Süddeutsche Zeitung - 10.08.2019

(avery) #1
Seit etwas mehr als sieben Wochen ist der
neue Fernbusanbieter Blablabus auf deut-
schen Straßen unterwegs, in dieser Wo-
che nun nahm das Unternehmen, das seit
einigen Jahren bereits den Mitfahrdienst
Blablacar anbietet, die ersten grenzüber-
schreitenden Fernbus-Verbindungen
auf, beispielsweise von München über
Frankfurt und Düsseldorf nach Amster-
dam sowie von München über Straßburg
und Reims nach Paris. Fragen dazu an
Christian Rahn, den Deutschland-Chef
von Blablabus.

SZ: Herr Rahn, mit Flixbus dominiert
hierzulande ein Quasi-Monopolist den
Markt. Warum tritt Blablabus ausge-
rechnet in Deutschland an, einem für
Fernbusanbieter schwierigen Markt?
Christian Rahn: Es stimmt, Deutschland
ist kein einfacher Markt, aber es ist eben
auch der wichtigste Markt in Europa.
Und er liegt nahe zu Frankreich, wo wir
Anfang Juli den Anbieter Ouibus von der
französischen Staatsbahn übernommen
haben. Nun sind wir dabei, ein internatio-
nales Netzwerk aufzubauen.
Der britische Anbieter Megabus, die
Post und der ADAC – in der Vergangen-
heit sind bereits viele Fernbusunter-
nehmen an der Flixbus-Übermacht ge-
scheitert. Was macht Sie so sicher, dass
Sie nicht auch scheitern werden?
Wir sind kein Neuling im Markt, im Ge-
genteil. Wir geben mit Blablacar seit
mehr als zehn Jahren den Ton an auf der
Straße bei Mitfahrgelegenheiten und ha-
ben mit Ouibus eine Marke, die in Frank-
reich sehr etabliert ist. Darauf setzen wir
auf und konzentrieren uns auf die großen
Hauptachsen, die möglichst auch noch in-
ternational ausgerichtet sind – das unter-
scheidet uns von vielen gescheiterten An-
bietern. Wir legen großen Wert auf eine
hohe Auslastung unserer Busse und wer-
den daher auch in der Lage sein, weiter-
hin sehr niedrige Ticketpreise anzubie-
ten. Und wir werden in der Kombination
mit Blablacar unseren Kunden etwas bie-
ten, was andere nicht bieten können.

Das heißt: Ihr Kunde fährt mit dem Bla-
bla-Bus von München nach Hamburg
und dann mit dem Mitfahrer-Auto via
Blablacar weiter nach Lübeck?
Das ist das Ziel, ja. Aus Marktstudien wis-
sen wir, dass genau das auch den Kunden-
bedürfnissen entspricht. Unsere Aufgabe
ist es nun, diese beiden Angebote auf ei-
ner gemeinsamen Mobilitätsplattform
zu verzahnen. Das ist nicht einfach, weil
der Bus nach einem festen Fahrplan fährt
und die Mitfahrgelegenheit genau gegen-
teilig funktioniert, dort läuft es sehr viel
spontaner und dynamischer. Wir arbei-
ten daran, beide Welten zu verknüpfen.
Aber letztlich sitzen ihre Kunden auch
nur in einem Bus von der Stange mit
Wlan an Bord – wie bei der Konkur-
renz. Busfahren ist nun mal Busfahren,
da gibt es kaum große Unterschiede.
Da stimme ich Ihnen grundsätzlich zu,
aber der große Unterschied ist: Wir bie-
ten eine Plattform mit vielen unterschied-
lichen Angeboten, aus denen der Kunde
auswählen kann. Und wir konzentrieren
uns auf die Hauptachsen und wollen mög-
lichst jeden freien Sitzplatz füllen, sodass
wir auch weiterhin sehr, sehr günstige
Preise anbieten können, auch über unse-
re aktuelle Startphase hinaus. Glauben
Sie mir, wir werden uns im Fernbusseg-
ment behaupten, als eines von vielen Seg-
menten auf unserer Mobilitätsplattform.
Derzeit locken Sie mit Kampfpreisen
von 99 Cent je Fahrt. Kritiker sagen:
Das kann nur funktionieren, wenn
man an der Sicherheit spart, also an
der Wartung der Busse oder bei der Be-
zahlung der Fahrer.
Da widerspreche ich entschieden. Wir ha-
ben die Sicherheit sehr in den Vorder-
grund gestellt und wir legen hohe Anfor-
derungen an unsere Partnerunterneh-
men aus der Busbranche. Jeder Bus hat ei-
ne Vielzahl von Assistenzsystemen an
Bord, mit Dreipunkt-Sicherheitsgurten
auf allen Plätzen und Alkoholmessgerä-
ten, welche die Zündung blockieren, soll-
te der Fahrer versuchen, sich alkoholi-
siert ans Steuer zu setzen. Zudem ist kei-
nes unserer Fahrzeuge älter als drei Jah-
re. Und die Fahrer unserer Partnerfirmen
sind sehr gut ausgebildet und werden
nach Branchenstandard bezahlt.
Wenn Sie sagen, dass der Fernbus lang-
fristig eines von vielen Segmenten auf
Ihrer Plattform sein wird: An was den-
ken Sie denn noch? An eigene Blabla-
Fernzüge? Oder an Kooperationen mit
dem öffentlichen Nahverkehr?
Wir haben alle möglichen Mobilitätslö-
sungen auf dem Schirm, da gehören
selbstverständlich auch die von Ihnen Ge-
nannten dazu. Wichtig ist aus unserer
Sicht, dass die Lösungen multimodal
sind, dass sie unser Kunde also mit ande-
ren Mobilitätsformen kombinieren kann.
Und sie müssen nachhaltig und günstig
sein, damit sie zu uns passen.

