Süddeutsche Zeitung - 10.08.2019

(avery) #1

J


etzt also Menschen mit Behinde-
rung. Blinde, Gelähmte, Gehörlose.
Mit Blindenhund, Rollstuhl und
Prothesen werden sie sich dem-
nächst ihren Weg durch das Univer-
sum der gelben Gesichter bahnen. Bild-
chen von Menschen mit Handicap werden
bis Ende des Jahres Teil der Emoji-Tasta-
tur auf jedem Smartphone sein, sie können
dann in alle Welt verschickt werden. Emo-
jis haben sich binnen weniger Jahre auf un-
seren Handys eingeschlichen. „Ich war
überrascht, wie beliebt Emojis geworden
sind“, sagt Scott E. Fahlman. Der US-Wis-
senschaftler ist der Mann, der 1982 dem lä-
chelnden Gesicht zur Weltkarriere verhol-
fen hat. Fahlman forschte damals an der
Carnegie Mellon University in Pittsburgh
über künstliche Intelligenz. Fast täglich er-
lebte er unter den Kollegen, welche Folgen
die frühe elektronische Kommunikation
haben konnte: „Manchmal kam es sogar
zu einem ernsten Streit deswegen.“ Die Lö-
sung, die er fand, bestand aus drei Zeichen:
„Ich schlage vor, dass die folgende Zeichen-
sequenz einen Witz markiert: :-).“
Fahlmanns „Emoticon“ funktionierte
als unübersehbare Verständnishilfe und
emotionale Begleitmusik zum geschriebe-
nen Wort. Es machte zweimal Weltkarrie-
re. Als Zeichenfolge und später – als Emoji,
als gelber Smiley. Fahlman wäre lieber für
seine Forschungen bekannt geworden als
für das digitale Mondgesicht, er selbst fin-
det es „hässlich“. Doch mit eben diesem
Mondgesicht und mit den Emojis wurde
das Schreiben mit Bildern zurück in die
Neuzeit geholt. Von Höhlenmalereien bis
hin zu den Hieroglyphen – die Geschichte
der Schrift begann mit Piktogrammen und
wurde erst nach und nach von Buchstaben
abgelöst, mit Grammatikregeln versehen.
Mit den Emojis, dem Verständigungs-
tool der globalen Smartphone-Gesell-
schaft, kehren wir nun auf dem vorläufi-
gen Höhepunkt der Digitalisierung zurück
zu Strichmännchen und Playmobilgesicht-
ern, die auf dem ersten Blick niedlich und
infantil wirken. Das liegt vor allem an ihrer
Herkunft: Emojis wurden in Japan erfun-
den. Dort besitze das sogenannte Kawaii-
Konzept – die Ästhetik des Niedlichen – ho-
hen Stellenwert, sagt Designforscherin Ni-
cole Christ. Das könne man als kindisch
empfinden, jedoch hat die Welt der bunten
Bilder einen Vorteil: „Ein rotes Herz wird in
Indien ebenso verstanden wie in Europa.“
Die Symbole und Bilder sind mittlerwei-
le Grundstock für ein ganzes Universum
an digitalen Lesehilfen, 3000 Emojis gibt
es inzwischen. Sie sind die erste Ausdrucks-
form, die aus der digitalen Welt des 21. Jahr-
hunderts heraus geboren wurde, sie lie-
fern die emotionale Tonspur zur getippten
Information. Ein Emoji kann den Unter-
schied ausmachen: wird eine Nachricht als
Flirt gedeutet oder als rein freundschaftli-
che Geste. Emojis, japanisch für „Bild-
schriftzeichen“, sind so verbreitet, dass
Kulturpessimisten bereits das Ende des ge-
schriebenen Wortes kommen sehen.
Und die Bildchen werden immer mehr.
Bis Ende des Jahres werden 230 weitere
Motive auf Smartphones, auf Facebook
oder Whatsapp gespielt. Darunter so profa-
ne Abbilder wie das der Zwiebel, aber auch
gesellschaftspolitisch relevante Symbole
wie der Rollstuhl als Zeichen der Körperbe-
hinderung. All dies wird Teil der Emoji-Tas-
tatur auf Milliarden Smartphones. Und so
wie das Internet schon lange nicht mehr
nur die Abspielfläche für niedliche Katzen-
bildchen ist, so bedeutet der Zeichensatz
der Emojis längst mehr als ein Lächeln am
Ende eines missverständlichen Witzes.
Tag für Tag werden 900 Millionen Emo-
jis verschickt, 700 Millionen auf Facebook.
Die Schlagersängerin Helene Fischer ver-
wendet sie ebenso wie der Klassik-Pianist
Igor Levit, der 15-Jährige auf dem Schulhof
ebenso wie die Großmutter in Sachsen.
Emojis bilden Realitäten ab, die manche of-
fenbar nicht verstehen oder die anderen
einfach nicht passen. In Russland behaup-
tete ein Senator, Emojis fügten seinem
Kind „seelischen Schaden“ zu; Apple wer-
be mit bestimmten Emojis für Homosexua-
lität, die sei eine „unnatürliche, nicht tradi-
tionelle Geschlechterbeziehung“. Ähnlich
reagierte Indonesiens Regierung.
Emojis verbreiteten sich von Japan aus
weltweit, als 2011 der erste Zeichensatz
von Apple ins Betriebssystem des iPhones
aufgenommen wurde, zwei Jahre später
folgte Google mit seinem Android-Tele-


