität der Nichtregie-
rungsorganisationen (NGO) in Postkon-
fliktsituationen meist anders aussieht.
Am Beispiel von Bosnien und des Koso-
vo skizziert sie Aufstieg und Niedergang
aufgeblähter NGO-Sektoren, von denen
nach dem Abzug der westlichen Gelder
wenig mehr als enttäuschte Erwartun-
gen zurückblieben. Sie greift dabei zu-
rück auf eigene Feldforschung, Statisti-
ken der Union of International Associati-
ons, Sekundärliteratur sowie Dokumen-
te der UN und großer westlicher Geber.
„Frieden im weitesten Sinn kann nicht
allein durch das System der Vereinten Na-
tionen und die Staaten geschaffen wer-
den“, postulierte UN-Generalsekretär
Boutros Boutros-Ghali 1992 in seiner
„Agenda für den Frieden“. Mit der Strate-
gie der „liberalen Friedenskonsolidie-
rung“ stellte die Weltgemeinschaft in
den neunziger Jahren Unterstützung und
Aufbau der lokalen Zivilgesellschaft in
den Mittelpunkt friedensschaffender
Maßnahmen, so die Autorin. NGOs gal-
ten als Bindeglied zur Zivilgesellschaft
und entscheidende Partner, um Ursa-
chen gewaltsamer Konflikte anzugehen
und Frieden nachhaltig zu sichern.
Nach dem Ende des Krieges in Bos-
nien wollte die internationale Gemein-
schaft unter Führung der Vereinten Na-
tionen das Land wiederaufbauen und
Versöhnung zwischen den ethnischen
Gruppen fördern. Mit viel Geld und En-
thusiasmus, aber wenig Ahnung von loka-
len Begebenheiten fiel der „Humanitäre
Klub“ (Barnett und Walker) Mitte der
neunziger Jahre in Bosnien ein und ging
bald von reiner Nothilfe zur Stärkung der
Zivilgesellschaft über. Internationale
NGOs gründeten lokale Ableger, staatli-
che und nichtstaatliche Akteure aus dem
Westen schufen neue vermeintlich loka-
le NGOs oder gingen ungleiche Partner-
schaften mit lokalen Akteuren ein, bei
denen sie mit finanzieller Übermacht de-
ren Agenda bestimmten.
Über kurz oder lang begannen die ein-
heimischen Organisationen, Projekte
nach Gusto der Geber zu kreieren, und
konkurrierten untereinander um deren
Gunst, statt sich gegenseitig zu vernet-
zen und zu stärken. Dabei agierten sie
oft losgelöst von Bedürfnissen und Inter-
essen der Bevölkerung, die sie doch re-
präsentieren sollten.
Gleichzeitig fehlte der internationalen
Gemeinschaft eine gemeinsame, langfris-
tige Strategie oder wenigstens eine effi-
ziente Koordinierung der Hilfsaktivitä-
ten. Die projektgebundene Finanzie-
rungsstruktur verhinderte zusätzlich
eine nachhaltige Ausrichtung der loka-
len NGOs. Irgendwann nahmen das In-
teresse und das Geld der Geber ab. Von
den vielen NGOs, die in dieser Zeit ge-
gründet wurden, waren nur wenige zehn
Jahre später noch aktiv. Trotz der finanz-
starken „Förderung der Zivilgesell-
schaft“ gilt diese heute als schwach und
gespalten. „Wir (...) verschwenden das
Geld der Menschen aus dem Westen, sie
verschwenden unsere Zeit“, zitiert
McMahon den Direktor einer lokalen
NGO aus Sarajevo. Er bringt die Dyna-
mik, die sie als „Spiel“ beschreibt, damit
auf den Punkt.
Anders als in Bosnien gab es im Koso-
vo, den die Autorin als zweites Beispiel
für das „NGO-Spiel“ heranzieht, bereits
vor der internationalen Intervention
eine aktive und organisierte Zivilgesell-
schaft. Allerdings legt McMahon dar,
dass diese sich auf die Bedürfnisse der al-
banischstämmigen Bevölkerung fokus-
sierte und so nicht den Gebern und ihrer
Vorstellung von einer friedensfördern-
den multiethnischen Zivilgesellschaft
entsprach. Deshalb schufen sie auch im
Kosovo viele neue NGOs. Gleichzeitig
veränderten die finanziellen Zuflüsse die
Anreize, sich gesellschaftlich zu organi-
sieren. Die Zivilgesellschaft „NGOisier-
te“ sich, wuchs und schrumpfte in Abhän-
gigkeit von ausländischem Geld und Ide-
en.