interview: marco völklein

Christian Rahnistseit


  1. Juni 2019 Deutschland-
    Chef von Blablacar, der
    weltweit größten Platt-
    form für die Vermittlung
    von Mitfahrgelegenhei-
    ten. Zudem verantwortet
    er nun den Aufbau der
    neuen Fernbus-Marke
    Blablabus.FOTO: DPA


von peter fahrenholz

V


or wenigen Wochen hat Jeep ei-
ne ganzseitige Anzeige geschal-
tet, bei der die Werbetexter ge-
wissermaßen Vollgas gaben.
Der Grand Cherokee Track-
hawk sei ein „SUV der Superlative“. Schon
beim Drücken des roten Startknopfes stel-
le sich „Gänsehaut-Feeling“ ein, der Fah-
rer eines Trackhawks werde „die allermeis-
ten Verkehrsteilnehmer überwiegend im
Rückspiegel“ sehen. Die Marketingprosa
anderer Hersteller klingt ähnlich. Immer
stärker, immer schwerer, immer mehr
elektronische Gimmicks, um das Auto in
Schach zu halten – das scheint die Devise
zu sein. Der erste Porsche 911, ohne Frage
ein reinrassiger Sportwagen, kam bis 1973
mit 130 PS aus. Heute liegt der PS-Durch-
schnitt aller Neuwagen bei 153.
Aber was ist eigentlich mit denen, de-
nen das Gänsehaut-Feeling beim Starten
ihres Autos völlig wurscht ist? Genauso
wie die Beschleunigung von Null auf 100.
Die einfach ein günstiges Auto wollen,
dass sie ohne Probleme von A nach B
bringt, Platz für die ganze Familie hat und
möglichst lange hält. Diese sehr große Ziel-
gruppe hat praktisch keine Auswahl, wenn
es ein Neuwagen sein soll und keine alte
Möhre mit mehr als 100000 Kilometern
auf dem Tacho, bei der man nicht weiß,
wann sie den Geist aufgibt.


