Süddeutsche Zeitung - 10.08.2019

(avery) #1
von claudia wessel

D


er Tatort war einwandfrei. Nie-
mand hatte etwas angefasst.
Das Opfer hatte die Tatwaffe,
ein Elektrokabel, noch um den
Hals. Und an diesem konnte
die Spurensicherung eine „ganz klare DNA-
Spur“ sichern, so Harald Pickert, damali-
ger Leiter der Sonderkommission im Fall
Rudolph Moshammer. Inzwischen ist er In-
spekteur der bayerischen Polizei und erin-
nert sich an seinem Arbeitsplatz im Innen-
ministerium am Odeonsplatz 3 an das
„Jahr der Morde“. Denn der gewaltsame
Tod des Modemachers Moshammer war
nicht der einzige spektakuläre Fall. Er
stach jedoch aufgrund der Prominenz des
Opfers und des dadurch folgenden Medien-
echos hervor.

Es war Freitag, der 14. Januar 2005. Pi-
ckert hatte seinem Sohn versprochen, mit
ihm Skifahren zu gehen, doch daraus wur-
de nichts. Um 9 Uhr war der Notruf des
Chauffeurs von Moshammer eingegangen,
dass er die Leiche seines 64-jährigen Chefs
gefunden habe. Sofort wurde auch Pickert,
damals Leiter des Dezernats für Tötungs-,
Sexual- und Branddelikte, informiert. Wäh-
rend die diensthabenden Kommissare so-
wie die Spurensicherung an den Tatort fuh-
ren, stellte Pickert eine 80-köpfige Sonder-
kommission zusammen. „Uns war klar,
dass es sehr viele Hinweise geben würde“,
begründet er die große Zahl. „Aber eine 50-
bis 60-köpfige Sonderkommission ist ei-
gentlich niemals ungewöhnlich bei einem
Gewaltverbrechen.“ Es sei eben nicht wie
im Krimi, in dem meist ein Kommissar „ei-
ne Eingebung“ habe. Sondern an der Auf-
klärung eines Mordes arbeite ein großes
Team aus verschiedenen Spezialisten zu-
sammen. Während in Moshammers Villa
in der Robert-Koch-Straße 11a in Grün-
wald Wolfgang Eisenmenger, damaliger
Leiter der Gerichtsmedizin, die Leiche in
Augenschein nahm, der damalige Leiter
der Pressestelle, Wolfgang Wenger, sich
um die fast gleichzeitig mit der Polizei ein-
getroffenen Journalisten und Fotografen
kümmerte, richtete die Sonderkommissi-
on unter anderem Telefonleitungen ein. So-
fort gingen dort sehr wertvolle Hinweise
ein. Auch die auf einen Beifahrer mit wei-
ßer Mütze in Moshammers Rolls-Royce,
der am Hauptbahnhof gesehen worden
war. Es war die Mütze des 25-jährigen Tä-
ters Herisch A., die später zerschnitten im
Abfalleimer in seiner Wohnung gefunden
wurde. Ein Hinweis darauf, dass der Mann
seine Flucht vorbereitete. Auch hatte er
sich eine Glatze rasieren lassen. Doch konn-
te er seine Flucht nicht mehr antreten.
Schon vier Stunden, nachdem das Landes-
kriminalamt ihm die DNA zugeordnet hat-
te, wurde er in seiner Wohnung festgenom-
men. Motiv für den Mord war offenbar
Streit um den Liebeslohn. Der Sex hatte
stattgefunden, der spielsüchtige Herisch
A. aber war mit der Bezahlung wohl nicht
zufrieden. Er legte Moshammer das Kabel
von hinten um den Hals und zog „mit gro-
ßer Kraft“ zu, so Pickert. Es muss sehr
schnell passiert sein.

