Süddeutsche Zeitung - 19.08.2019

(Ron) #1

Berlin– Mit zumindest missverständli-
chenÄußerungen hat CDU-Chefin Anne-
gret Kramp-Karrenbauer sich zwei Wo-
chen vor den Landtagswahlen in Sachsen
und Brandenburg den Ärger ostdeutscher
Parteifreunde zugezogen. Die christdemo-
kratischen Wahlkämpfer im Osten hader-
ten am Wochenende mit einer von der Par-
teivorsitzenden ausgelösten Debatte über
die Rolle von Ex-Verfassungsschutzpräsi-
dent Hans-Georg Maaßen in der CDU.
Vor allem der sächsische Ministerpräsi-
dent Michael Kretschmer kritisierte
Kramp-Karrenbauers Worte zu einem Par-
teiausschlussverfahren gegen Maaßen.
Kretschmer sagte derBild am Sonntag:
„Das ist der falsche Weg. Bei aller berech-
tigten Kritik an Hans-Georg Maaßen – wir
schließen niemanden aus der Partei aus,
nur weil er unangenehm ist.“ Auch der Thü-
ringer CDU-Spitzenkandidat Mike Moh-
ring äußerte sich kritisch und betonte, ei-
ne solche Debatte sei „überhaupt nicht hilf-
reich“. In Thüringen wird Ende Oktober
ein neuer Landtag gewählt. Unterstützung
bekam die Parteichefin dagegen vom Bran-
denburger CDU-Vorsitzenden Ingo Senftle-
ben: „Wenn jemand ständig gegen die Ge-
meinschaft Foul spielt, muss er sich nicht
wundern, dass die Team-Managerin klare
Worte findet“, sagte er der Nachrichten-
agentur Reuters.
Kramp-Karrenbauer hatte am Samstag
auf die Frage, ob sie über einen Parteiaus-
schluss von Maaßen nachdenke, geantwor-
tet: „Es gibt aus gutem Grund hohe Hür-
den, jemanden aus einer Partei auszu-
schließen. Aber ich sehe bei Herrn Maaßen
keine Haltung, die ihn mit der CDU noch
wirklich verbindet.“ Auf die Nachfrage, ob
sie Maaßen damit eine gelbe Karte zeige,
fügte sie hinzu, die Tea Party in den USA ha-
be die Republikaner ausgehöhlt und radi-
kalisiert. Das werde die CDU und das wer-
de sie selbst als Vorsitzende nicht zulassen.
Sie sagte der Funke-Mediengruppe: „Es ist
das gute Recht jedes Mitglieds, seine Mei-
nung zu äußern. Der Versuch aber, eine
gänzlich andere Partei zu schaffen, stößt
auf meinen allerhärtesten Widerstand.“
Als in der CDU Kritik aufkam, betonte die
Parteichefin jedoch, sie habe kein Partei-
ausschlussverfahren gegen Maaßen gefor-
dert. stefan braun


von stefan braun
und antonie rietzschel

Berlin/Leipzig –Der Redebedarfist groß
bei den Sozialdemokraten in diesen Tagen.
Seit Freitag gibt es jede Menge neue Bewer-
ber und potenzielle Bewerber für den Par-
teivorsitz. Letzteres trifft bisher exklusiv
auf den Bundesfinanzminister zu. Olaf
Scholz verteidigte am Sonntag seine Volte
in dieser Frage. Scholz sagte in einem Inter-
view mit derBild am Sonntag, er bewerte
die Lage neu: „Aus Verantwortung für die
SPD habe ich damals gesagt, dass ich den
Parteivorsitz nicht anstrebe. Nun sind eini-
ge Wochen ins Land gegangen. Viele von de-
nen, die ich gerne an der Spitze gesehen
hätte, kandidieren nicht. Das kann ich
nicht ignorieren.“
Scholz betonte, „natürlich“ sei die SPD
noch zu retten. „In unserer Partei kommen
die Theaterdirektorin und der Mann aus
der Großküche, der Arbeiter aus der Fa-
brik und die App-Entwicklerin zusam-
men.“ Sie alle verbinde das Kernanliegen
der Sozialdemokraten, „dass jeder und je-
de in unserem Land Respekt verdient und
ein ordentliches Leben führen kann.“
Scholz verwahrte sich gegen den Vorwurf,
die bisherigen Bewerber seien nur Kandi-
daten zweiter oder dritter Klasse. Unter ih-
nen seien viele, die er sehr schätze: „Und
da wird auch über einige ungerecht geur-
teilt.“ Zugleich schwieg er zur Frage, wel-
che Frau mit ihm zusammen kandidieren
werde. Über alles, was jetzt zu tun sei, spre-
che er „erst mit Freundinnen und Freun-