Eigentlich kommt nur Dacia in Frage.
Die rumänische Billigmarke von Renault
hat eine erstaunliche Erfolgsgeschichte
hinter sich, mögen die Ingenieure der Kon-
kurrenz darüber auch noch so sehr die Na-
se rümpfen. Die robusten Autos verkaufen
sich gut und die Rendite stimmt, was die
Frage aufwirft, warum sich andere Herstel-
ler dieses Geschäft entgehen lassen. Einer
hat es versucht und er kommt aus dem Os-
ten: Lada. Man denkt hier sofort an den La-
da Niva, einen unzerstörbaren Geländewa-
gen, der jetzt Lada 4x4 heißt, im Grunde
aber seit 1978 weitgehend unverändert ge-
baut wird. Was ahnen lässt, dass an der
Technik einige Modernisierungsschübe
vorbeigegangen sind. Seit 2017 bietet Lada
auch für den deutschen Markt den Vesta
an, den es seit 2018 auch als Kombi gibt. Al-
lerdings ist es nur ein kurzes Intermezzo.
Weil der 1,6-Liter-Benziner, obschon neu
entwickelt, die nächste Verschärfung der
Euro-6-Norm nicht mehr schafft, zieht
sich Lada Ende 2019 aus Westeuropa wie-
der zurück. Dem Vernehmen nach soll der
Wagen später wieder angeboten werden,
dann mit einem neuen Motor aus den Re-
nault-Regal. Bis Mitte 2020 wird der Vesta
hierzulande aber noch zu haben sein, der
Importeur hat sich mit genügend Fahrzeu-
gen eingedeckt. Grund genug, den Lada
Vesta mit dem Dacia Logan MCV zu verglei-
chen. Kann die russische Marke im Billig-
Segment mit dem Marktführer mithalten?
Um es vorwegzunehmen: in den entschei-
denden Punkten nicht.
Was die Optik angeht, haben die Lada-
Entwickler durchaus ordentliche Arbeit ge-
leistet. Der Wagen sieht nicht nach müh-
sam aufgehübschten Design längst ver-
gangener Tage aus, sondern könnte auch
als beliebiger Japaner aus den unteren
Preisregionen durchgehen. Wer im Vesta
sitzt, outet sich jedenfalls nicht als Exot,
Neugierde bei Passanten wird er aber auch
nicht wecken. Der Dacia, der ursprünglich
in einem Joint Venture für den indischen
Markt entwickelt wurde und seit 2005


auch in Deutschland erhältlich ist, hat sich
im Laufe der Zeit auch äußerlich weiterent-
wickelt. Die beiden Hecktüren, die dem Au-
to lange Zeit eine gewisse Lieferwagen-An-
mutung gaben, sind längst einer Heckklap-
pe gewichen, insgesamt macht der Wagen
einen gefälligeren Eindruck als früher.
Das gilt auch beim Interieur. Die Zeiten,
in denen man nach alter Väter Sitte die
Fenster per Handkurbel bedienen musste,
sind auch bei Dacia vorbei, der Testwagen
in der Ausstattungslinie „Stepway“ hatte
vorne elektrische Fensterheber an Bord.
Auch ein Multimediasystem mit Navi und
Handy-Anbindung gehört zu dieser Versi-
on, beides ist relativ simpel gestrickt, funk-
tioniert aber einwandfrei. Zwar sind einige
Bedienelemente rätselhaft angeordnet
(die Taste für den Eco-Modus sitzt ver-
steckt hinter dem Lenkrad), die Sitze sind
zu weich und die Plastikteile verraten den
Rotstift, aber insgesamt wirkt der Innen-
raum auf eine biedere Weise stimmig.

