Süddeutsche Zeitung - 10.08.2019

(avery) #1
von michael bremmer

D


as Lied wandert langsam vom
Kopf in die Hüfte. Antje Scho-
maker, Sängerin aus Ham-
burg, 27, sitzt im Studio von
Robin Karow und hört zum ers-
ten Mal, was die Musiker vonCosbyaus ih-
rem bislang unveröffentlichten Lied „Im-
mer noch da“ gemacht haben. Es ist heiß
an diesem Tag, im Studio in Unterföhring
ist die Klimaanlage ausgefallen. Antje
Schomaker sitzt mit kurzer Jeans, Adilet-
ten und schulterfreiem Shirt am Misch-
pult, die Haare hat sie zum Zopf gebunden.
Sie stützt den Kopf auf ihren Händen ab.
Schließt die Augen. Der Song beginnt. Bis
der erste Refrain einsetzt, sitzt sie starr da,
dann wippt sie ganz leicht mit dem Kopf.
Zweite Strophe, der Oberkörper setzt ein,
erst die Schulter, dann die Taille, dritte
Strophe, sie rutscht leicht auf dem Stuhl,
tanzt schon fast, immer im Rhythmus, die
Ellbogen auf den Tisch. Dann applaudiert
sie. „Ich mag das Lied“, sagt sie. Kurze Pau-
se. Dann dreht sie sich um zu Kilian
Reischl, 38, und Robin Karow, 44. „Cool“,
sagt sie, „geilo“.


Antje Schomaker ist kein Newcomer im
Musikgeschäft, überhaupt nicht. Sie ist bei
Sony Music unter Vertrag, also bei einer
der größten Plattenfirmen in Deutschland.
Ihre erste Platte „Von Helden und Halun-
ken“ landete in den Charts. Sie nahm mit
Revolverheldden Song „Liebe auf Distanz“
auf, das Video dazu wurde bei Youtube
mehr als 7,5 Millionen Mal gespielt. Und an
diesem Donnerstag sitzt sie in dem Studio
in Unterföhring und lässt sich Tipps geben
von Musikern, deren BandCosbybei kei-
ner großen Plattenfirma unter Vertrag
steht. Lässt sich von ihnen managen, ob-
wohl die Münchner Musiker selbst vorher
keine direkte Erfahrung mit dem großen
Musikbusiness hatten. Die in ihrer Karrie-
re alles selbst aufgebaut haben – von Soci-
al Media bis zum Videoschnitt. Deren Mu-
sikclips zwar auf Youtube mehr als Hun-
derttausend Zuschauer haben – aber eben
auch nicht mehr. Die sich alles selbst erar-
beitet haben, ihre Songs selbst produziert,
ihre Shows am Anfang selbst gebucht, ihre
Gagen selbst verhandelt, ihre Platten
selbst verkauft haben. Do It Yourself statt
dickes Musikbusiness. Trotzdem legt Ant-
je Schomaker ihre Karriere in die Hände
vonCosby.
Das ist der Blickwinkel der Künstlerin.
Aber auch die andere Seite ist spannend.
Wie kommt eine Band dazu, die selbst kein
Management in Anspruch nimmt, andere
Künstler zu betreuen? Was können sie
überhaupt jungen Künstlern geben? Robin
Karow lacht bei diesen Fragen. Es ist kein
überhebliches Lachen. Eher unbeschwert.
„Wir haben mit unserer BandCosbybewie-
sen, dass wir es können“, sagt er dann. Die
Antwort ist nicht auf die Musik bezogen,
sondern darauf, wie sie ihre Band im
schwierigen Musikmarkt behauptet ha-
ben. Wie sie es geschafft haben, aus der
Masse der jungen Bands in ganz Deutsch-
land herauszustechen. Bloß geht es jetzt
um mehr als die eigene Karriere, jetzt geht
es um die Zukunft anderer Künstler. Man
trage, sagt Karow, in so einer Position eine
hohe Verantwortung für die Künstler, man
treffe wichtige Entscheidungen. Aber ge-
nau an diesem Punkt „hilft uns unsere
Band-Erfahrung“, sagt Karow. Als Musiker
habe er ja selbst viel erlebt und wisse daher
konkret, was der Künstler in den entschei-
denden Momenten brauche, was ihm wei-
terhelfe.
Um den Werdegang zu verstehen, hilft
ein Blick auf die Lebensgeschichten der bei-
den Musiker. Kilian Reischl schmiss nach
der Mittleren Reife die Schule. Er spielte
schon als Gymnasiast in der Band von Gil
Ofarim, damals einBravo-Star. Er begleite-
te unzählige Combos als Gitarrist, arbeite-
te als Studiomusiker, spielte in einer Soap
von „Bravo TV“ einen jungen Mann, der
nur den ganzen Tag abhängt und Mucke


