Hamburger Morgenpost - 18.08.2019

(Elle) #1
Aber,soschreibt er imJanuar
1944: ImFalle einerNiederlage
Nazide utschlandswerde„das
Hitlerregime (...) nicht davorzu-
rückschrecken“, ihn „für immer
zu erledigen“.
Die Niederlagezeichnet sich
längst ab.Dazuverüben deut-
sche Militärsam20. Ju li 1944 ein
Attentat auf Hitler.Esschlägt
fehl.Dreiein halb Wochen spä-
ter, am 14.August, trittHeinrich
Himmler,Reichsinnenminister,
ReichsführerSS und Chef der
DeutschenPolizei, bei Hitler
zum Rapport an. Er schreibt auf
seinenNotizzettelunterPunkt
12: „Thälmann. Ist zuexekutie-
ren.“
Zeitpunkt undUmstände der
Ermordung Thälmanns sind
noch heute nicht eindeutigge-
klärt. Es heißt, zwei Gestapo-
Beamte hättenihn am17.August
1944 aus demZuchthaus Baut-
zenins KZ Buchenwald ge-
bracht; er sei dort in derNacht
zum18., kurz nach Mitternacht,
erschossen, seine Leichever-
branntworden. Eine andere
Version besagt, er sei erst vier
oder fünfTage nach derBom-
bardieru ng des Lagersam24.
August zusammen mit neun an-

deren Kommunistengetötet
worden. Eine dritte hält es für
möglich, dasserschon in Baut-
zenumgebrachtwurde.
Der „VölkischeBeobachter“,
Partei organder
NSDAP,vermeldet
am16.September
wahrheitswidrig,
Thälmann sei bei ei-
nem alliiertenBom-
benangriffauf Bu-
chenwald am24.Au-
gust ums Lebenge-
kommen, zusammen
mit dem ehemaligen
Vorsitzenden der
SPD-Reichstagsfrak-
tionRudolf Breit-
scheid.
Nach Kriegsende
kehren Wilhelm
Pieck undWalter Ul-
bricht,Stalins neue
Günstlinge, aus ih-
remExilzurück
nach Deutschland. Als selbst er-
nannteVollstreckervonThäl-
mannsVermächtnis legitimie-
rensie ih renFührungsanspruch
und den der KPD-Nachfolge-
partei SED.Ihren ermordeten
Partei genossenTeddy, für des-
sen Befreiung siekeinenFinger

rührten, erhebt dasThälmann-
lied zum „unsterblichen Sohn“,
der „niemalsgefa llen“ sei, zur
„Stimme undFaust derNation“.
Die Tragödie des ErnstThäl-

mann hatnoch eine bittere
Nachgeschichte. Es ist die Ge-
schichteder Suche nach seinen

Mördern, eine Geschichte, die
beide deutschenStaatenschrei-
ben und diefast ein halbesJahr-
hundert lang ist.Sienimmt ih-
renAnfang in derStra fver fol-
gung vonNS-Ver-
brec hern, die un-
ters chiedlich
gehandhabtwur-
de: Die Bundesre-
publik ver-
schleppteVerfah-
ren(oder nahm
sie garnicht erst
auf), die DDR üb-
te daran scharfe
Kritik.
Einer der
Hauptverd ächti-
genimMordfall
Thälmann war
Erich Gust,SS-
Obersturmführer,
1942 bis 1944 zwei-
terSchutzhaftla-
gerführerimKZ
Buchenwald,ab1944Rapport-
führer.Die United NationsWar
CrimesCommissionführteGust
ab 1946 aufder Listegesuchter
Kriegsverbrecher,das Amtsge-
richtWeimarerließ1948 Haft-
befehlgegenihn, die Bundesre-
publik nahm ihn1959auf die

