Süddeutsche Zeitung - 10.08.2019

(avery) #1

München–Der frühere Audi-Chef Ru-
pert Stadler soll in der Abgasaffäre für ei-
nen Schaden in Höhe von rund 27,5 Millio-
nen Euro verantwortlich sein. Das geht
aus der Betrugsanklage der Staatsanwalt-
schaft München II gegen Stadler und drei
weitere Angeschuldigte hervor. Die Er-
mittler werfen dem früheren Vorstands-
chef der Ingolstädter Volkswagen-Toch-
ter vor, für 120 000 manipulierte Diesel-
Autos in Europa verantwortlich zu sein.
Der Schaden habe durchschnittlich
knapp 230 Euro pro Fahrzeug betragen,
was in der Summe die rund 27,5 Millionen
Euro ergibt. In der Anklageschrift soll der
mutmaßliche Schaden auf Euro und Cent
genau beziffert sein.


Für Stadler bedeutet das: Es geht bei
ihm im Falle eines Prozesses darum, ob er
erneut ins Gefängnis muss oder nicht. Der
frühere Audi-Chef hatte im vergangenen
Jahr mehrere Monate lang in Untersu-
chungshaft gesessen. Sollte es aufgrund
der Anklage zu einer Gerichtsverhand-
lung und einer Verurteilung kommen,
dann gilt angesichts dieser Größenord-
nung eine Bewährungsstrafe als unwahr-
scheinlich. Stadler bestreitet allerdings
die Vorwürfe und beteuert, er habe sich
nichts zuschulden kommen lassen. Viele
Verfahrensbeteiligte gehen davon aus,
dass es im Verlauf des nächsten Jahres zu
einem langen Prozess kommt. Dann blie-
be aber immer noch abzuwarten, wie der
ausginge.
In den vergangenen Jahren endeten
mehrere Prozesse gegen prominente Ex-
Manager wie Wendelin Wiedeking (Por-
sche) oder Josef Ackermann (Deutsche
Bank) mit Freisprüchen. In der Abgasaffä-


re halten die Ermittler Stadler vor, er habe
nach Bekanntwerden der Manipulationen
bei Volkswagen im September 2015 an-
schließend bei Audi nicht durchgegriffen.
Er habe es vielmehr geduldet, dass die VW-
Tochter weiterhin manipulierte Diesel-
fahrzeuge hergestellt habe; insgesamt
rund 120 000 Autos. Diese Fahrzeuge mit
einem hohen Schadstoffausstoß seien
den Kunden als vermeintliche saubere Au-
tos verkauft worden, das sei Betrug gewe-
sen. Die Staatsanwaltschaft München II
wirft Stadler und den drei übrigen Audi-
Angeschuldigten auch strafbare Werbung
vor. Zudem seien sie verantwortlich dafür,
dass Audi falsche Angaben bei den Zulas-
sungsbehörden gemacht habe. Stadler be-
streitet auch diese Vorwürfe.
Der mutmaßliche Schaden in Höhe von
rund 27,5 Millionen Euro bei Stadler wäre
hoch genug für ein Gefängnisurteil, ist
aber vergleichsweise klein im Vergleich zu
den Schäden in Milliardenhöhe, die ande-
ren Ex-Managern von Volkswagen und Au-
di angelastet werden. Das rührt daher,
dass es bei dem früheren Audi-Chef nur
um Fahrzeuge in Europa und nicht auch
in den USA geht. VW und Audi behaupten,
man habe die betroffenen Autos in Euro-
pa mit einer überarbeiteten Software in
Ordnung gebracht. So sieht das auch das
Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) als Zulas-
sungsbehörde. Die bei Audi angefallenen
Kosten für das Software-Update ein-
schließlich Werkstatt-Besuch und für wei-
tere Folgen der Abgasaffäre in Europa
setzt die Staatsanwaltschaft München II
ganz offenkundig mit knapp 230 Euro pro
Fahrzeug an.
Während sich der VW-Konzern in Euro-
pa weigert, den Kunden Schadenersatz zu
zahlen, musste Volkswagen in den USA ho-
he Milliardenbeträge aufwenden. Dort ha-
ben Käufer in solchen Fällen mehr Rechte
als in Europa. Die für VW zuständige
Staatsanwaltschaft in Braunschweig und
die für Audi zuständige Staatsanwalt-
schaft München II gehen deshalb bei etli-
chen Angeschuldigten hierzulande, die im
VW-Konzern für die Manipulationen auf
dem US-Markt mitverantwortlich sein sol-
len, von Schäden in Milliardenhöhe aus.
Das gilt aber ausdrücklich nicht für Stad-
ler. Die Münchner Ermittler gehen davon
aus, dass Stadler von den Manipulationen
in Übersee nichts gewusst habe. Er habe
nach deren Auffliegen aber in Europa die
Dinge laufen lassen anstatt aufzuräumen.
Was Stadler bestreitet. klaus ott

