Die Welt Kompakt - 19.08.2019

(Steven Felgate) #1

Ansonsten sind die Waffenge-
setze des Landes im internatio-
nalen Vergleich sehr streng.
Amateure dürfen auch in Polen
nur unter geschulter Aufsicht
schießen. Es ist sehr schwer, an
eine Waffe zu kommen, ähnlich
wie in Deutschland. Aber Schie-
ßen ist in Polen kein Tabu, wird
nicht argwöhnisch beäugt, son-
dern genießt Prestige.
Die Schießstände des Landes
verstecken sich nicht. Sie wer-
ben offensiv für ihre Angebote.
Man zeigt im Internet, welche
großen Firmen ihre Mitarbeiter
schon zum Teambuilding auf
den Schießstand geschickt ha-
ben. Bekannte japanische, fran-
zösische, amerikanische Firmen
sind dort aufgelistet. Kaum
deutsche.
Hie und da sind auf den Inter-
netseiten auch Fotos von Frauen
im Bikini mit Maschinengewehr
zu sehen. Das ist nicht gerade
subtile Erotik, und auch in Polen
nicht mehr wirklich politisch


korrekt. Aber die Konkurrenz ist
hart – Teilen der Kundschaft
muss es wohl gefallen.
Angeboten werden alle Waf-
fen, von der Kleinkaliberpistole
bis hin zur AK-47, besser bekannt
als Kalaschnikow. Auch sonst
lässt man sich etwas einfallen,
um die nationale und internatio-
nale Kundschaft zu locken. Im
Angebot sind thematische Pakete
mit Namen wie „Red Army“,
„American Offensive“ oder „Der
Pfeil des Amor“ – ein Paket für
das romantische Schießen zu
zweit. „Das wird gern und oft ge-
bucht“, sagt Michal.
Mit meiner Frau ist es eher un-
romantisch. Nur am Anfang halte
ich mit ihr noch halbwegs mit.
Dann kommen Sturmgewehr,
Großkaliber, Revolver. Michal
markiert die Treffer auf der Ziel-
silhouette mit drei verschiede-
nen Symbolen. Eines für „Mut-
ter“, eines für „Vater“, eines für
„Sohn“. Die Mutter hat so ziem-
lich alles getroffen. Nicht so
leicht zu erkennen ist, ob auch
mein Sohn besser geschossen hat
als ich. Ich entscheide, es mir
nicht so genau anzusehen.
Es sind nur noch wenige
Schuss übrig. Jetzt bin ich noch
mal mit dem Revolver dran. Als
ich konzentriert ziele, fährt ein
Donnern vom Schießstand neben
mir durch meine Ohrschützer.
Ich schrecke zusammen, lege die

Pistole schnell ab und schaue
nach links.
Ich sehe dort die Mutter der
vierköpfigen polnischen Familie,
die nach uns auf den Schießstand
gekommen war. Sie haben auch
das „Family Package“ genom-
men, das hatte ich gehört an der
Kasse. Aber sie haben offenbar
ein paar Extras dazugebucht. Das
Donnern kam von der Kalaschni-
kow, mit der die Mutter gerade
Schuss um Schuss abgibt.
Am Schießstand rechts von
mir sitzt unterdessen die Toch-
ter der Kalaschnikow-Mutter
auf einem Stuhl. Sechs oder sie-
ben Jahre alt, in rosafarbenen
Jeans und mit artig gekämmten
blonden Haaren. Sie schießt mit
dem G36-Sturmgewehr. Im Ste-
hen wäre es zu schwer für sie,
das Gewehr zu halten, erklärt
mir Michal.
Wir sind fertig, geben unsere
Schutzbrillen ab. Mein Sohn fand
es gut. „So krass, der Rückstoß“,
sagt er. Er war still gewesen wäh-
rend des Schießens, konzen-
triert, fast ehrfürchtig. Ego-
Shooter darf er zu Hause auf dem
Computer nicht spielen, wir
dachten aber, es könnte eine gute
Idee sein, ihm lieber die Realität
des Schießens zu zeigen. Irgend-
wann werden wir ihm sicher auch
„Call of Duty“ oder ähnliche
Spiele auf dem Computer nicht
mehr verbieten können.

DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT MONTAG,19.AUGUST2019 PANORAMA 31


ve Umweltpolitik zu machen. Sie
hat sich auf die These eingelassen,
es gebe einen unüberwindbaren
Gegensatz zwischen Ökonomie
und Ökologie, dabei müssten Kon-
servative als Erstes den Planeten
und unsere Lebensgrundlagen
schützen. Die SPD hat ebenso am
Paradigma der industriellen Mo-
derne festgehalten und die Sozial-
verträglichkeit des Klimaschutzes
angemahnt, als ob ökologische
und soziale Nachhaltigkeit Gegen-
sätze sein müssten. Das ist uraltes
Denken.

AAAuch die CDU im Osten hat denuch die CDU im Osten hat den
Klimaschutz als Thema er-
kannt. Übertönt wird das aber
immer wieder durch Figuren
wwwie Hans-Georg Maaßen, derie Hans-Georg Maaßen, der
mit seinen Beiträgen zum The-
ma Migration vor allem weit
rechts Zuspruch erhält.
Und das ist hochproblematisch.
Die Union lässt sich Bange machen
von der AfD und sogenannten
WWWertkonservativen in den eigenenertkonservativen in den eigenen
Reihen. Die Lebensgrundlagen
künftiger Generationen aufs Spiel
zu setzen hat mit Wertkonservatis-
mus aber überhaupt nichts zu tun.
Das ist einfach nur zynisch. Viele
in der CDU fürchten, dass sie die
WWWahlen im Osten verlieren, wennahlen im Osten verlieren, wenn
sie über Klimapolitik sprechen.