Pickert erinnert sich an den Moment am
Samstagabend, 15. Januar 2005, gegen
18 Uhr, als der Treffer in der DNA-Daten-
bank mitgeteilt wurde. Gerade hatte die
Sonderkommission eine Besprechung, als
in diesem Raum das Telefon klingelte.
„Zwei bis drei Minuten der Euphorie“ ent-
standen, bevor man sich den weiteren Plä-
nen zuwandte. „Dann muss man den Täter
ja erst mal kriegen“, sagt Pickert. Dafür
wurden Zielfahnder und Spezialeinheiten
alarmiert. „Er war schließlich ein Mörder
auf der Flucht, wenn der sich in die Enge ge-
trieben fühlt, muss man mit allem rech-
nen.“ Herisch A. aber ließ sich um 22 Uhr an
jenem Samstag widerstandslos festneh-
men. Seine DNA war übrigens in der Daten-
bank, weil seine Freundin ihn wegen Kör-
perverletzung und Vergewaltigung ange-
zeigt hatte. Er hatte die DNA freiwillig abge-
geben. Da er erst seit 2001 in Deutschland
war, waren die Daten noch nicht gelöscht
worden. Dass Moshammer regelmäßig am
Bahnhof nach Liebhabern suchte, wusste
die Polizei laut Pickert. Man hätte also oh-
nehin in dem Umfeld gesucht.
Hat Pickert der Mord an Moshammer be-
sonders berührt? „Dazu hatten wir in dem
Jahr gar keine Zeit“, sagt er. An Weihnach-
ten 2004 war der Tsunami, viele Kollegen
waren damit befasst, Münchner Opfer zu
identifizieren, einige waren auch nach Thai-

land gereist. Anfang Januar verschwand
dann ein Münchner Konditormeister. Er
war ermordet worden, und zwar von einem
Mann, der Jahre zuvor als Batman verklei-
det Banken überfallen hatte. Nach Verbü-
ßung jener Strafe wurde er zum Mörder.
Auch nach dem Fall Moshammer ging es
mit schrecklichen Fällen weiter. Ein neun-
jähriger Junge wurde ermordet. Der Vater
hatte den Täter in der Haft kennengelernt
und in seine Familie eingeladen. Wenig spä-
ter ereignete sich der Mord an zwei Mäd-
chen, deren Leichenteile entlang der Auto-
bahn verteilt wurden. Und das waren im-
mer noch nicht alle Morde in dem Jahr.
„Normalerweise gibt es ja in München
nicht so viele“, sagt Pickert. Aber das erste
Halbjahr 2005 war wie verhext. Kaum also
war der Fall Moshammer geklärt, war Pi-
ckert „im Geiste schon beim nächsten
Fall“.
Eine für die Polizeiarbeit erfreuliche Fol-
ge hatte übrigens der Fall Moshammer, so
Pickert. Durch die Diskussionen danach
wurde die vorher notwendige richterliche
Anordnung für die Auswertung von DNA
am Tatort unnötig. Auch der Kindermord
hatte eine Folge: Seither werden die Aufent-
haltsorte Haftentlassener im Auge behal-
ten. Beide Verbesserungen wurden in Mün-
chen angeregt, so Pickert, und später bun-
desweit eingeführt.