den in der Partei – und dann öffentlich“.
Beim Tag der offenen Tür der Bundesregie-
rung fügte er noch hinzu, er wolle mit derje-
nigen die Sache sorgfältig durchsprechen,
bevor man an die Öffentlichkeit gehe. „Die-
se Ernsthaftigkeit bitte ich mir zu ermögli-
chen“, sagte Scholz.
Mitten hinein in seine Bemühungen
platzte am Wochenende neuerliche Kritik
am gesamten Verfahren. Sie kam vom nie-
dersächsischen Ministerpräsidenten Ste-
phan Weil. Der Sozialdemokrat, der immer
wieder als Kandidat gehandelt worden war
und mehrfach abgelehnt hatte, beklagt in
einem Gespräch mit dem Deutschland-
funk, dass das Prozedere von den vielen Ab-
sagen überlagert werde. „Am Anfang gab
es ja fast nur Aussagen, wer nicht zur Verfü-
gung steht, aber nicht umgekehrt“, kriti-
sierte Weil. Das belaste das Verfahren.

Auch die lange Dauer bis zu einer Entschei-
dung kritisierte der Niedersachse: „Opti-
mal ist das ganz bestimmt nicht, was wir ge-
rade erleben.“ Weil betonte in dem Inter-
view noch einmal, dass er keine Ambitio-
nen habe, nach Berlin zu wechseln. Aus-
schließen wolle er einen solchen Schritt
aber auch nicht; es gäbe zu viele Politiker,
die eine Festlegung später bereut hätten.
Ob das als Spitze gegen Scholz gemeint
war, ließ er offen. Dessen Kandidatur kom-

mentierte Weil mit den Worten: „Ich möch-
te keine Haltungsnoten für einzelne Partei-
freunde abgeben; das muss am Ende des
Tages jeder mit sich selbst ausmachen.“
Es ist nicht lange her, da lehnte auch Bo-
ris Pistorius eine Doppelspitze in der SPD
ab: „Nicht gerade jetzt“, sagte er noch Ende
Juni. Jetzt, fast zwei Monate später steht er
im Tagungsraum eines Leipziger Hotels.
Neben ihm Petra Köpping, in Sachsen Mi-
nisterin für Gleichstellung und Integrati-
on. Gemeinsam wollen sie ihre Kandidatur
für den SPD-Vorsitz verkünden. Das erste
Wort haben jedoch weder Pistorius noch
Köpping. Das spricht Martin Dulig, Vorsit-
zender und Spitzenkandidat der SPD in
Sachsen. „Wir wollen der SPD wieder Zu-
versicht geben“, sagt Dulig. Das gehe nur
mit Menschen, die mit beiden Beinen im
Leben stehen. Dulig schaut zu Köpping
und Pistorius.
Zwei Telefonate und ein Treffen soll es
gegeben haben, bevor die beiden zueinan-
der fanden. Ausschlaggebend war offen-
bar ihre Erfahrung in der Landespolitik.
Auch die Verwurzlung in der Kommunalpo-
litik sei eine wichtige Gemeinsamkeit, sagt
Pistorius. Er selbst war früher Oberbürger-
meister in Osnabrück, Köpping Bürger-
meisterin in Großpösna, einer Kleinstadt
im Südosten Leipzigs, und später Landrä-
tin. Pistorius ist heute versiert in der Innen-
politik, lieferte im Bundestagswahlkampf
2017 die Eckpunkte für Forderungen im Be-
reich innere Sicherheit. Köppings Vorteil
ist ihre Herkunft: „Ich möchte eine starke
Stimme aus dem Osten sein“, sagt sie.