macht. Bis 2003 lebte er ausschließlich für
die Musik, spielte eine Deutschland-Tour
mit Kim Frank, dem Sänger der Deutsch-
Pop-BandEcht, und merkte, dass er im
Tonstudio auch auf der anderen Seite arbei-
ten will – von der Gitarre zum Mischpult.
Als dann im ehemaligen Paradies-Studio
in Unterföhring – hier hängen noch heute
Goldene Schallplatten vonPur, David Hass-
elhoff oder Donna Summer – ein Aufnah-
meraum frei wurde, zog er dort ein. Hier
lernte er dann Robin Karow kennen. Auch
er ein Musiker.

Karow studierte Jura, gründete eine Per-
sonalvermittlungsagentur, entschied sich
dann aber trotzdem für die Musik. Seine
damalige Deutsch-Pop-BandSchon okay,
Babyerhielt einen Künstlervertrag, ein
Jahr lang versuchten die Musiker alles,
spielten Bandwettbewerbe und Playback-
Shows etwa im ZDF-Fernsehgarten – „hat
am Ende aber nicht gereicht“, sagt Karow
heute. Dann baute er eine Filmfirma auf –
ohne Ausbildung in diesem Bereich. Mit ei-
ner ausgeliehenen Kamera filmte er Musik-
videos, erst für die Münchner BandRed-
weik, später für Alban Skenderaj, einen der
bekanntesten Sänger Albaniens. Bei You-
tube gab es dafür schnell mehr als eine Mil-
lion Klicks – so etwas spricht sich herum,
ein Automobilhersteller wollte ein Werbe-
video, „ich habe sofort zugesagt“, sagt Ka-
row. Er flog mit einem Mini-Team nach Se-
villa, Helikopter waren für die Aufnahmen
im Einsatz, und Karow hatte nur geringe
Filmerfahrung. „Ich war maßlos überfor-
dert“, sagt er heute. Trotzdem: Es war der
Durchbruch. Es folgten weitere Imagefil-

me, Bandvideos – und mit den Referenzen
wurden die Aufträge größer.
Robin Karow und Kilian Reischl sind un-
terschiedlich. Reischl bleibt lieber im Hin-
tergrund, ergreift erst spät im Gespräch
das Wort, wägt vorher genau ab, was er sa-
gen will, zumindest macht es so den An-
schein. Karow hingegen sucht den Mittel-
punkt, übernimmt das Kommando im Ge-
spräch, zögert nicht, Entscheidungen zu
treffen. Zum Beispiel in dem Moment, als
sie die Möglichkeit bekamen, das Manage-
ment für die Sängerin Antje Schomaker zu
übernehmen. „Das war schon wie ein
Sprung ins kalte Wasser“, sagt Reischl. Und
Karow? Hatte er keine Angst, diese Aufga-
be, diese Verantwortung zu übernehmen?
„Ich habe niemals gezweifelt, ich habe im-
mer gemacht“, sagt er.
Aber kann das alles wirklich funktionie-
ren? Zum einen ist hier die BandCosby. Alle
vier arbeiten jeden Tag im Tonstudio in Un-
terföhring. Leben hier tagsüber zusam-
men, frühstücken gemeinsam, kochen ge-
meinsam, stecken all ihre Energie und Kre-
ativität in ihre gemeinsame Band. Gitarrist
Chris Werner etwa filmt alle Videos, Sänge-
rin Marie Kobylka schneidet sie. Alles, was
die vier Musiker verdienen, wird wieder in
ihre Band investiert – zum Beispiel in auf-
wendige Musikvideos.Cosbyist eine Band,
eine Firma, eine Familie. Und diese Fami-
lie hat Zuwachs bekommen. 2016 mit Antje
Schomaker, Ende 2017 mit Malik Harris, 21
Jahre alt. Aber besteht da nicht die Gefahr,
dass die Neuen zu sehr im Mittelpunkt ste-
hen? Dass die eigene Band zu kurz kommt,
wenn es bei Schomaker und Harris um die
große Karriere geht? Dass bei all den Bemü-
hungen für die anderen nicht die eigene
Musik auf der Strecke bleibt? „Unsere
Freundschaft steht über allem“, sagt Robin
Karow. Angst, dass jemand zu kurz
kommt, hat er nicht. „Wir sind alle an al-
lem beteiligt“, sagt Karow, „jeder arbeitet
mit, alle stehen unter Strom.“ Kein Neid,
vielmehr die Vorfreude, am Erfolg des an-
deren beteiligt gewesen zu sein.
Ein Vormittag Ende Juli. Im Garten des
Tonstudios ist ein großer Frühstückstisch
aufgebaut. Antje Schomaker hat vegane
Pancakes mit Heidelbeeren gebacken. Sie
kennt sich aus hier, seit sie nach der Schule
bei Cosbyein Praktikum gemacht hat.
Dass ihre Praktikantin Musikerin ist, wuss-

