Süddeutsche Zeitung - 10.08.2019

(avery) #1

HELL’S KITCHEN (XXX)


MännerDassind mein Ex-Mann Stefan
Feuerstein und ich nach unserer Trauung
in München. Zu ihm und meinen anderen
beiden Lebenspartnern habe ich nach
wie vor ein gutes Verhältnis. Mein Ex-
Mann ist ein Mensch, auf den ich mich im-
mer verlassen können werde. Als wir uns
getrennt haben, waren wir uns einig,
dass die Kinder nicht darunter leiden sol-
len. Wir haben eine gemeinsame Tochter
und hatten damals jeder ein Kind mit in
die Ehe gebracht. Wir haben uns kennen-
gelernt, als ich in Bad Hersfeld in zwei
Shakespeare-Inszenierungen spielte.
Nach der Aufführung von „König Jo-
hann“ sagte mir eine Kollegin, dass ein

Ehepaar seine Nummer hinterlassen hät-
te, weil es mir Blumen schenken wollte.
Ich wollte das Paar nach der Aufführung
von „Hamlet“ treffen, aber Stefan war al-
leine – mit einem riesigen Blumen-
strauß. Die Ehefrau war in Wirklichkeit
seine Schwester. Zum Oktoberfest war er
dann in München und wollte mich sehen.
Zu dem Treffen nahm ich eine Freundin
mit, ich hatte Angst, dass er mich anbag-
gert. Stefan war aber so charmant, dass
die Freundin mich fragte, ob ich denn
spinne, das sei doch so ein toller Mann.
Da habe ich ihn mit anderen Augen gese-
hen. Es war der Tag der Tage. Sechs Wo-
chen später waren wir verheiratet.

RATTELSCHNECK


ElternhausMeine Eltern hatten eine
große Liebe zum Tanz, zur Musik und
zum Schauspiel. In unserem Haus gab
es lauter Verstecke, Truhen voller Kostü-
me, die meine Mutter sammelte. Meine
Eltern haben die tollsten Faschingsfes-
te gefeiert. In dieser Fantasiewelt bin
ich aufgewachsen. Mein Vorbild war Pip-
pi Langstrumpf, und zu Hause hatte ich
mein Taka-Tuka-Land. Die Schule war
für mich ein notwendiges Übel, schon
mit vier wollte ich auf die Bühne. Zirkus-
prinzessin zu werden, war mein großer
Traum, ich wollte mit einem Tutu auf ei-
nem Pferd stehen. Dann wollte ich Bal-
letttänzerin werden – auch wegen des
Tutus. Ich habe meinen Mund aufma-
chen und frech sein dürfen. Meine El-
tern machten mir aber klar: Was du dir
einbrockst, musst du auch auslöffeln.
Als ich mit 15 zum ersten Mal zum Film
ging, haben sie gefordert, dass ich flei-
ßig bin und mein Ding durchziehe. Das
hatte ich immer im Hinterkopf.

von christian zaschke

Manchmal muss ich Hell’s Kitchen
verlassen, und das fällt mir zuneh-
mend schwerer. Ich rede nicht davon,
dass ich mal einen Abend rüber nach
Brooklyn fahre, wo viele meiner Freun-
de wohnen, was daran liegt, dass es
eine Zeit gab, in der Brooklyn viel güns-
tiger war als Manhattan. Mittlerweile
kann man in Teilen Manhattans für
weniger Geld wohnen als in Teilen
Brooklyns, vor allem, wenn man sich,
um mal irgendein Beispiel zu nennen,
für eine bescheidene Bleibe im



  1. Stockwerk eines ehemaligen
    Schwesternwohnheims in Hell’s Kit-
    chen entscheidet statt für ein Loft mit
    Flussblick in Williamsburg. Ich rede
    auch nicht davon, dass ich kurz rauf
    nach Harlem schaue, wo der Foto-
    graf W. Wohnstatt bezogen hat, dessen
    Fähigkeiten am Herd ebenso fantas-
    tisch sind wie an der Kamera. An man-
    chen Tagen, wenn die Götter es gut mit
    mir meinen, bewegen sie W. dazu, in
    Hell’s Kitchen anzurufen mit der Fra-
    ge, ob ich am Abend auf einen Teller
    Nudeln mit Wodka-Soße vorbeikom-
    men wolle. Die richtige Antwort lautet,
    unter absolut allen Umständen: Ja.


