Süddeutsche Zeitung - 19.08.2019

(Ron) #1
von christiane lutz

S


chrecklich sei sie gewesen, die Eme-
renz Meier, hat jemand in Schiefweg
erzählt, dessen Großvater die Dichte-
rin noch gekannt haben soll. Schrecklich,
das kann auch ein Kompliment sein, wenn
es so etwas wie unangepasst meint, unbe-
quem und vielleicht das Gegenteil von da-
menhaft. Wenn es das meint, was ein arti-
ges Bauernmädchen im späten 19. Jahr-
hundert gerade nicht sein sollte. Emerenz
Meier, Heimatdichterin aus dem Bayeri-
schen Wald, geboren 1874, ist in Schiefweg
bei Waldkirchen seit 2010 ein Museum ge-
widmet, untergebracht in ihrem Geburts-
haus mitten im Ort.
Meier galt als derb und trinkfest, gerade
heraus, sie interessierte sich früh für Schil-
ler und Goethe, statt sich für den elterli-
chen Gasthof und die Landwirtschaft zu be-
geistern. Heiraten, das wollte die junge
Emerenz nie. Sie wollte Schriftstellerin
sein und ein selbstbestimmtes Leben füh-
ren. Jahre später dann, nach ihrer Auswan-
derung nach Chicago 1906, tut sie es doch
und heiratet. Zweimal sogar. Zu hart ist das
Leben allein, zu schlecht die Aussicht, in
den USA mit deutschen Gedichten Geld zu
verdienen.


Wie ihr Leben verlief, wie das Schreiben
erst so wichtig werden konnte, wie es zur
Emigration in die USA kam und was das
für eine Frau bedeutete, der die Natur des
Bayerischen Waldes alles war, erfährt man
in Schiefweg. Man hätte aus dem Geburts-
haus sicher auch eines dieser historischen
Museen machen können, mit originalge-
treuen Stuben und schweren Töpfen in al-
ten Küchen. In Schiefweg richtete der Ver-
ein „Emerenz Meier Haus“ stattdessen ein
Konzept-Museum ein. „Born in Schiefweg



  • Auswanderermuseum im Emerenz-Mei-
    er Haus“ heißt es und beschäftigt sich mit
    der Abwanderung der Menschen aus dem
    Bayerischen Wald in die USA im 19. und



  1. Jahrhundert, ausgehend vom Leben
    der Emerenz Meier und ihrer Familie. Vi-
    deos und ein Audioguide helfen, einen le-
    bendigeren Eindruck der Vergangenheit
    zu vermitteln.
    Im 19. Jahrhundert zog es zahllose Bay-
    ern in die USA, die Neue Welt lockte; es kur-
    sierten Gerüchte, dass man Land ge-
    schenkt bekäme. Jeder kannte irgendwen,
    der es hinüber geschafft hatte. Chicago
    war ein beliebtes Ziel, dort gab es Arbeit,
    und das Klima war dem heimischen halb-
    wegs vergleichbar. Daher schien es dem
    Verein sinnvoll, sich dem ganzen Phäno-
    men Auswanderung zu widmen.
    Karl Filsinger, 58, ist Vorstand des Ver-
    eins, er wohnt praktischerweise direkt ne-
    ben dem Museum und könnte sich, wenn
    er nicht gerade seinem eigentlichen Beruf
    als Lehrer nachgeht, rund um die Uhr mit
    der Dichterin, vor allem aber mit dem Mu-
    seum beschäftigen. Denn das steht vor ähn-
    lichen Problemen wie viele privat betriebe-
    ne Museen: Die Heizung muss saniert wer-
    den, manche der ausgestellten Geräte
    funktionieren nicht mehr richtig – wie et-
    wa ein extra für das Museum eingebauter
    Pflug, der die Mühen der Feldarbeit für die
    Besucher erlebbar machen sollte. Auch mit
    der Präsentation mancher Exponate ist Fil-
    singer unzufrieden. In einem Schaukasten
    sind handgeschriebenen Briefe von Eme-
    renz Meier ausgestellt. „Gut und schön,
    aber was nutzen die, wenn sie kaum je-
    mand entziffern kann?“, sagt er. Lesbare
    Abschriften müssten daneben liegen. Für
    viele seiner Ideen fehlt das Geld, auch
    wenn die Stadt, das betont Filsinger, das
    Museum unterstütze, auch der „Fonds für
    regionale Entwicklung“ der EU schießt
    was bei. Aber genug ist es nie.
    Die schnöden Zwänge des Alltags sind
    es auch, die Emerenz Meier das literari-