te die Münchner Band damals schon. Aber
erst am letzten Arbeitstag spielte ihnen
Antje Schomaker einen ihrer Songs vor. Sie
erinnert sich: „Das mit dem Vorspielen ha-
ben wir irgendwie nie hinbekommen“, sagt
sie heute. „Mir ist so etwas auch eher unan-
genehm. Und ich bin nicht der Mensch, der
sich da aufdrängt.“ Karow, Reischl und die
anderen waren sehr angetan – aber zu ei-
ner Zusammenarbeit kam es damals noch
nicht, immerhin arbeitete die Sängerin in
Hamburg mit Swen Meyer zusammen –
ein etablierter Musikproduzent, der mit
TomteoderKettcarzusammengearbeitet
hat. Er sei eine Art Mentor für sie gewesen,
aber irgendwie kam Schomaker nicht wei-
ter. Und „da Robin und Kilian schon immer
als Freunde und Berater an meiner Seite“
waren, nahmen sie nun ihre Songs auf.
Und wurden ihre Manager.
„Sie stehen hinter mir, ich schätze ihre
Fairness und fühle mich sehr gut repräsen-
tiert“, sagt sie. Und: „Ich habe lieber einen
Manager, der an mich glaubt und meine
persönlichen Werte teilt, als jemanden, der
Musikmanagement studiert hat, aber mei-
ne Musik nicht versteht und mir sagt, ich
soll doch jetzt mal nen Radiohit schreiben.“
An diesem Tag wird sie mit den Kolle-
gen von Sony ein Fußballturnier spielen –
vorher soll aber noch an zwei Songs gear-
beitet werden. Zum Beispiel an dem Lied,
das derzeit „Immer noch da“ heißt. Es ist ei-
ne Art Liebeserklärung an Menschen, die
an einen glauben – ganz egal, wie groß
oder klein der Erfolg ist. „Es geht um Men-
schen wie Robin und Kilian, die schon lan-
ge an meiner Seite sind und immer noch da
sind, wenn der Applaus vergeht“, sagt Scho-
maker.
Auch Malik Harris sitzt an diesem Tag
am Frühstückstisch. An sich ist er jeden
Tag hier, schläft oft auf einer Couch im Ton-
studio, wenn er nicht mehr nach Hause
nach Landsberg will. Er sollte Antje Scho-
maker ein paar Tricks für das Fußballtur-
nier zeigen. Dazu kommt es zwar nicht. Die
Sängerin hilft ihrem Kollegen dafür aber
beim Aufbau eines Online-Shops. Familie
halt.
Harris macht schon seit Jahren Musik.
Erfolgversprechend aber erst, seitdem
sich die BandCosbyum ihn kümmert. Har-
ris ist der kleine Bruder vom besten
Freund der Sängerin Marie Kobylka. Ir-