„Frau Denninger, es ist nicht schön,
wenn man alt wird.“ Diesen Satz pflegte Ru-
dolph Moshammer zur damaligen Ge-
schäftsführerin der Obdachlosenzeit-
schriftBisszu sagen. „Aber Herr Mosham-
mer, was ist denn die Alternative?“ habe sie
dann gesagt, erzählt Hildegard Denninger,
70, beim Treffen in ihrem alten Büro in der
Metzstraße 29. „Dann kann man ja nur
jung sterben.“
Auch Denninger erinnert sich an den
14.Januar, an dem sie wie immer am Jah-
resanfang mit ihrem Mann auf Sylt war.
Die Kollegen konnten sie telefonisch nicht
erreichen, sodass sie erst abends aus den
Nachrichten von dem Mord an dem großen
Biss-Sponsor erfuhr. „Das hat mir sehr leid
getan“, sagt Denninger, und auch bei dem
Treffen muss sie noch weinen, vor allem an-
gesichts einer Formulierung aus Mosham-
mers Testament: Rund 500000 Euro ver-
erbte erBiss; sie sollten für den Lohn von
Biss-Verkäufern samt der Lohnnebenkos-
ten verwendet werden. „Dass er auch an
die Lohnnebenkosten gedacht hat“, rührt
Denninger besonders. „Das zeigt, dass er
verstanden hat, um was es ging.“
Moshammer war der erste Pate für die
Anstellung von Biss-Verkäufern, dafür
zahlte er 30000 Euro im Jahr. Doch auch
sonst dachte er sehr oft an diese Menschen,
verteilte zu Weihnachten Bargeld – immer
in Umschlägen mit roter Schleife mit sei-
nem Namensaufdruck – und lud Obdachlo-
se zu Feiern in edle Locations ein. Weil sein
Vater als obdachloser Alkoholiker gestor-
ben war, war ihm dies wichtig. Das Erbe
reicht noch zehn Jahre, schätzt Denninger.
250000 Euro sind noch übrig; es wird aus-
nahmslos für Patenschaften für Verkäufer-
Anstellungen verwendet. „Wir werden ihn
aber auch danach nicht vergessen.“

Laim– Mittendrin aufgehört hat das Bau-
referat mit der Markierung eines Rad-
streifens an der Agnes-Bernauer-Straße
stadtauswärts. Das haben jetzt die Mit-
glieder des Laimer Bezirksausschusses
beanstandet. Abgemacht gewesen sei,
dass beginnend an der Kreuzung mit der
Fürstenrieder Straße Richtung Lutzstra-
ße ein roter Streifen am Fahrbahnrand
die Radlerzone festschreibt. An der en-
gen Straßenfurt, die sich die Biker mit
Tram und Autos teilen müssen, kommt
es immer wieder zu gefährlichen Situatio-
nen. „Es wäre schön, wenn die vier weite-
ren Meter jetzt bis zum Ende des eigentli-
chen Radweges auch noch eingefärbt wer-
den würden“, bemerkte Daniel Haas (Grü-
ne) als Vorsitzender des Verkehrsunter-
ausschusses im Gremium. „Ich habe
schon beobachtet, dass zurzeit Autofah-
rer am Ende der Rotmarkierung geparkt
haben, weil sie dachten, dass es ab hier er-
laubt ist.“ Damit stünden dann Radler am
Ende der eingefärbten Zone plötzlich vor
dem abgestellten Wagen. Das Gremium
bat das Baureferat, den roten Streifen wie
verabredet zu verlängern. Sobald die
Kreuzung Agnes-Bernauer-/Fürstenrie-
der Straße im Zuge des Umbaus für die
Tram-Westtangente fertig ist, soll bis zur
Neuburgerstraße ein baulicher Radweg
errichtet werden, der künftig auch mehr
Schutz bietet als eine rote Spur. ands


Neuried– Eine Streifenbesatzung der Po-
lizeiinspektion Planegg stellte am frühen
Freitagmorgen eine Ölspur in der Münch-
ner Straße in Neuried fest. Die Spur zog
sich über mehrere Kurvenbereiche und
konnte bis Gauting verfolgt werden.
Schließlich fand sich der Verursacher. Es
handelte sich um einen Reisebus, dessen
Fahrer vergessen hatte, den Tankdeckel
zu schließen. Daher schwappte in Kurven
etwas Kraftstoff auf die Fahrbahn. Die
Freiwillige Feuerwehr Neuried und die
Berufsfeuerwehr banden die Dieselspu-
ren. Zu Schaden kam niemand. tek


