Süddeutsche Zeitung - 13.08.2019

(nextflipdebug5) #1

Annaberg-Buchholz– DJ Bobo war nie in


Annaberg-Buchholz – dafür sein alter Tour-


bus. Der schwarze Nightliner mit den getön-


ten Scheiben steht Anfang Juli im Westen


der Stadt mit knapp 19 800 Einwohnern.


Im Inneren schichtet ein 3-D-Drucker sur-


rend pinke Farbe aufeinander. Ein Mäd-


chen mit Regenbogensocken schaut dem


Lasercutter zu, wie er filigrane Figuren in


Holzplatten schneidet, die sie am Compu-


ter entworfen hat. Es riecht verbrannt.


Zehn Jahre lang fuhren Touristen mit

dem Doppelstockbus in den Urlaub. Dann


brachte er zehn Jahre Musiker zum nächs-


ten Konzert. Jetzt ist der Bus eine rollende


Designwerkstatt für Kinder und Jugendli-


che in Boxberg, Poberschau, Großpostwitz



  • oder Annaberg-Buchholz im Erzgebirge.


Sie sind Kleinstädte und Gemeinden
fernab der großen Politik und doch ent-


scheidend für die Zukunft Sachsens. Wäh-


rend Dresden und Leipzig boomen, ver-


greist und verwaist der ländliche Raum. In


manchen Teilen des Erzgebirges liegt der


Altersschnitt bei 50 Jahren. Wissenschaft-


ler empfahlen gar, einige Regionen aufzu-


geben. Das Gefühl der Perspektivlosigkeit


nutzt auch den Rechtspopulisten der AfD.


Zur Europawahl Ende Mai wurde die Partei


in Annaberg-Buchholz stärkste Kraft.


Jetzt, wenige Wochen vor der Landtags-


wahl, tingeln Politiker aller Parteien durch


die Provinz. Sie kämpfen um Wähler.


Christian Zöllner und Sebastian Piatza

kämpfen um die Jugend. „Sie soll aktiv,


wild und frei sein, selbstbewusst im Um-


gang mit Technologien, die eigentlich mit


urbanen Orten in Verbindung gebracht


werden“, sagt Zöllner, 37. Mit dem 34-jähri-


gen Piatza leitet er das Projekt Fabmobil.


Der Bus ist seit Herbst 2017 unterwegs.

Anfangs fuhr Piatza ihn selbst, heute gibt


es ein Team aus Betreuern, die das Fabmo-


bil kreuz und quer durch Sachsen steuern.


25 000 Kilometer, fast 200 Einsätze – das


ist die bisherige Bilanz. Finanziert wird das


Projekt über Stiftungen, aber auch durch


den Freistaat Sachsen. Die Zielgruppe sind


vor allem Schulen, in denen Kinder und Ju-


gendliche zuweilen noch den Umgang mit


Powerpoint und Excel lernen.


Im Fabmobil gibt es mehrere Virtual-Re-

ality-Brillen. Die Schüler können mithilfe


von Computerprogrammen Figuren für


den Tischkicker im Pausenraum entwer-


fen, Schlüsselanhänger, ein Schild für den
Jugendklub. Zur Ferienzeit parkt der Bus
meist vor soziokulturellen Zentren. In An-
naberg-Buchholz ist er auf Wunsch eines
Kulturvereins. In den ersten zwei Tagen
waren 40 Kinder und Jugendliche da.

Der Bus soll ein Raum für Kreativität
sein, eine Verbindung zwischen Stadt und
Land – und Zufluchtsort. Für jene, die auf
dem Land als anders gelten, wegen ihrer
Kleidung, ihrer Hautfarbe. „Im Bus herr-
schen unsere Regeln. Kein Rassismus, kein
Sexismus, keine Homophobie“, sagt Sebas-
tian Piatza. Einen Jungen mit Thor-Steinar-
Tasche stellte er vor die Wahl: Entweder
die Tasche bleibt draußen – oder er. Die Be-
treuer ziehen Grenzen, wo Eltern und Leh-
rer häufig kapitulieren.
Die Provinz kann das Paradies sein –
aber auch die Hölle. Zöllner und Piatza wis-
sen das. Sie sind beide in der Lausitz aufge-
wachsen, sie trennten Welten.

