Süddeutsche Zeitung - 10.08.2019

(avery) #1

V


or knapp sechs Jahren wurde ei-
ne scheinbar besonders wertvol-
le, da von Galileo selbst aquarel-
lierte Ausgabe seines 1610 er-
schienenen Zentralwerks „Side-
reus Nuntius“ durch geduldige philologi-
sche Arbeit als Fälschung enttarnt. Jahre-
lang waren Buch- und Materialwissen-
schaftler in die Irre geführt worden. Der
Kunsthistoriker Horst Bredekamp hatte
das Buch in seiner Studie „Galilei der
Künstler: Der Mond. Die Sonne. Die Hand“
(2007) als Anschauungsobjekt für die The-
se von der „denkenden Hand“ genutzt, die
Maler wie Wissenschaftler im kreativen
Prozess unterbewusst-motorisch leite.
Schien hier nicht Galileo selbst zum Künst-
ler der Mondabbildungen geworden zu
sein, auf dass der Kupferstecher nicht ver-
derbe, was der Meister mit dem Teleskop
an Kratern und Dunkelzonen geschaut?
Aquarelliert hatte den Druck in Wirk-
lichkeit nicht Galileo in Padua, sondern ein
unbekannter Künstler im Buenos Aires
des Jahres 2004. Dessen Auftraggeber Ma-
rino Massimo De Caro war den Zeitungsle-
sern 2012 weltweit als Plünderer der Biblio-
teca dei Girolamini in Neapel bekannt ge-
worden, die er geleitet hatte, ohne auch
nur einen Hochschulabschluss zu besit-
zen. Eine würdige, alte Bibliothek, deren
Bestände bereits im 18. Jahrhundert dem
berühmten Philosophen Giambattista Vi-
co gedient hatten.
Nach und nach fanden sich immer mehr
von De Caro beraubte Bibliotheken sowie
interessante Beziehungen zum Berlusconi-
Freund und bibliophilen Senator Marcello
Dell’Utri, der sich offenbar gern mit wert-
vollen Büchern bestechen ließ. In Deutsch-
land wurde ein beteiligter Antiquar verhaf-
tet und aufgrund des damals neuen euro-
päischen Haftbefehls nach Italien ausgelie-
fert. Dell’Utri wurde wegen Mafiakontak-
ten verurteilt und floh in den Libanon,
musste aber am Ende – wie De Caro und
dessen Helfer – seine Haftstrafe antreten.
Im Dezember 2013 verschaffte ein Arti-
kel imNew Yorkerdem gefälschten Galileo
internationale Aufmerksamkeit. Wie bei
Fälschungsskandalen üblich, stritt man
sich öffentlichkeitswirksam über Metho-
dik und Verantwortung und beglich dabei
manch alte Rechnung. Es war lehrreich zu
sehen, wie interpretationsbedürftig und in-
teressengeleitet gerade auch naturwissen-
schaftlich gestützte Aussagen zu Zuschrei-
bung und Datierung gewesen waren. Die
Wissenschaftler versammelten sich und
behaupteten gemeinsam das Gegenteil
des zuvor Diagnostizierten.


Wichtige Fragen blieben offen – etwa
nach den argentinischen Akteuren, nach
dem Netzwerk der Helfer oder den Moti-
ven De Caros. In Deutschland beherrschte
zunehmend der „Fall Gurlitt“ die Schlagzei-
len, in Italien hingegen wurde die Plünde-
rung der Biblioteca dei Girolamini für viele
zum Symbol für den Zustand des Landes.
De Caro geriet noch einmal in die Schlagzei-
len, als er wegen Ladendiebstahls den
Hausarrest in seiner luxuriösen Veroneser
Villa mit dem Gefängnis vertauschen muss-
te. Dann kehrte Ruhe ein.
Bis der anerkannte Turiner Historiker
Sergio Luzzatto in diesem Frühjahr im re-
nommierten Einaudi-Verlag sein Buch
„Max Fox o le relazioni pericolose“ erschei-
nen ließ. Von Galileo verstehe er wenig, er-
klärte der Autor. Er habe sich aber von Ja-
vier Cercas Roman „El Impostor“ (auf
deutsch „Der falsche Überlebende“, S.Fi-
scher Verlag 2017) über den angeblichen
Holocaustüberlebenden Enric Marco dazu
inspirieren lassen, sich einen „eigenen“ Be-
trüger („il mio impostore“) zu suchen und
mit ihm zu „spielen.“
Über Bekannte war er an De Caros
E-Mail-Adresse gekommen, hatte ihm im
Herbst 2015 geschrieben, ihn umgehend
im Hausarrest besucht und bis zum Früh-
jahr 2016 eine Skype-Korrespondenz mit
ihm geführt. De Caros Skype-Alias „Max
Fox“ gab denn auch Luzzattos Buch den Ti-
tel – neben der unübersehbaren Anspie-
lung auf Choderlos de Laclos’ Briefroman
„Gefährliche Liebschaften“ von 1782. An-
ders als seine Vorbilder hat Luzzatto aber