sche Schreiben abgewöhnen. Der Alltag in
Chicago, wo es eine recht große bayerische
Community gab, ist anfangs zwar erträg-
lich. Meier arbeitet vor ihrer Heirat mit ei-
nem Bayern in einer Fabrik und kann der
amerikanischen Lebensweise durchaus
auch Positives abgewinnen. Später, als der
ungeliebte erste Mann tot ist und sie ein
zweites Mal heiratet – diesmal einen
Schweden, eine glücklichere Verbindung –

klagt sie über zunehmende Ablehnung al-
les Deutschen, vor allem nach Ende des Ers-
ten Weltkriegs. Einen deutschen Text ir-
gendwo zu veröffentlichen ist inzwischen
undenkbar. In dem Gedicht „Stoßseufzer“,
schreibt sie frustriert: „Hätte Goethe Sup-
pen schmalzen, Klöße salzen / Schiller
Pfannen waschen müssen, / Heine nähn,
was er verrissen, / Stuben scheuern, Wan-
zen morden / Ach die Herren, / Alle wären
/Keine großen Dichter worden.“ Ihr Ge-
dichtband „Aus dem bayerischen Wald“,
der schon 1897 verlegt wurde, bleibt ihre
einzige zu Lebzeiten entstandene Veröf-
fentlichung. Meier stirbt 1927.
Im Museum kauft gerade eine ältere
Frau eine Eintrittskarte. Sie sei vor drei Wo-
chen aus Köln nach Waldkirchen gezogen,
erzählt sie, und das sei bereits ihr zweiter
Besuch im Museum binnen einer Woche.
So sehr umgetrieben habe sie die Emerenz
Meier und die anderen Auswandererge-
schichten. Karl Filsinger schreibt händisch
„Jahreskarte“ auf ihr Ticket, sie soll wieder
und wiederkommen dürfen. Er wirbt nach
Kräften.
Am meisten am Herzen liegt Filsinger
derzeit das Wirtshaus „Zur Emerenz“ im
Erdgeschoss. Das Haus war schon zu Mei-

ers Lebzeiten ein Gasthaus, es ist das einzi-
ge in Schiefweg. „Es ist so wichtig, dass das
gut läuft“, sagt er. Denn wer einmal da ist,
geht vielleicht auch nach oben in die Aus-
stellung. Immer wieder finden Musik- und
Literaturveranstaltungen statt, im Wirts-
haus und oben im Museum, aber oft ist es
schwer, Zuschauer zu mobilisieren.
Dabei ist das Angebot charmant: Im Sep-
tember tritt der Liedermacher Johannes Öl-
linger auf, der auf seinem Album „Brieflie-
der“ auch den Brief „Ich bin so radikal ge-
sinnt“ von Emerenz Meier an ihre Freun-
din Auguste Unertl vertont hat. Zum


  1. Geburtstag der Emerenz entsteht eine
    CD mit vertonten Gedichten, die im Okto-
    ber im Museum präsentiert wird. Aber
    auch der Pächter hat immer wieder Proble-
    me, zum einen weil zu wenig Gäste kom-
    men, zum anderen weil es schwierig ist,
    Servicepersonal zu finden. Warmes Essen
    gibt es erst ab 17 Uhr. Karl Filsinger sorgt
    auch das, er möchte deshalb als nächstes ei-
    nen Brotzeitteller einführen, der schon am
    frühen Nachmittag unkompliziert serviert
    werden kann. Ein belebtes Wirtshaus
    macht auch das Museum lebendig, glaubt
    Filsinger. Und mit ihm die Geschichten der
    Emerenz Meier.