Piatza ist Sorbe, er stammt aus dem
Dorf Cunnewitz. Im Frühjahr brannte das
Hexenfeuer, wurde der Maibaum gesetzt.
Für das traditionelle Kuchensingen zogen
Piatza und seine Freunde durch die Dörfer,
zur Kirmes fuhren sie mit dem Traktor,
Piatza saß hinten auf dem Anhänger. Der
Jugendclub in Cunnewitz organisierte Vol-
leyball-Turniere, bei denen Jung und Alt
zusammenspielten. Dorfromantik.
Zöllners Jugend war geprägt von Angst.
Mit den langen Haaren galt er in seiner Hei-
matstadt Bautzen als „Zecke“. Nach der
Schule warteten auf der Straße die Nazis.
An den damals schon recht großen Zöllner
trauten sie sich nicht heran. Dafür prügel-
ten sie einen seiner Freunde krankenhaus-
reif. In der Hosentasche trug Zöllner ein
A4-Blatt, auf dem die Autokennzeichen
stadtbekannter Rechtsextremer standen.
Ein Verzeichnis, wann er sich besser in Si-
cherheit brachte. Zuflucht fand er in einem
Jugendzentrum. Piatza und Zöllner kann-
ten sich von Partys. Sie mochten dieselbe
Musik: schrammeligen Punk, Surf, Beat.
Dann ging Zöllner. Er studierte in Dres-
den, arbeitete von 2008 an in Berlin an der
Universität der Künste. Piatza studierte

Werkstoffwissenschaft, später Produktde-
sign. In Berlin trafen sie sich wieder, grün-
deten ein Designstudio, reisten zu Work-
shops nach China, Brasilien, in die USA.
Die Lausitz war weit weg. Bis zum
Herbst 2016, als es in Bautzen zu rechtsex-
tremen Ausschreitungen kam. Zöllner, zu-
fällig in der Stadt, geriet zwischen die Fron-
ten. Er wollte sich mit einem Freund auf
dem Kornmarkt treffen, den die Bautzner
„Platte“ nennen. „Überall standen Grüpp-
chen herum, darunter auch Flüchtlinge.
Plötzlich kam dieser Nazi-Mob angelau-
fen“, erinnert er sich. Sie versteckten sich
in den Gassen. So wie früher. Zöllner spür-
te Ohnmacht und Schuld. „Ich hatte das Ge-
fühl, die engagierten Leute durch meinen
Wegzug im Stich gelassen zu haben.“
Zöllner und Piatza entschieden sich, ak-
tiv zu werden. „Unsere Vision war: Wir
kommen – die Nazis gehen“, sagt Zöllner.
„Das war sehr romantisch gedacht.“
Als sie mit dem Fabmobil zu einer
Berufsmesse fuhren, wurden sie als „Kana-
ken“ beschimpft, wegen des Berliner Kenn-
zeichens. Auf der Armatur neben dem
Fahrersitz überklebte jemand den Sticker
in Regenbogenfarben mit Sprüchen wie
„Antifa ist Selbstmord“. Die Betreuer des
Fabmobils erleben Schüler, die im Bus
rechtsextreme Musik hören wollen, Viert-
klässler, die von Eltern in Thor-Steinar-
Klamotten abgeholt werden. „Wir werden
nicht alle erreichen“, sagt Sebastian Piatza.
Er kann aber auch von vielen Jugendlichen
erzählen, die sich freuen, wenn das Fabmo-
bil vorfährt. Ein 15-Jähriger berichtete Piat-
za stolz, er wolle jetzt an der Schule eine
Werkstatt gründen. „Kleiner Streber“, sagt
Piatza. „Aber so was macht Hoffnung.“
Geht es nach ihm und Zöllner, sollen in
den Kleinstädten eigene Digitallabore und
Werkstätten nach dem Vorbild des Fabmo-
bils entstehen – kreative Zentren, die un-
tereinander vernetzt sind. Entsprechende
Pläne gibt es für Bautzen und Döbeln.
Doch was, wenn die Jugendlichen einfach
gehen, so wie einst Zöllner und Piatza?
„Fortgehen, die Welt sehen, ist super“, sagt
Zöllner. „Aber wie kriegt man es hin, dass
die Leute auch zurückkommen?“ Er und Pi-
atza leben wieder in Sachsen, in Dresden.
Aber sie können sich auch vorstellen, wie-
der in die Provinz zu ziehen. Vielleicht so-
gar in die Lausitz. antonie rietzschel