Düsseldorf– Bayer-Aktionäre hatten in
jüngster Zeit allen Grund, sauer zu sein.
Der Konzern hat an der Börse ein Drittel
an Wert verloren, seitdem er voriges Jahr
den US-Saatguthersteller Monsanto über-
nahm. Ganz zu schweigen vom schlech-
ten Ruf des Gentechnik- und Glyphosat-
konzerns, den Bayer mit eingekauft hat.
Diese größte Übernahme, die eine Firma
aus Deutschland je im Ausland gewagt
hat, droht zu einer noch größeren Enttäu-
schung zu werden.
Am Freitag schien es für eine Weile, als
könnte sich zumindest die Aktie von ih-
ren Tiefstständen absetzen. Bayer ge-
wann an der Börse zeitweise elf Prozent
an Wert. DennBloombergmeldete, dass
der Konzern gut sieben Milliarden Euro
als Vergleich zahlen könnte, um Tausen-
de Klagen gegen Monsanto beizulegen.
Allerdings berief sich der Finanzdienst zu-
nächst nur auf eine „mit den Verhandlun-
gen vertraute Person“.
Und kaum hatte der Freitag auch in
Amerika begonnen, dementierte der Ver-
mittler Ken Feinberg per Mail: „Eine sol-
che Erklärung ist reine Fiktion.“ Eine
mögliche Vergleichszahlung sei in der bis-
herigen Mediation „noch nicht einmal an-
gesprochen worden“.
Feinberg versucht, in einem giganti-
schen Rechtsstreit zu vermitteln: Mehr
als 18000 Menschen haben Monsanto in
den USA verklagt. Sie machen das Pflan-
zenschutzmittel Roundup mit dem Wirk-
stoff Glyphosat für Krebserkrankungen
verantwortlich. Mit Roundup bekämpfen
sowohl Landwirte als auch Hobbygärtner
seit Jahrzehnten Unkraut. Doch hat die
Internationale Krebsforschungsagentur
Glyphosat 2015 als „wahrscheinlich
krebserregend“ eingestuft. Seitdem
werben Anwälte in den USA sogar im
Fernsehen dafür, dass Betroffene Mon-
santo verklagen sollten.

Bayer weist den Zusammenhang zu-
rück. Roundup sei „bei sachgerechter An-
wendung sicher“, betont der Konzern,
Glyphosat „nicht krebserregend“. Bayer
verweist auf jahrzehntelange Forschung
sowie auf das Votum mehrerer Genehmi-
gungsbehörden weltweit.
Dennoch hat der Konzern bislang alle
drei Verfahren in der ersten Instanz verlo-
ren. Sei es der krebskranke Edwin Harde-
man, der Hausmeister Dewayne Johnson
oder das Ehepaar Alva und Alberta Pilli-
od: Am Ende standen jeweils Schadener-
satzzahlungen von 70 bis 80 Millionen Eu-
ro. Und Bayer kündigte Rechtsmittel an.
Allerdings hat der kalifornische Rich-
ter Vince Chhabria, bei dem allein Hun-
derte Klagen gebündelt sind, im Frühjahr
angeordnet, dass die Kläger und der Kon-
zern in einer Mediation unter der Leitung
Feinbergs versuchen sollen, sich gütlich
zu einigen. Bayer werde sich „konstruk-
tiv“ einbringen, teilte der Konzern mit.
Immerhin spart ein Vergleich auch Millio-
nen an Anwaltskosten ein.
Vorstandschef Werner Baumann nann-
te zuletzt zwei Bedingungen, unter denen
Bayer einen Vergleich akzeptieren könn-
te: Dieser müsste alle bisherigen und
mögliche künftige Klagen beilegen – ein
für alle Mal Ruhe sozusagen. Und ein Ver-
gleich müsste sich „in einem vernünfti-
gen finanziellen Rahmen“ bewegen. Also
führen die Anwälte des Konzerns und der

