Die Welt Kompakt - 19.08.2019

(Steven Felgate) #1

30 PANORAMA DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT MONTAG,19.AUGUST2019


F


ünfzig Schuss mit der
Pistole, 20 mit dem Re-
volver, 40 mit dem
Sturmgewehr. „Ich den-
ke, das Familienpaket ist perfekt
für Sie“, sagt die junge Frau und
lächelt. Sie sitzt hinter dem Tre-
sen eines Schießstands in War-
schau. Wer darf welche Waffe
schießen, frage ich. „Vater, Mut-
ter und Kind“, sagt sie. „Sie kön-
nen es aufteilen, wie Sie möch-
ten.“

VON KLAUS GEIGER
AUS WARSCHAU

Vater, Mutter, Kind – das sind
meine Frau, unser elfjähriger
Sohn und ich. Wir haben uns für
diesen Schießstand entschieden.
Auf dem Reise-Bewertungsportal
Tripadvisor lag er recht weit vorn
in der Rubrik „Top Ten Shooting
Ranges in Warsaw“. Dank Hun-
derter begeisterter Bewertungen.
Von Polen, Spaniern, Franzosen,
Briten – und Deutschen.
„Aus Deutschland kommen
viele, um hier Junggesellenab-
schied zu feiern“, sagt ein junger
Angestellter in
Jeans und T-
Shirt, der sich
als Michal vor-
stellt. Auch
jetzt sei gera-
de eine solche
Gruppe junger
Männer aus Deutschland da.
(„Bitte bringen Sie Ihren Perso-
nalausweis mit und trinken Sie
keinen Alkohol vor dem Schie-
ßen.“ Das stand in der Mail, die
ich zwei Tage vorher bei der Re-
servierung erhalten hatte. Der
Satz wird mir nun klarer.)
Michal ist für heute unser „In-
structor“. Haben Sie schon mal ge-
schossen? „Nein.“ Keiner von Ih-
nen? „Nein.“ Hat Michal die
Mundwinkel verzogen? Einbildung
wahrscheinlich. Während ich als
einstiger Wehrdienstverweigerer
noch über diese Frage nachdenke,
hat meine Frau, eine Französin aus
einer Familie leidenschaftlicher
Jäger, längst eine der Schutzbrillen
und der Ohrenschützer genom-
men, die bereitliegen.
Auch in Deutschland schießen
viele Menschen. Der Deutsche
Schützenbund hat 1,2 Millionen
Mitglieder, es ist der viertgrößte
Verband des Landes, es sind die
Menschen der traditionellen
Schützenvereine der Republik.
Und es gibt rund 70.000 organi-
sierte Sportschützen. Sonst sind
Waffen tabu. Deutschland hat ei-
nes der schärfsten Waffengeset-
ze der Welt.
Aber wer mit Menschen in Po-
len, Tschechien, der Slowakei
oder im Baltikum spricht, merkt
schnell, dass es dort eine ganz
andere Einstellung zu Waffen
gibt. Sie haben aus dem, was ih-
nen Deutschland und die Sowjet-
union angetan haben, ebenfalls
eine Lehre gezogen: Sie wollen
nie wieder die wehrlosen Opfer
großer Mächte sein. Sondern auf
alles vorbereitet.
Die Frage der Landesverteidi-
gung bewegt viele Polen, egal ob
nationalkonservativ oder liberal


  • erst recht seit den russischen


Aggressionen in der benachbar-
ten Ukraine. Das Land gibt die
von US-Präsident Donald Trump
von den Nato-Partnern so vehe-
ment geforderten 2,5 Prozent
seiner Wirtschaftsleistung für
Verteidigung aus – und ist be-
fremdet darüber, dass die deut-
schen Verbündeten das nicht tun.
Viele Menschen in Polen verste-
hen nicht, warum Deutschland
seine Armee in einem solch deso-
laten Zustand belässt.
In Polen wie im Baltikum gibt
es die Tradition von Heimatar-
meen, also Bürgern in Uniform,
die in ihrer Freizeit an der Waffe
trainieren, an Manövern teilneh-
men – und im Ernstfall die regu-
lären Streitkräfte unterstützen
sollen. In immer mehr Schulen in
Polen gibt es sogenannte Uni-
formklassen, in denen Schüler
gezielt auf den Dienst in Polizei
und Militär vorbereitet werden.
Kaum eine Stadt in Polen ohne
Militär- und Waffenmuseum.
Nun gut, aber als Deutscher
mit einer Waffe in Polen hantie-
ren? Unfassbare 5,5 Millionen
Menschen wurden unter deut-
scher Besatzung im Zweiten
Weltkrieg in Polen ermordet. Im
östlichen Nachbarland starben in
diesen sechs Jahren gemessen an
der Einwohnerzahl mehr Men-
schen als in jedem anderen Land
der Erde. Das hat in Polen nie-
mand vergessen.

