Süddeutsche Zeitung - 10.08.2019

(avery) #1
von harald eggebrecht

D


ass im Jahre 9 nach Christus
ein aus verschiedenen germa-
nischen Clans, Stämmen und
Völkerschaften zusammenge-
würfelter Kriegerhaufen un-
ter dem Cheruskeranführer Arminius die
römischen Legionen 17, 18 und 19 nebst
sechs Kohorten und drei Alen, also etwa
gut 15 000 Mann, überfallen und vernich-
tend geschlagen hat, steht außer Zweifel.
Auch dass der Feldherr der Römer, Publi-
us Quinctilius Varus, der in die Familie
von Kaiser Augustus eingeheiratet hatte
und bis zu diesen Unglückstagen als ein er-
fahrener Politiker und Militär galt, sich an-
gesichts drohender Gefangenschaft nach
der katastrophalen Niederlage in sein
Schwert stürzte, ist erwiesen.

Doch der Ort, an dem die drei Legionen,
sechs Kohorten und drei Alen untergin-
gen im Hinterhalt der rechtsrheinischen
Krieger, ist bis heute umstritten. Kein
Wunder, denn Schlachtfelder wurden
gründlich geplündert, die eigenen Toten
begrub man, die Überreste der Feinde
überließ man dem Schicksal der Verwe-
sung. Außerdem kamen die Tiere und zer-
streuten die Knochen. Schon nach weni-
gen Jahren waren kaum mehr Spuren des
Geschehens zu finden. Daher ist so gut
wie keiner der berühmten antiken
Schlachtorte, etwa jener des Hannibalsie-
ges bei Cannae, archäologisch einwand-
frei erfasst.
Etwa 700 verschiedene Theorien zur La-
ge des Varus-Ereignisses hat es im Laufe
der Jahrhunderte gegeben: So nahm Otto
von Freising im 12. Jahrhundert die Varus-
niederlage in der Nähe von Augsburg an.
Auch Mainz war im 15. Jahrhundert als
Kampfort im Gespräch. Der Reformator
Georg Spalatin, der als erster eine Armini-
us-Biografie schrieb, vertrat die Ansicht,
die Legionen seien bei Duisburg unterge-
gangen. Philipp Melanchthon hielt immer-
hin schon den Osning für möglich, jenes
Mittelgebirge, das seit dem 17. Jahrhun-
dert Teutoburger Wald genannt wird und
als bekanntester, doch unbewiesener Ort
der Schlacht gilt. Doch auch im Holländi-
schen oder in der Nähe von Halberstadt
oder von Hildesheim haben manche die
Varus-Legionen unterliegen sehen. Einer,
Walther Pflug mit Namen, hat 1956 die Rö-
mer sogar bis nach Thüringen vorstoßen

lassen, wo ihnen Arminius in der Nähe des
Tautenburger Waldes bei Jena auflauerte.
Wie bei den anderen konnte auch Pflug sei-
ne Thesen nicht mit Ausgrabungsergeb-
nissen belegen und damit untermauern.
Hingegen vermutete der große Histori-
ker und Literatur-Nobelpreisträger Theo-
dor Mommsen 1885 die Gegend nördlich
des Kalkrieser Berges im Wiehengebirge
im Osnabrücker Land als wahrscheinli-
chen Ort der Niederlage, was aufgrund
von Münzfunden plausibler war. Und tat-
sächlich fand gut hundert Jahre später der
englische Hobbyarchäologe Tony Clunn
dort auch Wurfgeschosse. Das lockte die
Profis an, weitere Ausgrabungsfunde aus

augusteischer Frühzeit deuten nun dar-
auf hin, dass der Kampf, zumindest ein
größeres Scharmützel aus dem ganzen Va-
rus-Ereignishorizont, hier stattgefunden
haben könnte. Das ändert nichts daran,
dass munter weiter spekuliert wird, ob
das nun auf Paderborn, Unna oder Melle
zielt oder sonst irgendwo in Ostwestfalen
und Umgebung.
Bei literarisch-historischen Quellen ist
man auf die Römer angewiesen. Dort gibt
es einige Erwähnungen der Schlacht, aus-
führlicher wird sie von Tacitus in seinen
Annalen Anfang des 2. Jahrhunderts be-
schrieben und besonders von Cassius Dio
in seiner Römischen Geschichte, zu Be-

ginn des 3. Jahrhunderts. Beide gründe-
ten ihre Texte auf ältere, leider verloren ge-
gangene Quellen. Germanische Dokumen-
te gibt es keine, wie sich denken lässt. Bei
Tacitus, der in den Annalen von den Straf-
feldzügen des Germanicus fünf Jahre
nach der Varusschlacht berichtet, findet
sich dann auch jene ominöse Stelle, die
vermeintlich den richtigen Ort angibt: „Al-
les Land zwischen Ems und Lippe wurde
verwüstet, nicht fern vom Teutoburger
Wald, in dem, wie man sagte, die Überres-
te des Varus und der Legionen unbestattet
lagen.“ Germanicus soll dann die Gebeine
der gefallenen Legionäre zu einem großen
Grabhügel geschichtet haben.