München– Dasseine Band letztlich im-
mer auch eine Ansammlung von Individua-
listen ist, dürfte hierzulande wohl kaum ei-
ne Formation anschaulicher demonstrie-
ren alsDie Nervenaus Stuttgart. Sie haben
mit Max Rieger einen Gitarristen und Sän-
ger, der mit pechschwarzem Rollkragen-
Outfit und dunkler Sonnenbrille einen
ebenso coolen wie distanzierten Existenzi-
alisten-Nimbus pflegt. Mit Julian Knoth ei-
nen komplett geerdeten Bassisten und Sän-
ger, dem jedes exaltierte Bühnengewese
fremd zu sein scheint. Und schließlich mit
Kevin Kuhn einen dauergrinsenden Schlag-
zeuger in Ozzy-Osbourne-Shirt und Boxer-
shorts, der sich mit seinen forschen Ansta-
cheleien („Letztes Mal sind hier aber alle
aufgestanden!“) und ulkig verpiepsten Mit-
sing-Animationen („Don't Look Back In An-
ger“) allerdings nicht nur Freunde im Publi-
kum des Theatron macht.
Musikalisch spiegelt sich diese Typen-
Bandbreite indes in einem Sound wider,
der so ziemlich jede Klangfacette aus fünf

Jahrzehnten Punk-Gegenkultur abdeckt.
Kongenial angebahnt vom Berliner TrioLe-
ventum Sängerin Heike Marie Rädeker,
das an zwei Bassgitarren eine Art dreckig
angezerrten Garage-Psychorock zum Krei-
seln bringt, zeigen Die Nerven mit ihrem
Theatron-Gig eindrucksvoll, dass Punk
deutlich mehr sein kann als bloßer Drei-
Akkord-Minimalismus.
Mit großer Lust am Wechselspiel zwi-
schen noisiger Wucht und ätherischem
Wohlklang vereinen sie griffige tocotroni-
sche Anti-Selbstoptimierungs-Slogans
(„Finde niemals zu dir selbst“) und gleißen-
den Post-Punk-Drive sowie klassischen Po-
go-Punk („Dreck“), kathartisch rausge-
knüppelten Brüll-Hardcore („Frei“) und
hypnotisch zirkulierende New-Wave-Pas-
tiches („Neue Wellen“), um mit einer schier
endlos ausgewalzten Quasi-Krautrock-Ver-
sion von „Der letzte Tanzende“ tatsächlich
noch einmal sämtliche ihrer zahlreichen
stilistischen Verstrebungen final zusam-
menzuführen. Famos! martin pfnür

München– AlsBodi-Bill-Sänger Fabian
Fenk das Publikum im Rund des Thea-
trons mit einem dezent vergifteten „Will-
kommen beim Fernsehgarten 2019!“ be-
grüßt, ist das natürlich vor allem ein spötti-
scher Kommentar auf die wuselige Freizeit-
atmosphäre, die an diesem selten schönen
Augustabend im Idyll des Olympiaparks
zwischen den sattgrünen Hügeln auf der ei-
nen und dem bunt leuchtenden Volksfest
auf der anderen Seite des Sees herrscht.
Die Musik seiner Band kann er dabei jeden-
falls nicht meinen. Denn die bezirzt in die-
sem Umsonst-Konzert im Rahmen des
Theatron-Musiksommers mit einer über
jede Fernsehgarten-Seichtheit erhabenen
Tiefe, wie man sie im breiten elektroni-
schen Segment nur selten vorfindet.
Es ist eine wunderbar eigene Form der
Tanzbodenromantik, die das erst kürzlich
nach acht Jahren auf diversen Solo-Pfaden
(unter anderem alsThe/Das) wiederverei-
nigte Trio aus Berlin evoziert. Eine Roman-
tik, die sich ebenso aus der Fusion digitaler