AAAber ist da nicht etwas Wahresber ist da nicht etwas Wahres
dran?
Ich halte das für überaus kurzsich-
tig. Wir sehen gerade, dass Eck-
pfeiler des deutschen Wirtschafts-
systems einbrechen – nehmen Sie
die Automobil- und die chemische
Industrie. Anstatt die Chance
wahrzunehmen, Klima-, Arten und
Umweltschutz auch zu einem Vek-
tor für eine neue wirtschaftliche
Modernisierung zu machen, bleibt
man bei den alten Parolen. So
treibt man die Anhänger der Uni-
on, die für Klimaschutz sind, zu
den Grünen.

AAAuch Grünen-Chefin Annalenauch Grünen-Chefin Annalena
Baerbock sagt, Umweltschutz
sei das wichtigste Thema für die
Menschen im Osten. Ist das
nicht utopisch – auch mit Blick
aaauf die relative Schwäche deruf die relative Schwäche der
Grünen in den neuen Bundes-
ländern?
Nein, überhaupt nicht. Es kommt
aaauf das Framing an. Wenn ich nuruf das Framing an. Wenn ich nur
von Dürreperioden rede, bekom-
men Wähler vielleicht Angst. Die
Grünen sind dafür da, die Impulse
der „Fridays for Future“-Generati-
on in vorwärtsweisende Politik
zu verwandeln. Dafür
braucht es eine konkrete
Utopie. Der Wahlkampf im
Osten müsste zeigen, dass
man gerade mit Umwelt-
politik gegen die
Marginalisierung
vieler „abgehäng-
ter“ Gegenden
kämpfen kann.

D


ie deutsche Gesellschaft
steuert auf einen ideologi-
schen Wettstreit zwi-
schen Grünen und Rechtspopulis-
ten zu. Davon ist der Politikwis-
senschaftler Claus Leggewie von
der Justus-Liebig-Universität in
Gießen überzeugt. Was aber be-
deutet die Entwicklung für die
Landtagswahlen in Sachsen, Bran-
denburg und Thüringen?

VON LENNART PFAHLER

WELT:Sie beobachten, dass die
politische Debatte zunehmend
zur Konfrontation zwischen
AAAfD und Grünen wird. WoranfD und Grünen wird. Woran
machen Sie das fest?
Claus Leggewie:Das ist jedenfalls
ein möglicher Trend. Die Union
läuft Gefahr, ähnlich zerrieben zu
werden wie das für die SPD der
8 0er- und 90er-Jahre galt. Diese
Erosion der Volksparteien ist in
anderen europäischen Ländern
schon viel weiter fortgeschritten.

Das klingt so, als stünden sich
da gerade zwei Positionen in
der Gesellschaft diametral ge-
genüber. Sind die Grünen eine
AAAnti-AfD?nti-AfD?
Ja, auf jeden Fall. Sie kommen aus
dem Lager der Ökologen und Frie-

a, auf jeden Fall. Sie kommen aus
em Lager der Ökologen und Frie-

a, auf jeden Fall. Sie kommen aus

densbewegten, haben aber auch ei-
ne bürgerbewegte, antifaschisti-
sche Tradition. Die neuen sozialen
Bewegungen der 70er-Jahre waren
immer auch gegen rechts gerich-
tet. Entscheidender ist aber, dass
die AfD, die sich vor allem im The-
mendreieck Sicherheit, Islam und
Migration bewegt hat, immer kla-
rer zur Partei der Klimaskeptiker
und Leugner des Klimawandels
wird. Das ist für sie ein ähnliches
Mobilisierungsthema geworden,
weil es ebenfalls gegen die „politi-
sche Korrektheit“ verstößt.

WWWie groß ist das Mobilisie-ie groß ist das Mobilisie-
rrrungspotenzial der Klimapolitikungspotenzial der Klimapolitik
fffür die AfD?ür die AfD?
Es gibt diesen radikalen, in Teilen
irrationalen und wirren Wider-
stand gegen den Klimaschutz, aber
in wirtschaftsliberalen Kreisen
aaauch die starke Neigung, dieuch die starke Neigung, die
Dringlichkeit des Themas herun-
terzuspielen. Insofern ist das Po-
tenzial größer als die AfD.

Die Parteien, die weniger ein-
deutige Positionen zu Klima-
wandel und Energiewende ein-
nehmen als AfD und Grüne, fal-
len diesem Zeitgeist zum Opfer?
Das ist mehr als Zeitgeist und
war nie ein Lieblingsthema
von Union und SPD. Die
Union hat die Chance
liegen gelassen, eine im
besten Sinne konservati-

„Die Union lässt sich Bange


machen von der AfD“


Politikwissenschaftler Claus Leggewie erklärt,
wie die AfD das Klimathema erfolgreich besetzt

Politikwissen-
schaftler
Claus Leggewie
PICTURE ALLIANCE/ DPA/ MARCEL KUSCH

Mit der Familie


auf den


Schießstand


In Polen gilt Training


an der Waffe als


patriotischer Akt


und Freizeit-Event.


Unser Autor war


vor Ort

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