Kläger nun Gespräche, die streng vertrau-
lich seien, heißt es in Leverkusen, daran
halte sich Bayer auch. „Wir geben zu Ge-
rüchten grundsätzlich keine Stellungnah-
me ab“, sagte ein Bayer-Sprecher. Analys-
ten gingen zuletzt davon aus, dass ein Ver-
gleich den Konzern bis zu 20 Milliar-
den Euro kosten könnte.
Erst in dieser Woche hatte ein Gericht
in der Monsanto-Heimatstadt St. Louis
angekündigt, dass ein weiterer Glypho-
satprozess erst im Januar beginnen soll.
Er war ursprünglich für diesen August
vorgesehen. Findige Analysten deuteten
diese Vertagung bereits als Hinweis, dass
es mit der Mediation vorangehe.
Bayer hatte Monsanto für mehr als
55 Milliarden Euro übernommen. Nach-
dem der Konzern seine Kautschuk- und
seine Kunststoffsparte verkauft hatte,
will er sich ganz auf Medikamente und
Agrarchemie konzentrieren. Von beiden
Geschäften erhofft sich Baumann stetes
Wachstum, da Landwirte eine wachsen-
de Weltbevölkerung ernähren müssen,
die Menschen im Schnitt aber auch län-
ger leben und gesund bleiben wollen.
Dennoch verweigerten die Aktionäre
dem Vorstand in der jüngsten Hauptver-
sammlung die symbolische Entlastung,
da die Männer um Baumann die Risiken
der Übernahme von Monsanto unter-
schätzt hätten. Ein solches Misstrauens-
votum hatte es bei einem Dax-Konzern
noch nie gegeben. benedikt müller

Berlin– Die Offenheit seines Ministeri-
ums sollte per Bild ins ganze Land gehen.
Als Bundesverkehrsminister Andreas
Scheuer (CSU) das Mautdebakel Ende Juli
im Verkehrsausschuss des Bundestags er-
klären musste, brachte er für die laufen-
den Kameras einen ganzen Rollwagen vol-
ler Akten mit. Scheuer ging nach dem
Scheitern des CSU-Prestigeprojekts vor
dem Europäischen Gerichtshof und ange-
sichts drohender Schadenersatzforderun-
gen der Betreiber in die Offensive: Mau-
scheleien habe es nie gegeben, erklärte
der Minister und kündigte an: „Wir ste-
hen für maximal mögliche Transparenz.“
Doch wie transparent der Minister
wirklich mit dem brisanten Thema um-
geht, daran gibt es im Bundestag Zweifel.
In einem aktuellen Brandbrief an Scheuer
werfen die Grünen dem Minister nach In-
formationen derSüddeutschen Zeitung
Blockade vor. Scheuer halte entgegen sei-
ner öffentlichkeitswirksamen Ankündi-
gung „wichtige Unterlagen gezielt unter
Verschluss“, kritisiert Stephan Kühn, der
verkehrspolitische Sprecher der Fraktion
in dem Papier an den „sehr geehrten
Herrn Bundesminister“. „Sie haben offen-

sichtlich nicht alle Dokumente an den Ver-
kehrsausschuss übermittelt“, ärgert sich
Kühn in dem Brief vom Mittwoch.
Die Lage für Scheuer könnte nun
brenzlig werden. Denn die Grünen stell-
ten in dem Schreiben ein neues Ultima-
tum. Bis zum 21. August soll der Minister
nun die „fehlenden Dokumente, Vorla-
gen und Gutachten vollständig und unge-
schwärzt“ nachliefern. Lenkt er nicht ein,