In ihrer Rolle als Ministerin für Integrati-
on beschäftigt sie sich seit Jahren mit den
Brüchen, die die Nachwendezeit für die
Menschen in Ostdeutschland mit sich
brachten. Mit Massenarbeitslosigkeit, Ab-
wanderung, verloren gegangenen Hoffnun-
gen. Seit Jahren besucht sie Menschen, die
erleben mussten, wie die Treuhand ihre Be-
triebe abwickelte oder an Westdeutsche
verkauft wurden. Sie hat eine Streitschrift
für den Osten geschrieben: „Integriert
doch erst mal uns“.
In der Bundes-SPD wurde sie deswegen
zuweilen als „die mit den Ossis“ belächelt.
Doch das war bevor die AfD zur Bundes-
tagswahl im Osten drei Direktmandate hol-
te, bevor rechtsextreme Ausschreitungen
in Chemnitz den Osten wieder in Verruf
brachten – und die Wahlergebnisse zur Eu-
ropawahl Deutschland spalteten. Köpping
gilt heute als versierte Analystin ostdeut-
scher Lebensverhältnisse. Dass ihre Partei
Dulig zum eigenen Ostbeauftragten er-
nannte und im Frühjahr einen eigenen Ost-
Konvent abhielt, ist auch auf ihr Engage-
ment zurückzuführen.
Auf ihren Reisen durch den Osten traf
sie auch immer wieder Menschen, die weg
wollten. Weg von Sachsen und dem Hass.
In solchen Momenten wurde ihr Ton
streng. Sie fragte, was denn werden solle,
wenn alle gehen. Jeder werde gebraucht.
Während der Pressekonferenz in Leipzig
betont sie deswegen, dass sie auch als Bun-
desvorsitzende ihrer Heimat treu bleiben
wolle: „Ich will meine Arbeit in Sachsen
fortführen.“

Berlin –Die Fraktionsvorsitzende der
Grünenim Bundestag, Katrin Göring-
Eckardt, sieht Bund und Länder in der
Pflicht, dem Verkauf ostdeutscher
Agrarflächen an Großinvestoren einen
Riegel vorzuschieben. „In Ostdeutsch-
land gehören inzwischen teilweise über
30 Prozent der Flächen nicht mehr den
Landwirten oder örtlichen Genossen-
schaften, sondern Investoren“, sagte
Göring-Eckardt. Das sei möglich, weil
es rechtlich eine offene Tür gebe, die
geschlossen werden müsse. Derzeit
könnten Kapitalgesellschaften noch
über den Kauf von Mehrheitsanteilen
an Landwirtschaftsbetrieben Agrarflä-
chen im großen Stil übernehmen.dpa


Manöverkritik und Wendemanöver


Mitten hinein in den Bewerberboom bei der SPD rügt Ministerpräsident Weil das Prozedere der Kandidatenfindung.
Vizekanzler Scholz erklärt derweil, warum er die Lage neu bewertet – und ein Duo schaut auf die Menschen im Osten

München –Mehrere Verbände, die die
Interessen von Soldaten des Komman-
dos Spezialkräfte (KSK) und Veteranen
vertreten, haben sich von einer Vereini-
gung namens Uniter distanziert. Uniter
sollen bis zu 2000 aktive und ehemalige
Angehörige der Spezialkräfte des Hee-
res, der Polizei und Mitarbeiter anderer
Sicherheitsfirmen angehören, einigen
von ihnen werden Verbindungen zu
rechtsextremistischen Kreisen nachge-
sagt. Laut Medienberichten betreibt
Uniter die Unterwanderung der Bundes-
wehr. Die Gemeinschaft Deutscher
Kommandosoldaten (GDK) hat nun
betont: „Was Uniter treibt, schadet dem
Ansehen des Kommandos Spezialkräf-
te.“ Was über Uniter und rechtsextreme
Netzwerke in der Bundeswehr berichtet
werde, sei „eine Katastrophe für uns, da
es das Vertrauen in uns beschädigt“,
berichtet dieFrankfurter Allgemeine
Sonntagszeitung.Ähnlich reagierten
demnach der Bund Deutscher Einsatzve-
teranen und der Vorstand der Bundes-
vereinigung der Waffenträger in der
Sicherheitsbranche. Uniter weist die
Vorwürfe zurück, der Verein sei ein
„unpolitisches und überkonfessionelles
Netzwerk“, berichtet die FAS. sz


Berlin –Der Bundespolizei sind nach
Angaben des Bundesinnenministeri-
ums 30 rechtsextreme Vorfälle in den
eigenen Reihen aus den vergangenen
zwölf Jahren bekannt. Gegen jeden der
betroffenen Mitarbeiter sei ein Diszipli-
narverfahren eingeleitet worden, hieß
es in einer Antwort des Ministeriums
auf eine Parlamentsanfrage der Links-
fraktion im Bundestag. Die Auskunft
bezieht sich auf Fälle ab 2007 – allein
elf davon seien im Jahr 2017 gezählt
worden, hieß es. Im laufenden Jahr
wurde demnach bislang ein Vorfall
bekannt. Mehr als zwei Drittel der Vor-
kommnisse seien durch interne Hinwei-
se bekanntgeworden. Zehn Beamte auf
Zeit („auf Widerruf“) seien entlassen
worden. In vier Fällen sei eine Geldbuße
verhängt oder ein Verweis ausgespro-
chen worden. In 21 Fällen seien Strafan-
zeigen gestellt worden. dpa