keinen Roman verfasst, sondern einen auf
320 Seiten narrativ leicht aufbereiteten,
aber faktenorientierten Interviewband
(deswegen wohl die Aufnahme in Einaudis
Reihe „Narrativa italiana contempora-
nea“). Er ist entlang von De Caros Lebens-
weg strukturiert und durch Selbstreflexio-
nen des Autors sowie einige wenige Hinter-
grundinformationen ergänzt. De Caro
wird nicht als „Max Fox“, sondern – wie
alle im Buch genannten Politiker, Mafiosi,
Geistliche, Buchhändler – unter Klar-
namen geführt. De Caro sprudelt geradezu
vor Mitteilungsbereitschaft, doch gele-
gentlich (und nicht immer mit gebotener
Kennzeichnung) entnimmt Luzzatto seine
Informationen auch den Daten auf einem
ihm von De Caro bereitwillig überlassenen
USB-Stick.

Aus den Skype-Interviews mit De Caro
gewinnt Luzzatto eine lose Biografie: der
Großvater als Faschist und Bankrotteur;
die kommunistisch-intellektuellen Eltern;
Jugend zwischen Apulien, Südtirol und
Orvieto; buchliebende Freunde und erste
Kontakte zu Antiquaren; der Abbruch des
Jurastudiums in Siena, als sich die Möglich-
keit ergibt, Assistent eines Senators zu
werden; der Wehrdienst bei den Carabinie-
ri. Tagsüber lernt De Caro die Polizeiarbeit,
abends beginnt er mit dem Bücherdieb-
stahl.
Die Interviews zeigen, dass De Caro da-
bei bis zum Schluss immer dem gleichen
Muster folgte: Er suchte sich kirchliche Ein-
richtungen aus, deren Bestände oft unvoll-
ständig erschlossen und gegenüber der Öf-
fentlichkeit abgeschirmt waren. Entschei-
dend war, das Vertrauen der nicht selten äl-
teren und mit anderen Aufgaben belaste-
ten Geistlichen zu erwerben. War man erst
einmal in der Bibliothek, war man dort
ziemlich sicher auch allein.
Auf der von Senator Dell’Utri geförder-
ten Mailänder Antiquariatsmesse lernt De
Caro 2004 den argentinischen Antiquar Da-
niel Pastore kennen. Argentinien war nach
dem Staatsbankrott 2001 eine Goldgrube.
Wertvolle Kollektionen ließen sich zum

Schleuderpreis erwerben und über das Ve-
roneser Antiquariat, das De Caro mit Pasto-
re gründete, hervorragend verkaufen. De
Caro erwirbt Haus und Hazienda in Argen-
tinien, fälscht probeweise besonders kost-
bare, da nur in Südamerika vorhandene Ra-
rissima, die erfolgreich ihren Weg in ameri-
kanische Universitätsbibliotheken finden.
Auf einer Party in Buenos Aires trifft er
den bereits über 80jährigen Kurienkardi-
nal Jorge María Mejía, der die Bestände der
Biblioteca Apostolica Vaticana erweitern
will. De Caro bietet ihm seltene Erstausga-
ben lateinamerikanischer Provenienz an
und lässt sich mit vermeintlichen Dublet-
ten der Vatikanbibliothek bezahlen. Dass
erstere freilich gefälscht und letztere mit
zahlreichen für Wissenschaftler bedeutsa-
men Anmerkungen versehen sind, fällt
dem Kardinalbibliothekar nicht auf.
So geht es weiter. De Caros Erinnerun-
gen in Luzzattos Buch bieten auch dem
deutschen Leser manch Neues und Interes-
santes. So habe der inhaftierte De Caro ei-
nes Tages in seiner Post einen kurzen Arti-
kel mit Mutmaßungen zur „Psychologie
des Fälschers“ vorgefunden, „con distinti
saluti, Ex libris Horst Bredekamp.“ War-
um, das erfährt der Leser allerdings nicht.
Luzzatto will „Historiker, aber nicht Rich-
ter“ sein. Er lässt De Caro freien Lauf. We-
der fragt er kritisch nach, noch kontaktiert
er die Betroffenen, um seine Aussagen zu
überprüfen. Er habe „seinen Betrüger“
nicht „verschrecken“ wollen und brauche
dessen Abdruckerlaubnis, räumt Luzzatto
gegen Ende des Buches ein
Das treibt gelegentlich seltsame Blüten.
Gibt De Caro etwa damit an, seinen Anteil
an der historischen Begegnung von Papst
Franziskus und dem Moskauer Patriar-
chen 2016 auf Kuba gehabt zu haben, goo-
gelt Luzzatto ein bisschen, findet keinen un-
mittelbaren Gegenbeweis – und glaubt. Fin-
det er beim Googeln nichts – zum Beispiel
über den weiter unbekannten Fälscher der
„Galileo“-Aquarelle –, glaubt er De Caro
auch so. Mit „F“ beginne dessen Nachna-
men, erzählt ihm De Caro; mehr werde er
nie sagen. “F wie Fälschung?”, ist der Leser
versucht, mit Orson Welles zu fragen.
Manchmal verliert De Caro auch die Ge-
duld mit seinem Protokollanten. Als Luz-
zatto mehr zu De Caros angeblichen Ver-
mittlungsdiensten für einen russischen