von robert roßmann

Berlin– Es ist immer wieder erstaunlich,
wie lange die Sommerpause der Partei-
Spitzen dauert. Sieben Wochen lang hat
sich der Bundesvorstand der CDU nicht ge-
troffen. Als er am 24. Juni zuletzt zusam-
mengekommen war, da hatte noch nie-
mand geglaubt, dass Ursula von der Leyen
Präsidentin der EU-Kommission werden
würde. Und es galt noch die Ansage von An-
negret Kramp-Karrenbauer, nicht in Ange-
la Merkels Kabinett eintreten zu wollen.
Am Montag trafen sich die Partei-Granden
nun wieder. Dabei habe man „zurückge-
blickt auf alle Ereignisse seit der letzten Sit-
zung“, sagte CDU-Generalsekretär Paul
Ziemiak nach dem Treffen – und stellte
dann erst einmal dar, warum seine Partei
es ganz wunderbar finde, dass von der Ley-
en nun in Brüssel sitze und Kramp-Karren-
bauer im Kabinett.
Man sei „stolz darauf, dass eine von
uns“ jetzt EU-Kommissionschefin sei und
dass die CDU mit Kramp-Karrenbauer „ei-
ne Politikerin mit Gewicht“ ins Verteidi-
gungsministerium gebracht habe, sagte
Ziemiak. Auch die Tatsache, dass Bundesfi-
nanzminister Olaf Scholz während der lan-
gen Sitzungspause des CDU-Vorstands
endlich die Abschaffung des Solidaritätszu-

schlags für fast alle Steuerzahler auf den
Weg gebracht hat, pries der Generalsekre-
tär. Das blieb dann aber auch das einzige
Lob für einen Sozialdemokraten.
Ansonsten beklagte Ziemiak nämlich
vor allem das „skandalöse Verhalten“ der
SPD bei der Abstimmung über von der Ley-
en im EU-Parlament und die „Blockadehal-
tung“ der Sozialdemokraten in anderen Be-
reichen, etwa bei den Verteidigungsausga-
ben oder der Umsetzung der Grundrente.
Schließlich hätten doch einst auch Sozial-
demokraten die Erhöhung der Ausgaben
für die Bundeswehr gebilligt – genauso
wie sie sich im Koalitionsvertrag für eine
Bedürftigkeitsprüfung bei der Grundrente
ausgesprochen hätten, sagte Ziemiak. In
knapp drei Wochen wird in Sachsen und
Brandenburg gewählt. Da profilieren sich
auch Koalitionspartner gerne gegeneinan-
der. Die SPD hält es nicht anders.
Die eigentliche Botschaft der CDU-Spit-
ze an diesem Tag war aber eine andere. Das
zeigte sich eine gute Stunde später. Da er-
schien dann nämlich Kramp-Karrenbauer
im Foyer der CDU-Zentrale. Im Tross hatte
sie den Generalsekretär und den Landesge-
schäftsführer der Sachsen-CDU sowie die
Kreisvorsitzenden aus dem Bundesland.
„Die CDU zeigt Einigkeit“, sollte die Bot-
schaft sein. Denn zuletzt hatte es ziemlich

viel Kritik aus Sachsen an der Bundes-
CDU gegeben.
In einem „offenen Brief“ an die Partei-
chefin hatten etwa führende Leipziger
CDU-Politiker Ton und Kurs der Bundes-
partei moniert. In dem Brief wurden „of-
fenkundige Trennlinien“ zwischen West
und Ost beklagt. Das habe auch die „zum
Teil herablassende“ Kritik am Treffen von
Sachsens Ministerpräsident Michael
Kretschmer (CDU) mit dem russischen Prä-
sidenten Wladimir Putin gezeigt. Über die-
se Begegnung hatte sich auch Kramp-Kar-
renbauer kritisch geäußert. Außerdem
schrieben die Leipziger, der Umgang der