drohen die Grünen dem Minister mit mo-
natelangen Untersuchungen und Zeugen-
vernehmungen. „Entweder wir bekom-
men die Dokumente, oder wir werden
durch einen Untersuchungsausschuss
aufklären“, sagt der Grünen-Politiker.
Aus dem Brief geht der ganze Ärger der
Opposition über die Informationspolitik
des Ministeriums hervor. Kühn be-
schwert sich darin über „sehr leere Ord-
ner“. Nach Durchsicht der Unterlagen sei
er „sehr verwundert“ darüber, dass im be-

sonders relevanten Zeitraum für die Pla-
nung der Maut vom 31. Mai 2017 bis zum


  1. Januar dieses Jahres keine Minister-
    vorlagen zu finden seien, schreibt der Ver-
    kehrspolitiker.
    Sollte das Ministerium entsprechende
    Akten zurückhalten, wäre das ein Affront
    gegenüber dem Bundestag. Denn für ge-
    nau diesen Zeitraum wollen die Abgeord-
    neten aufklären, wie das Ministerium die
    entscheidenden Vorbereitungen für die
    Maut vorantrieb, wie die Betreiber und
    Kontrolleure Ende 2018 ausgewählt wur-
    den und warum das Ministerium die Plä-
    ne trotz einer Klage vor dem EuGH gegen
    das Projekt nicht aussetzte und so hohe
    Schadenersatzforderungen riskierte. Die
    Rede ist von mindestens 700 Millionen Eu-
    ro, die Unternehmen wegen der Nicht-
    Umsetzung der von Anfang an umstritte-
    nen Abgabe nun fordern könnten. Der
    EuGH hatte die Pkw-Maut im Juni ge-
    kippt. Weil nur Ausländer belastet wer-
    den sollten, sei sie europarechtswidrig.
    Unklar ist laut dem Schreiben auch,
    auf welcher Grundlage Scheuer sich „da-
    zu entschlossen hat, das Pkw-Maut-Sys-
    tem an private Betreiber zu vergeben“,
    heißt es im dem Brief weiter. Die Lkw-
    Maut wird vom Bundesunternehmen Toll-
    Collect betrieben. Scheuer habe es bis-
    lang auch versäumt, alle Versionen der
    Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen samt
    finaler Version vollständig zu veröffentli-
    chen. Vor den Bundestagsabgeordneten
    hatte Scheuer Ende Juni dazu noch er-
    klärt: „Wir haben Wirtschaftlichkeitsun-
    tersuchungen gemacht, die ich im Inter-
    net veröffentlichen werde – morgen – da-
    mit sie auch einer breiten Öffentlichkeit
    zugänglich sind.“ Bisher habe das Ministe-
    rium aber nur einseitige Zusammenfas-
    sungen ins Netz gestellt. Auch die Abge-
    ordneten hätten nicht alle nötigen Papie-
    re bekommen. Bis zuletzt hatte es die Sor-
    ge gegeben, dass die Maut zum Zuschuss-
    geschäft werden kann.
    Berichte und Gutachten über die Quali-
    tät der angelaufenen Arbeiten fehlen
    Kühn zufolge ebenfalls. Der Bund hatte
    die Verträge unter Verweis auf Verspätun-
    gen gekündigt. So lasse sich nicht kontrol-
    lieren, ob dies zutreffe, sagte Kühn. Das
    Ministerium wies am Freitag auf veröf-
    fentlichte Unterlagen und frühere Aussa-
    gen des Ministers hin, denen das Ministe-
    rium nichts zu verbergen habe. Ob Akten
    nachgeliefert werden, ließ das Ministeri-
    um offen. markus balser


