Süddeutsche Zeitung - 10.08.2019

(avery) #1
interview: jan heidtmann

SZ: Verwenden Sie eigentlich selbst Emo-
jisauf Ihrem Handy?
Anatol Stefanowitsch: Vielleicht mal den
fröhlichen oder den traurigen Smiley. Oder
einen Geburtstagskuchen.
Tut Ihnen das als Sprachwissenschaftler
nicht weh, Smileys statt Worte herumzu-
schicken?
Wir haben ja heute eine merkwürdige Si-
tuation: Wir kommunizieren sehr viel
schriftlich miteinander. Die Art, wie wir da-
bei kommunizieren, folgt aber eher den Re-
geln des Sprechens. Das schnelle Hin und
Her auf Whatsapp zum Beispiel, das sind
teilweise echte Wortgefechte.
Nur mit dem bedeutenden Unterschied,
dass man sich dabei nicht sieht.
Diese Entwicklung fing bereits beim Tele-
fonieren über das Festnetz an. Da haben
sich die Gesprächspartner schon nicht
mehr gesehen, aber sie wussten dennoch,
wo sich der andere befindet. Mit dem Mo-
biltelefon haben wir uns einen weiteren
Schritt vom Gesprächsumfeld entfernt. Es
gibt da zwar noch die Stimmmodulation
und man weiß, wann telefoniert wird. Aber
mit dem Handy lässt sich an jedem Ort der
Welt telefonieren. Bei den Messenger-
Apps entfällt das alles: die Stimme, der ge-
naue Zeitpunkt, der örtliche Kontext.


Und jetzt sollen bunte Bildchen das Ge-
sprächsumfeld schaffen?
Schon die Vorläufer, die Emoticons, also
die etwa aus Semikolon, Bindestrich und
Klammern geschriebenen Gesichter, wa-
ren ein Versuch, den fehlenden Tonfall, die
Mimik wiederherzustellen. Daraus ent-
standen dann die Smileys, Herzen und
selbst der Kothaufen.
Wäre es nicht schöner, jemand würde ein-
fach schreiben, was er mit drei über ein
gelbes Gesicht verteilten Herzchen aus-
drücken möchte?
Wenn sie oder er einen langen Brief
schreibt oder eine längere E-Mail, dann
kann man das ruhig machen. Die sozialen
Medien und Messenger-Apps sind aber
eher dialogisch. Weder die Länge der Bot-
schaften noch das schnelle Hin und Her las-
sen es zu, die eigenen Gefühle und die inne-
re Verfasstheit auszuformulieren. Das wür-
de diese Medien sprengen. Es ist einfach
auch etwas ganz anderes, ob ich Herzchen
schicke oder schreibe: Ich liebe dich. Emo-
jis sind viel unverfänglicher.
Die Idee von Sprache ist es doch gerade,
Dinge so präzise wie möglich zu benen-
nen.
Emojis ersetzen ja auch nicht die Sprache,
sondern eben Mimik oder Gestik. Diese
bleiben ja meist auch im Ungefähren. Sie si-
gnalisieren vielleicht Ablehnung oder Zu-
wendung, aber nicht Hass oder Liebe. Al-
les, was für die Stimme gilt oder für einen
Gesichtsausdruck, das gilt auch für Emo-
jis. Das Ungefähre ist ein wichtiger Be-
standteil der digitalen Kommunikation:
Denn ich kann mich herantasten. Ich kann
fragend gucken, ohne gleich eine Frage
stellen zu müssen. So gebe ich dem andern
auch die Möglichkeit, von sich aus etwas
präziser zu sein.
Die Sprache wird also nicht von den Emo-
jis verdrängt?
Das muss man nicht befürchten. Es gibt da-
zu Studien aus den 1990er-Jahren, damals
war die SMS die große Neuerung. Da zeigte
sich, dass die Jugendlichen, die viele SMS
verschicken, insgesamt auch einen besse-
ren schriftlichen Ausdruck haben. Einige
schrieben einfach viel mehr als früher, an-
dere fingen überhaupt erst an zu schrei-
ben. Und die SMS oder auch Twitter, die ja
ursprünglich sehr knappe Längen vorgege-
ben haben, verlangten dadurch auch eine
hohe sprachliche Kreativität.
Emojis sind aber keine Kurznachrichten,
sondern bloß Bildchen.
Sie ersetzen deshalb auch keine sprachli-
chen Äußerungen, man muss trotzdem
noch seine Nachricht schreiben. Alle For-
schungsarbeiten weisen darauf hin, dass
man sie ohne Weiteres weglassen könnte
und am Inhalt einer Nachricht würde sich
nichts ändern. Es ist auch eher umgekehrt:
Die Fähigkeit, miteinander zu kommuni-
zieren, ist heutzutage gerade bei jungen
Menschen so weit entwickelt wie nie zuvor
in der Menschheitsgeschichte. Auch in
schriftlicher Form.
Was sind Emojis eigentlich genau? Comic-
Zeichnungen? Eine moderne Form von
Höhlenmalerei?
Ganz grob würde ich sie zu den Ideogram-
men und Piktogrammen zählen, etwa so
wie Verkehrszeichen. Dabei lassen sich
drei grobe Klassen unterscheiden. Das ei-
ne sind die Smileys oder die Herzsymbole.
Sie sind eine Fortsetzung der Emoticons,
die unmittelbare Gefühlsregungen in der