und analoger Mittel wie aus dem grandios
flehentlichen Soul in Fenks Stimme speist.
Der wirkt in seiner kurzen Sporthose und
seinem Schlabbershirt zwar eher wie auf
dem Weg zum Feierabendkick unter Freun-
den, glänzt dabei jedoch als Sänger mit ei-
ner Hingabe, die den immer wieder anrüh-
rend elegischen Charakter dieser Musik
aufs Schönste veredelt.
Sei es in Form der neuen Single „What
If“, die mit filigran strahlenden Synthie-
Kaskaden und elegant synkopierter Rhyth-
mik gleichermaßen auf Herz und Beine ab-
zielt. Sei es in Form eines alten Songs wie
„Very Small“, den Fenk an der E-Gitarre
und der multibegabte Alex Stolze an der Vi-
oline als gleichsam zarte, tieftraurige und
fast schon kammermusikalische Ballade
beginnen, ehe er von Anton Feist an der
Elektronik unter großem Jubel im Publi-
kum auf den Dancefloor geführt wird.
Eine Dynamik, so kühn und überrum-
pelnd, dass man davor nur den Hut ziehen
kann. martin pfnür

München– Die Stoßgebete nach Restkar-
ten sind an diesem Sommerabend fast hör-
bar. In einer langen Schlange stehen Men-
schen vor der Abendkasse des Strom und
bangen um ein Ticket. Grund ist die japani-
sche Psychedelic-Rockband Kikagaku
Moyo, die auf ihrer Europatournee in Mün-
chen stoppt. „Ich freue mich total auf das
Konzert, diese Band ist der Wahnsinn“, pro-
phezeit Veranstalter Veit Oberrauch, der
die Gruppe in seiner Konzertreihe „Behind
The Green Door Events“ zum zweiten Mal
nach München holt.
Die VorbandWax Machinespielt mit ih-
rer flirrenden Musik gegen die Aufregung
des Publikums an. Das flippt völlig aus, als
die Musiker von Kikagaku Moyo auf der
Bühne erscheinen. Ein besonderer Duft wa-
bert durch den Saal. Die Japaner spielen
konzentriert und ekstatisch. Dabei ist die
Band ganz bei sich, hält wenig Kontakt mit
dem Publikum und wirkt dabei jedoch
nicht arrogant, sondern zieht die Zuhörer
in den Bann der Musik. Das Konzert ist wie


eine Traumreise, die mit sphärischen und
psychedelischen Songs beginnt und inner-
halb von kurzer Zeit in ausufernden, wil-
den Instrumentalparts mündet.
Die Musiker beherrschen ihre Instru-
mente virtuos. Alle fünf sind Multiinstru-
mentalisten, tauschen während des Kon-
zerts die Instrumente, schenken ihrem Pu-
blikum erst ein schüchternes Lächeln,
dann ein neues Klangerlebnis. Ihre Musik,
die Anleihen aus dem Rock der Siebziger-
jahre, aus Folk und indischer Musik ent-
hält, wird neben Gitarre, Bass und Schlag-
zeug vor allem von der Sitar getragen; dazu
bereichern kleine Percussioninstrumente
einige Songs. Drummer Go Kurosawa
drischt brachial auf die Trommeln ein,
lässt dann die Drumsticks filigran wie
Schläge von Kolibriflügeln auf sein Instru-
ment rieseln. Seine Bandkollegen, zum
Teil barfuß, sind bei der Zugabe so in ih-
rem Element, dass sie dem Publikum den
Rücken zuwenden und in einem Kreis spie-
len. Tosender Applaus. anna weiß