Union mit den sozialen Medien sei „blama-
bel“ – auch das war ein Seitenhieb auf die
Parteichefin, die sich etwa im Umgang mit
dem Youtuber Rezo nicht mit Ruhm bekle-
ckert hatte. Außerdem beklagten die Leip-
ziger einen „als unkontrolliert wahrgenom-
menen Zustrom Hunderttausender Flücht-
linge“, der große Verunsicherung ausge-
löst habe. Die Skepsis gegenüber der Union
sei im Osten „enorm gestiegen“, hieß es in

dem Brief. Es seien „umfassende Korrektu-
ren bundespolitischer Entscheidungen zu-
rück zu ihrem früheren Verständnis von
Recht, Ordnung, Sicherheit“ erforderlich.
Aber auch die Nähe, die einige sächsi-
sche Christdemokraten zum ehemaligen
Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Ge-
org Maaßen zeigen, sorgte zuletzt für Span-
nungen. Anfang August hatte sogar der
Landtagspräsident eine gemeinsame Wahl-
kampfveranstaltung mit Maaßen. Kretsch-
mer versichert zwar immer wieder, dass es
mit der AfD nach der Wahl keine Zusam-
menarbeit geben werde. Aber ob sich alle
in seiner Partei daran halten werden, dar-
an gibt es Zweifel – auch wegen der Nähe,
die manche zu Maaßen zeigen. Ziemiak re-
agierte am Montag auf Nachfragen zu Maa-
ßen jedenfalls ziemlich kurz angebunden.
Um die Lage zwischen Sachsen- und
Bundes-CDU zu entspannen, hatte sich
Kramp-Karrenbauer bereits Mitte Juli mit
den sächsischen CDU-Kreisvorsitzenden
getroffen. Wegen wichtiger Gespräche zu
ihrer überraschenden Ministerin-Wer-
dung hatte sie das Treffen in Großpösna je-
doch abkürzen müssen. Am Montag setzte
Kramp-Karrenbauer es nun in der Partei-
zentrale fort. Am Ende stellten sich dann al-
le zu einem gemeinsamen Foto auf, Einig-
keit zeigen halt.  Seite 4

Berlin– Verrückt muss man schon sein, so
wie Philipp Hentschel. Er ist 36 Jahre alt, ar-
beitet als Projektmanager, hat zwei Kinder
und lebt in Berlin. Aber nicht mehr lange.
Gemeinsam mit einigen Dutzend Mitstrei-
tern baut er einen verfallenen Hof im Dorf
Prädikow in Brandenburg um, mit viel En-
gagement, viel Zeit, einigen Unsicherhei-
ten. „Es ist ein Lebensprojekt“, sagt er.
Der Hof Prädikow ist eines von 18 Pro-
jekten, die das Berlin-Institut für Bevölke-
rung und Entwicklung in der Studie „Urba-
ne Dörfer – Wie digitales Arbeiten Städter
aufs Land bringen kann“ untersucht hat.
Die meisten Projekte liegen in Branden-
burg, alle bieten nicht nur Wohnraum, son-
dern auch digitale Arbeitsplätze. Sie stem-
men sich gegen einen Trend: Städte wie
Berlin oder Leipzig samt ihrer Speckgürtel
boomen. Viele ländliche Regionen verlie-
ren Einwohner. „Die Digitalisierung und
die Transformation Deutschlands zu einer
Dienstleistungsgesellschaft haben diesen
Prozess verstärkt“, sagt Institutsdirektor
Reiner Klingholz. Neue Unternehmen
siedelten hauptsächlich in den Städten an.
Ein Problem, das die Politik bereits er-
kannt habe, sei die Versorgung des ländli-
chen Raums mit Internet. „Aber ein Kabel
im Boden reicht nicht aus, um das Land
wiederzubeleben“, sagt Klingholz. „Wich-
tig ist: Was passiert am Ende des Kabels?“