Der Lada, obschon eine Neuentwick-
lung, verströmt im Innenraum eher den
Charme des alten Ostblocks. Was auch mit
den braun-schwarzen Stoffsitzen des Test-
wagens zu tun haben mag, sowie mit diver-
sen Zierelementen, die auf Carbonoptik
machen, aber nur ein billiges Imitat sind.
Auch der Lada bietet in der Ausstattungs-
variante „Luxus“ ein Multimediasystem
mit Navi und Freisprecheinrichtung. Des-
sen Bedienung ist allerdings ein nervtöten-
des Erlebnis: Wer die Telefonliste des über-
empfindlichen Displays herunterscrollt,
löst regelmäßig Anrufe bei Teilnehmern
aus, die er gar nicht anrufen möchte.
Leistungsmäßig liegen beide Motoren
trotz erheblicher Hubraumunterschiede
nah beieinander. Der Vierzylinder des Da-
cia holt aus lediglich knapp 900 Kubikzen-
timeter Hubraum 90 PS heraus, der 1,6-Li-
ter-Vierzylinder des Lada bietet 106 PS.
Aus heutiger Sicht gilt das als mickrig, vor
25 Jahren hätte sich damit niemand unter-
motorisiert gefühlt. Das Lada-Triebwerk
ist etwas spritziger, wird aber ab Tem-
po 120 unangenehm laut. Und beim Ver-
brauch ist der Lada alles andere als spar-
sam: Der Durchschnittswert des Testwa-
gens lag mit 8,9 Litern deutlich über den
Herstellerangaben von 7,1 Litern. Der Da-
cia begnügte sich mit 7,5 Litern auf 100 Ki-
lometer, was aber ebenfalls klar über dem
Normverbrauch von 5,5 Litern liegt. Vom
Fahrwerk darf man sich in dieser Preisklas-
se keine Wunder erwarten, der Dacia fährt
sich etwas schwammiger als der Lada. Flot-
te Kurvenräuber sind beide nicht, aber das
müssen sie auch nicht und das erwarten
die Kunden ja auch gar nicht. Es gilt die al-
te Regel: Wer weiß, was sein Auto nicht
kann, macht es auch nicht.
In zwei wichtigen Disziplinen sammelt
der Dacia wichtige Pluspunkte. Er ist mit
4,52 Metern elf Zentimeter länger als der
Lada und das bringt bei Ladevolumen
deutliche Vorteile. Für Familien, die für
möglichst wenig Geld möglichst viel Ge-
päck mitnehmen wollen, ist der Dacia die
klar bessere Alternative.
Das gilt erst recht für den Preis. Der Da-
cia in der Ausstattung desSZ-Testwagens
kostet 13 220 Euro. Rechnet man da noch
die 470 Euro für die Metallic-Lackierung
heraus, die man in dieser Preisklasse nun
wirklich nicht braucht, landet man bei un-
ter 13 000 Euro. Der Lada kostet dagegen
etwa 4000 Euro mehr und ist damit deut-
lich zu teuer. Denn in der automobilen
Holzklasse zählt jeder Euro.

Willkommen in Deutschlands Carsharing-
Hauptstadt. Mehr als 5000 Fahrzeuge ste-
hen in Berlin zur kollektiven Nutzung be-
reit, davon fast die Hälfte rein elektrisch.
„Es geht darum, Stadträume auf intelligen-
te und nachhaltige Art zu entlasten und
nicht einfach nur weitere, große Ver-
brennerflotten in die Innenstädte zu brin-
gen“, betont eine VW-Sprecherin. Ende Ju-
ni startete WeShare von Volkswagen mit
1500 e-Golfs in Berlin, nächstes Jahr fol-
gen 500 e-up! und die ersten ID.3-Fahrzeu-
ge. Der Empfang der Elektro-Flotte fiel al-
lerdings frostig aus.


Lange Zeit schien Carsharing ein wirksa-
mes Mittel gegen die Auswüchse des Indi-
vidualverkehrs zu sein. Ein geteiltes Fahr-
zeug könne acht bis zehn Privatautos erset-
zen errechnete die Unternehmensbera-
tung Frost & Sullivan 2011. Damals traten
DriveNow (BMW) und Car2go (Daimler)
erstmals in Berlin an. Ihre Spontanmiete
ohne feste Standorte wollte das Autoteilen
massentauglich machen: „Carsharing
kann die Auslastung von Fahrzeugen erhö-
hen und damit zur Reduktion der Gesamt-
zahl von Fahrzeugen in den Städten beitra-
gen“, lautet das Credo noch heute. Doch
der Mythos von der smarten Mobilitätsal-
ternative verblasst zusehends.
Auf den ersten Blick scheint Carsharing
ein Erfolgsmodell zu sein. Die Zahl der Nut-
zer ist durch stationsunabhängige Angebo-
te rapide gestiegen – von weltweit drei Mil-