Hersbruck– Die Gitarre ist in vielerlei Hin-
sicht ein Zwitterwesen. In der akustischen
Variante eines der leisesten, ist sie in der
E-Version eines der lautesten Instrumen-
te. Zwar ist sie seit einigen Jahren das
meistverbreitete Einstiegsinstrument
noch vor dem Klavier, gleichzeitig gehen
große Hersteller wie Gibson pleite, weil
den aktuellen Niedergang in der Rock- und
Popmusik der Aufschwung im Jazz – wo
die Gitarre bis vor einiger Zeit ebenfalls
eher ein Exot war – nicht wettmachen
kann. In der Klassik wiederum führt sie
ein fast hermetisch abgeriegeltes Eigenle-
ben, das den genreübergreifenden Kon-
takt – und sei es nur hinüber zur halbakus-
tischen Gitarre – scheut wie der Teufel das
Weihwasser. All das hat dazu geführt, dass
die Gitarre in allerlei Nischen und Elfen-
beintürmen gelandet ist.
Der Münchner Gitarrist Johannes Tonio
Kreusch hat sich damit nie abgefunden.
Schon die klassische Ausbildung empfand
er als (musik)weltfremd, als Musiker revo-
lutionierte er nicht nur den bis dato auf
schlampige Notierungen konzentrierten
Zugang zu Heitor Villa-Lobos, er experi-
mentierte mit dem Gitarrenklang und
fand – mithilfe seines Bruders, des Jazzpia-
nisten Cornelius Claudio Kreusch – den
Weg zur Improvisation. Und er versuchte
früh auch von der anderen Seite her, der Gi-
tarre mehr Aufmerksamkeit zu verschaf-
fen: als Organisator und Veranstalter. Als
er vor 14 Jahren das Angebot bekam, die
künstlerische Leitung des beschaulichen
Gitarrenfestivals in Hersbruck im Nürnber-
ger Land zu übernehmen, sah er dafür eine
weitere Chance.
Es ist mehr als beeindruckend, was sich
daraus entwickelt hat, wie man nun beim
Jubiläum, der 20. Ausgabe des „Internatio-
nalen Gitarrenfestivals Hersbruck“ beob-
achten konnte. Diese Woche ist zum Vorrei-
ter und Vorbild für stil- und genreübergrei-
fende Programme sowie die Verschrän-
kung von Konzert- und Ausbildungsbe-
trieb geworden. Ausnahmslos die Großen
ihres Fachs sind hier inzwischen zu erle-
ben, fast alle geben nicht nur ein Konzert,
sondern auch Workshops, Einzelunter-
richt und Meisterklassen; einige wie der
Fingerstyler und Youtube-Star Adam Raf-
ferty oder der österreichische Professor Mi-
chael Langer reisen sogar nur dafür an. Al-
le preisen den einzigartigen Charakter, die
zwanglose, inspirierende und freund-
schaftlichen Atmosphäre diesen Treffens
der ganzen Gitarristenfamilie.
Vor allem aber ist das Publikum mitge-
wachsen. Fast alle Konzerte waren voll –
und das in einem 500-Plätze-Saal in einer
13 000-Einwohner-Kleinstadt. Sogar bei ei-
ner eigentlich überdimensionierten „Clas-
sical Guitar Gala“ wurden nach fast vier
Stunden noch zwei Zugaben erklatscht,
weil man die überragende Qualität des Ge-
botenen erkannte und schätzte. Natürlich
liegt dies auch am Glücksfall der Rahmen-
bedingungen. Daran, dass man seit jeher
auf das AOK-Bildungszentrum zurückgrei-
fen kann, wo sich im Urlaubsmonat August
statt Sozialversicherungsfachangestellten-

Azubis eine Woche lang Gitarristen wie in
einem Reagenzglas austoben können. Dar-
an, dass die kommunalen Amtsträger – Alt-
Bürgermeister und Festivalgründer Wolf-
gang Plattmeier leitet inzwischen den Fes-
tival-Förderverein, sein Nachfolger Robert
Ilg fehlt bei keinem Konzert und erledigt
im Notfall auch Fahrdienste für Musiker
und Gäste – die Chance erkannt haben, ihr
Städchen fetter auf die Landkarte zu brin-
gen und bedingungslos dahinter stehen.
Daran, dass die inzwischen in der dritten
Generation arbeitenden Organisations-
teams alles perfekt am Laufen halten. Oder
daran, dass man seit drei Jahren mit der
neugebauten GERU-Halle über einen ad-
äquaten Konzertsaal (neben der Stadtkir-
che) verfügt.