Fahndungsliste.
Als Franz GriesewarErich
Gust imWesten Deutschlands
untergetaucht. Mit seiner Ehe-
frau betrieberab1966das Lokal
„Heimathof“ in Melle (Nieder-
sachsen).Die Staatssicherheit
der DDRkamGustspätestens
1968 auf die Spur–und behielt
ihr Wissen für sich.
Ost-Berlinwarf Bonn statt-
dessenvor, im Fall Gust nicht
energischgenug ermitteln zu
lassen. Hintergrund: DieStasi
wollteGust für „operativeZwe-
cke“ nutzen.BekannteBonner
Politiker und Mitarbeiter des
Justizministeriumsverkehrten
in seinem Lokal; dieser „Skan-
dal“ inSachenStra fver folgung
vonNS-Verbrechern solltezu
gege bener Zeit derWeltöffent-
lichkeit präsentiertwerden –es
istdazu aus unbekannten Grün-
den niegekommen.
Im November1992 wurdedie
Stasi-Aktion bekannt. Dawar
Gust ein Dreivierteljahrtot. Un-
behelligtvonder Justiz soll er
eines friedlichenTodesgestor-
ben sein.
Ein friedlicherTod–Ernst
Thälmannwarernichtver-
gönnt.

Sonntag, 18. August 2019 35


Foto:dpa

Beim Hamburger
Aufstand, den Thälmann
angezettelt hat, gibt
es 1923 tagelange
Straßenschlachten.
88 Zivilisten und
Polizisten sterben,
außerdem sechs
kommunistische
Aktivisten. Hier
kontrolliertdie
Ordnungspolizei
verdächtige
Passanten.

Das Thälmann-Haus in Eppendorf.
Dortwirdesheute um 14 Uhr eine
Gedenkveranstaltung geben. DKP-
ChefPatrik Köbele wirderwartet.

DieUmstände derFestnahme
werden Gegenstandparteiinter-
nerUnters uchungen:Warum
hatderffllüchtigeThälmannwo-
chenlang ein- und dieselbe
Wohnunggenutztund warum
haben Angehörigedes Partei-
selbstschutzes dieWohnung
nichtgesichert?
Es kommt in denfolgenden
Jahren wiederholt zugegensei-
tigenVerdächtigungen mehr
oderweniger beteiligterPerso-
nen, nicht zuletzt durchgezielte
Desinformationsmaßnahmen
undweiter eFahndungserfolge
derGestapo.
In der Gestapozentrale in der
Niederkirchnerstraße wird
Thälmann mehrfach einer„Son-
derbehandlung“ unterzogen.
Beieinem Verhör am 8.Januar
schlägt man ihm vier Zähne aus.
Nachdem öffentlichgeworden
ist, dassder prominenteGefan-
gene misshandelt wird, lässt
Hitler dieFolter abbrechen.
DieNationalsozialistenwol-
len ThälmannvorGericht stel-
len.WegenHochverrats: Der
KPD-Vorsitzende habe einen
Staatsstreich geplant. Das
kommt ihm und auch seinen Ge-
nossen imExil zu pass .Vor der


Weltöffentlichkeitkann er die
Sache desKommunismusver-
teidigen.
Der Anklageaber fehlt es an
Beweisen fürHochverrat.„To-
desstraf eoderlebenslanges
Zuchthaus“ seien „rechtlich
nicht möglich“, stellt derVertre-
terder Reichsanwaltschaftfest.
EinegeringereStraf eaberwäre
„ein Argumentgegendie Größe
der kommunistischen Gefahr“,
befindet dasReichsinnenminis-
terium.
Stattvor GerichtkommtThäl-
mann imHerbst 1935 in Dauer-
„Schutzhaft“. Die KPD hatda
bereits einen neuenVorsitzen-
den, einPartei tagnahe Moskau
einenMonatzuvor hatte Wil-
helmPieck gewählt.
Die „Schutzhaft“ erfolgt in
Berlin,Hannover(ab 1937) und
Bautzen (ab1943). Als „Kom-
fort-Häftling“ darfThälmann
Besuch vonseinerFrau empfan-
gen, Tageszeitungen lesen und
Briefeschreiben. Erverf asst 24
BriefeanStalin. Jedenbringt sei-
ne Frau zur SowjetischenBot-
scha ft in Berlin. Die nimmt erst
den14.Brief entgegen,mit der
Begründung, die Handschrift
prüfen zu lassen; es könneja