Im Moment befinde ich mich auf
einer kleinen Dienstreise, und ich bin
erstaunt darüber, wie sehr ich Hell’s
Kitchen vermisse. Ich neige nicht dazu,
Orte zu vermissen, und ich neige nicht
dazu, mich irgendwo zu Hause zu füh-
len. Ich kann auch mit dem Ausdruck,
man sei irgendwo angekommen, nicht
viel anfangen. Man kommt, das ist
meine Überzeugung, nie irgendwo an,
man reist von A nach B nach C und
immer so weiter, und irgendwann hat
man seinen letzten Buchstaben er-
reicht, und das ist genau gut so.
Vor knapp zwei Wochen, kurz vor
Beginn meiner kleinen Dienstreise,
kam ich vom Einkaufen im Amish
Supermarket zurück. Ich spazierte am
Briciola vorbei, einem italienischen
Restaurant, dem ein schwer tätowier-
werter Franzose namens Cy vorsteht.
16 Uhr, Lunch war vorbei, Dinner hatte
noch nicht begonnen. Cy saß auf der
Bank vor dem Lokal und entspannte.
„Christian“, rief er mit seinem harten
Akzent, als er meiner gewahr wurde. Er
pflegt den Akzent, obwohl er seit
20 Jahren hier lebt. „Setz dich zu mir“,
sagte er. Ich setzte mich zu ihm.
Cy erzählte zum vierten oder fünf-
ten Mal, dass die Brasilianerin vom
Restaurant gegenüber seine große
Liebe ist. Ich erzählte zum vierten oder
fünften Mal, dass ich in diesem Som-
mer auf meinem Balkon klitzekleine
grüne Chilis gezüchtet habe. Nach ei-
ner Weile holte Cy zwei Gläser vom
Hauswein, wir tranken und redeten, so
verging eine Stunde. Die Klimaanlagen
surrten, ein Wind zog durch die Straße,
von drüben winkte die Brasilianerin,
wir winkten zurück, und aus einer, wie
mir schien, Laune heraus fragte ich:
„Kannst du hier je wieder weggehen?“
Cy lachte kurz auf. Er schaute mich an,
er hob sein Glas und gab keine Ant-
wort, weil er natürlich wusste, dass die
Frage nicht an ihn gerichtet war.


Ankommen


EngagementMein Verein „Horizont“,
der obdachlosen Frauen und ihren Kin-
dern ein Dach über dem Kopf gibt, ist
ein Vollzeitjob, und das seit fast 25 Jah-
ren. Wir haben in München zwei Frauen-
häuser gebaut und planen gerade eine
dritte Einrichtung, weil wir ein Grund-
stück geerbt haben. Es kann nicht sein,
dass in Deutschland Menschen auf der
Straße leben müssen. Für mein Engage-
ment erhalte ich viel Anerkennung. Leu-
te sprechen mich auf der Straße an und
stecken mir einen Geldschein zu – die
vertrauen mir, dass ich das nicht in
mein eigenes Portemonnaie stecke, son-
dern zu „Horizont“ gebe.

Vorbild Auch meine Mutter wollte Schau-
spielerin werden, aber im Zweiten Welt-
krieg ging das nicht. Zwei ihrer Cousins
waren Ärzte. Nach dem Krieg musste sie
für sie arbeiten, obwohl sie es nicht gerne
gemacht hat. Sie hat davon profitiert,
dass ich schon früh beim Film war. Als ich
noch nicht volljährig war, musste sie mit
auf Drehs. Auch als ich älter war, habe ich
sie oft ans Set geholt – sie hat es geliebt!
Mit 50 Jahren hat sie eine Laienspielgrup-
pe gegründet. Damit lebte sie ihren
Traum aus. Mit 84 Jahren, sieben Jahre
vor ihrem Tod, hatte sie dann ihre erste
Filmrolle – an meiner Seite im ARD-Film
„Aber jetzt erst recht“.

FrauensacheDie Rolle der Schwester Lot-
te in „Um Himmels Willen“ wurde mir
auf den Leib geschrieben, ich habe sie mit
kreiert. Die Serie gab einen neuen Blick
auf Nonnen, die auch Geschäftsfrauen
sind. Aber man hätte sich mehr trauen sol-
len. Dafür habe ich mich eingesetzt, als ei-
ne Art feministischer Akt. In den fünf Jah-
ren, in denen ich dabei war, hat sich der
Fokus der Serie verändert, weg von den
Nonnen hin zu einer Bürgermeisterserie


  • darum bin ich 2006 ausgestiegen. Man
    könnte mich als Feministin bezeichnen,
    aber mit dem Begriff kann ich nicht viel
    anfangen. Ich finde Frauen spannend,
    die etwas bewirkt haben.


