Süddeutsche Zeitung - 10.08.2019

(avery) #1

M


it Heidi Klum ist es ja so: Im
tiefsten Inneren hat man Re-
spekt vor ihr. Sie ist nämlich
vor allem eine ausgebuffte Geschäfts-
frau, die virtuos an unseren gespannten
Nerven herumzupft. In einem Moment
sieht sie irgendwie toll aus, im nächsten,
zum Beispiel beim Finale ihrer Show
GNTM, hängen ihr die Brüste auf dem
Bauch und sie wickelt ein bonbonähnli-
ches Kleid mit riesengroßer Schleife
drum. Sie weiß natürlich, dass sich die
Geschmackselite, zu der sich ja heutzuta-
ge alle zählen, daraufhin das Maul zer-
reißt. Das lenkt ab von der echten Heidi,
die niemals ein Mensch außerhalb ihrer
Familie je zu Gesicht bekommen hat.
Alles ist Business, das gilt auch für ihre
eigene Hochzeit mit einem ehemaligen
Jungrockstar auf einer Yacht vor Capri.
Die Location-Wahl gaukelt den Wunsch
nach Privatsphäre vor, ziemlich scharfe
Paparazzi-Fotos gingen trotzdem um die
Welt. Die Klatschpresse analysierte, das
Burgprinzessinnenkleid des deutschen
Labels Kaviar Gauche sei als Beweis
wahrer Liebe zu deuten, da sich so was
Hochromantisches für eine Frau in ih-
rem Alter eigentlich nicht mehr gehöre.
Wir finden ja, dass es viel wichtiger ist,
dass zwei Menschen glücklich sind. In
solchen Momenten lassen sie nämlich
die Masken fallen. Und so könnte die
Presse vielleicht wirklich recht haben:
Die Klum hat sich dazu hinreißen lassen,
hier einen Blick in ihre Seele zu gestat-
ten. Diese Karnevalsbrautaufmachung
könnte tatsächlich ihr wahrer Ge-
schmack sein! Man sollte Business und
Privatsphäre eben lieber doch nicht
vermischen. julia werner


von jan stremmel

E


inmal, im Frühjahr 1992, wäre al-
les fast vorbei gewesen. Es war
ein Albtraum für jeden Erfin-
der: Ein Junge starb, 15 Jahre
alt. Er war in Boston auf der Stra-
ße in eine Wasserschlacht geraten, als
plötzlich einer eine echte Pistole zog. Der
Bürgermeister von Boston forderte darauf-
hin einen sofortigen Verkaufsstopp – na-
türlich nicht von echten Waffen, sondern
von Spritzpistolen der Marke „Super Soa-
ker“. Der Erfindung von Lonnie Johnson.
Das Verbot kam nie, im Gegenteil: Die
Diskussion kurbelte den Verkauf der Was-
serpistolen in jenem Sommer erst recht
an. Aber die Ironie dahinter beschrieb
Johnson vor ein paar Jahren in einem Inter-
view mit der BBC: Da hätte man doch fast
seine Spielzeugpistole verboten – obwohl
er in seinem Leben so viele echte Waffen
entwickelt hatte.
Lonnie Johnson, 69, ein groß gewachse-
ner, etwas linkisch wirkender
Mann mit grauem Schnurrbart
und einem ansteckenden La-
chen, ist Nuklearingenieur. Er
hat lange für die Nasa gearbei-
tet und im Waffenlabor der Air-
force. Dort forschte er gerade
am erstenB2-Tarnkappenbom-
ber, als er aus Versehen die
wichtigste Erfindung seines Le-
bens machte, abends im Bade-
zimmer.
Das Spielzeug, das ihn reich
und berühmt machen sollte,
brachte er 1989 auf den Markt,
vor genau 30 Jahren. Damals
saß Johnson, einen pinken Sam-
sonite-Koffer auf dem Schoß,
in einem Konferenzraum des
Spielzeugherstellers Larami.
Der Chef und ein paar Marke-
tingleute hockten dort, leicht
gelangweilt. So so, eine Spritz-
pistole, was die denn könne?
Johnson öffnete den Koffer, nahm seinen
Prototyp heraus, pumpte ein paar Mal –
und schoss einen Strahl Wasser quer
durch den Besprechungsraum, zwölf Me-
ter weit. „Da sagten die erst mal: Wow.“
Der Super Soaker ist eines der erfolg-
reichsten Spielzeuge aller Zeiten. Mehr als
200 Millionen Stück haben sich bis heute
verkauft, deutlich mehr als zum Beispiel
das Kartenspiel Uno. Das erste Modell, der
neongelb-grüne SS 50, ist nicht nur in so
gut wie jeder westlichen Kindheitserinne-
rung der Neunzigerjahre verankert – es ist
auch längst eine Designikone. In diesem
Sommer hat das Modelabel Supreme eine
Sonderedition davon herausgebracht.
Um die revolutionäre Wucht von John-
sons Erfindung zu würdigen, muss man
sich klarmachen, wie Wasserpistolen bis
dahin größtenteils funktionierten: Ein
hohles Plastikgehäuse, gefüllt mit etwas