Oligarchen in den 2000ern oder bei der
Haftentlassung Julia Timoschenkos erfah-
ren will, verweist der ihn auf seinen Platz:
„Sergio, Du bist Historiker. Bleibe dabei
und überlasse die internationale Politik an-
deren.“ Luzzatto gehorcht. Der Geschichts-
professor wird zum Ghostwriter.
Dieses Vorgehen des gestandenen Wis-
senschaftlers, der mit einem früheren
Buch über Padre Pio als kritischer Geist
aufgefallen war, führte zu heftigen Reaktio-
nen im italienischen Feuilleton. Wollte der
Berlusconi-nahe Publizist und erklärte
Nichtbibliophile Giuliano Ferrara in De Ca-
ro noch einen Komiker und Märtyrer glei-
chermaßen sehen, holte Tommaso Monta-
nari zum Totalverriss aus. Geradezu ver-
liebt sei Luzzatto in seinen Helden gewe-
sen und habe eine „Narzissmus-Orgie“ her-
aufbeschworen, in der Max „the“ Fox am
Schluss die Oberhand gewonnen habe.
Montanaris Verdikt setzte sich durch. Luz-
zatto hatte seinen Ruf beschädigt. Nicht er
hatte mit dem Fälscher „gespielt“, sondern
der mit ihm.
Prompt meldete sich De Caro mit einem
kurzen Interview imCorriere della Serazu
Wort. Man möge ihn doch endlich als „Ro-
bin Books“ anerkennen. Vertrauensmiss-
brauch wie Diebstahl seien in Bibliotheken,
die ihre Bücher nicht ausreichend wert-
schätzten, legitim. Trotz aller Selbststilisie-
rung („Ich will nie mehr in die Nähe alter Bü-
cher. Ich habe Angst davor“) gibt De Caro in
dem kurzen Interview, wie in Luzzattos
Buch, indirekt einiges von sich preis. Einzel-
ne Behauptungen wird man bezweifeln.
Instruktiv ist aber die Mischung aus Groß-
mannssucht und Realitätsverlust, wenn er
etwa vom „Galileo“ sagt, die Smithsonian
Institution in Washington habe ihn als die
beste jemals weltweit ausgeführte Fäl-
schung aufkaufen wollen.

Verbunden mit der Aussage, er habe die
scientific communityan der Nase herum-
führen wollen („prendere in giro“), wirft
dies einiges Licht auf De Caros Motive.
Noch 2013, als man wenig über seine Bio-
grafie wusste, hieß es, er habe das „satani-