Berlin –Die Worte, mit denen die Modera-
torin Bundesfamilienministerin Franziska
Giffey ankündigt, fangen die Stimmung
der vergangenen Tage gut ein: „Alle ziehen
derzeit an ihr.“ Danach ist Giffeys kürzlich
gefällte Entscheidung, nicht für den SPD-
Vorsitz zu kandidieren, erst einmal kein
Thema mehr – nicht bei der Podiumsdis-
kussion und auch nicht später im Publi-
kum. Es ist Tag der offenen Tür der Bun-
desregierung, und Giffey will im Presse-
und Informationsamt über „Deutschland
nach 30 Jahren Mauerfall“ diskutieren.
Der Saal ist gut gefüllt, vor allem ältere
Leute sind an diesem Samstagnachmittag
gekommen, um Giffey reden zu hören. Die
Familienministerin aus Frankfurt an der
Oder spricht mit zwei Gesprächspartnern
über Ostdeutschland vor den Wahlen und

die Entwicklung der vergangenen 30 Jah-
re. Die Ostdeutschen könnten stolz darauf
sein, was sie nach der Wende geschafft ha-
ben, sagt Giffey. Dass 20 Prozent die AfD
wählen wollten, sei schlimm. „Aber 80 Pro-
zent wählen auch nicht die AfD.“ Diese Men-
schen müsse man stärken, sagt Giffey und
erntet dafür viel Applaus.
Nach dem Gespräch geht ein Mann aus
dem Publikum auf sie zu und wünscht ihr
viel Glück. Er hoffe, dass sie weitermache.
Zu ihrer Entscheidung gegen die Führungs-
ebene will sie jedoch nichts weiter sagen.
Derzeit wird Giffeys Doktorarbeit an der
FU Berlin auf Plagiate überprüft. Falls die
Prüfung negativ ausfällt, will Giffey ihren
Rücktritt als Ministerin anbieten.
Eigentlich soll es am jährlichen Tag der
offenen Tür nicht um Parteipolitik, son-
dern um die Arbeit der Bundesministerien
gehen. Aber die Frage um den Parteivor-
sitz der SPD wird auch an diesem Wochen-
ende nicht ausgeklammert. Zehntausende
Besucher aus ganz Deutschland schauen
sich die Regierungsgebäude an, Minister
reden in Podiumsdiskussionen oder stel-
len sich in der Bürgerpressekonferenz den
Fragen der Besucher. „Ich werde hoffent-
lich nicht gegrillt“, sagt die Justizministe-
rin Christine Lambrecht (SPD), bevor die
Zuschauer ihre Fragen stellen dürfen –
ganz im Stil der Bundespressekonferenz.
Gegrillt werden – so nennen es vor allem
Journalisten, wenn Politiker mit Fragen un-
ter Druck gesetzt werden. Zu parteipoliti-
schen Fragen oder zu der Kandidatur von
Finanzminister Olaf Scholz äußert sich
Lambrecht aber nur allgemein: Sie habe
großen Respekt vor allen Kandidaten, die
in dieser schwierigen Zeit für ihre Partei
kämpfen wollen.