Der nationale und sich bald heftig natio-
nalistisch auswachsende Mythos aber,
dass Arminius eine Art Befreier Germani-
ens vom römischen Joch gewesen sei, setz-
te erst ein, als der italienische Humanist
Enoch d’Ascoli, der im Auftrag von Papst
Nicolaus V. nach Handschriften antiker
Texte suchte und dabei auch Deutsch-
land, Dänemark und sogar Norwegen be-
suchte. In der Reichsabtei Hersfeld wurde
er fündig und verbrachte 1455 den Codex
Hersfeldensis, in dem unter anderem die
Schrift „Germania“ von Tacitus enthalten
war, nach Rom. In dieser Schrift hielt der
römische Historiker, der nie in germani-
schen Gefilden war, ein propagandistisch
ideales Bild von jenen Germanen seinen
in Dekadenz lebenden Römern als Spiegel
entgegen: Treue, Tapferkeit, Ehrlichkeit,
Gerechtigkeitsliebe, Keuschheit, Freige-
bigkeit, Frömmigkeit, Aufrichtigkeit und
Freiheitsdrang zeichneten diese edlen Wil-
den aus, auch wenn sie würfelspiel- und al-
koholsüchtig seien. Das hat jene nicht ge-
stört, die Arminius zu Hermann und zum
ersten Nationaldeutschen machten, dem
sie 1875 im Teutoburger Wald ein dickes
Schlagetotdenkmal errichteten, zu dem
seitdem gern deutschnationalistisches Ge-
lichter jeder Art pilgert.
Wurde tatsächlich in Kalkriese, immer-
hin dem ersten unzweifelhaft entdeckten
antiken Schlachtfeld Europas, die Varusar-
mee geschlagen? Dazu hat Salvatore Orti-
si, wissenschaftliche Grabungsleiter dort-
selbst, kürzlich derSchweriner Volkszei-
tunggesagt: „Die offene Diskussion um
diesen Platz hat allen, auch den Fachkrei-
sen, gezeigt, dass wir mit der Erforschung
von Kalkriese sicher nicht am Ende, son-
dern eher noch am Anfang stehen.“

Jede Zahl von 1 bis 9 kommt pro Zeile und Spalte
höchstens einmal vor. Ununterbrochene Reihen
weißer Felder (Straßen) enthalten nur aufeinander-
folgende Zahlen, aber in beliebiger Reihenfolge.
Zahlen auf schwarzen Trennfeldern gehören zu
keiner Straße. © 2010 Syndicated Puzzles Inc.
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897 12
978651243
897 12 54
76 12 43
42653
45 76 89
23 54 867
152439678
21 879

4

5
1
3

6

1875 wurde in der Nähe von
Detmoldein dickschenkliges
Hermanns-Denkmal errichtet

LÖSUNGEN VOM FREITAG ...


...UND VOM WOCHENENDE


STR8TS: SO GEHT’S


87 132 65
82341576
12 34
2134 687
12 65798
43 876
587 23
356987124
67 98 43

9 6 4 2 1 5

Quartett mittelschwerDerGolfvon Mexiko, eine
Schublade vollMedizin, eineFederund einFuß:
vier Arten von Ball.SchwerVom Balkon derdeut-
schen Botschaft in Pragaus teilte Hans-Dietrich
Genscher 1989 mit, „dass heute Ihre Ausreise ...“
Die anderen Bilder zeigten denOrlojam Prager
Rathaus, denPrager FenstersturzundKarel Gott,
die „goldene Stimme aus Prag“. Aller Anfang
„Lebe, wie du, wenn du stirbst, wünschen wirst,
gelebt zu haben“ (Christian Fürchtegott Gellert)

Auf dem antiken Schlachtfeld
inKalkriese wurde noch 1990
die Gesichtsmaske eines römischen
Reiters gefunden.FOTO: DPA

DEM GEHEIMNIS AUF DER SPUR

Hauen und Stechen


ImJahr 9 nach Christus schlugen germanische Völkerschaften unter dem Cherusker Arminius


die Römer vernichtend. Aber wo genau fand die Varus-Schlacht statt?