gendwann kam sie den Bitten nach, auf
dem Handy aufgenommene Musikvideos
anzusehen, Filmtipps zu geben. Mit den
Anregungen war es nicht getan. Heute ar-
beiten sie an seinen Songs – und fliegen
für professionelle Videos nach London
oder New York.
Solche Videos sorgen für Aufsehen. Mitt-
lerweile wird das Musikbusiness alleine
schon neugierig, wenn Kilian Reischl oder
Robin Karow mit einem Newcomer arbei-
tet. Alle drei großen Plattenfirmen in
Deutschland schickten Vertreter nach Un-
terföhring, am Ende bekam Universal den
Zuschlag. Alle drei Plattenfirmen? Zum
Teil gab es sogar mehrfachen Besuch, weil
Labels wie Universal oder Sony kleinere Un-
terplattenfirmen am Start haben. Es spre-
che sich eben herum, „wenn du ein zuver-
lässiger Partner bist“, sagt Reischl. „Oder
wenn du einen starken Künstler hast“, er-
gänzt Karow.

Letztendlich geht es immer nur um das
Produkt. Um Songs, die sich verkaufen las-
sen. Um Künstler, die die Menschen hören
wollen, im Radio oder bei Konzerten. „Frü-
her habe ich in kleinen Bars vor fünf oder
zehn Leuten gespielt“, sagt Harris, „heute
stehe ich auf großen Festivalbühnen vor
Tausenden von Menschen, begleite Stars
wie James Blunt, Alex Clare oder Tom
Odell auf ihren Tours durch ganz Deutsch-
land und spiele ausverkaufte eigene Kon-
zerte.“ Kurz: Das Leben von Malik Harris
hat sich grundlegend geändert, seitdem er
Teil der Familie in Unterföhring geworden
ist. Und der bisher beste Ratschlag seines
Managements? „Songs schreiben, Songs

schreiben, Songs schreiben. Das ist das
Wichtigste!“
Ein Mittwoch Anfang August. An die-
sem Nachmittag sind drei Musiker der
Würzburger BandZuluzu Gast. Die Popbe-
auftragten von Oberbayern und Unterfran-
ken, Matthias Fischer und Peter Näder, ha-
ben Robin Karow und Kilian Reischl enga-
giert, um jeweils eine Band aus ihrem Be-
zirk zu beraten. Drei Tage Crashkurs: vom
Bandfoto bis zum Songwriting, von der
Presseinfo bis zum besten Timing bei der
Plattenveröffentlichung. „Da stimmt doch
schon ganz viel bei Euch“, sagt Robin Ka-
row in einer lockeren Runde im Garten –
am Ende gab es dennoch gravierende Ver-
änderungen. Alleine die Plattenveröffentli-
chung wurde um ein Jahr in den Herbst
2020 verschoben, vorab sollen zwei Musik-
videos erscheinen. „Wir legen die Planung
auf jeden Fall jetzt viel langfristiger an, das
Coaching hat uns viel gebracht“, sagt Maxi-
milian Seeger, Sänger vonZulu.
„Es macht Spaß, unser Wissen weiterzu-
geben. Etwas beitragen zu können, damit
andere Bands weiterkommen“, sagt Ka-
row. Andere Bands. Und was ist mitCosby?
In der öffentlichen Wahrnehmung ist die
Band abgetaucht seit der jüngsten Veröf-
fentlichung im Februar 2018. Warum gibt
es nichts Neues? Das hänge nun wirklich
nicht mit der Arbeit mit Malik Harris und
Antje Schomaker zusammen, sagt Karow.
Das neue Album sei schon längst fertig,
auch das erste Musikvideo sei produziert.
„Aber es muss alles stimmen“, sagt er. Wor-
an hakt es? Als die Band in New York war,
um dort ein Musikvideo für Malik Harris
aufzunehmen, hat sie auch mit den neuen
Songs eine Akustik-Session in einer ehe-
maligen Kirche eingespielt. Das hat ihnen
so gut gefallen, sagt Karow, dass sie über-
legt hätten, erst die Akustik-Songs zu ver-
öffentlichen und erst danach das Studio-Al-
bum. Von diesem Gedanken sind sie aller-
dings wieder abgekommen.
Robin Karow und Kilian Reischl sitzen
im Besprechungsraum des Tonstudios. Im
Büro nebenan ist auf einem Bildschirm das
Cover des neuenCosby-Albums zu erken-
nen. „Savior“ wird es heißen, Retter. Auf
dem Cover ist ein Kind abgebildet, mit ro-
tem Umhang und Zorro-Maske. An der
Wand ist der Schatten des Kindes abgebil-
det. Zu sehen ist ein Riese.

