Der Tagesspiegel - 18.08.2019

(Axel Boer) #1

I


n der Berliner Zentrale des Aus-
wärtigen Amts gibt es ein Referat,
in dem es ein wenig zugeht wie bei
„Monopoly“.In dieser Immobilien-
abteilung arbeiten fast 100 Mitar-
beiter. Sie begutachten Häuser und mie-
ten sie an, planen und bauen neue, geben
alte auf und verkaufen sie. Im Unter-
schied zum Brettspiel findet die Gebäu-
deverwaltung jedoch nicht auf 50 mal 50
Zentimetern statt – sondern weltweit.
Die Bundesrepublik unterhält derzeit
diplomatische Beziehungen zu allen 195
Staaten, die die UNO als solche völker-
rechtlichanerkennt, Vatikanstadt undPa-
lästina inbegriffen. In manchen dieser
Länder existieren gleich mehrere Vertre-
tungen, insgesamt gibt es deshalb 232
Dienstorte.
Vom 26. bis 29. August kommen die
Leiter der deutschen Auslandsvertretun-
gen in Berlin zur alljährlichen Botschaf-

terkonferenz zusammen. Wo leben und
arbeiten all die Diplomaten in den Staa-
ten, in die sie entsandt wurden? Und gibt
es eine architektonische Handschrift,
mitder sich Deutschlandin der Welt prä-
sentiert?
Schaut man sich Botschaften, General-
konsulate und Residenzen rund um den
Globus an, stellt man schnell fest, dass
sie kaum vielfältiger aussehen könnten.
Der einzige gemeinsame Nenner: zwei
Fahnenmaste und ein ausgeklügeltes Si-
cherheitsregime – manchmal als hohe
Mauer sofort sichtbar, manchmal als
schusssicheres Panzerglas kaum als sol-
ches zu erkennen.
Das erste Gebäude, das ausschließlich
als deutsche Botschaft errichtet wurde,
entstand 1877 im damaligen Konstanti-
nopel. Der monumentale Stadtpalast be-
findet sich in unmittelbarer Nachbar-
schaft zum Taksim-Platz. Er dient heute
als Generalkonsulat Istanbul, und da die
Stadt am Bosporus noch immer das Zen-
trum des gesellschaftlichen Lebens (und
damit auch der Konflikte) in der Türkei

ist, findet er in den Nachrichten häufiger
Erwähnung als die Vertretung in Ankara.
Die ersten Botschaftsbauten der Bun-
desrepublik entstanden gut zehn Jahre
nach dem Zweiten Weltkrieg, etwa in
Canberra (1956 bis 1958), Neu Delhi
und Rio de Janeiro (beide 1956 bis
1960). Stilistisch unterschieden sie sich
kaum von Verwaltungsbauten der Wirt-
schaftswunderjahre. Da die jungen Pla-
ner der Nachkriegsgeneration Berüh-
rungsängste mit repräsentativer Archi-
tektur für den Staat hatten, verordneten
sie ihren Bauten Zurückhaltung und Un-
sichtbarkeit. Diedeutschen Auslandsbau-
ten glichen deshalb lange einer provin-
ziellen Sparkasse.
Oswald Mathias Ungers brach 1994
mit dieser Tradition, als er die Residenz
des deutschen Botschafters in Washing-
ton entwarf. Der weiße monumentale
Bau erhitzte die Gemüter – zu Hause al-
lerdings mehr als im Ausland, wo Un-
gers’ Architektur gefeiert und prämiert
wurde. Der Kölner hatte die Anlage am
UferdesPotomac auf geometrischenFor-

men basierend bis hin zu den Möbeln als
Gesamtkunstwerk entworfen. Manch ein
Botschafter soll seine Probleme mit die-
sem architektonischen Diktat haben.
In den vergangenen Jahren ist die Liste
der Dienstorte länger geworden, an de-
nen sich Deutschland hinter Betonmau-
ern und Schüttgutkörben verbarrika-
diert. Aus Sicherheitsgründen mussten
vor einigen Jahren die Botschaften in Sa-
naa, Tripolis und Damaskus ganz ge-
schlossen werden. In sondergeschützten
Containern leisten deutsche Diplomaten
seit Kurzem ihren Dienst in Afghanistan,
wo im November 2016 in Masar-e Scha-
rif und im Mai 2017 in Kabul innerhalb
eines halben Jahres gleich zwei deutsche
Liegenschaften durch einen Terroran-
schlag zerstört wurden.
Früher plante und baute die Bundes-
baudirektion zentral. Nun wurden vor
zwei Jahren in Maskat (Oman) und im
vietnamesischenHo-Chi-Minh-Stadt Ge-
bäude von privaten Investoren fertigge-
stellt, dievom Auswärtigen Amt langfris-
tig genutzt werden. In Kopenhagen