Wasser, und ein Abzughebel, der mit jeder
Fingerbewegung – ffft, ffft – einen feinen
Spritzer Wasser aus einem Ventil pumpte.
Im Prinzip wie eine Flasche Glasreiniger,
mit ähnlicher Reichweite. Johnsons Proto-
typ dagegen verfügte über einen litergro-
ßen externen Tank. Der Schütze baute
durch mehrmaliges Pumpen in einer Kam-
mer Luftdruck auf. Der Abzughebel öffne-
te dann ein Ventil, aus dem sich sekunden-
lang ein dicker Strahl ergoss. Hartgesotte-
ne Wasserpistolenfans schreiben bis heu-
te in Foren wie isoaker.com, mit dem SS 50
habe nicht weniger als ein „neues Zeitalter
der Wasserkriegsführung“ begonnen.
Die Geschichte ist im Grunde eine ty-
pisch amerikanische Heldenstory. Sie
zeigt einerseits, dass Tüfteln und jahrelan-
ge Ausdauer am Ende belohnt werden. Sie
ist aber auch typisch amerikanisch, weil
sie von Rassismus und Waffenkult erzählt


  • also genau den Themen, die das Land bis
    heute beschäftigen.
    Als der Afroamerikaner Johnson in Ala-
    bama in die Highschool geht,
    werden Schüler noch nach Haut-
    farbe getrennt. Sein Vater, ein
    Bastler, lässt den Sohn alles aus-
    probieren. Einmal kocht Lonnie
    in einem Kochtopf Treibstoff
    für seine Raketen, um ein Haar
    fliegt die Küche in die Luft. Die
    Eltern schicken den Jungen
    raus in den Garten. Mit einer
    Camping-Herdplatte.
    Als Teenager bewirbt sich
    Johnson bei einem Erfinder-
    wettbewerb der Universität, mit
    einem selbstgebauten Roboter,
    der mit Luftdruck betrieben
    wird. Er ist fasziniert von den
    Robotern aus Science-Fiction-
    Filmen. „Niemand sagte mir,
    dass da Schauspieler drin sa-
    ßen.“ Bei dem Wettbewerb ist er
    der einzige schwarze Teilneh-
    mer. Er wird Erster. Aber statt
    dem talentierten Jungen sofort
    ein Ingenieurstudium zu empfehlen, schla-
    gen die Laudatoren nur kühl vor, er könne
    ja Mechaniker werden.
    Von wegen. Johnson studiert an der afro-
    amerikanischen Universität in Tuskegee,
    Alabama. Danach geht er zur Air Force, ins
    Waffenlabor nach New Mexico. Später
    wechselt er zur Nasa und entwickelt dieGa-
    lileo-Sonde mit, die schließlich zum Jupi-
    ter geschickt wird. Nach Feierabend bas-
    telt er an eigenen Erfindungen. Als er
    eines Abends eine neuartige Wasserkühl-
    pumpe testet, schießt ein Strahl quer
    durchs Bad – so stark, dass der Duschvor-
    hang flattert. „Ich dachte: Jeez, das wäre ei-
    ne gute Wasserpistole!“ Er baut ein paar
    Prototypen aus Plexiglas und verteilt sie
    an die Freunde seiner Tochter. Als Wasser-
    tank dient eine Limonadenflasche. Am