Oberpframmern – Vom Biegungsgrad
kommt diese Gurke nahe an eine Banane
heran, allerdings sieht sie dafür zu grün
und zu schrumplig aus. Man könnte auch
sagen, dass es sich hierbei um eine eher
hässliche Gurke handelt. Anna Fritzsche,
29, hat für solche Gewächse ihr ganz eige-
nes Vokabular. Sie steht in ihrem Gewächs-
haus, die Hände voll mit Erde. Sie strei-
chelt dem schiefen Gemüse über den Rü-
cken und sagt: „Diese Gurke ist eine Cha-
rakter-Gurke.“
Wer das Reich von Anna Fritzsche be-
tritt, findet sich an einem Ort wieder, wo
striktes Wegwerfverbot gilt. Hinter einem
Bauernhaus in Oberpframmern hat Fritz-
sche ein kleines Imperium der Vielfalt an-
gelegt. In ihrem Gewächshaus baut sie seit
April sieben Gurkensorten und 16 verschie-
dene Tomatenarten an, Black Cherry, Yel-
low Manolo, Berner Rose. Oder die Yellow
Submarine, eine gelbe Tomatenart, die
viel Platz braucht und deswegen bei Groß-
betrieben eher unbeliebt ist. Alles ohne


Dünger und ohne Pflanzenschutz. Sie sagt:
„Man kann mit so wenig Anbaufläche so
viele Leute ernähren.“
Ein Sommertag auf dem Kainzenhof,
Anna Fritzsche kniet in Jeans und Hemd
vor einer Tomatenstaude und zieht ein
Messer aus der Tasche. Es sind die Wochen
der Ernte auf ihrem 1000 Quadratmeter

großen Areal. Gurken, Schnittlauch, Kopf-
salat, Wassermelonen. Zweimal in der Wo-
che öffnet sie ihren Laden zum Verkauf.
Ihr Geschäftsmodell: Abo-Kunden, die
sich dann eine alte Weinkiste mit frischem
Gemüse abholen. Entscheidend dabei:
Was in die Kiste kommt, bestimmt die Bäu-
erin selbst. „Ich richte mich nach der Ern-
te“, sagt sie. Wenn der Salat eine schlechte
Woche hat, dann gibt es eben eine Doppel-

fuhre Tomaten. Und meistens zwei Gur-
ken, „eine gerade und eine Charaktergur-
ke“. Natürlich geht es hier ums Geschäft,
aber nicht nur. Fritzsche ist mit ihrer Her-
angehensweise eine Art Querdenkerin in
der Branche. Die Fördertöpfe des Frei-
staats und der EU für Landwirte sind flä-
chengebunden – je größer, desto lukrati-
ver. Darin sieht Fritzsche ein Hauptpro-
blem dieser Zeit. Einen Grund, warum Bau-
ern aufgeben oder zu Massenproduzenten
werden. Ihre Überzeugung: „Viele Betriebe
wären froh, wenn es das Fördersystem
nicht mehr geben würde.“
Weg von der Masse, hin zum Gemüse,
von dem alles erdenkliche verwertet wird.
Darum geht es hier, deswegen hat sie Land-
wirtschaft und Hauswirtschaft gelernt
und sich zur Agrartechnikerin ausbilden
lassen. Deswegen hält sie Vorträge, damit
andere ihre Sicht der Dinge verstehen.
Was, wenn etwas übrig bleibt? Fritzsches
Lösung ist der Kochtopf: Eingekochter Zuc-
chini, süßsauer im Glas, als Aufstrich zur

Brotzeit. Blattgemüse wird Kompost. „Den
kriegt der Boden dann wieder zurück.“
Es geht vorbei an Kürbissen, Mangold
und Bohnen, lila, weiß und grün, ein
Schritt hinaus aus dem Gewächshaus.
Draußen steht ein Anhänger mit einem ver-
rosteten Odelfass. Bis vor kurzem gehörte
der Hof noch ihren Eltern, früher hielt die
Familie hier Kühe, irgendwann wurde ein