lionen registrierter Mitglieder im Jahr
2013 auf 27Millionen im Jahr 2018. Die
2011 prognostizierten 32 Millionen Nutzer
bis 2020 sind bei diesem Wachstumstem-
po tatsächlich erreichbar. Falsch lagen die
Experten von Frost & Sullivan jedoch mit
zwei anderen Annahmen: Allein bis 2016
sollten so über eine Million Privatfahrzeu-
ge eingespart werden. Ebenso utopisch
sind Erlöse durch Carsharing in Höhe von
sieben Milliarden Euro im Jahr 2020.
Statt lukrativer Geschäfte steht dem Au-
toteilen ein Verdrängungskampf wie bei
den Fernbussen bevor. „Es gibt einen Wett-
bewerb zwischen sehr vielen Anbietern
und erste Konsolidierungsversuche. Die
Fusion von car2go und DriveNow ist auch
aus einer ökonomischen Notwendigkeit
geboren“, sagt der Marktanalyst Wulf Stol-
le von A.T.Kearny. In einer neuen Studie,
die derSüddeutschen Zeitungexklusiv vor-
liegt, spricht Stolle von einem „Geschäfts-
modell mit rasierklingendünnen Margen“,
das sich in den allermeisten Städten
Deutschlands nicht rechne. Dafür fehle
den meisten Kommunen die kritische Be-
völkerungsdichte von mindestens 3000
Personen pro Quadratkilometer.
Carsharing bleibe ein unprofitables Ni-
schengeschäft, wenn nicht alle notwendi-
gen Kriterien stimmten. „Nur fünf Pro-
zent von allen Nutzern werden damit in Be-
rührung kommen können“, so Stolle:
„Selbst wenn jeder Mensch, der in den
dicht besiedelten Hot Spots von München,
Hamburg, Berlin, Frankfurt, Stuttgart
lebt, auf sein Fahrzeug künftig verzichten
und nur noch sharen würde, dann ließen
sich in Deutschland gerade einmal fünf
Prozent der Fahrzeuge reduzieren. Das ist
für mich alles andere als eine Revolution.“
Diese ernüchternde Bilanz ist laut der
Studie auch für alle anderen europäischen
Flächenstaaten gültig. „Auf der Angebots-
seite haben wir also eine ökonomisch ein-
gebaute Limitierung“, so Stolle. Das ist der
Grund, warum so viele Carsharing-Anbie-

ter in die dicht besiedelte deutsche Haupt-
stadt drängen: Hier läuft das Geschäft mit
den geteilten Autos am besten. Noch,
muss man sagen, denn nach dem Ausstieg
bei DriveNow entwickelt sich Sixt zum er-
bitterten Konkurrenten. ShareNow, das fu-
sionierte Gemeinschaftsunternehmen
von BMW und Daimler, bietet allein in Ber-
lin 2600 frei flottierende Fahrzeuge an.
Mit Dumpingpreisen von neun Cent pro Ki-
lometer versucht Sixt dem Marktführer
massiv Kunden wegzuschnappen. Kosten-
deckend ist das nicht, dafür lockt es neue
Nutzer mit Sparfuchs-Mentalität an: „Mit
den tatsächlichen Bedürfnisstrukturen
der aktuellen Carsharing-Nutzer wird es
schwierig, Geld zu verdienen“, erklärt
Wulf Stolle, „denn das Preis-Leistungsver-
hältnis ist unseren Kundenanalysen zufol-
ge ein ganz wesentlicher Treiber.“ Wichtig

sei auch das Thema Bequemlichkeit:
„Man will das Auto um die Ecke haben, um
nicht weit laufen zu müssen“, so der Markt-
analyst von A.T.Kearny: „Damit haben sie
die perfekten Zutaten für eine herausfor-
dernde Profitabilität.“