sche Spiel“ eines von der Wissenschaft Ge-
demütigten und von Rachegefühlen Getrie-
benen gespielt. Aber es ging De Caro weni-
ger um sein eigenes Spiel als um das der an-
deren, bei dem er so gerne mitmachen woll-
te. Nicht vernichten wollte De Caro die Pro-
fessoren – schon gar nicht einen einzelnen
–, sondern in ihrem eigenen Metier über-
trumpfen.
Gespenstisches Zeugnis dieses Ehrgei-
zes ist De Caros 2007 selbstverlegter Dop-
pelband „Galileo Galilei: le sue idee, il suo
mondo, la collezione.“ Der vermeintliche
Katalog wirkt beklemmend in seiner Ge-
genstandslosigkeit: die „collezione“ war
nur ein Phantom. Der Aufsatzband ist wis-
senschaftlich wertlos, aber aufschluss-
reich als Egodokument des Marino Massi-
mo De Caro. Das Literaturverzeichnis legt
nahe, welche Galileo-Forscher De Caro
zum Zeitpunkt der Galileo-Fälschung tat-
sächlich auf dem Schirm hatte: nahezu aus-
schließlich Italiener; Bredekamp ist nicht
dabei. Vor allem aber bestätigt das seltsa-
me Elaborat die Schmähschrift des anti-
ken Philosophen Lukian „An einen Igno-
ranten, der sich viele Bücher kaufte“: „Du
hast die Bände, aber nicht den Geist. Wenn
einer, der die Flöte nicht zu spielen weiß,
sich die Flöten berühmter Spieler anschaff-
te, wird er dann die Flöte spielen können?“
Lukian beschreibt in dieser Schrift ge-
wissermaßen, was der französische Sozio-
loge Pierre Bourdieu als „Prätention“ defi-
nierte, als die „unausgesetzte Bereitschaft
zum Bluff oder zum Usurpieren sozialer
Identität, um das Sein durch den Schein zu
überholen.“ Seinem erklärten Vorbild
„Bud Fox“ in Oliver Stones Filmklassiker
„Wall Street“ von 1987 vergleichbar, be-
rauscht sich De Caro an der Möglichkeit,
dank seiner Kontakte mit seinen unent-
deckten Fälschungen und Diebstählen
ganz schnell ganz oben dabei zu sein. Seine
Getriebenheit ist atemberaubend. Kaum
im Gefängnis, will er als gemeinnützige Ar-
beit sofort eine Ausstellung vorbereiten –
zu Galileo selbstverständlich.
Die Prätention des Fälschers liefe aber
ins Leere ohne die Empfänglichkeit des Ex-
perten. Luzzatto ist fraglos sehr empfäng-
lich. Mundus vult decipi, die Welt will be-
trogen werden, sagen Wissenschaftler
manchmal achselzuckend und meinen
sich damit selbst am wenigsten. Dabei näh-

me eine Analyse der Faktoren für die Fehl-
barkeit der Experten dem Fälscher nichts
von seiner Verantwortung, könnte aber
ähnliche Vorkommnisse in Zukunft verhin-
dern. Manche Motive liegen auf der Hand.
Eine verfehlte Anreizstruktur in Wissen-
schaft, Journalismus und Wirtschaft be-
lohnt die Bestätigung eines „echten“ oder
gar das Auffinden eines neuen Leonardo
nun einmal deutlich mehr als dessen Wi-
derlegung.

Bernard Berenson, im frühen 20. Jahr-
hundert führender Kenner italienischer
Kunst, verlangte eine Gewinnbeteiligung
für die von ihm begutachteten Kunstwerke