36 RÄTSEL Samstag/Sonntag,10./11. August 2019, Nr. 184 DEFGH


STR8TSmittelschwer


FOTOS: IMAGO (4), BUNDESDRUCKEREI, GIGASET, RIJKSMUSEUM/ON LOAN FROM THE MUNICIPALITY OFAMSTERDAM, DPA

SCHACH


Sensationeller Senior

QUARTETT


Vier Bilder, eine Gemeinsamkeit – welche?

von oliver rezec

mittelschwer


schwer


SUDOKUschwer


521648793
693175284
487392165
238751946
754936821
169284357
9458 17632
316429578
872563419

SCHWEDENRÄTSELDeutsche Seen


1549 36728
36982 7415
872145693
526389174
743651982
918472356
695214837
281763549
437598261

a 8 7 6 5 4 3 2 1
bcdef gh

Position nach 21...Lxh4

Anand – Nepomniachtchi (Sizilianisch)
Am Ende der Grand Chess Tour in Paris,
die einen großen Teil der Weltelite in einer
Kombination aus Schnell- und Blitzschach
versammelte, wurden zwei Spieler beson-
ders bejubelt: Lokalmatador Maxime Va-
chier-Lagrave als überzeugender Sieger
und der 49-jährige Turniersenior Viswa-
nathan Anand. Dem Inder gelang, in einem
Alter, in dem schachliche Höchstleistun-
gen extrem selten sind, ein Sieg im Blitz-
schach und er belegte den zweiten Platz in
der Gesamtwertung. Nachfolgend eine
starke Positionspartie aus der Schnell-
schach-Sektion gegen den taktisch äu-
ßerst gefährlichen russischen Supergroß-
meister Ian Nepomniachtchi:
1.e4 c5 2.Sf3 d6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 Sf6
5.Sc3 a6 6.g3 e5 7.Sb3 Le7 8.Lg2 0–0
9.0–0 Sc6 10.h3 h6 11.Le3 Sa5 12.Sxa5
Dxa5 13.Dd2 Dc7 14.a4 Le6 15.a5 Tac8
16.Tfc1(ein unauffälliger, aber sehr star-
ker Zug, der den wunden Punkt c2 schützt
und so die folgende Aktion vorbereitet)
16...Tfe8 17.Sd5(führt zu einer günstigen
Verschiebung der Bauernstruktur im Zen-


trum)17...Lxd5 18.exd5 Sh7 19.h4 f5
20.c4 f4(in Anbetracht des kommenden
weißen Angriffs am Damenflügel sucht
Schwarz Gegenspiel, doch Anand hat alles
im Griff)21.gxf4 Lxh4 Diagramm 22.c5
(der Schlüsselzug der weißen Strategie er-
zeugt in jedem Fall einen mächtigen Frei-
bauern und gibt Weiß deutlichen Vorteil)
22...Tcd8(22...dxc5 23.d6 Dd7 24.Dd5+
Kh8 25.fxe5 mit großem Vorteil)23.c6 Df7
(23...exf4 24.Lb6 Df7 25.Lxd8 Lxd8 26.Tc4)
24.Ta4(sichert den Königsflügel)24...
exf4 25.Txf4 Lf6 26.Tb4 Te7 27.Dc2 Lg5
28.Lxg5 Sxg5 29.f4 Sh7 30.Db3(etwas
präziser war wohl 30.Lh3)30...Sf8(nur
das passive 30...Tb8 31.Lh3 Sf8 gab Überle-
benschancen) 31.Txb7 Txb7 32.Dxb7
Dxf4 33.Tf1 De3+ 34.Kh1 Te8 35.Df7+
Kh7 36.Df5+ Sg6 37.c7 Dc5 38.Le4 Txe4
39.Dxe4 Dxc7(und Schwarz gibt gleichzei-
tig auf, denn die folgende, für einen Spit-
zenspieler elementare Abwicklung ge-
winnt leicht: 40.Tg1 Df7 41.b4 Df6 42.
Dxg6+ Dxg6 43.Txg6 Kxg6 44.b5 axb5
45.a6 b4 46.a7 b3 47.a8D).
stefan kindermann

3


5


3


639


36


5


65


94


8


9


7


1


2


4


7 1


8 9 3


2 5 4 9


1


6 4


1 7 8 5


7


3


5 4 3 9 8


ALLER ANFANG


„W··· w···’· m··


w····· r······ S·····?“


Der Klimawandel beantwortet Rudi Carrells alte Frage
mit Nachdruck. Wie lautet das Zitat?

Schlachtfelder plünderte man,
die eigenen Toten wurden
begraben, Feinde verwesten
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