Auch Umweltministerin Svenja Schulze
(SPD) hat kein Interesse an der Chefpositi-
on in ihrer Partei. „Ich habe als Ministerin
mit dem ganzen Klimaschutz so viel, was
da in den nächsten Wochen kommt, dass
ich glaube, dass andere da besser geeignet
sind“, erklärt sie in der Bürgerpressekonfe-
renz. Später wird sie von einigen Jugendli-
chen auf der Bühne herausgefordert. Die
Regierung solle für mehr Anreize zum Kli-
maschutz sorgen, sagt ein junger Mann.
Das Thema sei bei ihr Chefinnensache, ant-
wortet Schulze. Für andere ist es auch Reiz-
thema: Am Sonntag entrollen Greenpeace-
Aktivisten an verschiedenen Orten Plakate
mit Köpfen von Verkehrsminister Andreas
Scheuer (CSU), Wirtschaftsminister Peter
Altmaier und Landwirtschaftsministerin
Julia Klöckner (beide CDU). „Wir ruinieren
Ihre Zukunft“ steht darauf.
Für Angela Merkel (CDU) scheint am
Sonntag die Sonne, als sie gut gelaunt über
den grünen Rasen im Kanzlerpark schlen-
dert. Viele Besucher im Bundeskanzleramt
haben sich schon Stunden im Voraus die
besten Plätze gesichert, um ihre Kanzlerin
ins Objektiv ihres Mobiltelefons zu bekom-
men – beliebtestes Motiv ist zweifelsfrei
das Selfie, für das sich die Kanzlerin auch
gerne Zeit nimmt. Andere Besucher rufen
der CDU-Politikerin wohlwollend „Angie,
halt die Stellung!“ zu. Denn auch die einge-
fleischten Fans wissen: Lange wird Merkel
diesen fein ausgearbeiteten Routine-Spa-
ziergang, den sie Jahr für Jahr absolviert,
nicht mehr machen können. Ihre letzte Le-
gislaturperiode erreicht bald die Halbzeit.
Mit dem Koalitionspartner SPD knarzt es
an vielen Ecken – und ob Merkel im kom-
menden Jahr noch einmal im Garten spa-
zieren geht, für die Selfies lächelt und Auto-
gramme gibt, hängt nicht zuletzt davon ab,
wen die SPD an ihre Spitze setzt.
camilla kohrs, ekaterina kel

Berlin– Kurz vor Weihnachten wurde am
Londoner Flughafen Gatwick klar, welches
Chaos droht, wenn Drohnen in der Nähe
von Start- und Landebahnen unterwegs
sind. Sie legten in Gatwick den gesamten
Flugverkehr für 30 Stunden lahm. Etwa
1000 Flüge fielen aus, 140 000 Passagiere
saßen fest. Anfang Mai nahm auch der
Frankfurter Flughafen aus Sicherheits-
gründen alle Start- und Landebahnen für
fast eine Stunde außer Betrieb, weil unbe-
kannte Flugobjekte unterwegs waren.
Flughäfen sind bislang so schutz- wie hilf-
los. Denn für die Hunderttausende Droh-
nen allein in Deutschland gibt es trotz vie-
ler Warnungen noch immer kein großflä-
chiges Kontroll-, geschweige denn ein Ab-
wehrsystem.
Dabei werden die Gefahren in den zu-
ständigen Behörden immer intensiver dis-
kutiert. Etwa 500 000 Drohnen soll es in
Deutschland in privater und kommerziel-
ler Nutzung bereits geben – Tendenz stei-
gend. Meist sind die Einsätze harmlos.
Aber Sicherheitsbehörden fürchten eben
auch Terror-Risiken wie den Einsatz mit
kleinen Sprengsätzen. Davor hatte der EU-
Anti-Terrorismus-Koordinator gewarnt.

Wie angespannt die Bundesregierung
auf den wachsenden Drohnenverkehr am
Himmel über Deutschland reagiert, zeigen
nun aktuelle Aktivitäten in Berlin. Nach In-
formationen derSüddeutschen Zeitunghat
das Bundesverkehrsministerium die Deut-
sche Flugsicherung (DFS) mit einem Akti-
onsplan beauftragt. Die Behörde, die den
Luftraum für Verkehrsflugzeuge über-
wacht, soll eine „systematische Drohnen-
detektion“ an Flughäfen sicherstellen.
„Aus Sicht des Verkehrsministeriums
stellt der Betrieb von unbemannten Flug-

systemen in Flugplatznähe ein erhebliches
Risiko für die Sicherheit des Flugbetriebs
dar“, erklärt die DFS auf Anfrage. Aus-
schlaggebend sei „die steigende Zahl der
Drohnensichtungen in unmittelbarer Um-
gebung von Flughäfen“ und „jüngste Ereig-
nisse, bei denen unbemannte Flugsysteme
den Verkehr an Flugplätzen zeitweise so-
gar zum Erliegen gebracht haben“, erklärt
ein Sprecher der Flugsicherung. Die Zeit
drängt offenbar. Abgabetermin für den
Plan: 30. September.
Eigentlich ist der Drohneneinsatz in
Deutschland bereits geregelt. Sie dürfen
eineinhalb Kilometer um Flughäfen her-