Dabei machen 18 Projekte natürlich kei-
ne Trendwende. „Sie sind die Speckwürfel
inmitten des schrumpfenden Raums“, sagt
Klingholz. Sie müssen aber, davon ist er
überzeugt, nicht die einzigen bleiben.
Potenzial sieht die Studie bei den „Familien-
wanderern“, denen die städtische Zwei-
zimmerwohnung zu klein geworden, die
Vierzimmerwohnung aber zu teuer ist. Sie
fühlten sich dem Stadtleben verbunden,
hätten ein gutes Netzwerk und daher durch-
aus Angst, auf dem Land isoliert zu sein.
Eine Lösung für sie ist, den Schritt aufs
Land nicht alleine zu wagen, sondern ge-
meinsam mit anderen Städtern. So ist es in
den untersuchten Projekten, sie bestehen
aus mehreren Familien oder Erwachsenen.

Viele Freiberufler sind darunter, aber auch
Angestellte, die im Home-Office arbeiten
können. Andere arbeiten nun an ihrem neu-
en Heimatort als Ärzte, Erzieherinnen, Heil-
praktiker. Nur dauerhaft pendeln, das will
kaum einer – dann doch lieber einen Hof-
laden gründen, den Beruf wechseln.

Doch erst einmal so weit zu kommen, ist
alles andere als leicht, sagen die Studienau-
toren. Die Suche nach geeigneten Immobi-
lien sei mühsam, weil viele Kommunen
schlicht keinen Sinn darin sähen, verfalle-
ne Dorfgebäude überregional zu vermark-
ten. Einige hätten das Potenzial, das sich
hier eröffne, allerdings erkannt, auch kul-
turell und sozial. Viele der Städter eröffnen
in den Dörfern Cafés, organisierten Kultur-
festivals oder gründeten Initiativen für die
Nahversorgung mit Lebensmitteln. Und
zögen andere Städter nach, die sich vom
größeren Angebot angesprochen fühlen.
Nur einen Fehler dürften sie nicht
machen. „Sagen: Wir wissen, wie man
richtig lebt und arbeitet, und zeigen euch
das“, sagt Philipp Hentschel. Stattdessen
müsse man sehen, wo gemeinsame Interes-
sen lägen. In Prädikow zum Beispiel bauen
sie gerade eine Scheune zum Veranstal-
tungsraum um. Nicht als urbanes Ufo in-
mitten des ländlichen Lebens, sondern für
alle. hannah beitzer