  1. Oktober 1983 meldet er ein Patent an,
    Nummer US4591071: „Eine Spielzeug-


spritzpistole, die einen dauerhaften Hoch-
geschwindigkeitswasserstrom schießt.“
Aber bis daraus die Revolution der Wasser-
kriegsführung wird, soll es noch einige Jah-
re dauern.
Johnson hat nicht genug Geld für die
Herstellung, er braucht einen Investor. Al-
so tingelt er mit seinem Koffer über Spiel-
zeugmessen. Verschiedene Firmen sind
interessiert, sie heißen Daisy oder Enter-
tech, große Namen der damaligen Spiel-
zeugpistolenbranche. Aber es ist kompli-
ziert: Der Markt ist Ende der Achtziger
stark unter Druck. Die damals üblichen
Wasserpistolen sind echten Waffen nach-
empfunden, etwa der Maschinenpistole
Uzi, sie sehen täuschend echt aus. Weil es
deshalb immer wieder zu Verwechslungen
und Todesfällen kommt, verbietet das US-
Handelsministerium 1989 Spielzeuge, die
echten Waffen ähneln. Seitdem müssen
Wasserpistolen eine orangefarbene Mün-
dung haben. Einige Firmen gehen pleite.
1990, nach seinem Auftritt im Konfe-
renzraum von Larami, kommt
Johnsons Pistole endlich in die
Läden. Sie heißt „Power Dren-
cher“ und kostet zehn Dollar.
Die Verkäufe laufen langsam
an. Wegen eines Streits um die
Namensrechte tauft die Mar-
ketingabteilung die Pistole
schließlich um: „Super Soaker“.
Parallel schaltet man TV-Wer-
bung. Ein Clip ist heute auf You-
tube abrufbar und sagt viel über
den Wandel der Zeit: Zwei Teen-
ager wollen da auf eine Garten-
party, werden aber von der Gast-
geberin an der Tür abgewiesen.
Daraufhin schwören die beiden
Rache, besorgen sich einen Su-
per Soaker, laden durch und
stürmen mit schwarzen Hüten
und Sonnenbrillen im Gesicht
die Feier. Von heute aus betrach-
tet wirkt der Clip, nun ja, be-
fremdlich. Immerhin sei es „ein
bisschen weniger unangenehm“, kommen-
tiert jemand auf Youtube, „wenn man
weiß, dass das vor Columbine rauskam“.
Das erste große Schulmassaker, ebenfalls
eine Racheaktion zweier Außenseiter, pas-
sierte erst Jahre später.
Damals aber trifft der Super Soaker ei-
nen Nerv, bei Kindern wie Erwachsenen.
Allein 1991 verkauft sich die Pistole mehr
als zwei Millionen Mal. Michael Jackson
liefert sich damit auf der Neverland Ranch
wild kichernd Wasserschlachten mit Ma-
caulay Culkin, wie man auf später veröf-
fentlichten Heimvideos sieht. Lonnie John-
sons Erfindung ist Teil der Popkultur.
Er entwickelt nun im Hauptberuf Spritz-
pistolen. Für den Nachfolger des SS 50
fügt er eine zweite Kammer hinzu. Statt
Luft sorgt nun Wasser für den Druck, der
Widerstand sinkt, das Pumpen geht auch
für jüngere Kinder leichter. Auch dieses

Modell wird ein Bestseller. 1993 bringt
Johnson den SS 300 auf den Markt, den
ersten Super Soaker, dessen Wassertank
man als Rucksack trägt. Er bricht den Re-
kord als kräftigste Wasserpistole aller Zei-
ten. Laut den akribischen Historikern von
isoaker.com ein weiterer Meilenstein: Mit
ihm bricht das „zweite Zeitalter der Was-
serkriegsführung“ an. Das dritte Zeitalter
beginnt schon drei Jahre später, als Lonnie
Johnson sich mit dem CPS 2000 selbst
übertrifft. Bis heute gilt dieses Modell un-
ter Kennern als die beste Spritzpistole al-
ler Zeiten: Sie verfügt im Inneren über ei-
ne Gummiblase, die den Strahl während
des Spritzens konstant hält. Diese Pistole,
die man aufgrund ihres Gewichts an ei-
nem Schultergurt trägt, schießt über
15 Meter weit. Gerüchten zufolge kommt
es bei Schüssen aus nächster Nähe zu Ge-
hirnerschütterungen. Die Nachfolgermo-
delle werden jedenfalls, so glauben Ken-
ner, durch unauffällige Umbauten etwas
entschärft. Lonnie Johnson schweigt dazu.
Bis heute sind mehr als 175
verschiedene Modelle erschie-
nen. Was treibt Johnson zu die-
sen immer neuen Erfindungen?
Ist die Begeisterung für Spiel-
zeugwaffen eine Art Buße für
die Kriegswaffen, die er vorher
entwickelt hat? Man würde ihn
das gerne fragen. Aber Johnson
lässt ausrichten, dass er nicht
mehr über den Super Soaker
sprechen möchte.
Anhand der 132 öffentlich
einsehbaren Patente, die er bis
heute registriert hat, lässt sich
aber immerhin ein grobes Bild
seines kindlichen Ingenieur-
geists zeichnen. Er erfindet im
Monatsabstand: einen Luft-
druck-Raketenwerfer. Eine
Wasser-Bazooka. Eine neue Ge-
neration der Nerf-Gun, der be-
rühmten Schaumstoffpfeilpis-
tole. Aber unter den Patenten
sind auch ein Lockenföhn, ein Angelhaken
und ein Detektor für nasse Windeln.
2015 wird der Super Soaker in die „Toy
Hall of Fame“ aufgenommen. Für Spiel-
zeugentwickler eine Art Heiligsprechung.
Die Spritzpistole ist nun offiziell in der Rie-
ge der unsterblichen Spielzeuge, gemein-
sam mit dem Flipperautomaten, der Bar-
bie oder dem Atari 2600. Mit dem Geld
finanziert Johnson heute Förderprogram-
me, die schwarze Jugendliche für Ingeni-
eurwissenschaften begeistern sollen. Den
Rest steckt er nach eigenen Angaben fast
komplett in seine neuesten Erfindungen.
Auf eine davon ist er besonders stolz: Der
„Johnson Thermo-Electrochemical Con-
verter“ ist eine Maschine, die mittels Was-
serstoff Hitze in Elektrizität verwandelt.
Es ist sozusagen der Ururenkel der Erfin-
dung, die er damals im Badezimmer tes-
ten wollte. Endlich hat er mal Zeit dafür.