sein, dassder Verfasser nicht
der ist, der ervorgibtzusein.
Schließlichgelangen alle Briefe
auf StalinsSchreibtisch.
Als er im März1940 immer
nochkeine Antwort erhalten
hat, schreibtThälmann, wie im-
mer ergebenst: „Von dem akti-
venEingreifen meiner russi-

schenFreundeverspreche ich
mir den einzig und allein aus-
schlaggebenden Erfolg zu mei-
ner baldigenFreilassung.“Und
weiter :„Für mich ist heute
schon klar,daß die Sowjet-Uni-
on diese meine neueHeimat
sein wird(...) Also denkt an Eu-

rentapfere nKämpfer undun-
beugsamenRevolutionär,der
ungebrochen undstandhaftan
der heiligenIdee desKommu-
nismusfesthält und der seinere-
volutionärePffllicht auch hier im
Kerker erfüllt (...).“
Nicht ein Brief wirdbeant-
wortet.
Anfang der1990erJahrewer-
den Thälmanns BriefeinStalins
persönlichem Archivgefunden.
Einer davonträgt seine hand-
schriftlicheNotiz: „Ablage!“
Für Stalin warjeder,der in des
GegnersHändefiel, einFeind.
Dasgalt sogar für seinen Sohn
Jakow, der imJuli 1941 in deut-
scheKriegsgefangenschaftge-
riet –und im April1943 im KZ
Sachsenhausen umkam. Abge-
sehen davon, dassStalin leugne-
te,seinSohn seigefa ngenge-
nommenworden, befand er
grundsätzlich: Hitler habekeine
russischen Gefangenen, er habe
„nur russischeVerräter,und die
werden wir erledigen,wenn der
Krieg vorbei ist“.
Auch ErnstThälmannwar
demnach einVerräter.
Als unbeugsamerKommunist
zeigtesich Thälmann in seinen
Briefen anStalin, auch deshalb,

um seineHoffnung aufBefrei-
ung mit dessen HilfeamLeben
zu erhalten, zumindest bis zum
Überfall Hitlersauf dieSowjet-
union imJuni 1941.Esgibt aber
auch Überlieferungen, denen
zufolgeersich verraten fühlte:
Seine Genossen sähen ihn „lie-
ber drinnen als draußen“,
schreibt er1937,essei ja „sonst
mit derPropaganda aus“. In der
Durchhalteparole derPartei
„Wir leben in einer Zeit, in der
deineStimme aus der Haftge-
braucht wird“findet erwenig
Tröstliches: „Warum seid ihr
solche Scheißkerle und lasst
mich hier sitzen?“
Ein Thälmann-Befreiungsko-
mitee derKomintern nutzt seine
Gefangenschaft, um die braune
Unrechtsjustizvorder Weltöf-
fentlichkeit anzuprangern. Für
seineFreilassungunternimmtes
nichts, wieWalter Ulbricht, der
die Exil-KPD defactoführt, zu-
friedenfeststellt.Thälmanns
Angehörigeerfahrennach dem
Krieg,dass Ulbricht alle ihre
Bitten, sich fürThälmannsBe-
freiung einzusetzen, ignorierte.
Langebewahrt seine interna-
tionalePopularitätThälmann
davor, hing erichtet zuwerden.

Für Stalin ist
grundsätzlich

jeder,
der in die
Hände des

Gegners fällt,
ein Feind.

34 REPORT


Ernst Thälmann,
hier bei einer
Kundgebung in
Leipzig 1932,
war ein glühender
VerehrerStalins.
Er hofftenachseiner
Festnahme, mit dessen
Hilfe freizukommen.
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