Berlin –Das Bundesamtfür Asyl und
Flüchtlinge (Bamf) wehrt sich gegen den
Vorwurf, Asylanträge traumatisierter
Flüchtlinge nicht sorgfältig zu prüfen und
sie ohne qualifizierte Beurteilung abzuleh-
nen. „Wir weisen diesen Vorwurf entschie-
den zurück“, sagte ein Sprecher der Flücht-
lingsbehörde am Montag. „Im Rahmen des
Asylverfahrens wird auf die psychische
und physische Verfassung der Antragstel-
ler Rücksicht genommen.“ Bei Hinweisen
auf psychische Erkrankungen Geflüchte-
ter seien die Entscheider der Flüchtlings-
behörde sensibilisiert, „besonders einfühl-
sam mit den Betroffenen umzugehen“.
Dazu gehöre, das Wiedererleben traumati-
scher Erlebnisse bei Anhörungen zu ver-
meiden. Im Einsatz seien „speziell geschul-
te, gesondert beauftragte Entscheider für
bestimmte vulnerable Personengruppen“,
die sich streng an die Vorgaben hielten.
Grund der Auseinandersetzung, über
die zunächst die Funke-Mediengruppe
berichtete, ist eine scharfe Kritik der Bun-
desweiten Arbeitsgemeinschaft der Psy-
chosozialen Zentren für Flüchtlinge und
Folteropfer (BafF). Das Netzwerk berät
Gewaltopfer, vernetzt psychologische Bera-
tungszentren – und vermisst in der Flücht-
lingsbehörde Bamf Fachkompetenz. „Seit
2016 erreichen uns immer mehr Beschwer-
den von Ärzten, dass ihre Stellungnahmen
abgelehnt wurden. Die Ausmaße, die das
angenommen hat, sind erschreckend“,
sagte Silvia Schriefers, Psychologin und
wissenschaftliche Mitarbeiterin im BafF.
Seitenlange Gutachten von Psychia-
tern, Psychologen oder Therapeuten wür-
den regelmäßig mit der Bemerkung zu-
rückgewiesen, die Mindestanforderungen
seien „nicht erfüllt“, so Schriefers. Oft erfol-
ge die Ablehnung nicht differenziert,
sondern mit stereotypen Textbausteinen.
Bisweilen spreche daraus auch mangelnde
Sachkenntnis. „Es werden Beweise gefor-
dert für Diagnosen, die so aus fachlicher
Sicht gar nicht lieferbar sind“, sagte Schrie-
fers. So fordere das Bamf immer wieder
Belege dafür, dass ein traumaauslösendes
Ereignis auch wirklich stattgefunden ha-
be. Einzelne Kriegserlebnisse oder Folter
aber ließen sich eben gerade nicht belegen.
Wo die Expertise einer ganzen Fachschaft
massiv in Zweifel gezogen werde, würden
politische Absichten erkennbar.
Bei der Flüchtlingsbehörde hält man die
Kritik für unbegründet und verweist auf
ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts.
Demnach sei ein Attest nicht ausreichend,
wenn es „keine Angaben über eine eigene
ärztliche Exploration“ enthalte, keine
„nachvollziehbar“ eigene Diagnose ge-
stellt worden sei oder diese auf „offenbar
nicht weiter überprüften Angaben“ des
Antragstellers beruhe. Aufgabe des Bun-
desamts sei es zu prüfen, welche Gefahren
Asylbewerbern im Herkunftsland drohten.
Nur äußerst gravierende, „insbesondere le-
bensbedrohliche Erkrankungen“ könnten
ein Abschiebeverbot begründen. Zudem
müsse gesichert sein, dass im Zielstaat
„nicht mit einer wesentlichen Verschlech-
terung des Gesundheitszustandes zu rech-
nen“ sei. constanze von bullion

Nicht zurückbleiben, bitte


Ein Raum für Kreativität – und ein Zufluchtsort: Warum zwei Designer mit einem Bus durch die sächsische Provinz fahren


Auftritt der Sachsen


Zwischen dem CDU-Landesverband und der Bundespartei gab es zuletzt Differenzen, etwa beim Umgang


mit Wladimir Putin. Drei Wochen vor der Wahl bemüht sich Annegret Kramp-Karrenbauer um Harmonie