Ackerbaubetrieb daraus. Manche schmei-
ßen hin, andere eröffnen Pensionen, und fi-
nanzieren so den Erhalt des Hofbetriebs.
Anna Fritzsche geht ihren eigenen Weg.
Es gibt nicht allzu viele junge Frauen,
die sich noch an eine Hofübernahme wa-
gen. Doch Fritzsche interessierte sich
schon immer wenig für Konventionen.
Fünf Jahre lang hat sie als Agrartechni-
kerin in einem Labor gearbeitet, unter ste-
rilen Bedingungen. Vom Labor ging es in
die Berge, dort verbrachte sie vier Sommer
lang als Sennerin auf einer Alm. Mit der
Hofaufgabe wartete nun eine neue Aufga-
be, „die sich aber ähnlich anfühlt wie am
Berg“, sagt sie: Hoch droben bimmelten
die Kuhglocken – und in Oberpframmern
läutet der Kirchturm.
Am Donnerstag und Samstag ist zu be-
obachten, wie ihr Konzept angenommen
wird. Gerade erst in Betrieb gegangen, hat
Fritzsche bereits 20 Familien, die sich jede
Woche eine Kiste abholen. 17 Euro zahlen
sie dafür. Falls es mehr Kunden werden,

brauche sie demnächst eine Hilfskraft,
„der Anbauplatz würde für maximal 50
Kisten pro Woche reichen“, sagt sie. Eine
Kiste ist für Virginie Kober und ihre Toch-
ter reserviert; sie wohnen nur ein Hauseck
weiter. Das Biosiegel ist ihr wichtig, sagt
die 40-Jährige. Die Herausforderung: Die
Kiste ist jede Woche aufs Neue eine Wun-
dertüte. Neulich war Topinambur drin,
„da musste ich erst mal googeln“, sagt sie:
„Man muss halt ein bisschen kreativ sein.“
Auf engen Pfaden geht es zurück ins Ge-
wächshaus, „nur auf keine Melone treten“,
sagt Fritzsche. An einer Tomatenstaude
der Gattung Ochsenherz bleibt sie stehen.
Bei genauem Hinsehen ist zu erkennen,
dass Ochsenherzen charakterstarke Toma-
ten sind. Fritzsche öffnet eine der Halte-
klammern mit der Schaumstofffüllung,
die das Seil und die Pflanze verbinden, und
hängt es 30 Zentimeter weiter oben wieder
ein. Da fällt eine Tomate in ihre Richtung.
Als würden ihr die Ochsenherzen zuflie-
gen. korbinian eisenberger

„Ich habe niemals
gezweifelt, ich habe
immer gemacht.“

Am Ende geht es immer nur
um das Produkt. Um Songs,
die sich verkaufen lassen.

Anna Fritzsche
FOTO:CHRISTIAN ENDT

„Wir haben mit unserer Band
Cosby bewiesen,
dass wir es können.“

Familienfoto mit Hunden: Bullterrier Rosi mit Robin Karow auf dem Sofa, Kilian Reischl mit Kappe auf dem Stuhl, sowie Christoph Werner und Marie Kobylka mit Podenco Bambi. FOTO: STEPHAN RUMPF

Die Karriere der anderen


Die Musiker Robin Karow und Kilian Reischl hatten noch nie einen Vertrag bei einem bekannten Label. Sie haben immer alles selbst organisiert.
Trotzdem managen sie jetzt zwei Künstler, die ihre Songs bei großen Plattenfirmen veröffentlichen. Geht das?

Abo-Kunden bekommen
eine alte Weinkiste
voll mit frischem Gemüse

Das Ochsenherz und sein Charakter


Anna Fritzsche lebte vier Sommer lang als Sennerin auf einer Alm. Nun hat sie ihren Hof zum Biobetrieb umgebaut. Sie sagt: „Man kann mit so wenig Anbaufläche so viele Leute ernähren“


R6 LEUTE PST Samstag/Sonntag,10./11. August 2019, Nr. 184 DEFGH

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