von meike schreiber

Frankfurt –Ziemlich genau zehn Jahre
und sieben Monate ist es nun her, dass der
Bund die Commerzbank vor der Pleite ret-
ten musste. Das war auf dem Höhepunkt
der Finanzkrise, und es kostete die Steuer-
zahler 18,2 Milliarden Euro. Den Großteil
davon zahlte die Commerzbank später zu-
rück. Aber längst nicht alles: Noch immer
ist der Bund mit 15,6 Prozent Großaktio-
när der zweitgrößten deutschen Privat-
bank, und er ist dort scheinbar gefangen:
Auf 26 Euro müsste der Aktienkurs stei-
gen, um dem Staat den Ausstieg ohne Ver-
lust zu ermöglich. Davon ist die Bank weit
entfernt: Am Freitag fiel der Aktienkurs
um mehr als drei Prozent auf zeitweise
5,19 Euro, das war fast ein neues Allzeit-
tief. Einen Tag zuvor hatte die Bank
schlechte Quartalszahlen vermeldet. Und
ohnehin ist die Stimmung für Banken gera-
de fast überall schlecht: Handelskrieg,
Konjunktursorgen, Nullzinsen – es gab
schon bessere Zeiten.


Kein Wunder, dass man sich im Bundes-
finanzministerium nun offensichtlich Ge-
danken macht, wie es mit dem Institut wei-
tergeht. Das ist per se nicht neu. Finanzmi-
nister Olaf Scholz (SPD) und sein Staatsse-
kretär Jörg Kukies, früher Goldman Sachs,
hatten sich zu Jahresanfang bereits unge-
wöhnlich deutlich für eine Fusion der Com-
merzbank mit der Deutschen Bank einge-
setzt – was viele in der Finanzbranche für
eher unglücklich hielten.
Aus der Fusion wurde nichts, nun aber
will Scholz auch die Strategie des Geldhau-
ses näher in Augenschein nehmen. Das hat
eine neue Qualität: Wie aus dem Vergabe-
portal des Bundes hervorgeht, sucht die zu-
ständige Finanzagentur einen Berater, der
die Strategie bewerten soll, welche die
Bank im September 2019 veröffentlichen
will. Es gehe darum, das Geschäftsmodell
zu bewerten und „strategische Empfehlun-
gen abzuleiten“, heißt es in der ungewöhn-
lich detaillierten Ausschreibung von An-
fang August. Außerdem, so heißt es, soll
der Berater Stärken und Schwächen analy-
sieren und prüfen, wie die Commerzbank
wachsen kann, ob durch Zukäufe, Koopera-
tionen oder Teilverkäufe. Nicht zuletzt
geht es darum, wie der Bund überhaupt
mit seiner Beteiligung an dem Frankfurter
Geldhaus umgehen soll. Beginnen werde
die Beratung zwischen Ende Oktober und
Mitte Dezember für maximal ein Jahr.
Nun könnte man meinen, es sei völlig ge-
wöhnlich, dass sich der Bund eine seiner
wichtigsten Bankenbeteiligungen näher
anschaut. Schließlich geht es um viele Mil-
liarden, und kein Finanzminister wird sich
nach den Erfahrungen der Finanzkrise vor-
werfen lassen, nicht genau hingeschaut zu
haben. Und so wollen es auch alle als nor-
malen Vorgang verstanden wissen; beim
Finanzministerium in Berlin und bei der
Commerzbank in Frankfurt. Und doch:
Keiner kann sich daran erinnern, dass sich
der Bund zur Commerzbank schon einmal


so genau beraten ließ, auch nicht unter
Scholz’ Vorgänger Wolfgang Schäuble, der
sowieso gerne Abstand vom Finanzplatz
Frankfurt hielt. Der Bund ließ sich bislang
von seinen zwei Vertretern im Aufsichtsrat
unterrichten – und gut war es dann.
So gewöhnlich ist das alles also nicht.
Manch ein Entscheidungsträger bei der
„Gelb-Bank“ befürchtet gar ein Misstrau-
ensvotum für Vorstandschef Martin Ziel-
ke. Seit 2016 versucht dieser, das Institut
über aggressives Wachstum – also mehr
Kredite, mehr Kunden – durch die Unbill
der Niedrigzinsphase zu führen. Doch seit
die Zinswende ausfällt, ist klar, dass Zielke
seine Ertragsziele verfehlt. Hinzu kommt
die Sorge vor steigenden Kreditausfällen.
Der Aktienkurs spiegelt das bereits wider.
„Der Bund prüft angeblich ergebnisof-
fen, aber zugleich nennt er erstmals Optio-
nen wie Teilverkäufe und Zukäufe“, sagt
ein Kenner der Bank, der anonym bleiben
möchte. Womöglich werde „Berlin“ noch
zu einem aktivistischen Investor. Noch ge-
be es keine handfesten Hinweise, dass Ziel-
kes Job gefährdet ist. Sein Vertrag läuft
erst in zwei Jahren aus. Allerdings gelang