Home-Office in Prädikow


Die Digitalisierungkann den ländlichen Raum neu beleben


Berlin –Bundeskanzlerin Angela Mer-


kel (CDU) hat sich hinter das Vorhaben


kostenloser Bahnfahrten für Soldaten


gestellt. Die Kanzlerin unterstütze und


begrüße diese Initiative ausdrücklich,


sagte Regierungssprecher Steffen Sei-


bert am Montag. „Das sind Menschen,


die tagtäglich einen Dienst für uns alle


leisten, und mit der kostenlosen Bahn-


fahrt gibt es eine Möglichkeit – es sollte


nicht die einzige sein –, Anerkennung


und Dankbarkeit dafür zu zeigen“, sagte


Seibert. Verteidigungsministerin Anne-


gret Kramp-Karrenbauer (CDU) hatte


Gratis-Bahnfahrten für Soldaten in


ihrer Regierungserklärung Ende Juli ins


Gespräch gebracht, um die Sichtbarkeit


der Bundeswehr zu erhöhen. NachSpie-


gel-Angaben gestalten sich die Gesprä-


che zwischen dem Ministerium und der


Bahn schwierig. Strittig seien vor allem


die Buchungskonditionen. Die Bahn


will Soldaten demnach nur in nicht


stark ausgelasteten Zügen befördern,


für die sie normalen Kunden rabattierte


Sparpreis-Tickets anbietet. dpa


Leipzig– Knapp drei Wochen vor der


Landtagswahl in Sachsen hat André


Poggenburg den Vorsitz der von ihm


gegründeten Partei Aufbruch deutscher


Patrioten Mitteldeutschland (ADPM)


niedergelegt. Zudem kündigte der Ex-


AfD-Politiker in einer Mitteilung vom


Montag an, die Partei „nach ordnungs-


gemäßen Übergaben“ verlassen zu


wollen. Am Wochenende hatten er und


zwei weitere Vorstandsmitglieder dem-


nach auf einem Parteitag in Leipzig


einen Antrag gestellt, ihren eigenen


Wahlkampf zugunsten der AfD zu been-


den und die ADPM bis Ende August


aufzulösen. Schatzmeister Mirko Schü-


ring sagte am Montag, ein schriftlicher


Antrag auf einen Austritt Poggenburgs


liege bisher nicht vor. Die ADPM tritt in


Sachsen, wo am 1. September gewählt


wird, mit einer eigenen Liste an. dpa


Berlin –Das Bundesinnenministerium


hat sich zurückhaltend zur Frage eines


schnellen Verbots des Neonazi-Netz-


werks „Combat 18“ geäußert. Bei „Com-


bat 18“ handle es sich um eine neonazis-


tische, rassistische, fremdenfeindliche,


demokratiefeindliche und gewaltberei-


te Gruppierung, sagte eine Ministeri-


umssprecherin am Montag. Verbotsver-


fügungen bedürften aber einer sorgfälti-


gen Prüfung, damit sie auch vor Gericht


Bestand hätten. „Unsere Verfassung


stellt hohe Anforderungen auch an das


Verbot von Vereinen, die eingehalten


werden müssen, hierzu bedarf es zahl-


reicher Beweise, die sorgfältigst über-


prüft und hinterlegt werden müssen“,


sagte sie weiter. Die Sozialdemokraten


setzen sich für ein rasches Verbot von


„Combat 18“ ein, wie die SZ am Montag


berichtet hatte. Die Organisation gilt als


bewaffneter Arm des verbotenen Neona-


zi-Netzwerks „Blood & Honour“ (Blut


und Ehre).dpa


DEFGH Nr. 186, Dienstag, 13. August 2019 (^) POLITIK HF2 5
„Unsere Vision war: Wir
kommen– die Nazis gehen. Das
war sehr romantisch gedacht.“
Geschlossenheit zeigen: CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer und die Vertreter der Sachsen-CDU in der Berliner Parteizentrale. FOTO: BERND VON JUTRCZENKA/DPA
Seit Herbst 2017 hat das Fabmobil 25 000 Kilometer zurückgelegt und fast 200 Orte
besucht. Hier steht es in Görlitz. FOTO: JAKUB PUREJ
Eine Trendwende stellen die
18 Projekte noch nicht dar, für die
Forscher sind sie „Speckwürfel“
Asylbehörde weist
Kritik zurück
Psychologen werfen dem Amt vor,
Anträge nicht kompetent zu prüfen
Auf Nachfragen zu Hans-Georg
Maaßen reagiert Generalsekretär
Ziemiak kurz angebunden
Leerstand am Rand
Geschätzter Anteil leerstehender
Wohnungen, 2017,
Angaben in Prozent
SZ-Grafik; Quelle: Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung
unter 4
4 bis unter 8
8 bis unter 12
12 bis unter 14
14 bis unter 16
16 und mehr
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VORPOMMERN
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Poggenburg tritt zurück
Sorgfältige Verbotsprüfung
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