Aber warum sollte ein demo-
kratisches Deutschland, mit dem
man zusammen der EU und der
Nato angehört, nicht helfen, Po-
len zu verteidigen, gegen Russ-
land etwa. „Deutsche Macht
fürchte ich heute weniger als
deutsche Untätigkeit“, sagte Po-
lens Ex-Außenminister Radoslaw
Sikorski im Jahr 2011.
Auf dem Schießstand blickt Mi-
chal uns ernst in die Augen und
erklärt die Sicherheitsregeln: Die
Mündung der Waffe immer nur
auf das Ziel halten. Den Finger
erst kurz vor dem Schuss an den
Abzug bringen, die Waffe nach
dem Schießen sofort auf dem
Tisch ablegen. Der sonst so
freundliche Michal wird mich spä-
ter mit scharfem und strengem
Ton anzischen, wann immer ich
eine der Regeln minimal verletze.
Ich versuche natürlich, alles
richtig zu machen, als ich zum
ersten Mal im Schießstand stehe,
krampfe meine Finger um den
Griff der Glock-Pistole und peile
ungelenk über den Lauf hinweg
auf das Ziel. In 15 Meter Entfer-
nung hängt ein Poster mit der
schwarzen Silhouette eines Man-
nes, der Körper ist in Zonen auf-
geteilt. Die meisten Punkte be-
kommt man, wenn man Kopf
oder Herz trifft. In Deutschland
sind solche Poster verboten, hier
darf man nur auf abstrakte Ziele
schießen.

Zum ersten Mal im
Schießstand: Klaus
Geiger peilt über
den Lauf der
Glock-Pistole hin-
weg auf das Ziel

ISTANBUL


Großer Basar nach


Regen überflutet


Der jahrhundertealte Große
Basar in Istanbul ist am Wo-
chenende nach schweren Re-
genfällen überflutet worden.
Sintflutartig überschwemmte
das Wasser neben der über 500
Jahre alten Sehenswürdigkeit
auch zahlreiche Straßen der
Metropole. Ein Mann kam ums
Leben. Die heftigen Regenfälle
dauerten am Samstag zwei
Stunden an und sorgten für
chaotische Zustände. Zahlrei-
che Autos steckten fest. Ein
geparktes Auto fiel in ein Loch,
das sich infolge der Regenfälle
auf der Straße aufgetan hatten.
Der Fährverkehr zwischen dem
europäischen und dem asiati-
schen Teil der Stadt wurde
eingestellt. Der Große Basar
ist einer der größten und äl-
testen überdachten Märkte der
WWWelt und wird täglich vonelt und wird täglich von
Zehntausenden Istanbul-Tou-
risten besucht. Sein Bau be-
gann 1455, zwei Jahre nach der
Eroberung Konstantinopels
durch die Osmanen.


USA


Autopsie bestätigt


Suizid von Epstein


Nach tagelangen Spekulationen
über den Tod des US-Multi-
millionärs Jeffrey Epstein hat
eine Autopsie den Suizid des
66-Jährigen bestätigt. Der we-
gen mutmaßlicher Sexualver-
brechen angeklagte Epstein
habe sich im Gefängnis erhängt,
teilte die Gerichtsmedizin mit.
Epsteins Anwälte kündigten
daraufhin eigene Untersuchun-
gen an. Zwei weitere Frauen
reichten derweil eine Zivilklage
gegen die Erben ein.


KOMPAKT


LOTTO
Die Zahlen
Lotto: 2 - 6 - 9 - 28 - 33 - 45
Superzahl: 0
Spiel 77: 3350693
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D


ie CDU hat endlich
auch ihren Thilo Sar-
razin, und er heißt
Hans-Georg Maaßen. Wer
noch alle Tassen im Schrank
hat, sollte über diesen Mann
keine zehn Sekunden nach-
denken und sich auf keinen
Fall über ihn äußern. Dieser
Versuchung konnte die Ver-
teidigungsparteivorsitzende
der Union leider nicht wider-
stehen, und schon hat sie Är-
ger. Es wäre für die Partei
gut, wenn Annegret Kramp-
Karrenbauer in den nächsten
zehn Monaten nicht mehr zu
aktuellen Themen Stellung
nehmen würde. Niemand er-
wartet das von ihr, nieman-
den interessiert ihre Mei-
nung. Wenn sie einfach nur
dabeisitzt und interessiert
guckt, dann macht sie eigent-
lich einen sehr zurechnungs-
fähigen Eindruck. Darauf
sollte sie sich beschränken
und ihren Erfolg auskosten.
Denn sie hat immerhin er-
reicht, dass Uniformen dem-
nächst umsonst im Zug fah-
ren dürfen, diesen Triumph
kann ihr keiner mehr neh-
men, und wahrscheinlich
reicht das sogar als Eignungs-
nachweis für die Kanzlerkan-
didatur. Vielleicht setzt sie ja
auch noch durch, dass Hans-
Georg Maaßen kostenlos
Geisterbahn fahren darf.

Zippert


zappt


KLAUS GEIGER
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