  • was seinen Zuschreibungen gelegentlich
    eine gewisse Tendenz gab. Sein Freund
    Hugh Trevor-Repor ließ sich von der eige-
    nen Bedeutung einlullen: Noch 1977 hatte
    er mit dem Enthüllungsbuch „Der Eremit
    von Peking. Die Geschichte eines genialen
    Fälschers“ einen Welterfolg gefeiert. Weni-
    ge Jahre später wurde er von den eher
    plump gefälschten Hitler-Tagebüchern
    selbst aufs Glatteis geführt. Der weltbe-
    rühmte Oxforder Historiker hatte sich
    nicht so genau angesehen, was er ohnehin
    besser als alle anderen zu kennen glaubte.
    Was den Historiker Sergio Luzzatto be-
    trifft, stehen zwei Faktoren im Vorder-
    grund: fehlgeleitete Ambition und Egozen-
    trik. Luzzatto möchte so gerne der Javier
    Cercas Italiens sein und gleichzeitig ein ge-
    witztes Spiel mit der Unmoral spielen – im
    Sinne des französischen Romans, irgend-
    wo zwischen Choderlos de Laclos und Sten-
    dhal. De Caro dient ihm dabei als bloßes Ob-
    jekt – der Betrüger, den „er sich schafft“.
    Aber weder ist De Caro Felix Krull, noch
    Luzzatto Thomas Mann. „Max Fox“ ist kein
    spannendes, geschweige denn literarisch
    anspruchsvolles Buch, und Luzzatto lässt
    manche Gelegenheit zur pointierten Verar-
    beitung verstreichen. Was hätte man aus
    dem einen Tag machen können, an dem De
    Caro vormittags die italienische Regierung
    auf einer Konferenz zum Kulturgüter-
    schutz vertritt (das Video ist noch auf You-
    Tube) und nachmittags in das Welterbe-
    Kloster Montecassino fährt, um die dortige
    Bibliothek zu berauben, während der Bi-
    bliothekar zum Chorgebet eilt.
    Seiner fehlgeleiteten Ambition opfert
    Luzzatto alle Regeln der Quellenkritik. Als
    ob nicht auch der Historiker, der sich der
    Wahrheitssuche samt philologischer Fein-
    arbeit verpflichtet fühlt, fesselnde Darstel-
    lungen hervorbringen könnte, wenn er den
    Leser bei der Detektivarbeit mitnimmt,
    wie sein berühmter Kollege und Lands-
    mann Carlo Ginzburg immer wieder ge-
    zeigt hat.
    Für Detektivarbeit ist Luzzattos jedoch
    zu selbstbezogen. Er begibt sich in Gefahr,
    geht mit einem Lügner um, sollte höchst
    wachsam sein – und ist doch in Gedanken
    immer bei sich. Statt einer Befragungsme-
    thode entwickelt er seitenlange Selbstbe-
    spiegelungen darüber, was er denn an die-
    sem Betrüger bloß so interessant finde. An-
    statt die Ergebnisse des New-Yorker-Arti-
    kels mit De Caros Aussagen zu vergleichen,
    diskreditiert er dessen erfolgreichen Autor
    als unwissenschaftlichen Investigativjour-
    nalisten. Luzzatto wohnt im gleichen Ort
    wie 150 Jahre zuvor Voltaire, und jede kur-
    ze Autofahrt in seinem Buch wird stilisiert,
    als ob Voltaire mit im Wagen säße. Der Wis-
    senschaftler und der Fälscher bieten sich
    einen Überbietungswettlauf der Eitelkeit.
    Der besagte Kunstkritiker Berenson ent-
    deckte irgendwann die Selbstironie als Mit-
    tel gegen den Narzissmus. Immer hatte er
    einen Botticelli haben wollen. Als ihm end-
    lich einer angeboten wurde, wenn auch
    mit einem ziemlich eigentümlichen Motiv,
    griff er zu. Die Fälschung wurde bald offen-
    bar. Und Berenson hängte sich das Bild ins
    Arbeitszimmer – als Mahnung.


Thomas Gruberist Ideenhistoriker und Post-docto-
ral Fellow an der Harvard University. In Bernard Be-
rensons ehemaliger Villa I Tatti in Florenz verant-
wortet er Forschungsaktivitäten und Publikatio-
nen des Harvard University Center for Italian Re-
naissance Studies. Die Gemälde in seinem Büro
sind nahezu alle gefälscht.

Zwei


Männer,


in Eitelkeit


vereint


Der eine führt jahrelang Forscher und


Antiquare an der Nase herum, der andere


will ein Schriftsteller sein und aus


dem Fälscher „seinen Betrüger“ machen.


Über ein denkwürdiges Gespann,


und was die Wissenschaft zumindest


nachträglich aus ihrem Fall lernen kann


von thomas gruber


Seltene Erstausgaben, freilich
gefälscht, gegen vermeintliche
Dubletten der Vatikanbibliothek

Nicht vernichten wollte er die
Professoren, sondern in ihrem
eigenen Metier übertrumpfen

18 FEUILLETON LITERATUR Samstag/Sonntag,10./11. August 2019, Nr. 184 DEFGH


De Caros Skype-Alias „Max Fox“


gabdem Buch des Turiner


Historikers Luzzatto den Titel


Luzzatto begibt sich in Gefahr,
geht mit einem Lügner um und
sollte höchst wachsam sein

Der Mond, vermeintlich von der Hand Galileos (unten): Die von Marino Massimo De Caro in Auftrag gegebene Fälschung,
die den Kunsthistoriker Horst Bredekamp in die Irre geführt hatte. De Caro (oben links) in der Biblioteca dei Girolamini in Neapel
und (oben rechts) sein Protokollant, der Historiker Sergio Luzzatto.FOTOS: REGINA SCHMEKEN; PICTURE ALLIANCE, ROPI; UNIVERSITÄT TURIN
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