wurde ein zentrumsnaher Stadtpalast
aufgegeben,um die Botschaftineiner Bü-
roetage unterzubringen. Diese befindet
sich in einem ehemaligen Zementsilo im
Hafen. Für die Vermieter ist eine deut-
sche Botschaft natürlich ein attraktiver
Kunde. Das Außenministerium schließt
Verträge langfristig ab und hält die Lie-
genschaften vorschriftsmäßig instand.
Von der Öffentlichkeit kaum wahrge-
nommen, werden derzeit mehr als ein
DutzendBotschafteninAfrika generalsa-
niert und umgebaut. Oder es entstehen
Kanzleineubauten – wie etwa in Mali, wo
dieBundeswehreinenihrergrößten Aus-
landseinsätze hat. Wie in der dortigen
Hauptstadt Bamako werden auch in den
meistenanderenOrtenderSahelzonedie
Liegenschaften den gestiegenen Sicher-
heitsanforderungen angepasst, die seit
der Brandstiftung in der deutschen Bot-
schaft2012in Khartoumgelten.
Immobilienmanagement fürs Auswär-
tige Amt, das bedeutet: sensibler Denk-
mal- auf der einen und lebensrettender
Terrorschutz auf der anderen Seite.

VonBjörnRosen


S2 DER TAGESSPIEGEL SPIELBERICHT NR. 23 918 / SONNTAG, 18. AUGUST 2019


NEU DELHI
Indien

C3 RESIDENZ


Baujahr 1960
Architekt JohannesKrahn
Botschafter S.E.WalterLindner
Nutzfläche ca.1800qm
Wasmansonstnoch
wissensollte

FürdenStandort
NeuDelhilobtedie
Bundesrepublik1954
ihrenerstenArchitek-
turwettbewerbfüreine
Botschaftaus.

PA R IS
Frankreich

C1 RESIDENZ


Baujahr 1714
Architekt GermainBoffrand
Botschafter S.E.Dr.Nikolaus
Meyer-Landrut
Nutzfläche ca.2800qm
Wasmansonstnoch
wissensollte

Esheißt,dieArchi-
tekturdesPalais
Beauharnaisverän-
derediePersönlich-
keitderBewohner.

WA S H I N G T O N
USA

C2 RESIDENZ


Baujahr 1994
Architekt OswaldMathiasUngers
Botschafterin I.E.Dr.EmilyHaber
Nutzfläche ca.2300qm
Wasmansonstnoch
wissensollte

DerArchitektentwarf
allesimQuadrat,auch
dieTische,Stühleund
selbstdiekantigen
Kerzenständersowie
Stehleuchten.

BAMAKO
Mali

A1 BOTSCHAFT


Baujahr 2020(geplant)
Architekt MeuserArchitekten
Botschafter S.E.Dr.DietrichFritz
ReinholdPohl
Nutzfläche ca.750qm
Wasmansonstnoch
wissensollte

DerKanzleineubau
entstehtbeiparallel
laufendemBotschafts-
betriebmittenaufdem
Grundstück.

KOPENHAGEN
Dänemark

A2 BOTSCHAFT


Baujahr 2014
Architekt DesignGroup
Architects
Botschafter S.E.AndreasMeitzner
Nutzfläche ca.1000qm
Wasmansonstnoch
wissensollte

DieBüroetage
befindetsichinden
PortlandTowers,zwei
ehemaligenZement-
silosimHafen.

CANBERRA
Australien

A3 BOTSCHAFT


Baujahr 1958
Architekt Amtsentwurfder
Bundesbaudirektion
Botschafter S.E.Dr.Thomas
Fitschen
Nutzfläche ca.900qm
Wasmansonstnoch
wissensollte

InAustralienwurde
1958derersteBot-
schaftsneubauder
Bundesrepubliküber-
hauptfertiggestellt.

MASKAT
Oman

A4 BOTSCHAFT


Baujahr

2017

Architekt

Hoehler+AlSalmy

Botschafter

S.E.ThomasFriedrich
Schneider

Nutzfläche

ca.1400qm

Wasmansonstnoch
wissensollte

EinlokalerInvestor
errichtetedieBotschaft
aufeigeneKostenund
vermietetsielangfristig
andasAuswärtigeAmt.

S.E.undI.E.sind
diplomatische Titel
des Botschafters oder
der Botschafterin
und stehen fürSeine
ExzellenzundIhre
Exzellenz.

Collagen: Atelier Kraut (15); Montage und Grafik: Yvonn Barth & Irvandy Syafruddin
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