fon. Die Welt, die die Emojis transportier-
ten, war bieder: Männer wurden als Bauar-
beiter oder Polizisten skizziert. Frauen, die
Emojis mehr nutzen als Männer, kamen
als Friseurin oder Prinzessin vor. Und die
Hautfarbe war fast ausschließlich weiß.
Diese Weltsicht wurde schnell zu eng,
besonders für die Jüngeren, sagt die öster-
reichische Autorin Ingrid Brodnig. Sie hat
sich in mehreren Büchern mit dem Inter-
net auseinandergesetzt: „Diversität ist
dort das große Anliegen.“ Mit Hashtags, Pe-
titionen und Diskussionsbeiträgen forder-
ten die unterschiedlichen Nutzer und Grup-
pen ihre eigenen Emojis ein. Rothaarige
verlangten per Petition ein eigenes Motiv,
sie bekamen es 2018. Ein Jahr zuvor hatte
die Wiener Schülerin Rayouf Alhumedhi
das Hijab-Emoji für Frauen mit Kopftuch
durchgesetzt. Die Konferenz der Europäi-
schen Rabbiner sprach sich im vergange-
nen Mai für ein Gesicht mit Kippa aus.
Zwölf Erweiterungen des Emoji-Zei-
chensatzes hat es bislang gegeben, die Drei-
zehnte ist in Arbeit. Denn auch die Welt der
Strichgesichter soll abbilden, was in der Ge-
sellschaft debattiert wird, Diversität genau-
so wie Gleichberechtigung. So hinterfrag-
ten zur selben Zeit, in der sich in den USA
2013 die „Black Lives Matter“-Bewegung
(„Schwarze Leben zählen“) gegen Gewalt
gegen Schwarze einsetzte, immer mehr
Menschen auf Facebook oder Whatsapp
unterschiedliche Emoji-Hautfarben. Da-
mals gab es nur zwei nicht-weiße Gesich-
ter: einen asiatisch-aussehenden Mann
und einen mit Turban. User in der ganzen
Welt kritisierten dies, unter ihnen Miley Cy-
rus, Pop-Ikone von Millionen Teenagern.
Die Hautfarbe wurde Talkshow-Thema.
Der Druck wirkte: „Es braucht mehr Diver-
sität im Emoji-Zeichensatz“, verkündete
Apple. Inzwischen können menschliche
Motive in sechs Farbtönen dargestellt wer-
den und am 24. Dezember kommt auf
Wunsch ein schwarzer Weihnachtsmann.

