Süddeutsche Zeitung - 10.08.2019

(avery) #1
von timo feldhaus

A


n einem Samstag im Juli kam
meine Tochter in die Pubertät.
Es schien zuerst ein Tag wie je-
der andere. Wie an vielen dieser
Tage sitzt sie beim Autofahren
auf der Rückbank in der Mitte, neben sich
die beiden kleineren Töchter ihrer Paten-
tante. Es wird sich von hinten wie immer
lauthals gewünscht, dass ein Hörspiel
läuft statt dieses irre langweilige Erwachs-
enenradio. Aber meine Tochter bleibt die-
ses Mal still.
Man macht dann natürlich das Hörspiel
an, weil was macht man nicht alles für die
Kinder. Und die Kleinen hören gespannt
zu, was Liliane Susewind so treibt, und die
Große packt zum ersten Mal öffentlich ih-
re Ohrenstöpsel aus, steckt die ins Ohr,
macht auf dem Handy Musik an und ist
weg. Guckt aus dem Fenster, nickt mit
dem Kopf und sieht schrecklich erwach-
sen aus.


Sie ist plötzlich eine andere geworden.
Alles ist plötzlich anders geworden. Sie ist
ja fast zwölf Jahre alt, und es war über-
haupt ein kleines schönes Wunder, das sie
immer noch so gerne auf Augenhöhe mit
der Sechs- und der Vierjährigen spielt und
über Stunden in deren Welt eintauchen
kann. Aber das ist, wie ich nun im
Rückspiegel sehe, ab genau jetzt endgültig
vorbei. Patentante und ich schauen uns
an, sie sagt leise: „Mach ein Kreuzchen im
Kalender.“
Tochter singt hinten leise mit: „I’m that
bad type / Make your mama sad type / Ma-
ke your girlfriend mad tight / Might sedu-
ce your dad type / I’m the baaad guy ...“
„Was hörst du denn da eigentlich für
Musik?“, frage ich beunruhigt.


„Billie Eilish“, sagt sie und guckt cool
und euphorisch. Als würde sie sich nichts
anmerken lassen – und zugleich so wie je-
mand, der diese Art Blick zum ersten Mal
im Leben ausprobiert. Das sieht natürlich
wahnsinnig süß aus, aber ... „Das geht
nicht“, überrasche ich mich selbst beim
Aussprechen. „Das ist doch Todessehn-
suchtsmusik!“
„Ähhhh ...“, entgegnet die fast Zwölfjäh-
rige und ist schon wieder dabei, ihre Stöp-
sel ins Ohr zu prökeln.
Ich weiß wenig über Billie Eilish. Sie ist
sehr jung, 17, sehr erfolgreich und macht
die Pop-Musik zur Jetztzeit. Sie verspricht
den Soundtrack zum Selbsthass, den sie ja
auch besingt. Alle jungen Leute lieben das,
zu mir als Enddreißiger dringt es irgend-
wie nicht mehr durch. Etwas jüngere
Freunde verstehen diese Musik und die
düstere Stimmung noch, ich kann das
auch nachvollziehen und objektiv gut fin-
den oder eher mittelgut, aber ich habe
kein Bedürfnis, es zu hören. 445 Millionen
Aufrufe und ein paar Zerquetschte auf You-
tube lassen mich allerdings ahnen, dass in
dieser Rechnung ich der Depp und von der
Gegenwart Abgehängte bin. Aber was mir
wichtig ist: Wieso denn gerade das? Wieso
denn jetzt direkt das als erstes? Und rufe
panisch von vorne am Steuer nach hinten:
„Nein. Nein. Nein. Musik ausmachen!“
Tochter guckt. Fragt ehrlich über-
rascht: „Was regst du dich auf? Das ist Bil-
lie Eilish. Das ist voll cool. Meine Freundin
hat mir gestern erzählt, Billie Eilish ist de-
pressiv. Was heißt das eigentlich?“
„Uaaaaaaahhhhhhh.“ Ich schwitze.
Mein Baby. Depression. Was soll das alles?
Patentante lacht laut. „Patentante!“, rufe
ich und denke anNirvana. Eigentlich den-
ke ich zuerst anGuns n’ Roses. Weil ich
mich ja wirklich noch erinnere, wie ich da-
hinten mit dem Walkman auf dem Ohr auf
dem Rücksitz meiner Eltern saß und die
Musik mir extrem dabei half, einen Raum
zu entwerfen, aus dem heraus ich meine El-
tern, die Welt und das ganze uneigentliche