Das „NGO-Spiel“ ist eine Dynamik,
die McMahon abschließend kurz für an-
dere Postkonfliktsituationen nachzeich-
net. Ihre zentralen Thesen wiederholt
die Autorin so oft, dass am Ende wirk-
lich jeder verstanden haben sollte, dass
es zwar gute und wichtige NGOs gibt, die
negativen Beispiele und unerwünschten
Nebenwirkungen aber überwiegen. Das
System der internationalen Finanzie-
rung, der fehlenden Rechenschafts-
pflicht, der hierarchischen sogenannten
Partnerschaften mit lokalen Akteuren,
die sie auch als „wohlwollenden Kolonia-
lismus“ bezeichnet, kann sogar schädlich
für die zivilgesellschaftliche Entwick-
lung in Postkonfliktgesellschaften sein.
All das ist richtig und wichtig genug,
um es zu betonen, bis es Wirkung zeigt.
Die beiden Fallbeispiele sind zudem
spannend und sachkundig aufbereitet.
Dass die Autorin so oft anpreist, wie neu
und bedeutend ihre Erkenntnisse über
Grenzen und Fallstricke der NGOs für
die Disziplin der Internationalen Bezie-
hungen seien, macht allerdings misstrau-
isch. In einer Fußnote entlarvt sie sich
selbst und gibt den Hinweis, dass ihre Ar-
gumente im entwicklungspolitischen Dis-
kurs und der Praxis längst bekannt sind.
Was nun das „NGO-Spiel“ in Postkon-
fliktsituationen grundlegend von Ent-
wicklungszusammenarbeit in anderen
Ländern oder auch vom Wiederaufbau
nach Naturkatastrophen unterscheidet,
arbeitet sie nicht heraus. Die reißerische
Sprache, in die McMahon immer wieder
verfällt, lässt zwar über manch holprige
Übersetzung schnell hinweglesen, den
knackigen Thesen hätte aber etwas mehr
Substanz gutgetan. MONIKA REMÉ
Politische Bücher
Panorama der jungen Bundesrepublik
Ein Historiker hält einem literarischen Werk den zeithistorischen Spiegel vor
Wohlwollende Kolonialisten
Knackige Thesen über das Wirken von Nichtregierungsorganisationen
Die Erinnerung wachhalten:Hinterbliebenedes Massakers von Srebrenica klagen vor einem niederländischen Gericht. Foto Reuters
Zu dem Leitartikel „Italien, allein?“ von
Tobias Piller (F.A.Z. vom 31. Juli): Die Ein-
ordnung eines Problems wie der Migrati-
on durch Zahlen und Fakten lässt den Le-
ser oft mit einem „aha“ kurz innehalten.
Als hemmungslos agierender und macht-
orientierter Populist macht Innenminister
Salvini in der Migrationsfrage Druck in
Brüssel: Bevor Italien durch die Aufnahme
von Migranten, etwa nach einer Quote, in
Vorlage tritt, verlangt er eine verbindliche
Zusage zur Verteilung der Migranten auf
die (noch) 27 übrigen EU-Mitgliedstaaten,
obwohl seine Vorgehensweise grenzwer-
tig, da nahezu erpresserisch ist. Es wäre an-
dernfalls beileibe nicht das erste Mal, dass
die EU in all ihrer zu oft zutage tretenden
Bräsigkeit, Uneinigkeit bis hin zur Ohn-
macht nach einer Zusicherung nach der
Vorleistung eines Landes hinterher schul-
terzuckend einräumen müsste, dass die in
Aussicht gestellte Vereinbarung nun leider
und mit dem größten Ausdruck des Bedau-
erns doch nicht einzuhalten wäre.
GERD WITZGALL,
GRUB AM FORST IN FRANKEN
Brüssel ist oft zu behäbig
Zu den Beiträgen zu Forderungen der Ho-
henzollern in der F.A.Z. vom 18., 24. und
- Juli: Der Skandal an diesem Fall ist
nicht, dass Georg Friedrich Prinz von
Preußen gegenüber den zuständigen Lan-
desvermögensämtern der Länder Bran-
denburg und Sachsen-Anhalt seine oder
die Ansprüche seiner Familie nach dem
Ausgleichsleistungsgesetz geltend macht
beziehungsweise weiter verfolgt – was
auch sonst? Natürlich muss er das tun!
Einen Anspruch auf Ausgleichsleis-
tung in Geld für das im Rahmen der soge-
nannten „demokratischen Bodenreform“
konfiszierte Privatvermögen der Hohen-
zollern, einen Anspruch auf begünstigten
Erwerb land- und forstwirtschaftlicher
Flächen und Ansprüche auf Rückgabe der
während dieser „Bodenreform“ konfis-
zierten Kunstgegenstände und Mobilien
haben die Hohenzollern wie all die ande-
ren etwa 10 000 Familien, deren gesamtes
Vermögen während der „Bodenreform“
von den Kommunisten ohne Rechts-
schutzmöglichkeit und ohne jegliche Ent-
schädigung konfisziert wurde.