Kommunikation ersetzt haben. Dann gibt
es Emojis, die aussehen wie Piktogramme,
also etwa eine Person, die etwas in den
Müll wirft, alle Arten von Verbotssignalen
oder Symbole für Uhrzeiten. Sie sind am
ehesten in der Lage, für sich genommen In-
formationen zu vermitteln. Und dazwi-
schen gibt es die ganzen bildhaften Darstel-
lungen von Menschen, Nahrungsmitteln,
Schiffen, Flugzeugen.
Was haben die für eine Funktion?
Sie illustrieren oft den situativen Zusam-
menhang einer Nachricht, liefern also, wie
die Emoticons, einen Teil dessen, was in
der schriftlichen Kommunikation gegen-
über dem persönlichen Gespräch von Ange-
sicht zu Angesicht wegfällt.
Könnte sich aus Emojis einmal eine eige-
ne Sprache entwickeln?
Theoretisch schon. Ihre Bildhaftigkeit
macht sie ja grundsätzlich erst einmal intu-
itiv verständlich. Damit eine visuelle Spra-
che entsteht, müssten wir uns aber auf ein-
deutigere Interpretationen einigen, und
wir bräuchten eine Emoji-Grammatik.
Man darf nicht vergessen, dass sich die
Sprache, die wir kennen, aus gutem Grund

entwickelt hat: Nur mit Worten entsteht ei-
ne gewisse Eindeutigkeit, die es mit Zeich-
nungen nicht gibt. Wir wissen ja bei vielen
Höhlenmalereien bis heute nicht, was ihre
Schöpfer uns damit eigentlich sagen woll-
ten. Wir wissen oft nicht einmal, ob sie
ernst oder religiös gemeint waren oder ob
sie eher eine Erzählung darstellen sollten.
Das werden wir nie erfahren, weil die Bil-
der diese Informationen nicht hergeben.
Bei alten Schrifttafeln ist das anders. Die
sind auch über 5000 Jahre hinweg ziem-
lich eindeutig.

Es gibt inzwischen schon ganze Romane,
in denen versucht wird, Geschichten nur
noch mit Emojis zu erzählen. Den Klassi-
ker von Herman Melville zum Beispiel,
„Moby Dick“.
Aber das Buch funktioniert überhaupt
nicht. Man kann es Zeile für Zeile dem
Schriftoriginal gegenüberstellen, und
trotzdem wird nicht klar, was mit den ein-
zelnen Emojis gemeint ist. Ich habe mal
mit meiner Lebensgefährtin einen Ver-
such gemacht: Wir haben alles, was wir
uns auf Whatsapp geschrieben haben, ei-
nen Monat lang nur in Emojis verfasst. Wir
haben beide Professuren für Sprachwissen-
schaft, und es war trotzdem sehr, sehr

schwer. Allein schon, sich zu Hause um
19 Uhr zum Kochen zu verabreden, ist fast
unmöglich. Wir mussten immer wieder
telefonieren, einfach, damit unser Kind
nicht vor der Kita stehen blieb.
Waren Sie froh, als der Test vorbei war?
Es war schon sehr mühsam. Und das für
zwei Leute, die sich sehr gut kennen. Des-
halb glaube ich auch, dass Emojis nicht zur
Weltsprache taugen.