Kurz darauf meldeten sich die Frauen:
Auf eine Initiative von Google-Mitarbeite-
rinnen hin wurden 2016 weibliche Motive
wie etwa eine Schweißerin, eine Wissen-
schaftlerin und eine Ärztin zugelassen. „Ist
es nicht an der Zeit, dass Emoji auch die Re-
alität widerspiegelt, dass Frauen in jedem
Lebensbereich und in jedem Beruf eine
Schlüsselrolle spielen?“, hieß es im Antrag
für die neuen Bilder. „Emoji-Feminismus“
nannte eine Kommentatorin derNew York
Timesdies. In Zeiten, in denen in vielen
westlichen Ländern homosexuelle Paare
heiraten durften, wurde auch die Emojis
moderner: neben der Regenbogen-Flagge,
erweitern den Zeichensatz demnächst
gleichgeschlechtliche Paar-Motive mit un-
terschiedlichen Hautfarben.
Wie im echten Leben führt der Wunsch
der Emoji-Gemeinde nach Diversität
manchmal zu Konflikten. Etwa bei der Fra-
ge, ob einer als Weißer seine Zustimmung
mit einem schwarzen Daumen hoch! signa-
lisieren darf oder ob das Rassismus sei?
Die Antwort war ein Shitstorm: Schwarz
sein sei kein Lifestyle, sondern Lebensreali-
tät. Das US-MagazinThe Atlanticberichte-
te, dass sich viele Weiße scheuen würden,
Emojis zu benutzen, die ihrer Hautfarbe
entsprächen. Sie wollten nicht suggerie-
ren, stolz auf ihre Hautfarbe und ihre Privi-
legien zu sein. Auch abseits aller gesell-
schaftspolitischer Debatten hat das Emoji-
Alphabet ein Eigenleben entwickelt. Viele
der Motive haben Zusatzbedeutungen be-
kommen. Zu den bekanntesten gehören
die sexuellen Konnotationen, der Pfirsich
als weiblicher Po, die Aubergine als männli-
ches Geschlechtsteil.
Doch wer bestimmt eigentlich, was in
den Emoji-Katalog eingeht? Unicode. Das
Unicode-Konsortium ist ein Verein mit Sitz