Das bequeme Billig-Carsharing setzt
falsche Anreize. Weder in Berlin noch an
anderen Carsharing-Städten seien die Zu-
lassungszahlen bei privaten Pkws gesun-
ken, so die Studie „The Demystification of
Carsharing“ („Entmythisierung des Auto-
teilens“). Clevere Nutzer sparen mit dem
Carsharing, das wesentlich billiger als Ta-

xifahren ist, nicht nur Geld, sondern erkau-
fen sich auch einen reservierten Großstadt-
Parkplatz möglichst direkt vor der Haus-
tür. Ganz anders in den Achtzigerjahren,
als die sogenannten Mietklubs aus der au-
tokritischen Umweltbewegung entstan-
den. Damals wollten die Carsharing-Pio-
niere bewusst auf ein eigenes Auto verzich-
ten. Auf dem Weg zur Massenbewegung
wird die Mobilitätsalternative jedoch in
ihr Gegenteil verkehrt: Die Blechlawinen
auf und neben der Straße in Berlin werden
immer größer. Und die Taxifahrer könn-
ten zu den ersten Opfern des Autoteilens
werden.
Entsprechend kritisch reagieren sie auf
WeShare als neuen Carsharing-Anbieter
in Berlin: „1500 Fahrzeuge auf 150 Qua-
dratkilometer zu verteilen, klingt ja eigent-
lich ganz überschaubar“, kommentiert das
FachmagazinTaxi-Times, „erfahrungsge-
mäß werden die Angebote aber eher dort
genutzt, wo Parkraum sowieso schon
knapp ist.“ 200 Autos mehr in Kreuzberg
würden nicht nur den Parkfrust erhöhen,
sondern auch den Stau und den Schad-
stoffausstoß durch den Parkplatz-Such-
verkehr. Grundsätzlich würden Carsha-
ring-Fahrzeuge die Verkehrsprobleme
nicht lösen, sondern verschärfen: „Sie sor-
gen für einen Umstieg vom ÖPNV, dem Ta-
xi oder dem Fahrrad auf – das Auto.“
Das ist ein Grund, warum eine ökologi-
sche Musterstadt wie Stockholm beim Car-
sharing auf der Bremse steht. Nach drei
Jahren musste DriveNow seinen Service
dort wieder einstellen. Die schwedische
Hauptstadt war nicht bereit, von ihren ho-
hen Park- und Staugebühren abzurücken.
Auch die meisten Bürger wollten lieber
Fahrrad fahren als mit dem geteilten Auto
im Stau zu stehen. DriveNow verwies zwar
auf 2500 Tonnen CO 2 , die der Mietstromer
BMW i3 eingespart habe. Mehr als sechs
Millionen gefahrene Autokilometer hat-
ten zur Entlastung der Stadt trotzdem
nicht beigetragen. joachim becker

Überholprestige haben sie keins.


Wer darauf verzichten kann,


bekommt viel Auto für wenig Geld


Holzklasse


Der Dacia Logan MCV und der Lada Vesta sind preisgünstig,


aber in den entscheidenden Punkten ist einer der Kombis besser


Warum ein Auto kaufen, wenn man viele haben kann? Trotz Carsharing-Angeboten
wollenviele Städter auf den Privat-Pkw nicht verzichten. FOTO: ALESSANDRA SCHELLNEGGER

Stockholm steht beim Carsharing
auf der Bremse. Der Stadtverkehr
wird dadurch kaum entlastet

Freiraum auf allen Sitzen ist
für Familien besonders wichtig.
Das spricht für den Dacia

Falsche Versprechen


Carsharinggilt als umweltfreundliche Mobilitätsalternative für viele Städte. Eine neue Studie räumt mit diesem Mythos auf


Vom Bus ins


Mitfahr-Auto


Wie sich der neue Anbieter
Blablabus etablieren möchte

Früher wäre das Design vielleicht modern gewesen. Heute wirken der Dacia Logan MCW (ganz
oben) und der Lada Vesta ziemlich unauffällig und austauschbar. Auf teures Marken-
Geklingel können die Kunden in diesem Segment aber gut und gerne verzichten.FOTOS: DACIA, LADA

DEFGH Nr. 184, Samstag/Sonntag, 10./11. August 2019 MOBILES LEBEN 67


Maximal fünf Prozent der


deutschen Privat-Pkws lassen sich


durch Carsharing ersetzen


Hinweis der Redaktion:EinTeil der im „Mobilen Le-
ben“ vorgestellten Produkte wurde der Redaktion
von den Herstellern zu Testzwecken zur Verfügung
gestellt und/oder auf Reisen präsentiert, zu denen
Journalisten eingeladen wurden.

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