Leben verfluchen konnte. Andere Bands
im Walkman hießen Pantera, Anthrax
oderMegadethund ich denke, dass Billie Ei-
lish am Ende wahrscheinlich schon die äs-
thetisch ansprechendere und nachhaltige-
re Option ist.
Aber ich denke auch: Das war doch we-
nigstens ehrliche Teufelsanbeter- und
Selbstmördermusik. Die war laut und zum
Schreien, also raus damit. Selbst Kurt Co-
bain, der Rockmusik in Grunge umformte
und die Gewalt zum ersten Mal imaginativ
und dann ja wirklich gegen sich selbst rich-
tete, verstand man immer noch auch als ge-

gen die Gesellschaft gerichtet. Und das
war ja wohl gesund. Jedenfalls ganz sicher
gesünder als diese flächige, verwirrende
und ja wirklich sehr düstere Musik der
blauhaarigen, depressiven Göre Billie Ei-
lish. Die ganz offensichtlich überhaupt kei-
nen Feind mehr kennt außer sich selbst.
Wie schwächlich die singt! Die Lebensmü-
digkeit, die jetzt filterlos in die unschuldi-
gen Ohren meiner Tochter fließt. Und dort
logischerweise Schaden anrichtet. Das ist
gar nichts für Kinder. Das ist ein Versehen.
Das ist ganz sicher überhaupt nicht gut für
mein kleines Baby.
„Handy her.“
„Papa?!“
„Handy her!“
Patentante guckt streng von der Seite.
Tochter guckt richtig streng und unver-
zeihlich.
Sekunden der Stille.
„Dann eben nicht. Dann hör das doch!“
Patentante tätschelt die Hand auf der
Kupplung: „Was hast du denn früher ge-
hört?“
Ich, in Trauer: „Ja eben.“
„Ja wie, ja eben? Du warst doch mal
Musikjournalist und deine Tochter darf

nicht Billie Eilish hören? Spinnst du jetzt?
Komm, sei kein bad guy.“
Stille. Blick nach vorne. Die Straße und
die Zeit fliegen an uns vorbei.
Ich erinnere mich: „Weißt du eigentlich,
dass letztes Jahr eine Studie erschienen
ist, die beweist, dass Popmusik immer
trauriger wird? Die Wissenschaftler haben
Trillionen von Liedern gehört, aus den
Achtzigern bis heute, und am Ende ge-
schlossen: Immer weniger fröhliche Songs
erscheinen, dafür immer mehr traurige.
Es wird alles trauriger und depressiver.“

Patentante: „Passt doch.“
Ich: „Ja, passt eigentlich, ne?“
Patentante: „Ja, leider.“
Ich: „Was machen wir denn jetzt?“
Patentante: „Ich glaube, wir sind die
Traurigkeit heute besser gewohnt. Und
können deshalb auch viel besser mit ihr
umgehen. Wir alle.“ Dann blickt sie nach
hinten.
„Hmmm.“
Okay, die Jugend hat natürlich nicht im-
mer, aber halt doch immer ein bisschen
mehr recht. Das Kind ist ja wie Gegenwart.
Unmoralisch, ohne Taktik und Marschrich-
tung. Das Kindisteinfach, die Kinder ver-
halten sich nicht. Das Kind hat ursprüngli-
chen Kontakt, und die Jugend ist der gran-
diose Moment, wo das Kind diesen Kon-
takt verliert und etwas Neues dafür be-
kommt. Und dort, wo das passiert, und die
süße Jugend beginnt, dort ist tendenziell
alles extrem kompliziert, aber auch alles
gut. Jetzt gilt es eben stark zu sein. Nun gilt
es, das Größte zu tun: vertrauen. Und der
Kleinen da hinten vertraue ich wie keinem
anderen weit und breit.
Ich: „Was machen wir denn jetzt?“
Patentante: „Patentochter, gib mal Bil-
lie Eilish, wir hören das jetzt auf Anlage.“

Hör mal zu


Die zwölfjährige Tochter unseres Autors liebt


plötzlich die schwermütige Musik von Billie Eilish.


Er muss jetzt ganz stark sein


„Das ist voll cool. Meine


Freundin hat mir erzählt,


Billie Eilish ist depressiv.“


Popmusik wird immer
trauriger. Das ist
wissenschaftlich erwiesen

Die Jugend hat natürlich nicht
immer, aber halt doch
immer ein bisschen mehr recht

52 GESELLSCHAFT FAMILIE UND PARTNERSCHAFT Samstag/Sonntag,10./11. August 2019, Nr. 184 DEFGH


Billie Eilish ist 17 Jahre alt, extrem erfolgreich
undverspricht ihren Fans den richtigen Soundtrack
zum Selbsthass. Nichts für die schwachen
Nerven mancher Väter.FOTO: THE NEWYORKTIMES/REDUX/LAIF

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