in Mountain View, Kalifornien. Mitglieder
sind, neben anderen, Apple, Microsoft,
Google, Adobe und Netflix; seit 2015 ge-
hört auch das Ministerium für Stiftungen
und religiöse Angelegenheiten von Oman
zu den Vollmitgliedern. Ziel sei, den Koran
kalligrafisch korrekt auf jedem Bildschirm
abzubilden. Anders gesagt: Eine Religions-
behörde und eine Handvoll Internet-Kon-
zerne bestimmen darüber, wie Milliarden
Menschen ihren emotionalen Haushalt
digital abbilden dürfen.
Dass Unicode einmal die oberste digita-
le Sprachbehörde sein würde, damit hatte
Mark Davis nicht gerechnet. Davis, 66 Jah-
re alt, graue Haare und grauer Bart, ist ei-
ner der Gründer von Unicode, sein Gehalt
verdient er bei Google. 1991, als das Inter-
net noch nicht „das Netz“ war, machten es
sich die Leute von Unicode zur Aufgabe, al-
le Buchstaben, Zahlen und Symbole zu ka-
talogisieren. So sollte sichergestellt wer-
den, dass Symbole wie etwa die für Euro
oder Dollar auf dem Smartphone in China
genauso angezeigt werden, wie auf einem
Handy auf den Malediven.
In den 2000er-Jahren waren die Uni-
code-Macher auf die Motive aus Japan auf-
merksam geworden. „Wir dachten, dass
wäre nur ein vorübergehendes Phäno-
men“, sagt Davis. Inzwischen kann jeder ei-
nen Vorschlag einreichen. Antragsteller
müssen dafür nachweisen, dass das Emoji
weltweit genutzt werden könnte. Auf der
schwarzen Liste stehen Markennamen
und Logos. Prominente, etwa Popstars,
dürfen als Emojis ebenso wenig verwan-
delt werden wie Gottheiten.
Hat das Unicode-Konsortium ein Emoji
in den Katalog aufgenommen, können die
Programmierer der Apps und die Herstel-
ler der Endgeräte entscheiden, ob sie das
Abbild in den Zeichensatz aufnehmen. Au-
ßerdem passen Google wie Apple die Emo-
jis ihrem spezifischen Design an. Apple set-
ze 2016 damit ein Zeichen: Auf dem Höhe-
punkt der Debatte um Amokläufer und um
Polizeigewalt gegen Schwarze in den USA
ersetzte der Konzern das Pistolen-Emoji
durch eine grüne Wasserpistole. Zwei Jah-
re später zogen die anderen großen Inter-
netunternehmen nach.
Doch am Ende ist es eine in Watte ge-
packte Realität. Die Emojis repräsentieren
eine heile Welt, betrachtet vor allem aus
westlicher Sicht. Sie kombiniert die Prüde-
rie der 1950er-Jahre mit der Aufgeschlos-
senheit eines Liberalen von der US-West-
küste. Es ist eine in Zeichen gegossene
Welt, in der sich alle zu Hause fühlen, acht-
sam sind, divers, weltoffen. „Wir leben in
einer Emoji-Filterblase, die das Unicode-
Gremium für uns kreiert hat“, meint Man-
tas Rimkus. „Dieses Gremium hat mit der
Entscheidungshoheit über die Emoji-Tas-
tatur eine enorme Macht über unsere digi-
tale Kommunikation.“ Der Grafiker aus Li-
tauen hat deshalb einen Satz an Emojis ent-
worfen, die er Demojis nennt: Den Lauf ei-
ner Pistole, der auf den Betrachter gerich-
tet ist, eine pechschwarze Rauchwolke, Sta-
cheldraht, eine Überwachungskamera.
„Ich glaube, dass die vorhandenen Emojis
die Realität einfach nicht widerspiegeln“,
erklärte Rimkus im Interview mitjetzt.de,
dem Online-Jugendmagazin der SZ.
Vielleicht sollen sie das auch gar nicht.
Denn letztendlich stecken hinter den Ent-
scheidungen des Unicode-Konsortiums
die finanziellen Interessen ihrer Mitglie-
der. Denn nur, wer sich als Kunde repräsen-
tiert fühlt, wird die Emojis nutzen. Im Fall
von Google wurde aus Angst davor, mögli-
cherweise eine Gruppe zu verprellen,
selbst Eier und Gemüse zum Politikum: Da-
mit das Salat-Emoji auch für Veganer nutz-
bar ist, entfernte das Unternehmen für die
Android-Geräte das hart gekochte Ei aus
dem Grünzeug. Google nannte das Inklusi-
on, ein britischer Agrarverband hingegen
fand die Änderung „unfassbar lächer-
lich“. Der gemeinsame Nenner, den Uni-
code schaffen will, ist einigen zu klein. Es
gibt längst unzählige Apps, die es möglich
machen, Emojis selbst zu erstellen. So kön-
nen sie sich von der Unicode-Palette lösen.
Manche wollen sich nicht mehr darauf ver-
lassen, vom Emoji-Alphabet auf den Smart-
phones repräsentiert zu werden. Je mehr
das Konsortium also versucht, seine Welt-
sicht abzubilden, desto mehr verliert es die
Kontrolle über die Emojis. Und desto eher
taucht jeder wieder in seine eigene Welt ab.

 Siehe Interview nächste Seite.

Als Zugeständnis an
die Veganer hat Google das
Ei aus dem Salat entfernt

DEFGH Nr. 184, Samstag/Sonntag, 10./11. August 2019 11


BUCH ZWEI


Zeichen setzen!


Apple, Google, Netflix und eine islamische Religionsbehörde


bestimmen, wie Milliarden Menschen auf dem Smartphone


ihre Lebenswelt darstellen: achtsam, asexuell – und


politisch verdammt korrekt. Das zeigen die neuesten Emojis


von elisabeth gamperl


Bekannte Gesichter:
AlbertEinstein zeigt
seine berühmteste
Pose, Michelle und
Barack Obama winken
vor der Air-Force-One,
Mario Gomez, Mats
Hummels, Joshua Kim-
mich und Thomas Mül-
ler verzweifeln bei der
WM an den Südkorea-
nern.FOTO: MAURITIUS
IMAGES, REUTERS (2)
Free download pdf