Ob er es mag oder wir es mögen, Georg
Friedrich Prinz von Preußen ist „Citoyen“
der Bundesrepublik. Als solchem gebührt
ihm gleiches Recht für alle, also bei Vorlie-
gen der Voraussetzungen die Möglichkeit
zum Rückerwerb von Land und Forst im
Wert der Ausgleichsleistung von 1,2 Mil-
lionen Euro, ohnehin nur ein „Klacks“
dessen, was den Hohenzollern nach 1918
noch verblieben war, und ebendie Rückga-
be der in staatlichem Besitz befindlichen
Kunstgegenstände.
Der eigentliche Skandal ist, dass die zu-
ständigen Vermögensämter es in den fast
30 Jahren (!) seit dem Fall der Mauer
nicht geschafft haben, diesen Fall zu be-
scheiden oder einer einvernehmlichen Lö-
sung zuzuführen. Das kann man nur als
Politik- und Verwaltungsversagen bezeich-
nen!
Leider ist das nicht nur bei den Hohen-
zollern so, sondern auch bei vielen klei-
nen Alteigentümern, deren damaliger
Großgrundbesitz nur einen Bruchteil des-
sen ausmachte, was die „roten Barone“ in-
folge des Restitutionsausschlusses heute
ihr Eigen nennen können. Auch sie müs-
sen im 30. Jahr nach dem Mauerfall im-
mer noch um die Rückgabe ihrer wenigen
in Museen befindlichen Bilder, Möbelstü-
cke, Silber und so weiter sowie um die
Umsetzung ihrer Flächenerwerbsmöglich-
keiten kämpfen. Manche von ihnen war-
ten immer noch auf die Bescheidung ih-
rer Ausgleichsleistungsanträge durch die
Vermögensämter der Länder.
DR. EBERHARDT KÜHNE, BERLIN
Zum Leserbrief „Verantwortungsethik
und Migration“ in der F.A.Z. vom 16. Juli:
Selten hat mich ein Leserbrief so fassungs-
los gemacht wie dieser von Professor Man-
fred Groh. Da wird beim Vokabular alles
aufgefahren, was sich gegen die Seite rich-
tet, die sich für Flüchtlinge einsetzt. „Gut-
menschentum“ darf da genauso wenig feh-
len wie die „Migrationswelle“ – wobei ge-
rade festzustellen ist, dass dort, wo am we-
nigsten Flüchtlinge „angespült“ werden,
der Hass gegen Fremde am größten ist.
Und zu behaupten, dass Menschen sich
der lebensbedrohlichen Fahrt über das
Meer aussetzen, um Sozialleistungen zu
erhalten, und das gar als „beherzten
Sprung ins Wasser“ wie einen Köpfer ins
Schwimmbecken zu bezeichnen ist ein
Schlag ins Gesicht dieser Menschen.
Wir haben das Glück, in einem Land
voller Wohlstand geboren zu sein. Wenn
ein Kind hier satt wird, ein Dach über dem
Kopf, viele Möglichkeiten der Ausbildung
vor sich hat, liegt das nicht daran, dass die-
ses Kind irgendwelche Leistungen er-
bracht hat, sondern weil es in Europa ge-
boren wurde, das seinen Reichtum auch
der Ausbeutung Afrikas, Asiens und Süd-
amerikas verdankt. Und wenn heute stetes
Wachstum möglich scheint, liegt dies un-
ter anderem an dem grenzenlosen Handel
mit Arbeitskräften und Waren. Globali-
sierte Wirtschaft allerorts, doch die Men-
schen sollen doch bitte dort bleiben, wo
sie vermeintlich hingehören. Dies wird
auf Dauer nicht mehr funktionieren.
Wir sollten unsere Werte verteidigen,
unsere demokratischen und emanzipatori-
schen Ansprüche. Gewalt, Intoleranz und
Sexismus haben keinen Platz – und da ist
es mir vollkommen egal, ob ich diese Wer-
te gegen Rechte oder Flüchtlinge verteidi-
gen muss. Aber gleichzeitig sollte klar
sein, dass wir in dieser Welt zusammenrü-
cken müssen und dann auch der eigene
Wohlstand Abstriche erfahren muss.
DR. ANDREA SCHMIDT-NIEMEYER, HEIDEL-
BERG
Im Kommentar „Italien, allein?“ (F.A.Z.
vom 31. Juli) hat der Rom-Korrespondent
Tobias Piller die mehr als abstruse Mi-
grantenpolitik unter Innenminister Salvi-
ni in allen ihren Facetten präzise ausge-
breitet. Das „bashing“ der übrigen EU
und insbesondere auch der Bundesrepu-
blik durch die italienische Politik mit dem
Argument, man habe Italien mit den Im-
migrationsproblemen allein gelassen, ist
selbstverständlich pure Innenpolitik.