es der Commerzbank unlängst, Roland
Boekhout von der niederländischen ING
als Firmenkundenchef abzuwerben – mit
dem Versprechen, bald Chef zu werden?
In jedem Fall sind die Erwartungen nun
hoch, welche neue Strategie Zielke und sei-
ne Kollegen im September hervorzaubern
werden. Zukäufe sind eigentlich nicht

drin; und auch mit Blick auf die Geschäfts-
felder wird die Bank die Welt nicht neu er-
finden. „Sie können Kosten senken und
weiter Erträge steigern, aber das ist es
dann“, sagt ein Insider.
Wäre es daher nicht konsequent, wenn
sich der Bund rechtzeitig von dem Anteil
trennen würde? Zumal die Bundesregie-

rung kein strategisches Interesse an der
Commerzbank hat? Rein theoretisch wäre
das möglich, es würde beim derzeitigen Ak-
tienkurs aber einen Verlust von fast vier
Milliarden Euro mit sich bringen, bei Ein-
nahmen von nur knapp einer Milliarde Eu-
ro. Mehr noch: Sollte der Bund seinen An-
teil über den Aktienmarkt verkaufen wol-
len, würde das die Bank empfindlich
schwächen und könnte eine gefährliche
Abwärtsspirale in Gang setzen. Daran dürf-
te niemand im Bundesfinanzministerium
Interesse haben. „Es wäre natürlich weiter-
hin denkbar, dass der Bund verkauft,
wenn eine andere europäische Bank ein gu-
tes Gebot für die Commerzbank abgibt“,
sagte ein Insider. Tatsächlich gab es im-
mer wieder Gerüchte, die niederländische
ING oder die italienische Unicredit hätten
Interesse an einer Übernahme. Allerdings
gilt das als zunehmend unwahrscheinlich,
auch weil die anderen europäischen Insti-
tute mit ähnlichen Problemen kämpfen.
„Wenn es einer Bank nicht gut geht, kauft
sie keiner“, sagt ein weiter Kenner des
Geldhauses. Selbst ein Preis von Null kön-
ne mit Nachhaftung viel zu teuer sein.

Der frühere Audi-Chef Rupert
Stadler bestreitet alle Vorwürfe.
Er sei unschuldig.FOTO: AFP

Verwirrung im


Glyphosat-Streit


Ein Gerücht um einen Vergleich
bewegt die Bayer-Aktie

Leere Akten


Im Maut-Debakel setzen die Grünen Verkehrsminister Scheuer ein Ultimatum


Genau im Blick


Seit zehn Jahren ist der Staat Aktionär der Commerzbank. Nun sucht der Bund nach einem Spezialisten,
der den Fall übernimmt. Ein Alarmsignal für den Vorstandschef?

Millionenschaden


Was die Ermittler Ex-Audi-Chef Stadler konkret anlasten


Notfalls will die Opposition
einenUntersuchungsausschuss
einberufen

Soll die Commerzbank


zukaufen oder


alleine wachsen?


Eine Einigung könnte Bayer
sieben Milliarden Euro kosten,
heißt es am Freitag kurzzeitig

DEFGH Nr. 184, Samstag/Sonntag, 10./11. August 2019 HF3 WIRTSCHAFT 25


Bayerin Euro
Tagesverlauf

62

64

66

68

7

9.00 Uhr 12.00 14.00 17.30
9.8.19 64,63

SZ-Grafik/smallCharts;Quelle: Bloomberg

Das Kunstwerk „Love Hate“ von Mia Florentine in Frankfurt, im Hintergrund der Commerzbank-Turm. FOTO:MICHAEL PROBST/AP

Im Juli versprach Verkehrsminister Andreas Scheuer Transparenz und präsen-
tierte einen Ordner. Die Grünen monieren, dass die Aktenlage dünn ist.FOTO: DPA

CommerzbankKursam 9.8.2019: 5,25 Euro

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