Ein Bild sagt also doch nicht mehr als tau-
send Worte?
Ja, einfach, weil es alles sagen kann, aber
auch nichts. Es wäre schon in einer Kultur
sehr schwierig, dass ein Bild etwas eindeu-
tig ausdrückt. Über Kulturen hinweg halte
ich das kaum für möglich.
Dabei hat man gerade bei Emojis den Ein-
druck, dass sie über Kulturen hinweg ver-
ständlich sind.
Das würde ich nicht sagen. Emojis funktio-
nieren in fast allen Kulturen – aber nicht
unbedingt gleichermaßen. Im Ursprung
waren sie noch sehr durch die japanische
Kultur geprägt, weil ihre Vorläufer, die
Emoticons, daher stammen. Darstellun-
gen von Love Hotels zum Beispiel, japani-
sche Süßspeisen, drei verschiedene Arten
von Schnellzügen. Oder nehmen Sie das
Schwein, es hat unterschiedlichste Bedeu-
tungen: als Glücksbringer, aber auch als
‚Du Schwein‘. Im Islam wiederum ist es ein
unreines Tier.
Die aktuelle Palette von Emojis scheint po-
litisch sehr korrekt sein zu wollen. Es gibt
unterschiedliche Hautfarben, homosexu-
elle Paare, mehr als zwei Geschlechter ...
...ursprünglich waren fast alle Figuren
männlich und hatten helle Haut. Als sich
das Zeichensystem weltweit verbreitet hat,
hatte man da natürlich ein Problem. An die-
sem Punkt hätte es zwei Möglichkeiten ge-
geben: Stärker zu abstrahieren, also gar kei-
ne Hautfarbe anzuzeigen. So wie bei den
Smileys, die sind ja einfach nur gelb. Und
sie sind geschlechtslos. Stattdessen hat
man sich entschieden, auszudifferenzie-
ren. Erst einmal wurden alle menschlichen
Emojis als weibliches und männliches an-
gelegt, dann in einer weiten Palette von
Hautfarben. Das hat aber vermutlich weni-
ger mit politischer Korrektheit zu tun, als
mit der allgemeinen Tendenz zur immer
stärkeren Individualisierung.
Das klingt nach einem endlosen Prozess.
Wie weit wird Unicode, das Konsortium,
das die Emojis bestimmt, da gehen?
Für Unicode ist das ja auch neu. Bis 2010 ha-
ben sie nur Schriftsysteme für digitale An-
wendungen standardisiert. 2010 kamen
plötzlich die Emojis dazu. Seitdem starren
die Leute auf Unicode, sie wollen wissen,
welche Emojis neu sind, ob es nun eines
mit Kopftuch gibt oder nicht. Solange die-
ses öffentliche Interesse anhält, wird es im-
mer weitere Emojis geben.
Im Konsortium von Unicode sitzen vor al-
lem die großen Digitalfirmen aus dem Sili-
con Valley. Ist es nicht merkwürdig, dass
die über einen weltweiten Zeichensatz ent-
scheiden dürfen?
Das ist ein Problem, ja. Bei den Emoticons
war das noch anders, die waren kreativ, je-
der konnte einfach Interpunktionszeichen
kombinieren und schauen, ob das funktio-
niert. Jetzt muss man bei Unicode betteln:
„Bitte macht uns diese Zeichen“. Es gibt je-
de Menge Interessengruppen, die an Uni-
code herantreten und ihre Emojis haben
wollen. Und am Ende entscheidet Unicode,
je nachdem, wer am überzeugendsten war,
wer die beste Lobbyarbeit gemacht hat.
Macht Unicode das gut?
Ich denke schon, trotz aller Kritik. Aber es
gibt ganze Bereiche, aus denen sich das
Konsortium heraushält. Zum Beispiel gibt
es keine Emojis, die direkt von Sexualität
handeln, höchstens Symbole wie die Auber-
gine. Es gibt auch keine primären und se-
kundären Geschlechtsmerkmale.
Unicode ist das Thema zu heikel?
Das Konsortium hat die berechtigte Sorge,
dass solche Emojis in bestimmten Kultu-
ren nicht verwendet, also auch nicht instal-
liert werden dürfen. Darstellungen von
Krankheiten gibt es ebenfalls nicht, auch
das Menstruations-Emoji hat sich nicht
durchgesetzt, sondern nur der Blutstrop-
fen. Der kann alles und nichts bedeuten. Es
gibt ein Emoji mit einem Kopftuch, aber
keines mit einer Kippa. Vermutlich ein-
fach, weil eine ganze Reihe von islami-
schen Staaten das nicht implementieren
würden. Das Unicode-Konsortium hält
sich von tabuisierten Bereichen schon sehr
gerne fern. Und manche Entscheidungen
sind einfach merkwürdig: Es gibt jetzt eine
Männerunterhose, aber keine für Frauen.
Welches Emoji vermissen Sie?
Eine einfache Flasche mit Wasser. Es gibt
Wein, es gibt Bier, es gibt jede Menge Cock-
tails, aber es gibt keine Flasche mit Wasser.

„Es ist etwas ganz anderes,
obich Herzchen schicke oder
schreibe: Ich liebe dich.“

„Bei vielen Höhlenmalereien
wissenwir ja bis heute nicht,
was sie uns sagen wollen.“

„Es gibt keine Emojis,
diedirekt von
Sexualität handeln.“

Anatol Stefanowitsch
istProfessor für
die Struktur des heutigen
Englisch an der
Freien Universität
Berlin. Der 49-Jährige
bloggt über Sprache
und Sprachen,
etwa unter sprachlog.de,
und schreibt Bücher,
zuletzt die Duden-
Streitschrift
„Eine Frage der Moral:
Warum wir politisch
korrekte Sprache
brauchen“.
FOTO: BEN STEFANOWITSCH / DPA

„Emojis taugen nicht


zur Weltsprache“


Der Linguist Anatol Stefanowitsch


über die begrenzten Möglichkeiten, mit Digitalbildchen


echte Gefühle auszudrücken – und über seine Verwunderung


darüber, welche Emojis bis heute fehlen


12 BUCH ZWEI Samstag/Sonntag,10./11. August 2019, Nr. 184 DEFGH


Namhafte Persön-
lichkeiten: Der
schwarze Ritter
Batman mit seinem
Joker, die CDU-Kon-
kurrenten Annegret
Kramp-Karrenbau-
er, Friedrich Merz
und Jens Spahn;
Prinz Harry, seine
Meghan und ihr
royales Baby und
dazu auch noch
Kaiser Karl.FOTOS: DPA
(2), GETTY IMAGES, AFP
Free download pdf