Wenn diese Beschimpfungen so weiterge-
hen, isoliert sich Italien immer mehr. Ita-
lien ist immerhin Gründungsmitglied der
EU.
Bisher hat es Italien versäumt, zu ei-
nem runden Tisch einzuladen, um eigene
Vorschläge für ein vernünftiges Prozede-
re zu unterbreiten und wiederum Vor-
schläge von den übrigen EU-Mitgliedern
entgegenzunehmen. Der Vorschlag von
Tobias Piller, dass sich bei Überschreiten
einer bestimmten Quote (etwa der italie-
nischen) Bevölkerung der Rest Europas
zu einer Weiterverteilung der illegalen Im-
migranten bereit erklären solle, kann der-
zeit leider in der übrigen EU angewandt
werden, da sich zahlreiche EU-Mitglieder
sträuben, überhaupt Wirtschaftsmigran-
ten aufzunehmen. Es bedarf also entwe-
der einer vorübergehenden Lösung durch
„willige“ Staaten oder sehr harter Ein-
schnitte wie etwa der temporären Ausset-
zung des Schengen-Abkommens. Denn
durch die freien Grenzen werden eindeu-
tig Migranten angezogen, die meinen,
sich das ihnen am besten geeignet erschei-
nende europäische Land für ihre Arbeits-
suche aussuchen zu können.
SIGURD SCHMIDT, BAD HOMBURG V.D.H.
Dass die F.A.Z. seit einigen Wochen mehr-
fach über den Zustand der deutschen Wäl-
der berichtet hat, so zuletzt Stefan Locke
mit „Sachsen sucht den Superbaum“
(F.A.Z. vom 1. August) und auch auf die
schwierigen Entscheidungen zu alternati-
ven Baumarten eingeht, begrüße ich sehr.
Allerdings habe ich in allen Beiträgen
eine seltsame Einigkeit entnommen, dass
die Waldeigentümer mit der Fichte vor na-
hezu 100 Jahren eine falsche Baumart ge-
pflanzt hätten.
Für die extremen Kalamitäten dieses
und der vergangenen Jahre, die durch
Stürme, Hitze und Trockenheit hervorge-
rufen wurden, sind wohl nicht die Waldei-
gentümer von vor 80 bis 100 Jahren ver-
antwortlich. Damals sind wohl nur weni-
ge Fichten auf falschen Standorten ge-
pflanzt worden. Vielmehr sind all jene,
die für den Klimawandel verantwortlich
sind, auch Mitverursacher des „Fichten-
sterbens“.
Die Generationen derer, die seit 1940
geboren wurden, haben doch den schnel-
len Anstieg von CO 2 , NOx und so weiter
in der Atmosphäre zu verantworten. Ist
denn die Öffentlichkeit nicht auch zum
Schadenersatz für das unverkäufliche
oder weit unter Wert nur absetzbare Holz
verpflichtet? Mit finanziellen Hilfen für
die Abräumung und Wiederbepflanzung
der Schadflächen ist nur ein Teilschaden
ausgeglichen.
Haben denn diese Generationen von öf-
fentlichen Befürwortern der Priorisie-
rung von alten Buchenwäldern zum Bei-
spiel in Hessen und Nordrhein-Westfalen
nicht den nächsten Fehler begangen?
Auch die Buchen erweisen sich nicht als
ausreichend klimastabil. Hinzu kommt,
dass alte Buchenwälder wegen ihres gerin-
gen Wachstums nur unwesentlich CO 2 in
Holz einbauen. Ist die Buchenbevorzu-
gung Folge einer Überbewertung autoch-
thoner Baumarten? Gehören diese Wäl-
der nicht längst umgebaut im Hinblick
auf nachhaltige Erfüllung der multifunk-
tionalen Aufgaben von Wäldern für maxi-
male CO 2 -Einlagerung und Holznut-
zung?
Den einen Superbaum wird man aber
nicht finden – die Standorte sind zu unter-
schiedlich. Dabei sollten auch wüchsige
Nadelbaumarten aus Wuchsgebieten, die
dem zukünftigen Klima und den Böden in
Mitteleuropa ähneln, nicht tabu sein – die
Holzforschung und die holzverarbeitende
Industrie werden sich auch auf diese ein-
stellen, sofern kontinuierlich vernünftige
Mengen – und nicht nur Kleinmengen
oder Einzelstämme – angeboten werden.
DR. MICHAEL PAULITSCH, WARENDORF
Briefe an die Herausgeber
Ein Schlag in das Gesicht der Menschen
Italien macht nur Innenpolitik
Es gibt keinen Superbaum
Politik- und Verwaltungsversagen