Aber vor allem liegt es an der konzeptio-
nellen Aufbauarbeit von Kreusch. „Es geht
inzwischen um viel mehr als nur um Gitar-
re“, sagt er. „Wichtiger ist die gemeinsame
Erfahrung und Entdeckung von tiefgründi-
ger, wirklich berührender Musik jenseits
des alles einebnenden Mainstreams. Als
Statement für die Bedeutung der Kultur
für eine funktionierende Zivilgesell-
schaft.“ Wenn es in einem „Guitar Evoluti-
on“ betitelten Abend von der Barockmusik
über die Hochromantik bis zum modernen
Klassik-Kanon geht, dann ersetzt dies für
die Vermittlung von Musikgeschichte lo-
cker zwei Jahre langweiligen Schulunter-
richts. Weil Kreusch mit dem Lautenisten
Eduardo Egüez, dem auf historischen Gi-
tarren spielenden Spezialisten Pavel Steidl
(der mit seinen einfallsreichen, moderne
Akzente setzenden Interpretationen selbst
einen etwas abgehangenen Johann Caspar
Mertz als Vorläufer des Wienerlieds und
gar des Austropops sichtbar werden lässt)
und dem niederländischen Jungstar und
Hersbruck-Debütanten Jan Depreter den
richtigen Bogen schlägt.
Fast an jedem Abend gelangen solche
Bögen. Und an der Seite der in diesem Flair
besonders aufdrehenden Topstars wie
dem Klezmer-King David Orlowsky, dem
Oud-Revolutionär Rabih Abou-Khalil, der
so witzig und wuchtig war wie selten, den
brasilianischen Klassik-Legenden Sergio
& Odair Assad und Publikumsliebling Car-
los Barbosa-Lima oder dem Django-Rein-
hardt-Erben Stochelo Rosenberg gab es
stets Entdeckungen. Wie das in Paris leben-
de Duo der japanischen Flötistin Mie Ogu-
ra und des bulgarischen Gitarristen Atanas
Ourkouzounov, die mit einem stark von Im-
provisationen durchzogenen Programm
von Bartok über Ralchev bis zu Chick Co-
rea und Keith Jarrett begeisterten. Oder
der blutjunge russische Fingerstyler Ale-
xandr Misko, der mit Einfällen wie dem Bo-
genspiel per Essstäbchen der Gitarre wie-
der einmal neue Wege eröffnet. Wie es die-
ses Festival seit langem und hoffentlich
noch lange tut. oliver hochkeppel

GANZ PERSÖNLICH


Trotz langer Wartezeit auf ihren Auftritt gab das Flöte/Gitarre-Duo Mie Ogura und
AtanasOurkouzounov ein hinreißendes Hersbruck-Debüt. FOTO: HARALD WITTIG

Ein Leben fern der Heimat


Das Emerenz-Meier-Haus in Schiefweg erinnert nicht nur an die bayerische Dichterin,


sondern erzählt von der Zeit, als die Waldler in Scharen vor Hunger und Armut nach Amerika flüchteten


Maximal variabel


„Die Nerven“ zeigen Facetten des Punk auf


Tanzbodenromantiker


„Bodi Bill“aus Berlin begeistern beim Theatron


Verwegene Mischung


„Kikagaku Moyo“ aus Japan faszinieren im Strom


Hochschule


des Hinhörens


Das 20. Internationale Gitarrenfestival Hersbruck


Vor ihrer Auswanderung in die USA war Emerenz Meier als Schriftstellerin bereits so bekannt, dass ein Passauer Fotograf ihr
Porträt und das Geburtshaus als Postkartenmotiv verwendete. Heute beherbergt das Wirtshaus ein Museum, das auch die
Geschichte der niederbayerischen Auswanderungsbewegung zwischen 1850 und 1920 aufrollt. FOTOS: EMERENZ-MEIER-HAUS

Entscheidend ist die Entdeckung
von berührender Musik
jenseits des Mainstreams

Ein Mensch und sein Museum
SZ-Serie • Folge 6

München

BAYERN

Schiefweg

SZ-Karte/Maps4News

KURZKRITIK


R16 (^) KULTUR Montag, 19. August 2019, Nr. 190 DEFGH

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