um gar nicht fliegen. Untersagt ist es auch,
Hauptverkehrswege, öffentliche Gebäude,
Industrieanlagen, Gefängnisse, Militäran-
lagen oder Rettungseinsätze zu überflie-
gen. Nach Angaben der Flugsicherung ge-
fährden Drohnen dennoch immer häufi-
ger die Flugsicherheit. 2018 wurden 158
Fälle gemeldet, in denen sich Flugzeugpilo-
ten von einer Drohne behindert fühlten –
80 Prozent mehr Vorfälle als im Jahr zuvor.
Die meisten zählte mit 31 der Frankfurter
Flughafen, gefolgt von Berlin Tegel mit 17
und München mit 14 Vorfällen.
Machen können Behörden bislang we-
nig. Sind Drohnen erst mal in der Luft, gibt

es keine Möglichkeit, die Flüge elektro-
nisch zu erkennen – der Radar für Flugzeu-
ge spürt Drohnen nicht auf. Und selbst
wenn man sie bemerkt, lassen sie sich
nicht schnell genug einem Besitzer zuord-
nen. Denn Nutzer müssen sich zwar mit ei-
ner Plakette auf dem Gerät zu erkennen ge-
ben. Ein System zur Registrierung oder ein
Funksignal, damit Behörden schnell und
elektronisch prüfen können, zu wem sie ge-
hört, gibt es bislang nicht. So lässt sich der
Grund der Flüge nicht schnell klären.
Das könnte sich in Deutschland nun än-
dern. Es geht deshalb bei dem Auftrag an
die DFS auch um den Aufbau einer neuen
Technologie zur Drohnenüberwachung
und ihrer Registrierung. „Gerade für die
Detektion unkooperativer Drohnen muss
eine zuverlässige Technologie beschafft
werden“, die bislang am Markt noch nicht
verfügbar sei, erklärt die Flugsicherung
weiter. Infrage kommt laut Experten etwa
eine neue Radarüberwachung, der Aufbau
von Störsendern, die Drohnen zum Abdre-
hen zwingen oder das Einrichten von Sen-
soren, die Alarm schlagen, wenn sie Signa-
le von Fernsteuerung an das Flugobjekt
wahrnehmen. Sicherheitsbehörden haben
ähnliche Technik bereits im Einsatz und
schützen so etwa Staatsbesuche.
Geprüft wird den Angaben zufolge, ob
sich eine 18 Kilometer große Verbotszone
um Flughäfen einrichten lässt. Ein Bereich
bis 1300 Meter Höhe könnte dann von der
Flugsicherung kontrolliert werden. Bun-
des- oder Landespolizei wären dafür ver-
antwortlich, in diesem Bereich Drohnen in
kritischen Situationen vom Himmel zu ho-
len. Offen ist noch, wer solche Einsätze be-
zahlt. Denn die Flughäfen fühlen sich für
Korridore, die über das eigentliche Gelän-
de weit hinaus reichen, nicht verantwort-
lich. Das Thema dürfte auch am Mittwoch
in Leipzig eine Rolle spielen, wenn sich die
Luftverkehrsbranche zu einem nationalen
Gipfel mit Bundeskanzlerin Angela Merkel
(CDU) trifft. markus balser

DEFGH Nr. 190, Montag, 19. August 2019 (^) POLITIK HMG 5
Ärger
im Osten
Aussagen zu Ex-Geheimdienstchef
Maaßen bringen CDU-Chefin in Not
Die Familienministerin jongliert mit ei-
nem Flowerstick. FOTO:JÖRG CARSTENSEN/DPA
„Alle ziehen derzeit an ihr“, sagt
die Moderatorin
über die Familienministerin
Am Strand: Stephan Weil kommentiert die Kandidatensuche der SPD. Er selbst hält wenig davon, in Richtung Berlin loszufahren. FOTO:MOHSSEN ASSANIMOGHADDAM/DPA
Es gibt immer mehr Störungen des Luftverkehrs durch Drohnen. Auch wenn diese
noch weit weg vom Flughafen schweben, wie hier in Düsseldorf.FOTO: STRATENSCHULTE/DPA
Etwa 500 000 Drohnen gibt
es bereits in Deutschland.
Und kein Kontrollsystem
„Optimal ist das ganz
bestimmt nicht, was wir
gerade erleben“, sagt Weil
Soldaten-Kritik an „Uniter“
30 Fälle bei der Bundespolizei
Grüne gegen Großinvestoren
Tag der
offenen Fragen
Franziska Giffey spricht bei einer
Podiumsdiskussion über fast alles
INLAND
Unerkannte Flugobjekte
RisikoDrohne: Die Bundesregierung sorgt sich um die Sicherheit im Luftverkehr und gibt einen Abwehrplan in Auftrag

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