A


ls flüchtiger Beobachter war es in
den letzten Monaten nicht immer
einfach, Anbahnung und Vollzug
der Ehe Klum-Kaulitz von einem TV-For-
mat zu unterscheiden. Die beiden erbau-
lichen Menschlein entsprechen bei ihren
Auftritten und auf Instagram-Bildern
eben so sehr den TV-Sehgewohnheiten,
dass es sich genauso gut um eine ewige
Casting- oder Sommerhaus-Flirt-Show
handeln konnte, eine Jury-Sitzung oder
was auch immer. Auch die Hochzeitsfei-
erlichkeiten vor Capri wiesen dem Ver-
nehmen nach Ähnlichkeiten mit einem
Showfinale auf, wenn auch mit weniger
Werbeunterbrechung. Nun macht Tom
Kaulitz trotz des erlittenen Klumschen
Kometeneinschlags immer noch einen
recht gemütlichen Eindruck, der durch
dieses stark wuchernde Bart-Kopfhaar-
Ding unterstützt wird. DieBild-Zeitung
fühlte sich sogar bemüßigt, den antiken
Begriff „Waldschrat“ wieder auszupa-
cken, was man gerne mal von Heidi
Klum in ihrem Power-Amerikanisch
ausgesprochen hören würde. Aber der
Ausdruck passt nicht wirklich zu diesem
jugendlichen Bräutigam. Sein modi-
sches Aufgebot umfasste immerhin
einen ordentlichen, buttercremefarbe-
nen Anzug mit offenem Hemd und Ein-
stecktuch, was auf einer Yacht als ausrei-
chend erachtet werden darf. Zudem ist
man geneigt zu glauben, dass die wilden
Haare ja ein bisschen das Gewicht sind,
das er in diese Ehe mitbringt. Wäre er
mit Seitenscheitel angetreten, Heidi
hätte ihm die Nase geputzt und dann
glatt in ihrem Wuchtkleid verschwinden
lassen. Also, Kopf hoch und herzlichen
Glückwunsch! max scharnigg


Die einzig


wahre Heidi


Der ganz


gemütliche Tom


FOTO: INSTAGRAM/HEIDI KLUM

LADIES & GENTLEMEN


Das Modell
von 1996
war so stark,
dass es
später
entschärft
werden
musste

Was für
eine Ironie:
Eigentlich
entwickelt
er Waffen-
systeme
für die
Air Force

Einsame


Spritze


Vor 30 Jahren erfand ein


Raketenforscher aus Versehen die


berühmteste Wasserpistole


der Welt. Über den Siegeszug


des Super Soaker


DEFGH Nr. 184, Samstag/Sonntag, 10./11. August 2019 57


STIL


Der Super Soaker


  • oben Erfinder Lonnie
    Johnson mit zwei Model-
    len im Jahr 1998 – ist
    eines der meistverkauf-
    ten Spielzeuge aller
    Zeiten. Unten in
    Gelb-Grün: das erste
    Modell, der SS 50.
    Diesen Sommer brachte
    Supreme eine eigene
    Sonderedition heraus
    (unten Mitte).
    Der CPS 2000 (ganz
    unten) gilt als bisher
    stärkste Wasserpistole.
    FOTOS: SUPER SOAKER, JOHN
    BAZEMORE/AP


Angela Merkel trinkt mit politischen
Freundinnen plötzlich Aperol Spritz.
Was hat das zu bedeuten?  Seite 58

Berliner Sprudel

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