TöchterDa haben meine Töchter und ich
ein Foto für eine Weihnachtskarte ge-
macht. Als junge Schauspielerin mit zwei
Kindern hätte ohne unser Kindermäd-
chen Lisi früher nichts funktioniert. Sie
war sehr wichtig für Franziska und Anto-
nia. Meine Töchter leben heute in Berlin
und München. Einmal die Woche habe
ich Enkeltag, da unternehme ich etwas
mit dem zweijährigen Sohn meiner Toch-
ter Franzi. Zuletzt war ich mit ihm in ei-
nem Outdoor-Geschäft, um einen Ruck-
sack zu kaufen. Ich reise bald zwei Mona-
te durch Australien und Neuseeland – al-
leine, das ist auch für mich ungewöhn-
lich. Aber wenn nicht jetzt, wann dann?

Kurz vor dem Treffen braust die SchauspielerinJuttaSpeidel, 65, mit einem babyblauen


Fiat 500 in die Einfahrt ihres Hauses, gerade noch war sie in einem ihrer Münchner Frauenhäuser.


Die Kinder dort haben Baumhäuser gebaut, erzählt sie stolz und hängt während des Interviews noch


schnell ihre Wäsche auf. Sie ist ein Workaholic und macht immer drei Dinge gleichzeitig


protokolle: laura krzikalla

Die Klimaanlagen surrten,
von drüben winkte
die Brasilianerin

DurchbruchFürden Film „Fleisch“ bin
ich zum ersten Mal nach Amerika gereist.
Ich war sehr aufgeregt und hatte das Ge-
fühl, ich erobere die Welt. Die Siebzigerjah-
re waren eine großartige Zeit. Wir waren
so frei! Befreit vom Muff der Fünfziger, in
denen man mit dem Wiederaufbau und
der Schuld des Naziregimes beschäftigt
war. Befreit durch den revolutionären
Geist der Sechziger. Wir hielten Amerika
für das Land der großen Freiheiten. Wir
waren auch frei in der Liebe. Wir haben
uns verliebt und wieder entliebt, unkom-
pliziert und unbeschwert. Ich habe natür-
lich auch in der Filmwelt meine Liebschaf-

ten gehabt, Schauspieler oder Kamera-
männer. Auf dem Foto bin ich mit Herbert
Herrmann in einer Szene aus „Fleisch“ zu
sehen. Davor spielten wir in „Drei sind ei-
ner zu viel“. Wir waren fünf Jahre lang ein
Paar. Mit „Fleisch“ wurde ich internatio-
nal bekannt – ich bin trotzdem in Deutsch-
land geblieben. In den USA sagte man mir:
Wenn du eine Chance haben willst, musst
du hierherkommen. Da war ich verheira-
tet und hatte zwei kleine Kinder, aber
mein Mann sagte: Wir brechen unsere Zel-
te in Deutschland ab und du versuchst
dein Glück. Damals suchten sie in Los An-
geles eine Darstellerin, die in einem Film

über den IOC-Präsidenten Brundage des-
sen schwedische Geliebte spielen sollte.
Das Drehbuch fand ich grottenschlecht,
beim Casting waren außer mir 30 oder 40
blond gefärbte Frauen, mit aufgemalten
Sommersprossen auf den Stupsnasen
und künstlichen Fingernägeln. Da dachte
ich: Das kann ich nicht, das will ich nicht.
Ich bin zurück nach Deutschland geflo-
gen. Hier hatte ich viele Angebote für Fil-
me, habe „Die Katze auf dem heißen Blech-
dach“ am Theater gespielt, es ging mir be-
ruflich gut. Heute frage ich mich, warum
wir jemals dachten, Amerika sei das Land
der unbegrenzten Möglichkeiten.

FOTOS: IMAGO STOCK (2), DDP IMAGES, PRIVAT (5)

FOTOALBUM


50 GESELLSCHAFT Samstag/Sonntag,10./11. August 2019, Nr. 184 DEFGH

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