Freiham–87 Anmeldungen hat Tanja
Sandrock auf ihrem Schreibtisch liegen,
Anmeldungen von Eltern, die ihre Kinder
ganztätig sinnvoll betreut wissen wollen.
Sandrock ist Bereichsleiterin beim Evan-
gelischen Jugendhilfeverbund der Inne-
ren Mission, für die Ganztagsbildung zu-
ständig, und sie koordiniert ein neues Bil-
dungs- und Betreuungs-Projekt, das zu
Schuljahresbeginn im September an der
Grundschule an der Helmut-Schmidt-Al-
lee auf dem Freihamer Bildungscampus
startet. Kooperative Ganztagsbildung
nennt sich dieses neue Modell, das an
zehn ausgewählten Grundschulen im
Stadtgebiet anläuft. Die Stadt und das
bayerische Sozial- und Kultusministeri-
um haben es gemeinsam entwickelt, um
eine Lücke zu schließen – eine von vielen
Eltern gewünschte ganztägige Betreu-
ung von Grundschulkindern nach dem
Unterricht und in den Ferien, auf hohem
pädagogischen Niveau.


„Wir werden die Kinder während der
Schulzeit beim Mittagessen in der Mensa
begleiten und eine pädagogisch verlässli-
che Hausaufgabenbetreuung anbieten“,
erklärt Sandrock für den Standort Bil-
dungscampus. „Daneben wollen wir ih-
nen die Möglichkeit geben, Musik und
Sport zu machen und ihre Kreativität zu
entdecken.“ Für die Ferien plant das
Team der Inneren Mission Projektgrup-
penarbeit, etwa im Bereich Naturpädago-
gik. Auch Ausflüge sind vorgesehen. „Da-
bei wollen wir mit der Ferienerholung der
Inneren Mission kooperieren, aber auch
mit Partnern aus Freiham wie Kirchenge-
meinden oder Vereinen“, sagt Sandrock.
Möglich ist eine Betreuung durch
Sandrocks Team auf dem Bildungscam-
pus bis 18 Uhr – auch freitags. Das Ange-
bot richtet sich an Grundschüler von der
ersten bis zur vierten Klasse. Ob die Kin-
der ansonsten nur vormittags den Unter-
richt besuchen oder in einer Ganztags-
klasse sind, ist für die Buchung der Ko-
operativen Ganztagsbildung lediglich fi-
nanziell relevant: Neben den Kosten für
das Mittagessen fallen Elternbeiträge für
die zusätzlich nach Unterrichtsende ge-
buchten Zeiten an. eda


Hildegard Denninger
muss weinen, wenn
sie von damals erzählt

Für Chefermittler
Harald Pickert war
2005 das Jahr der Morde

Der Mann im Rolls-Royce


Nach dem gewaltsamen Tod des Modemachers Rudolph Moshammer in seiner Grünwalder Villa gingen bei der Polizei rasch wertvolle
Hinweise ein. Überführt wurde der Mörder allerdings dank einer DNA-Probe, die er freiwillig abgegeben hatte

Vier Meter roter


Streifen zu wenig


Die Presse war fast genauso schnell am Tatort, der Moshammer-Villa, wie die Polizei (oben). Die Beamten
der Grünwalder Inspektion kümmerten sich am Tattag um die verwaiste Hündin Daisy. Hildegard Den-
ninger hat noch Stofftaschen von „Mosi“. Harald Pickert (unten rechts) leitete 2005 die Sonderkommissi-
on, auch vor Moshammers Laden wurde getrauert.FOTOS: DPA (5), CLAUS SCHUNK, CORINNA GUTHKNECHT

Busspur


aus Kraftstoff


Betreuung auch


in den Ferien


87 Eltern melden sich an


für ein Modell am Bildungscampus


Sogar freitags können die


Grundschüler bis 18 Uhr bleiben


Die spektakulärsten
Kriminalfälle
SZ-Serie · Teil 12

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WESTEN UND WÜRMTAL


R8 STADTVIERTEL PGS Samstag/Sonntag,10./11. August 2019, Nr. 184 DEFGH

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